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Kapitel 22

~ Ein ewiges Geschenk

 

Schließlich war der Tag der Krönung gekommen. Schon in den frühen Morgenstunden war ich erwacht, weil ich spürte, dass jemand meinen Namen rief. Auch ohne meine Voraussicht sah ich nun, wie Elrond mit meiner Nichte und meinen Neffen über den Pelennor auf die Weiße Stadt zuritt. Arwen trug ein Banner mit sich und ich sah, wie sie strahlte. Voller Glück schien sie zu sein, als hätte es nie einen besseren Tag in ihrem Leben gegeben.

 

Bis zum Mittag begegnete ich niemandem. Und es war mir recht. Ich brauchte Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. Die Begegnung letzte Nacht hatte mich sehr aufgewühlt und ich wusste nicht, ob es gut gewesen war, ihm diese Worte zu sagen. Ich hatte Angst um ihn. Würde er es verkraften können?

 

Endlich fand ich ein wenig Ruhe und Zuflucht in den Ställen. Ich öffnete die Tür zu Alagos’ Box, nahm eine Bürste und begann ihr strahlendes Fell zu glätten. Bisher hatte sie mir immer Freude bereitet und war mir eine treue Gefährtin gewesen. Und ich war froh, dass sie ein Götterpferd war, denn so musste ich nicht bangen, dass ich sie verlieren würde. Sollte ich Mittelerde jemals verlassen, würde ich sie hierlassen, damit sie an meiner Stelle hier eine Familie gründen und glücklich werden konnte.

 

„Du hast es gut“, sagte ich zu ihr, während ich ihre Mähne kämmte, „du musst dich nicht mit verwirrenden Gefühlen herumschlagen. Solltest du einem Hengst auffallen, der dir zusagt, lässt du ihn gewähren. Bei euch gibt es keine komplizierten Regeln, keine Gefühle, die alles zerstören können. Bei euch gibt es nur Instinkte. Wie schön es doch wäre, nicht mehr denken, nicht mehr fühlen zu müssen.“

 

„Ihr solltet so nicht reden, Herrin.“ Gimli war für einen Zwerg erstaunlich leise an mich herangetreten und guckte nun über den unteren Teil der Türe in die Pferdebox herein. „Ich weiß, dass es für Euch nicht leicht war, aber Ihr solltet froh sein, dass Ihr noch am Leben seid.“

 

Ich tat die Bürste wieder zurück an ihren Platz, streichelte meiner Stute noch einmal über die Nüstern, dann trat ich zu dem Zwerg in den Gang. „Gehen wir ein Stück“, sagte ich und verließ den Stall. Wir schlenderten eine Weile ziellos durch die Gegend, bis er es nicht mehr aushielt, auf meine Antwort zu warten.

 

„Ich weiß, dass es für Euch seltsam erscheinen muss, aber ich habe mein Leben gegen eine Gabe eingetauscht. Wären die Götter mir nicht so wohlgesonnen, würde ich jetzt auch nicht mehr leben. Ich habe meine Gabe der Voraussicht für die Hoffnung auf ein besseres Leben hergegeben. Und doch hängt mein Herz immer noch an dem einen, den ich in dieser Welt nicht mehr erreichen kann. Wie kann das sein?“

 

Gimli seufzte. Mit einem Mal hatte er die Situation zwischen mir und Legolas durchschaut und wusste, warum sein Freund so schlechte Laune hatte. „Aber Ihr solltet auch bedenken, dass Ihr immer noch am Leben seid und dass es einen Grund dafür geben muss, warum die Götter Euch dieses Angebot gemacht haben.“

 

Wir blieben stehen und ich blickte ihn an. Konnte er wohlmöglich Recht haben? „Ich bitte Euch“, sagte er schließlich, legte seine schwere Hand auf meinen Unterarm, „denkt noch einmal darüber nach.“ Dann ließ er mich stehen.

 

~*~*~*~

 

Um die Mittagszeit begann nun endlich die Krönung. Ich hatte mir ein Kleid leihen müssen von einer Dame am Hofe, da ich nur Kampf- oder Reitkleidung bei mir trug. Daher schmeichelte es meiner Figur nicht wirklich und ich sah fürchterlich dürr und sehnig darin aus. Die lange Reise und die vielen Kämpfe hatten meinen Körper unförmig werden lassen. Meine Haare waren strohig und stumpf, meine Augen hatten ihren Glanz verloren. Kurz: ich gab keinen schönen Anblick ab.

 

Es schien, als hätte sich das ganze Königreich versammelt, um die Krönung ihres neuen Königs zu feiern. Es herrschte eine ausgelassene, aber feierliche Stimmung vor. Und bald versammelten wir uns alle auf dem Vorplatz des Palastes, oben im siebten Ring der Stadt.

 

Gandalf stand in einem weißen Gewand, welches von der Sonne zum Leuchten gebracht wurde, auf den Stufen. Neben ihm Gimli. In seinen Händen hielt der Zwerg ein rotes Kissen, auf dem die Krone von Gondor thronte. Seit ewigen Zeiten, so schien es mir, hatte sie kein Mann mehr auf dem Haupt getragen. Und doch sah sie so aus, als wäre sie erst gestern dem letzten König genommen worden.

 

Wir alle warteten gespannt. Dann endlich erschien Aragorn. Er trug das Blau und Silber, welches die Farben von Gondor waren, und schon jetzt sah er aus wie ein wahrhaftiger König. Dies mochte vor allem an seiner Abstammung liegen. Immerhin floss in seinen Adern das Blut von Númenor.

 

Gemächlich schritt er auf Gandalf zu, blieb in der Mitte der Stufen, flankiert von seinen Soldaten, stehen. Wir alle hielten den Atmen, als der Weiße ihm nun die Krone auf sein Haar setzte und sagte: „Nun kommen die Tage des Königs. Mögen sie glückselig sein.“

 

Nun trat Gandalf zur Seite und machte Platz für König Elessar, wie er nun bis an sein Ende heißen würde. Er stellte sich auf die oberste Stufe, blickte seine Untertanen an. Dann brach der Jubel los. Wir alle klatschten und freuten uns mit ihm. Und ich wusste, dass er sein Land mit Weisheit regieren würde.

 

Seine Worte, die er nun sprach, bestätigten das, was ich von ihm kannte. „Dieser Tag gehört nicht einem einzigen Mann, sondern uns allen. Lasst uns zusammen diese Welt wieder aufbauen, damit wir sie uns teilen können in Zeiten des Friedens.“

 

Erneut brach das Volk in Beifallsbekundungen aus, in der Hoffnung, nun einen gerechten König gefunden zu haben, der ihnen allen Glück und Zufriedenheit und dem Land endlich Ruhe bringen würde. Und als es vom Dach des Palastes Blütenblätter regnete, erneuerte Aragorn einen Schwur, den seine Vorfahren vor vielen hundert Jahren diesem Volk einmal gegeben hatten: „Et Eärello Endorenna utúlien. Sinome maruvan ar Hildinyar tenn' Ambar-metta.“ [1]

 

Nun schritt er durch die Reihen seines Volkes und der Leute, die ihn auf dieser beschwerlichen Reise begleitet hatten. Als erstes blieb er vor Faramir und Éowyn stehen. Er sah, dass sie Hand in Hand waren und wünschte ihnen alles Glück. Auch vor Éomer, dem neuen König von Rohan, verneigte er sich.

 

Danach kam er zu den Elben. Legolas trat vor ihn und legte ihm freundschaftlich die rechte Hand auf seine linke Schulter. Ein Zeichen der ewigen Verbundenheit, die diese lange und nicht immer leichte Reise zwischen ihnen wachsen ließ. Dann kam er zu mir. Ohne lange zu überlegen, ob es der Etikette entsprach, den König zu umarmen, tat ich es. Ich war froh und glücklich darüber, dass er sein Erbe angetreten hatte. Und als ich ihn in den Arm nahm, flüsterte ich ihm zu, sodass nur er es hören konnte: „Wir haben ein Geschenk für Euch, König Elessar.“ Dann ließ ich ihn los und trat zur Seite.

 

Wie seine Verwirrung der Freude Platz machte auf seinem Gesicht, entschädigte mich für beinahe allen Herzschmerz, den ich hatte ertragen müssen. Meine Nichte trug ein hellgrünes Kleid und ein Diadem um die Stirn. Wäre Lúthien Tinuviel nun vor uns getreten, hätte sie nicht schöner sein können. Sie strahlte von innen heraus, wie der Abendstern am dunkelblauen Himmel. Und ich war unglaublich glücklich zu sehen, dass sich ihre sehnlichsten Wünsche endlich erfüllt hatten.

 

Und sie waren es offensichtlich auch, denn nun fielen sie sich in die Arme und küssten sich. Eine leise Träne der Rührung stahl sich aus meinem Augenwinkel. Auch Elrond weinte. Doch ich wusste, dass er nicht aus Traurigkeit, sondern aus Glück weinte und ich umarmte auch ihn.

 

„Glück und Trauer liegen in dieser Zeit nah beieinander“, sagte ich. „Da ist es schwer, loszulassen.“

 

„Ja“, sagte er. „Auch Ihr habt großes Leid ertragen müssen. Ich hoffe für Euch, dass nun ebenfalls glücklichere Tage für Euch kommen, Schwägerin.“ Und er nahm meinen Kopf in seine Hände, neigte mein Haupt und küsste meine Stirn. „Edra le men, men na guil edwen, haer o auth a nîr a naeth. Den-bedich.” [2]

 

Mit diesen Worten ließ er mich alleine zurück. Wieder einmal hatte er es geschafft, Verwirrung in meinem Herzen und in meinem Kopf zu stiften. Hatte ihn die Voraussicht ereilt und er wusste Dinge, die ich nicht einmal erahnen konnte? Oder waren es nur Wünsche von ihm? Ich wusste es nicht und ich würde es nie erfahren.

 

Nun schritten Aragorn und Arwen gemeinsam durch das Volk und alle blickten voll Ehrfurcht auf, als sie ihre Schönheit sahen. Beide waren so glücklich, dass es in diesem Moment nichts gab, was diese Magie hätte zerstören können.

 

Während mein Blick ihnen folgte, trat Legolas erneut auf mich zu. Ich wappnete mich innerlich für eine erneute Welle der Verzweiflung. Doch dieses Mal, das vorletzte Mal, da ich ihn sah, sagte er nur: „Ich werde warten, bis Ihr bereit dazu seid, Euren Schmerz lindern zu lassen. Auch wenn es tausend Jahre dauern soll.“

 

Überwältigt von meinen Gefühlen ging ich davon. Ich bekam nicht mehr mit, wie ganz Gondor sich vor vier kleinen Helden verneigte.

 

 

~~*~~*~~*~~*~~*~~

 

[1] Et Eärello Endorenna utúlien. Sinome maruvan ar Hildinyar tenn' Ambar-metta.= Aus dem Großen Meer bin ich nach Mittelerde gekommen. An diesem Ort will ich bleiben und meine Erben bis zum Ende der Welt.

 

[2] Edra le men, men na guil edwen, haer o auth a nîr a naeth. Den-bedich.= Dir ist ein Weg offen, ein Weg zu einem anderen Leben, fern von Krieg und Tränen und Leid. Gehe ihn.

© by LilórienSilme 2015

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