LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 21
~ Steady as she goes
„Was meinst du damit: ,Sie ist weg!‘?“ Barbossa sah Jack entgeistert an, konnte scheinbar immer noch nicht glauben, was sein ehemaliger Captain ihm da gerade erzählt hatte, nachdem er von der Insel zurückgekehrt war. Schon von Weitem war unschwer zu erkennen gewesen, dass die Insassen in dem kleinen Beiboot nicht mehr geworden waren. Doch offenbar war Barbossa nicht bereit, seine beiden ihm versprochenen Schiffe so schnell aufzugeben.
Jack hingegen war auf der einen Seite erleichtert, Angelica nicht auf der Isla Sola angetroffen zu haben. Andererseits machte er sich große Sorgen. Nicht etwa um die Spaniern selbst, auch wenn er nicht verhehlen konnte, dass sie ihm etwas bedeutete, was er natürlich nie offen zugegeben hätte. Nein, er sorgte sich um seinen gut ausgeklügelten Plan! Wenn da etwas schief ging, konnte er seine geliebte Black Pearl abschreiben! Und dazu war er noch nicht bereit. Zu sehr hatte er in den letzten Jahren um dieses vermaledeite Schiff kämpfen müssen. Nun wollte er auch endlich die Lorbeeren dafür ernten.
„Un‘ was mach‘n wir jetz‘?“ Ragetti hatte sich hinter seinem Onkel versteckt und schaute abwechselnd zwischen Jack und Barbossa hin und her. Er wirkte verzweifelt und der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde durch seine schiefe Augenklappe nur noch verstärkt. Nachdem sein Holzauge verbrannt worden war, um Calypso aus ihrer menschlichen Hülle zu befreien, hatte er es nicht mehr übers Herz gebracht, sich ein Neues anzuschaffen. Die aus Glas waren ihm viel zu kalt auf der Haut und ein Neues aus Holz wollte er auch nicht, weil er immer noch Angst vor den Splittern hatte. Also war es bei der Augenklappe geblieben. Außerdem fand er, dass er damit viel schneidiger aussah. Eben wie ein richtiger Pirat.
Jack seinerseits sah nun abwechselnd zwischen Gibbs und Barbossa hin und her. „Vielleicht“, sagte er und brach aber sofort wieder ab, weil ihm nicht wirklich etwas einfiel, was er hätte sagen können. Wie hatte sie nur von dieser Insel herunter kommen können? Das war einfach unmöglich!
„Das ist einfach unmöglich!“ Barbossa kam die Treppe herunter. Dabei machte sein Holzbein bei jedem zweiten Schritt ein lautes Tock, als es auf das massive Holz des Schiffen stieß. Er hatte das ausgesprochen, was Jack gedacht hatte, was dieses äußerst nervös machte. Wenn er und Barbossa dieselben Ideen hatte, kam nie etwas Gutes dabei heraus. „Sie wird sich ja wohl kaum mit ihrem Haar an zwei Schildkröten gebunden haben, oder?“ Dabei warf Barbossa einen finsteren Blick in Sparrows Richtung und kniff sein linkes Auge mürrisch zusammen.
„Das vielleicht nicht“, sinnierte Gibbs vor sich hin und betrachtete das weit entfernte Ufer der winzigen Insel nachdenklich. „Aber möglicherweise sind ihr Flügel gewachsen.“
„Master Gibbs!“ Barbosse humpelte auf den weißhaarigen Älteren zu. Kurz vor ihm blieb er stehen, beugte sich zu ihm hin und stoppte erst, als sich ihre Nasen beinahe berühren konnten. Der beißende Atem des Captain schlug Gibbs entgegen und machte ihn beinahe benommen. Doch er riss sich zusammen, um nicht unhöflich zu wirken. „Möglicherweise“, äffte Barbossa Gibbs nach, „könnt Ihr uns auch genauer erklären, was Ihr damit wohl meinen könntet, hm?“
„Na ja“, sagte er und rang seine schwieligen Hände. „Vielleicht hat sie ja jemand auf der Insel gefunden und mitgenommen. Oder sie hat sich umgebracht und ist ins Meer gegangen.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Es gibt viele Möglichkeiten.“
Barbossa legte die Stirn in Falten. War es möglich, dass sie sich selbst umgebracht hatte? So hatte er Angelica nicht eingeschätzt, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie wirkte sehr stolz. Andererseits war es wohlmöglich gerade ihr Stolz, der sie dazu getrieben haben könnte, nicht hilflos auf einer winzigen Insel mitten im karibisch blauen Meer zu verdursten. Immerhin war ihr Vater ihretwegen gestorben. Es wäre sogar denkbar, dass sie sich deswegen Vorwürfe machte und unmöglich weiter damit leben konnte. „Glaubst du das?“ Diese Frage richtete der an Jack, der jedoch den Kopf vehement schüttelte.
„Nein“, sagte er. „Sie würde eher verdursten, als sich selbst umbringen. Das ist unter ihrer Würde. Abgesehen davon, dass sie sehr gläubig ist.“
Der alte Scrum zog geräuschvoll die Nase hoch. Sein Hut saß wie immer leicht schief auf seinem Wasserkopf, was ständig dein Eindruck vermittelte, er trüge ihn falsch herum. „Was soll‘n das jetz‘ wieder bedeut‘n?“ Sein linker Mundwinkel wanderte dabei verdächtig weit nach oben, während er fragend sie Stirn runzelte, was ziemlich genau seine Intelligenz auf seinem Gesicht wiedergab.
„Niemand hat Macht über den Tag des Todes.“*
Beinahe gleichzeitig zuckten alle an Bord zusammen. Die seltsam quietschende Stimme, die wie aus dem Nichts zu kommen schien, hatte niemand erwartet. Der zweite Grund, warum sie alle ohne Ausnahme zusammen gefahren waren, war der, dass niemand mit so einer Aussage gerechnet hätte. Jack fasste sich als erster wieder, drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und zog beeindruckt eine Augenbraue hoch. „Marty“, sagte er, „ich wusste gar nicht, dass du so gebildet bist.“
Der Zwerg wurde augenblicklich rot. Noch nie hatte er jemandem verraten, dass er lesen konnte, denn es musste auch niemand wissen. Ein Pirat musste nicht lesen können. Doch er hatte wohl eine bessere Erziehung genossen, als alle an Bord der Queen Anne‘s Revenge zusammen. Stotternd und verlegen brachte er hervor: „Mein Vater hat mir die Bibel vorgelesen, als ich noch klein war.“
„Und was soll das jetzt heißen?“, fuhr Garheng, der immer mürrisch aussehende Asiate dazwischen. Barbossa hatte ihn, genauso wie Scrum, Ezekiel den uralten Steuermann, den Inder Salaman und den Kabinenjungen von Blackbeards Crew übernommen, als dieser von der Quelle leergesaugt worden war. Mit den fünf Paar Händen hatte er das große Schiff bequem nach Port Royal segeln können, wo sich ihm seine alten Freunde angeschlossen hatten. Dass Cotton ohne seinen Papagei völlig nutzlos war, hatte er übersehen. Doch sehr bald schon hatte er festgestellt, dass ein stummer Pirat möglicherweise mehr zu etwas taugte, als einer, der ständig seine Befehle in Frage stellte.
Nun schaltete sich Gibbs wieder ein. Er war aus seiner Grübelei erwacht, nachdem er zu keinem nennenswerten Ergebnis gekommen war. Immerhin lag diese Insel nicht auf einer unbedingt viel befahrenen Route, weswegen Jack sie ohne Zweifel als Angelicas Gefängnis ausgewählt hatte. Und Rumschmuggler kamen hier sicher schon lange nicht mehr daher, seit dem die Royal Navy so präsent war mit ihren Kriegsschiffen. Jeder von ihnen hatte sich bereits darüber beschwert. Doch was hätten sie tun können? Sich zusammenrotten und gegen die geballte Macht Englands und Spaniens ziehen? Dieser Sieg wäre nicht nur unwahrscheinlich, sondern vermutlich ganz und gar ein Wunder.
„Es soll heißen“, sagte der weißbärtige alte Seebär, „dass die Christen glauben, sie kommen in die Hölle, wenn sie den Freitod wählen.“
„Ganz genau!“ Jack legte einen Arm um seinen alten Freund und tat so, als hätte er dies ebenfalls sagen wollen. „Und da unsere liebe Angelica selbst versucht hat, die schwarze Seele ihres Vaters zu retten, - was ich ihr im Übrigen abgenommen habe, als ich seine Lebensjahre auf sie übertrug - glaube ich kaum, dass sie so töricht gewesen wäre, ins Wasser zu gehen. Auch, wenn das sicher die eleganteste Lösung gewesen wäre.“
„Du has‘ dich damals auch nich‘ einfach umgebracht“, warf Ragetti ein und alle nickten zustimmend.
„Wie auch immer!“ Jack hob beide Hände in Kopfhöhe und drehte sich einmal um seine eigene Achse. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich nicht umgebracht hat. Folglich muss sie anders von der Insel herunter gekommen sein. Und was wäre die naheliegendste Lösung für dieses offensichtliche Problem?“ Dabei sah er jedem einmal kurz herausfordernd in die Augen, doch sie zuckten alle nur mit den Schultern.
Als Jack bei Barbossa ankam, seufzte der theatralisch auf. „Ihr Einfaltspinsel“, rief er genervt aus. „So schwer kann das doch nicht sein. Ein Schiff hat sie aufgelesen.“
„Ein Schiff?“, fragte Pintel überrascht. Und auch die anderen echoten diese beiden Worte andächtig und zugleich verwirrt nach. Wie war das möglich? Hatte jemand vielleicht davon gewusst, wo er Angelica finden würde? Oder war es vielleicht nur ein dummer Zufall gewesen, dass man sie am Strand hatte liegen sehen? Doch dann hätte man nach ihr Ausschau halten müssen, immerhin hätte sie sich auch in der spärlichen Vegetation versteckt halten können. Jedenfalls, wenn sie der Durst schon hab wahnsinnig gemacht hätte. Wenn sie noch bei halbwegs klarem Verstand gewesen wäre, hätte sie vielleicht ein Feuer angezündet, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch alle Palmen auf der Insel waren unversehrt.
Dieses Rätsel würde noch zu lösen sein, dachte Gibbs bei sich und legte die von der Sonne gebräunte Stirn sorgsam in Falten, was ihm dank seines Alters nicht mehr besonders schwer fiel. Eigentlich war er immer sehr zufrieden mit seinem Aussehen gewesen, doch mit den Jahren waren auch die Zweifel gekommen, ob er immer noch jung genug war, Abenteuer zu erleben. Allerdings verschwanden diese Zweifel meist, wenn er mit Jack zusammen war. Dann fühlte er sich wieder kräftiger denn je und bereit, es mit jedem Geist der sieben Weltmeere aufzunehmen! Zumindest, wenn sie ihn nicht persönlich holen kommen wollten.
Jack griff die die Frage seiner Crew wieder auf, rechte erneut den Zeigefinger in die Höhe und brachte damit alle augenblicklich zum Schweigen. „Bliebe nur die Frage: welches Schiff?“
„Tja, das herzufinden wird nicht so einfach sein“, sagte Gibbs. „Immerhin musste es jemand sein, der von unserem letzten Abenteuer wusste. Und die, die davon wissen könnten, sind entweder tot oder auf diesem Schiff, aye?“ Und bei dem letzten Wort sah er Jack eindringlich in die Augen, als könnte er darin etwas finden, was seine Aussage bestätigen würde.
Doch Jack wandte den Blick so plötzlich ab, dass es ihm sehr verdächtig vorkam. Auf einmal schienen Jack die Taue am Hauptmast unheimlich interessant vorzukommen, denn er griff danach und zog so fest daran, dass es oben in der Takelage einmal laut knackte. „Das sollte jemand mal überprüfen“, rief er laut, dann zog er noch einmal am dem Seil, ließ es dann achtlos fallen und wandte sich der Reling zu.
„Jack?“
Gibbs trat von hinten auf ihn zu. „Wer wusste noch von den Schiffen und von Angelica und ihrem besondern Blut? Du hast es doch niemandem erzählt, oder?“ Und als der Angesprochene nicht antwortet, griff der Ältere nach seiner Schulter und drehte ihn zu sich herum. „Oder, Jack?!“
Der ehemalige Captain der Black Pearl wirkte zutiefst beleidigt, als er die Hände seines ersten Maats von seinen Schultern löste und empört antwortete: „Natürlich nicht! Wie könnte ich...?“ Er unterbrach sich selbst, als er in die grauen Augen seines alten Gefährten sah und die stumme Bitte darin erkannte, nur bloß keinen Unsinn anzustellen. Doch dafür war es wohl leider schon zu spät. So viel konnte sich selbst Gibbs zusammen reimen.
Und auch Barbossa schien zu ahnen, dass Jack einmal mehr zu viel ausgeplaudert hatte, als gut für sie alle war. Falls noch mehr Piraten von dem Geheimnis erfuhren, konnte er sich seine beiden ihm versprochenen Schiffe wohlmöglich noch abschminken. Deswegen ging er nun auf ihn zu, packte ihn fest beim Kragen und zwang ihn so, ihm tief in seine gelben Augen zu blicken. „Sei ehrlich, Jack: wem hast du davon erzählt?“
Auch hier versuchte Jack sich wieder zu befreien, doch dieses Mal gelang es ihm nicht. Barbossa hielt ihn nur noch fester. Nach ein paar Sekunden, in denen sie miteinander gerungen hatten, gab Jack schließlich auf, ließ sich kraftlos hängen und blickte ziemlich reumütig zu Boden auf seine abgenutzten Schuhspitzen. Mit der Rechten begann er nun einen Halbkreis um sich zu ziehen, als wäre er ein kleines Kind, das beim Stehlen von Bonbons erwischt worden war. „Meinem Vater...“, murmelte er beinahe so leise, dass selbst Barbossa, der genau vor ihm stand, ihn nicht verstehen konnte.
Doch leider hatte der nur zu genau verstanden, was gesagt worden war. Er ließ Jack wieder los, der beinahe auf die Knie gefallen wäre, und riss sich seinen Hut vor Wut vom Kopf. „Du vermaledeiter Narr! Jetzt werden noch mehr nach ihr suchen. Und offenbar haben sie sie schon gefunden!“ Er war ein paar Schritte von Jack abgerückt, drehte sich nun jedoch abrupt wieder um und kam zurück. „Und was schlägst du vor, sollen wir nun tun?“
„Wir könnten...“, fuhr Gibbs dazwischen, in der Hoffnung, die Wut von Barbossa ein bisschen ablenken zu können. Doch leider schien das ganz und gar nicht zu funktionieren. Dieser kam nämlich mit einer solchen Geschwindigkeit nun auf ihn selbst zu, dass es ihm Angst machte, als er ihm direkt in die Augen sah, nur wenige Zentimeter von seiner Nasenspitze entfernt. „Ja, Master Gibbs?“
Und plötzlich kam Jack eine Idee. Bevor Gibbs sich aus der Situation herausreden konnte, denn natürlich konnte er nicht näher ausführen, was er damit meinte, da er schneller gesprochen als gedacht hatte, kam Jack ihm zuvor. „Ich weiß, was wir machen!“
Wie ein Kind, das gerade entdeckt hatte, dass es Himmelsrichtungen gab, zückte er plötzlich seinen Kompass. „Wenn ich mich auf Angelica konzentriere, müsste mich das gute Stück direkt zu ihr führen, aye?“ Und als keiner antwortete, setzte er noch hinzu: „Also, bereit für einen neues Kurs?“
Dies schien Barbossa tatsächlich zu besänftigen. Auf diese Idee war er selbst noch gar nicht gekommen, dass Jack immer noch dieses lächerlich alberne Ding mit sich herumtragen könnte. Doch der alte Kompass hatte ihm schon so manches Mal einen guten Dienst erwiesen. Wieso nicht auch jetzt wieder? „Na gut, Jack“, sagte er also und verzog dabei seinen Mund zu einem schiefen freudlosen Grinsen. „Dann sag an den neuen Kurs.“ Mit diesen Worten zog er das alte Schwert aus seinem Gürtel, welches ihm die Macht über dieses Schiff verlieh, und brachte es in Position.
Es dauerte eine Weile, bis Jack sich wieder gefasst hatte, dann klappte er den Deckel hoch. Ein paar Sekunden lang pendelte die rote Nadel hin und her, doch schließlich blieb sie stehen. Gebannt kamen alle näher und versuchten einen Blick auf das Kleinod zu erhaschen. Doch Jack klappte ihn wieder zu, bevor jemand sehen konnte, wohin er zeigte. Dabei lächelte er jedoch verschmitzt, zwinkerte Gibbs einmal zu, dann sagte er schlicht: „Kurs halten, Captain.“
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*Bibel, Pred 8,8