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Kapitel 21

~ Der Ring ist vernichtet

 

Für einen Moment war es, als wären alle Träume in Erfüllung gegangen. Nachdem die Erde aufgehört hatte zu beben, konnten wir nichts mehr von unserem Feind sehen. Die Flügel des Schwarzes Tores hingen schief in ihren Angeln, dazwischen klaffte eine tiefe Schlucht.

 

Als mein Blick weiter wanderte, hinein nach Mordor, war mir, als wäre etwas falsch. Ich konnte erst nicht feststellen, was mich störte, doch dann merkte ich, dass der Schwarze Turm nicht mehr war. Als der Ring in die Feuer des Schicksalsberges geworfen und vernichtet worden war, war auch Saurons Macht gebrochen worden. All seine Kräfte hatte er an dieses eine kleine Stück Metall gebunden. Und nun gab es beide nicht mehr.

 

Während ich noch auf dem Boden lag, meinen Kopf immer noch in Legolas’ Schoß, konnte ich hören, wie meine Gefährten in Jubelrufe ausbrachen. Immer wieder riefen sie den Namen des Ringträgers, der uns den Sieg gebracht hatte.

 

Ich sah, wie jedem ein glückliches Lächeln über die Lippen ging und wie jeder eine kleine Freudenträne verdrückte. Wir alle konnten es nicht glauben, dass es nun vorbei sein sollte. Wie lange hatten wir für diesen Moment gekämpft, hatten schon nicht mehr daran geglaubt, dass es wahr werden könnte, dass wir den Sieg erringen würden. Wir alle hatten bereits mit unserem Leben abgeschlossen. Auch ich.

 

Ich erinnerte mich wieder daran, was eben geschehen war. Hatte ich es nur geträumt? Um sicher zu gehen setzte ich mich ein bisschen auf, besah mir meinen Bauch, fühlte. Doch die Wunde war verschwunden. Ich schob mein Hemd etwas nach oben, doch ich konnte nur eine Narbe erkennen.

 

„Geht es Euch gut?“ Seine Stimme war so sanft und so voller Sorge, dass mein Herz anfing zu schmerzen. Wie konnte ich ihm nur weh tun? Ich wusste, dass es mir kein Glück bringen würde, das hatte mich mein Traum gelehrt. Mein Herz, meine Seele, hing so verzweifelt an meinem verstorbenen Verlobten, dass es im Moment einfach keinen Platz darin gab für jemand anderen. Ich wusste selbst nicht einmal, warum ich so fühlte. Aber wenn er mich wirklich liebte, dann hatte er es nur verdient, auch so geliebt zu werden. Und das konnte ich einfach nicht, so sehr ich es auch wollte.

 

Wieder fing ich an zu weinen. Doch ich versuchte mich wieder auf die Beine zu kämpfen, um ihm zu zeigen, dass er sich keine Sorgen um mich machen sollte.

 

Als ich wieder sicher aufrecht stand, gelang es mir auch wieder zu lächeln und ich konnte ihm sagen, dass es mir gut ging. Wir freuten uns mit unseren Gefährten, dass der Krieg nun endlich vorbei sein würde. Und ich freute mich, dass er so gut ausgegangen war. Es hatte Verluste gegeben, doch diese waren wohl nötig gewesen. Damit musste ich mich nun zufrieden geben.

 

Gerade dachte ich, dass wir nun bald wieder alle vereint sein würden, da schien die Welt unterzugehen. Am Horizont explodierte plötzlich etwas. Eine schwarze Rauchwolke von schier unermesslicher Größe stieg in den Himmel empor und die Erbe erbebter erneut. Dann strömte die Lava aus dem Schicksalsberg.

 

Mit einem Mal war alle Freunde wie weggeweht. Blankes Entsetzen war dem Lächeln in unseren Gesichtern gewichen. Hatten wir gerade noch gedacht, dass wir nun bald in Minas Tirith würden feiern können, sah es nun so aus, als würden wir die Helden dieser Mission in dieser Welt nie mehr sehen.

 

Erneut musste ich mich von Legolas stützen lassen. Meine Beine wollten mich nicht mehr tragen. Voll Trauer klammerte ich mich an ihm fest, ließ mich von ihm in den Arm nehmen, ließ mich trösten. Und ich weinte, weinte um all das wofür wir gekämpft hatten und was Frodo und Sam nun nicht mehr erleben würden. Ich weinte um jeden einzelnen, der in diesem unendlichen Kampf gefallen war und der niemals mehr zu seiner Familie zurückkehren würde. Und ich weinte um die Welt, die nun nicht mehr dieselbe sein würde.

 

Plötzlich rief jemand: „Die Adler kommen!“ Und wahrhaftig, dort oben am schwarzen Himmel kamen sie uns entgegengeflogen, pflückten die Schwarzen Reiter aus der Luft und warfen sie nieder, bis auch der Himmel gereinigt war.

 

Ich hatte einmal erlebt, wie es war, durch die Lüfte zu fliegen. Doch dieses Mal reichten meine Kräfte dafür nicht. Erschöpft ließ ich mir auf meine Stute helfen, während Gandalf den Rücken von Gwaihir erneut bestieg und dem Schicksalsberg entgegeneilte. Würde er die Hobbits noch retten können?

 

„Reitet zurück nach Minas Tirith“, rief er uns noch zu, während er in die Höhe stieg. „Sollte ich die Hobbits finden, kehre ich mit ihnen zurück.“

 

So machten wir uns auf den Rückweg. Die ganze Zeit über herrschte eine merkwürdige Stimmung vor. Wir alle wussten nicht, was wir nun fühlen sollten. Unser ärgster Feind war vernichtet worden, Sauron war gefallen. Und doch konnten wir uns nicht freuen, da es so viele gab, die diesen glücklichen Ausgang der Dinge, an dem wir eigentlich gezweifelt hatten, nicht mehr erleben würden können. Sie waren nun jenseits von Krieg und Trauer, hatten nichts mehr, was es zu beweinen gab. Zurück hatten sie uns gelassen, die wir nun in Trauer feiern würden, dass die Dunkelheit vorüber war.

 

~*~*~*~

 

Während wir zurück ritten, hing ich meinen Gedanken nach. Nun, da Aragorn König von Gondor werden würde, musste Elrond seinen Schwur erfüllen und ihm Arwens Hand geben. Sie würde nun Königin der Menschen sein. Nichts Geringeres hatte mein Schwager sich für seine einzige Tochter gewünscht.

 

Wie sehr ich es doch bedauerte, keine Familie zu haben. So gerne hätte ich einen Mann und Kinder gehabt, doch das Schicksal hatte es anders mit mir gemeint. Ich hatte zwar nun die Möglichkeit, noch einmal von vorne zu beginnen, doch hatte ich leider niemanden mehr, der es wert gewesen wäre, es zu versuchen. Ich fühlte mich so allein gelassen, wie noch nie. Wieso nur meinte es Eru so schlecht mit mir?

 

Ich konnte spüren, wie Legolas mich beobachtete. Ich wusste nun, dass er mich mehr als alles auf der Welt liebte. Das hatte ich in seinem Blick gesehen, als er um mein Leben fürchtete. Und ich wünschte mir nichts mehr, als ihn ebenfalls zu lieben. Doch mein Herz ließ sich nicht so leicht betrügen. Noch immer hatte es Haldir in sich eingeschlossen und wollte ihn nicht freigeben. Hätte er es überhaupt gewollt, dass ich einen anderen liebte? Ich wusste es nicht. Ich hatte ihn nie nach so einer Möglichkeit gefragt, weil es mir sinnlos erschien, über den Tod nachzudenken als Unsterbliche. Es gab zwar die ein oder andere Art für uns zu sterben, aber wie hätte das geschehen können, wenn ich mit Haldir glücklich geworden wäre?

 

Legolas verdiente nicht, was ich ihm geben konnte, denn es war nicht genug. Er war ein guter Elb. Jemand, der alles für seine Freunde geben würde, der an sich selbst zuletzt dachte. Wie konnte ich da so egoistisch sein und ihm ein gebrochenes Herz anbieten? Ich würde selber nicht glücklich damit werden, wenn er es nicht war.

 

Dann kam mir ein ganz anderer Gedanke: was wäre, wenn er nur glücklich sein könnte, wenn ich bei ihm war?

 

Doch wie vermessen war es, so etwas zu denken. In diesem Falle hätte ich mir eine Bedeutung zugetragen, die ganz und gar unmöglich war. Wie konnte ich erwarten, dass ich seine große Liebe war. Das Risiko war zu groß, als dass ich es hätte versuchen wollen. Ich musste ihn also vor sich selbst beschützen. Und das würde ich tun.

 

In der Stadt angekommen, ließ ich meine Stute in den Stall führen, während ich erneut in die Häuser der Heilung humpelte. Ich ließ meine Wunden versorgen und fand sogar ein bisschen Schlaf, nun da keine größere Gefahr mehr drohte.

 

Gelegentlich hörte ich Berichte, dass der zukünftige König nun sein Land von allem Übel reinigte und mit ein paar erfahrenen Soldaten durch Feld und Flur streifte, um die letzten Reste der schwarzen Brut aufzuspüren und davonzujagen. Wenn er gekrönt wurde, wollte er, dass die anschließenden Feierlichkeiten von keinerlei Zwischenfällen überschattet wurden.

 

Außerdem schickte er Boten in alle entlegensten Winkel von Mittelerde, die über den Sieg berichten sollten. Und auch ich schrieb einen Brief an meine Eltern. Ich berichtete ihnen, dass ich bald nach Hause kommen und dass ich mich freuen würde, sie endlich wiederzusehen.

 

Und ich schickte einen Brief an meinen Schwager Elrond, indem ich ihn an sein Versprechen erinnerte. Ich hoffte so sehr, dass er endlich über seinen Schatten springen und seine Tochter ihre Liebe finden lassen würde. Wie glücklich wäre sie, würde sie Aragorn heiraten können. Schließlich waren sie ja schon seit beinahe vierzig Jahren verlobt.

 

Natürlich würde es schwer sein, sie gehen zu lassen. Doch was war schon das ewige Leben wert, wenn man es alleine verbringen musste. Und ich wusste, wovon ich redete.

 

Sehr oft dachte ich darüber nach, was mich noch in dieser Welt hielt. Der Kampf war nun vorüber, der Feind war geschlagen. Meine Liebe hatte ich verloren und mein Herz war gebrochen worden. Und doch verwelkte ich nicht wie eine Blume im Herbst. Trotzdem allem blieb ich jung und schön. Es musste noch irgendetwas geben, was mich an diese Welt band. Doch ich wusste nicht, was es war.

 

Nach drei Tagen ereilte mich die Nachricht, dass Frodo, der inzwischen von Gandalf in die Stadt gebracht und dort versorgt worden war, endlich erwacht sei. Sogleich machte ich mich auf den Weg zu ihm, denn ich wollte auch ihn endlich in die Arme schließen und willkommen heißen.

 

Als ich dort ankam, waren bereits alle da. Die Hobbits saßen auf Frodos Bett, klopften ihm auf die Schulter und beglückwünschten ihn. Doch nun, da ich eingetreten war, machten sie mir Platz. Ich setzte mich auf die Bettkante, legte meine Hände in den Schoß und blickte diesen kleinen Mann an. Wie hatte er nur dies alles schaffen können? Es beeindruckte mich, wie er sich nicht hatte entmutigen lassen. Schließlich umarmte ich ihn fest und ließ ihn eine Weile nicht mehr los.

 

Dann war es an der Zeit, ihm zu berichten, was wir alles erlebt hatten und wir saßen den ganzen Tag und die ganze Nacht beieinander und erzählten. Auch Frodo und Sam beschrieben uns, was sie erlebt hatten, seit sie der Gemeinschaft den Rücken gekehrt hatten und so manches Mal musste ich schwer schlucken, als ich hörte, was geschehen war.

 

Schon oft hatte ich bei Merry und Pippin erlebt, dass Hobbits sehr mutige Wesen sein können. Doch wie mutig sie wirklich waren und was für ein großes Herz sie hatten, erfuhr ich erst an jenem Abend. Und sicherlich würde ich auch nie wieder vergessen, was sie uns erzählten. Hier erfuhr ich auch zum ersten Mal die wahren Umstände um den Tod Boromirs und ich schwor bei den Göttern, dass ich ihm eine Kerze anzünden und ein Klagelied für ihn singen würde, auf dass seine Väter ihn in ihrer Mitte aufnehmen würden und er sich nicht für die Taten seines eigenen Vaters zu grämen brauchte. Denn dazu gab es keinen Grund. Er hatte tapfer gekämpft. Auch wenn er der Macht des Ringes für einen Moment verfallen war, hatte er seine Schuld beglichen. Stellvertretend für alle anderen schien auch er geläutert worden zu sein.

 

So manches Mal in diesen Stunden lachten wir. Doch genauso oft betrauerten wir auch diejenigen, die gefallen waren. Wir berichteten Sam und Frodo, dass der König von Rohan gefallen und seine Nichte Éowyn in gerächt hatte. Auch war der Tod von Boromirs und Faramirs Vater Denethor zu betrauern. Doch ebenso wusste ich aus erster Hand zu berichten, dass Faramir um die Hand Éowyns angehalten hatte. Es gab also auch in diesen Stunden noch Erfreuliches, was die aufkeimende Helligkeit in unseren Herzen beflügeln würde, bald zu einem neuen Baum der Hoffnung heranzuwachsen.

 

Und so vergingen die Stunden und viele Worte wechselten wir, bis wir alle erschöpft waren von der gedanklichen Reise. Wir verabschiedeten uns voneinander und machten uns auf den Weg in unsere Quartiere.

 

Gerade hatte ich meines erreicht und wollte die Türe aufstoßen, da berührte mich jemand sanft an der Schulter. Ich atmete tief durch, denn ich wusste auch ohne, dass ich hinsah, wer dort hinter mir stand. Um ein Lächeln bemüht drehte ich mich zu ihm um.

 

„Legolas, was treibt Euch zu so später Stunde noch hierher?“

 

„Das wisst Ihr“, sagte er und all meine Hoffnung darauf, dass er mich einfach so vergessen könnte, schwand mit einem Mal.

 

Zögerlich trat ich auf ihn zu, nahm seine Hände in meine. „Ich weiß, warum Ihr hier seid, aber ich kann Euch nicht geben, wonach Ihr sucht. Es ist nur ein Schatten und ein Gedanke, den Ihr liebt. Ich bin nicht diejenige, für die Ihr mich haltet.“

 

Ich sah, dass Wut in seinen Augen aufblitzte. Sein Griff um meine Hände wurde fester. „Doch das seid Ihr! Ich weiß um Euren inneren Kampf, doch ich kann Euch dabei helfen, wenn Ihr mich nur lasst.“ Verzweifelt blickte er mich an, wie ein Eintrinkender, der nach Rettung lechzte. „Ihr müsst mich nur lassen.“

 

Doch ich konnte nicht seine Rettung sein. Es würde ihn zerstören. Er bedeutete mir zu viel, als dass ich ihn einfach so in sein Verderben rennen lassen würde. Ich liebte einen anderen. Wie konnte ich dann noch ihn lieben?

 

Schwer seufzte ich. Nun musste ich all meine Überzeugung in diese Worte legen. „Ich liebe Euch nicht. Und ich werde Euch auch nie lieben können. Mein Herz gehört einem anderen.“

 

„Aber er ist tot!“, rief er, sodass seine Stimme von den Wänden widerhallte. Er packte mich bei den Schultern und schüttelte mich. In seinem Blick lag nur hilflose Ohnmacht, Tränen verschleierten seine Augen. „Er ist tot! Begreift Ihr das denn nicht? Wenn Ihr an ihm festhaltet, werdet auch Ihr sterben!“

 

Vorsichtig löste ich seinen harten Griff von meinen Oberarmen, legte seine Hände ineinander und küsste sie. „So sei es denn.“ Dann drehte ich mich um und verschloss meine Türe hinter mir.

© by LilórienSilme 2015

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