LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 20
~ Das Schwarze Tor
Grelles Licht brannte mir in den Augen, als ich sie versuchte zu öffnen. Also schloss ich sie wieder. Langsam gewöhnte ich mich an die Helligkeit. Doch als ich sie wieder öffnen wollte, schmerzte plötzlich mein ganzer Körper. Ich stöhnte auf.
„Sie ist wach!“, flüsterte jemand dicht neben mir, doch es war immer noch zu laut für meine Ohren. Ich versuchte mich mitzuteilen, doch meine Kehle war so trocken wie der Humor meines Schwagers Elrond und meine Glieder waren so schwer, als hätte man mir an Hände und Füße jeweils einen Höhlentroll gebunden. Nicht einmal meinen Kopf konnte ich drehen.
Etwas Kaltes wurde mir auf die Stirn gelegt und erst jetzt merkte ich, dass mein Körper glühte, als würde ich auf heißen Steinen liegen. Die Kühle tat mir gut und ich entspannte mich etwas. Aber ich wollte etwas trinken. Also öffnete ich meinen Mund und tatsächlich wurde mir Wasser auf die Zunge getröpfelt. Erst hustete ich, doch dann forderte ich mehr. Als ich satt war, wurde der Lappen auf meiner Stirn erneuert und ich dämmerte wieder weg.
Als ich das nächste Mal erwachte, spürte ich, wie ich aufgesetzt wurde. Etwas Heißes berührte meinen Mund und meine Nase sagte mir, dass es wohl Suppe sein musste. Doch ich verspürte keinen Hunger und presste meine Lippen zusammen. „Ihr müsst etwas essen, Lilórien“, sagte eine Stimme.
Ich kannte diesen Namen. War es meiner? Ich wusste es nicht. Wer war ich? Was tat ich hier? Warum fühlte sich mein Körper an, als wäre er zerschmettert worden?
Schmerz durchfuhr meinen linken Arm und ich sah einen Steinbrocken auf mich zufliegen. Ich zuckte zurück. Dann war da plötzlich das Gesicht eines Mannes, der vor meinen Augen getötet wurde.
Ich wusste nicht wieso, aber mit einem Mal war mir, als würde ein riesiges Loch in meine Brust gerissen und heiße Tränen liefen mein Gesicht hinunter. Ich drehte meinen Kopf von dem Löffel mit der Suppe weg, der immer noch an meinen Lippen lag. „Geht weg“, wimmerte ich. „Ich will sterben.“
Der Griff um meinen Oberarm wurde stärker. „Redet nicht so! Ihr habt heute sehr vielen Menschen das Leben gerettet.“
Heute? Wann war heute? „Was…?“, begann ich, doch die Stimme versagte mir. Mein Gegenüber wusste aber, was ich wollte, und begann zu erzählen: „Als Ihr Euch mit dem Nazgûl duelliert habt, hatten wir anderen die Chance, unsere Feinde in die Enge zu treiben. Doch irgendetwas geschah mit Euch. Ihr wart plötzlich wie von Sinnen und schlugt auf Euren Gegner ein, als wäre er ein Stück Holz, das bearbeitet werden müsste. Schließlich habt Ihr ihm Euer Schwert in den Helm gestoßen, was wohl auch die einzige Möglichkeit ist, einen dieser Geister zu töten.
Frau Éowyn sah dies und konnte so den Hexenkönig von Angmar töten, was die Schlacht für uns entschied. Ihr hab also den Ausschlag für den Ausgang dieses Gemetzels gegeben. Ihr könnt stolz auf Euch sein!“
Langsam begann ich mich ernsthaft zu fragen, wer ich war. So, wie man mich gerade beschrieben hatte, klang das ziemlich heldenhaft. Doch Helden wollten nicht einfach so sterben. Helden genossen ihren Erfolg. Ich jedoch wollte nur wegrennen. Ich wollte nicht mehr in den Armen dieses Fremden liegen und mir anhören müssen, was ich für sie, wer auch immer sie waren, getan hatte, während ich mich so elend fühlte. Sollte das Weglaufen nichts nützen, würde ich wirklich sterben wollen.
„Kommt mir“, sagte er und zog mich auf die Beine. Ich hätte erwartet, dass sie mich nicht tragen würden und hielt mich an ihm fest. Doch sie sackten nicht unter mir weg. Ich blieb aus eigener Kraft stehen. Ich konnte sogar alleine laufen. Aber ich wusste nicht, ob es mir gefallen würde, wo meine Füße mich hinbrachten.
Und tatsächlich: er führte mich an ein Fenster, von dem aus man über die Stadt, in der wir uns befanden, und über ein Feld vor den Mauern blicken konnte. Und auf dem Feld lagen tausende tote Körper, deren Gestank zu uns heraufwehte, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. „Das alles ist mein Werk?“, rief ich entsetzt und musste mich am Fenstersims festhalten, um nicht zu stürzen. „Wie soll ich auf so etwas stolz sein, wenn tausende Menschen meinetwegen sterben mussten?“
Und plötzlich fiel mir alles wieder ein: mein Albtraum vor über 4000 Jahren, meine Ausbildung bei den Göttern, meine Liebe zu Haldir, sein Tod und diese Schlacht. Und der Elb hatte Recht: es war alles mein Werk.
Weinend brach ich zu seinen Füßen zusammen. Krämpfe schüttelten meinen Körper, sodass er nicht einmal in der Lage war, mir einen Arm um die Schulter zu legen und mich zu trösten. Ich weinte, bis meine Augen so geschwollen waren, dass ich sie kaum mehr aufhalten konnte.
Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen wieder öffnen konnte, lag ich erneut auf meinem Lager. Im Schlaf war mir alles wieder eingefallen, sodass ich sogar wusste, dass ich mich in den Häusern der Heilung befand. Allerdings hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Ich wusste nicht, wie viel Zeit seit der Schlacht vergangen war, doch wenn es nach meinen Verletzungen ging, war ich schon eine ganze Weile hier. Sie waren beinahe verheilt. Zurück blieb nur der Schmerz. Dumpf und pochend. Wieder brach ich in Tränen aus. Dieses Mal jedoch schien damit auch ein Teil der Schmerzen zu verschwinden. Ob mein Herz langsam zu heilen begann?
Eine Schale mit Eintopf wurde mir unter die Nase gehalten. „Ihr solltet etwas essen“, sagte Legolas und hielt mir, ohne eine Antwort abzuwarten, den Löffel hin. Ich seufzte, öffnete aber schließlich brav meinen Mund. „Eure Wunden sind schnell verheilt durch das Königskraut. Es ist fast nichts mehr zu sehen.“ Als die Schale leer war, fühlte ich mich satt und zufrieden. Sofort sank ich wieder in Schlaf und erwachte danach erholt. Ein Gefühl, das ich schon lange nicht mehr hatte. Ich stand auf, legte mir eine Decke um und ging zum Fenster. Merkwürdigerweise hatte sich das Schlachtfeld nicht sehr verändert. Es sah aus, als wäre nicht viel Zeit vergangen seit dem letzten Mal. Vermutlich war es das auch nicht, wenn Aragorn meine Wunden wirklich geheilt hatte.
„Hier seid Ihr!“ Erleichtert erschien Legolas neben mir. Er trug seine Rüstung. „Ich wollte mich noch von Euch verabschieden.“
„Was soll das heißen?“, fragte ich und drehte mich zu ihm um. „Wir reiten zum Schwarzen Tor und falls wir nicht zurückkehren sollten, dachte ich…“, sagte er, doch ich unterbrach ihn. „Soll das bedeuten, dass ihr mich nicht dabei haben wollt? Das kann doch nicht Euer Ernst sein! Für mich ist es die einzige Möglichkeit, etwas von dem Tod, den ich gebracht habe, wieder gutzumachen. Ich begleite Euch.“
Ohne auf seinen Protest zu achten, aus dem ich wirkliche Sorge hören konnte, zog ich ebenfalls meine Kampfausrüstung an. Irgendjemand musste sie gesäubert haben, denn es klebte kein Blut mehr daran. Ich konnte es zwar immer noch riechen, aber ich ignorierte es. Als ich den Raum betrat, in dem sich alle gesammelt hatten, spürte ich alle Blicke auf mir. Natürlich wussten sie, dass ich krank war und nicht kämpfen sollte, doch keiner hielt mich auf, als ich mich in den Sattel schwang. Vermutlich hatte mein Gesicht einen solch verbissenen Ausdruck angenommen, dass sich niemand traute, mich zurückzuhalten.
„Darf ich Euch eine Frage stellen?“, fragte Legolas mich später, als wir auf dem Ritt zur entscheidenden Schlacht waren. Ich nickte. „Warum seid Ihr hier? Ich sehe Euch doch an, dass Ihr Schmerzen habt.“
Ich seufzte. Ich war es leid, immer erklären zu müssen, warum ich in den Kampf zog. Es lag nun einmal in meiner Natur. Ich musste es tun. Sonst würde ich nie wieder reinen Gewissens in den Spiegel schauen können. Doch wie konnte ich erwarten, dass er es verstand. Er hatte nie ein solches Schicksal auf seinen Schultern tragen müssen. Nie hatte er gewusst, dass sich eine ganze Menschheit auf einen verließ. Aragorn war zwar das Symbol der Hoffnung, doch ich selbst war die Hoffnung. In meinen Händen liefen alle Stricke zusammen. Doch bald hatte ich keine Kraft mehr, sie zu halten.
~*~*~*~
Bald hatten wir die Ebene vor dem Eingang in das Reich Mordor erreicht. Die Männer, die die Schlacht auf dem Pelennor überlebt hatten, stellten sich nun in Reihen auf, um zum letzten Male dem Feind zu begegnen. Der Staub, der durch den Wind aufgewirbelt wurde, legte sich auf Schilde, Schwerter und auf Haut. Vor den Reihen der Soldaten saßen wir auf unseren Pferden. Ich hatte Merry hinter mir.
Nun blickten wir auf das mächtige Tor. Es war aus Metall gefertigt worden und konnte nur von Trollen bewegt werden, die die Räder antrieben, auf denen es tiefe Spuren in den losen Boden gewalzt hatte. Einen Moment zögerte Aragorn noch, dann ritt er uns voran.
Wir blieben nur ein paar Meter entfernt stehen, leise konnte ich eine Stimme dunkle Worte flüstern hören, doch ich versuchte sie auszublenden. Ich hatte Angst, dass sie mir Bilder zeigen würde, die ich nicht sehen wollte, wenn ich ihr zuhören würde.
Dann rief Aragorn: „Lasst den Herrn des Schwarzen Landes herauskommen! Er soll seine gerechte Strafe erhalten.“ Für ein paar Augenblicke blieb alles ruhig. Nur der Wind erzeugte leise Geräusche, als er über uns hinweg strich. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Gleich würde etwas geschehen.
Dann öffneten sich die Flügeltüren plötzlich. Gestank wehte uns entgegen. Dann ritt eine einsame Gestalt auf uns zu, eingehüllt in Nebel, umgeben von einer Aura des Bösen, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sein halbes Gesicht lag unter seinem Helm verborgen. Darunter öffnete sich etwas, das nicht mehr als Mund zu bezeichnen war. Viel mehr glich es einem dunklen Schlund mit Zähnen, der einen verschlingen konnte und in die Dunkelheit stürzte.
Als er sprach, glich seine Stimme der der Nazgûl. Es schien, als käme sie aus einer anderen Welt, und doch war es mir, als durchdränge sie meine Rüstung und hallte direkt in meinem Kopf wider. „Mein Gebieter, Sauron der Große, wünscht Euch willkommen.“ Als ihm niemand antwortete, setzte er hinzu: „Ist hier einer in diesem Haufen, der ermächtigt ist, mit mir zu verhandeln?“
„Wir sind nicht gekommen, um mit Sauron zu verhandeln, dem Treulosen und Verfluchten“, sagte Gandalf und das augenlose Gesicht von Saurons Mund wandte sich ihm zu. „Bestelle deinem Herrn dies: Die Streitmächte Mordors müssen sich auflösen. Er selbst hat dieses Land zu verlassen und nie zurückkehren.“
Saurons Mund legte den Kopf schief, als wollte er uns verhöhnen. „Ha, der alte Graubart. Ich habe einen Gegenstand, den zu zeigen mir befohlen wurde.“ Mit diesen Worten hielt er uns etwas vor die Gesichter. Im ersten Moment konnte ich es nicht zuordnen, doch dann erkannte ich es. Der dreckige Magier hielt Frodos Mithril-Hemd in den Händen. Meine Hoffnung auf Erfolg schwand erheblich. Hatten sie ihn doch ergreifen können?
Doch dann dachte ich nach. Hätten sie ihn wirklich in die Hände bekommen, hätte Sauron den Ring wiedererlangt. Und dies war unwahrscheinlich, da er dann nicht seinen Diener geschickt, sondern selbst zu uns hinausgekommen wäre. Deswegen konnte ich über die nächsten Worte, die die verfluchte Seele an uns richtete, nur müde den Kopf schütteln: „Der Halbling war Euch teuer, wie ich sehe. Wisst, dass er durch die Hand seines Gastgebers sehr gelitten hat. Wer hätte gedacht, dass jemand, der so klein ist, so große Schmerzen erträgt. Und das hat er, Gandalf, das hat er.“
Ich stieß Aragorn an und warf ihm einen bedeutungsschwangeren Blick zu. Er nickte mir zu, trieb sein Pferd voran, in die Reichweite unseres Gegners. Der konnte natürlich nichts sehen, doch er spürte wohl, wer sich ihm näherte, denn er erkannte Aragorn als den Erben Isildurs. Doch auch ihm gegenüber zeigte er keinerlei Furcht. Durch viele dunkle Zauber war er mächtig geworden und hatte sein Leben verlängern können. Die Jahre hatten ihn leichtsinnig werden lassen, denn er war kein Untoter, sondern nur ein Sterblicher.
Aragorn ritt auf ihn zu. Er wandte den augenlosen Kopf ihm zu und spöttelte: „Es braucht mehr für einen König als eine geborstene Elbenklinge.“ Kaum hatte er die letzten Worte gesprochen, trennte Andúril ihm den Kopf von den Schultern.
Aragorn blickte mir in die Augen und sagte: „Ich glaube es nicht. Ich will es nicht glauben.“ Doch ich konnte spüren, dass der Zweifel an unseren Freunden nagte. Aber ich wusste eines: wenn einer sie in den letzten Kampf rufen konnte, dann war es Isildurs Erbe.
Wir reihten uns wieder in die Linien der Soldaten ein, als ein Heer von Orks aus Mordor herauskam. Nun würde es also beginnen. Der Blick des großen Auges hatte sich auf uns gerichtet.
Schnell schickte ich meine Stute fort von hier. Wenn schon nicht ich, sollte wenigstens sie überleben. Ich schluckte, machte mich kampfbereit. Um mich herum nahm ich Angst und Verzweiflung wahr, als die Männer diese Übermacht gegen uns sahen. Doch Aragorn war noch nicht bereit aufzugeben. Er ritt vor uns nun auf und ab. Schließlich sprach er: „Haltet Eure Stellung! Söhne Gondors und Rohans, meine Brüder!“ Als einzige Frau unter ihnen konnte ich wohl nicht erwarten, dass man mich erwähnte. „In Euren Augen sehe ich dieselbe Furcht, die auch mich verzagen ließe. Der Tag mag kommen, da der Mut der Menschen erlischt, da wir unsere Gefährten im Stich lassen und aller Freundschaft Bande bricht. Doch dieser Tag ist noch fern. Die Stunde der Wölfe und zerschmetterter Schilde, da das Zeitalter der Menschen tosend untergeht, doch dieser Tag ist noch fern! Denn heute kämpfen wir! Bei allem, was Euch teuer ist auf dieser Erde, sage ich: Haltet stand, Menschen des Westens!“
Und wir zogen unsere Schwerter. Nun blickten wir direkt in das Angesicht des Feindes, der mit bebenden Schritten auf uns zukam. Hinter dem Heer, das uns Verderben bringen würde, blickte uns das Auge entgegen.
Das Heer des Dunklen Herrschers umzingelte uns. Sie waren uns zahlenmäßig weit überlegen. Ich hörte, wie man um mich herum noch einmal tief ausatmete, sich brüstete für den Kampf. Gimli stand neben mir. Er blickte zu mir hoch, dann zu Legolas, der auf seiner anderen Seite stand. „Ich hätte nie gedacht“, sagte er, „dass ich mal Seite an Seite mit einem Elb sterbe.“
Ich lächelte. Auch ich hätte nie gedacht, so mein Ende zu finden. Und Legolas sagte: „Wie wäre es Seite an Seite mit einem Freund?“ Gimli blickte noch einmal zu ihm auf. „Ja“, sagte er, „da hätte ich nichts dagegen.“ Ihre Freundschaft würde wirklich über die Grenzen der Welt hinausgehen. Wahrscheinlich war es damals so bestimmt worden, dass sie zusammen der Gemeinschaft beitreten sollten. Damit endlich Frieden herrschte zwischen Elben und Zwergen.
Ein letztes Mal hörte ich eine flüsternde Stimme in meinem Kopf, als ich in die Augen der Orks blickte. Ich hörte, wie sie nach mir rief, doch ich achtete nicht darauf. Ich wartete nun nur noch darauf, dass das Kommando zum Angriff gegeben wurde. Und ich wurde nicht enttäuscht. Aragorn drehte sich zu uns um, blickte jedem von seinen Freunden in die Augen, eine Träne glitzerte auf seiner Wange, dann sagte er leise: „Für Frodo.“ Wir stürmten los.
Mit dem Schwert voran drangen wir in die Reihen des Feindes ein. Einer nach dem anderen fiel. Wir kämpften so verbissen, dass ein Gegner, der klüger gewesen wäre, als der, der uns gegenüber stand, sicher die Flucht ergriffen hätte. Denn wir hatten nichts mehr zu verlieren. Wir waren hierher gekommen in dem Wissen, nie wieder nach Hause zu reiten. Auch ich hatte meinen Frieden gemacht. Ich würde Haldir wiedersehen und darauf freute ich mich.
Plötzlich nahm ich eine Bewegung wahr, die nicht zum üblichen Kampfschema passte. Etwas Großes, Graues bewegte sich auf mich zu. Zu spät erkannte ich den Troll, der es offensichtlich auf mich abgesehen hatte. Sein Schwert schlug nur wenige Zentimeter neben mir in den Boden. Ich drehte mich weg, tauchte unter seiner Faust hindurch auf seine ungeschützte Seite. Es gelang mir, einen Treffer zwischen seine Rippen zu setzen, doch er taumelte nicht einmal.
Dann sauste sein Schwert erneut auf mich nieder. Ich versuchte noch, ihm auszuweichen, doch dann spürte ich einen brennen Schmerz in meinem Unterleib. Gleichzeitig wurde ich von einer schweren Gestalt auf den Boden gedrückt, wo ich schließlich liegenblieb. Etwas traf mich am Kopf. Nur mit Mühe konnte ich verhindern, dass ich in die Dunkelheit hinüber glitt.
Ich hörte wie durch einen Schleier hindurch, dass jemand meinen Namen rief. Ich versuchte zu antworten, aber meine Zunge war zu schwer. Meine Kehle war trocken und mein Blick begann zu verschwimmen. Die Wunde musste stärker sein, als ich angenommen hatte.
Schon bald fühlte ich nichts mehr. Der Schmerz der Wunde begann zu verebben, das Gewicht des toten Körpers auf mir spürte ich nicht mehr.
Jemand hob meinen Kopf an, rief mich. Ich blickte auf, doch ich sah nur den dunklen Himmel, wie er voller Sterne stand. Und dahinter erblickte ich sie: Varda. Wie lange war es her, dass meine Göttin zu mir gesprochen hatte. Wie lange, da ich nicht mehr mit ihr gesprochen hatte. Ich wusste es nicht und es war mir egal. Es zählte nur dieser Augenblick, ihr Bild in den Sternen.
Sie lächelte mich an. Tränen schwammen in ihren Augen. Sie sprach: „Sell-nîn, ias alantie?“ [1] Ich antwortete: „Im sí. Amman eglan arnech-nin, naneth?“ [2]
„Das habe ich nicht. Ich war immer bei dir. Auch jetzt noch, da du auf der Schwelle des Todes stehst.“ Ich wusste, dass sie Recht hatte, doch ich wollte nicht zugeben, dass es meine Schuld war. Ich schüttelte den Kopf, Tränen rannen meine Wangen hinunter. Ein Warum war das einzige Wort, was ich noch über die Lippen brachte.
Sie streckte ihre Hand nach mir aus, berührte mein Gesicht. „Ich könnte es nicht ertragen, wenn du stirbst, meine Tochter. Daher stellte ich dich vor die Wahl.“ Was hatte sie vor? Ich verstand es nicht. „Ich schenke dir das Leben, doch Mallos verlangt dafür ein Opfer. Wenn du deine Voraussicht aufgibst, lässt er dich am Leben. Und du kannst vielleicht doch noch dein Glück finden.“
Mein Kopf drehte sich. Ich konnte nicht nachdenken. Was sollte dieses Angebot für mich bedeuten? Was bedeutete mir noch das Leben? Ich hatte niemanden mehr. Ich wusste, dass meine Mutter in den Westen segeln würde, doch ich konnte nicht mitkommen. Sie würden mich nicht lassen. Ich hatte mit ihnen, mit den allmächtigen Göttern, gebrochen, hatte sie verflucht, hatte mein Schicksal verflucht. Was konnte die Welt mir schon bieten, jetzt, da ich alles verloren hatte?
Doch etwas gab es noch, etwas, dass mich an diese Welt, an diesen Körper band: meine Nichte. Ich hatte meiner Schwester das Versprechen abgenommen, mich um sie zu kümmern, da sie es nicht mehr konnte. Und Elrond würde ebenfalls in den Westen gehen.
Würde ich es tun? Würde ich eine Gabe, die mir kein Glück gebracht hatte, eintauschen gegen ein Versprechen?
Ich nickte, unfähig zu sprechen.
Eine einzelne Träne aus Vardas Auge fiel herab und landete auf meiner Stirn. Ich schlug die Augen auf, sah Legolas über mir. Er lächelte mir zu. Vorsichtig hielt er meinen Kopf in seinem Schoß und ich sah, dass er weinte.
Plötzlich erhob sich der Boden zu unseren Füßen. Ein Zittern schien aus den Tiefen der Welt zu kommen. Die Zeit schien für einen Moment stillzustehen.
Dann verschluckte die Erde unseren Feind.
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[1] Sell-nîn, ias alantie?= Meine Tochter, wohin bist du gegangen?
[2] Im sí. Amman eglan arnech-nin, naneth?= Ich bin hier. Warum hast du mich verlassen, Mutter?