LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 20
~ Can’t be chained
Schweres Schweigen schwebte über den Köpfen zweier Frauen. Beide drehten verlegen ihre weißen Kaffeebecher in den Händen und vermieden dabei, sich gegenseitig anzusehen. Wahrscheinlich wäre der dritte Weltkrieg ausgebrochen, dachte Vittoria ironisch und konzentrierte sich weiter darauf, nicht zu lange den Becher in einer bestimmten Position zu halten.
Auch Meg versuchte furchtbar beschäftigt zu wirken, doch es gelang ihr ebenso wenig, wie ihrer besten Freundin. Keine konnte darüber hinweg täuschen, dass sie besser miteinander reden sollten, als sich anzuschweigen. Wieso nur war zwischen ihnen alles so kompliziert geworden, wo doch eigentlich alles so einfach sein sollte?
Schließlich wurde es Meg zu bunt. Als Vittoria sie vor drei Stunden angerufen hatte, dass sie wieder in der Stadt war und es wohl dringend Redebedarf zwischen ihnen beiden gab, hatte sie zwar nur widerwillig eingestimmt, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so verdammt schwer werden würde, ihr gegenüber zu treten. Sie hatte das Gefühl, dass ein riesiges Brandmahl auf ihrer Stirn prangte und sie als „Schlechteste Freundin des Jahres“ auszeichnete. Doch irgendwann musste man es ihr einfach erklären.
Sie setzte den Becher etwas brutaler ab, als beabsichtigt und starrte der Italienerin fest in die Augen. Doch schon nach kurzer Zeit konnte sie dem Blick nicht mehr standhalten und sah wieder auf das grüne Logo. Verdammt, dachte sie und bearbeitete den Plastikdeckel.
Sanft legte sich eine Hand auf ihre und hielt ihr bösartiges Treiben ihrem Kaffeebecher gegenüber an. „Der Arme kann doch nichts dafür“, sagte Vittoria und Meg konnte eindeutig hören, dass sie es ernst meinte. Aber bei dieser Sanftheit, obwohl sie eigentlich die Folter und den Tod verdient hätte, riss ihr plötzlich der Geduldsfaden.
„Es tut mir leid, okay?!“, rief sie lauter als nötig und alle Köpfe in dem kleinen Kaffeehaus drehten sich zu ihnen um. Sie warf entschuldigende Blicke in alle Richtungen und hoffte, jeden erwischt zu haben, als sie sich wieder zu ihrer Freundin umdrehte und etwas leiser wiederholte: „Es tut mir verdammt noch mal leid.“
Scheinbar gedankenverloren spielte Vittoria wieder mit ihrem Becher, drehte ihn ein paar Mal um sich selbst, als hätte sie gar nicht gehört, was Megara gesagt hatte. Dann sagte sie, mehr zu sich selbst, als zu ihrer Gegenüber: „Wieso entschuldigen sich eigentlich alle in letzter Zeit bei mir? Habe ich eine unheilbare Krankheit von der ich bisher noch nichts wusste?“
„Mach keine Witze, Süße“, sagte Megara schnell. „Nicht darüber. Ich meine es ernst. Sieh mich an.“ Sie legte ihre Hand vorsichtig auf den Unterarm ihrer Freundin und sah ihr in die grünen Augen. Nur widerwillig hob Vittoria den blick und begegnete dem blauen Grau ihrer blonden Freundin. „Ich wollte dich nicht verletzen. Ich habe es ja nicht mal gewusst!“
Ein Beobachter hätte vermutlich die Stirn gerunzelt, weil er keine Ahnung hatte, wovon die beiden jungen Frauen redeten. Doch Vittoria wusste genau, was Megara meinte. Sie wusste nur nicht, ob sie ihr glauben konnte. Wie oft hatte sie ihr von Thomas erzählt, ihr beschrieben, wie er aussah, was er getan hatte, wie er sich benommen hatte. Natürlich waren sich die beiden nie begegnet und sie hatte auch keine Fotos von ihm aufgehoben. Aber war es vermessen zu erwarten, dass Meg es hätte wissen müssen?
Innerlich schüttelte Vittoria den Kopf. Natürlich konnte sie es nicht wissen! Woher denn auch? Aber eine innere Stimme schrie trotzdem, dass sie sich verraten und verletzt fühlte. Sie fühlte sich, als hätte man ihr das Herz herausgerissen, es in den Mixer geworfen und auf Feinpürieren gestellt. Und dann hätte man es in eine Form gegossen, es fünfzehn Stunden im Ofen auf voller Hitze gebacken, aus der Form herausgekratzt, die Überreste verbrannt und die Asche im Meer verstreut.
Sie verzog das Gesicht. Ihre melodramatische Ader war heute wieder besonders ausgeprägt. Sie zwang sich wieder in den Augenblick zurück. „Natürlich hast du es nicht gewusst. Woher hättest du es wissen sollen?“
Megara hob eine Augenbraue. „Und trotzdem fühlst du dich verraten. Das kann ich sogar verstehen. Mir würde es genauso gehen, denke ich“, fügte sie hinzu, als sie genauer darüber nachdachte. Bisher war sie nie in so einer Situation gewesen und konnte daher nicht genau nachvollziehen, wie es sich anfühlte, wenn man so hintergangen wurde. Aber sie konnte wie keine Zweite im Gesicht ihrer Freundin lesen, was sich in ihrem Kopf abspielte. Vittoria war nie besonders gefühlsduselig gewesen und deswegen hatte Meg es schnell gelernt, ihre Mimik zu deuten. Doch jetzt wünschte sie sich, dass sie es nicht konnte.
„Was soll ich dazu sagen?“, fragte Vittoria und zog die Schultern hoch. „Ich bin, glaube ich, nicht in der Lage, Forderungen zu stellen.“ Sie konnte sehen, wie Meg die Stirn kraus zog und antwortete daher auf ihre unausgesprochene Frage. „Ich meine, was soll ich dem denn entgegen stellen? Wenn du sagst, du liebst ihn, und dir auch sicher bist, dass er dich liebt, und ihr beide nichts von mir, besser gesagt: der Vergangenheit von Thomas und mir gewusst habt, was soll ich dazu sagen? Ich kann euch ja schlecht zwingen, nicht mehr miteinander auszugehen. Oder?“
Die letzte Frage war durchaus ernst gemeint. Das konnte Megara am Tonfall ihrer Freundin deutlich hören. Deswegen überlegte sie eine Weile, bis sie antwortete. Wahrscheinlich würde ihre Antwort darüber bestimmen, was als nächstes geschah. Und eigentlich wollte sie sich den Schuh doch gar nicht anziehen. Sie hatte sich für dieses Gespräch fest vorgenommen, nicht dafür verantwortlich zu sein, was geschehen sollte. Und nun fiel dieses Los doch wieder an sie. Sie verfluchte sich selbst dafür, dass sie die Zügel aus der Hand gelegt hatte. „Im Grunde genommen hast du in der Tat das Recht dazu. Es bleibt nur die Frage, ob du dieses Recht ausüben willst, oder nicht.“
Vittoria überlegte, ob es wirklich so war. Wenn sie es aussprach, wenn sie Meg dazu zwang, Thomas Lebe wohl zu sagen, dann würde sie ihre Freundin wahrscheinlich verlieren. Sollte sie jedoch dem Ganzen zustimmen, sollte sie sich sogar darüber freuen, dass sich zwei so besondere Menschen gefunden hatten, dann bestünde ebenfalls die Chance, ihre Freundin zu verlieren. In diesem Falle jedoch an einen Mann. Sie musste also nur noch den Weg wählen, wie sie ihre Freundin verlieren wollte.
Doch das kam dem gleich, ob man entscheiden sollte, wie sein Lieblingshaustier sterben sollte. Sollte es überfahren oder eingeschläfert werden. Es war makaber. Und widersinnig. Wie sollte man sich entscheiden, jemanden zu verlieren, wenn er ohnehin verloren war? Das machte es nicht leichter. Doch was war, wenn noch eine Möglichkeit, wenn auch eine sehr geringe, wahrscheinlich sogar eine gegen Null gehende, bestand, dass die Freundin nicht verloren war? Konnte man sich an diese geringe Hoffnung klammern?
Megara beobachtete das Minenspiel ihrer Freundin aufmerksam. Sie dachte an all die schönen Momente zurück und fragte sich, ob ein Mann das alles Wert sein konnte. Und sie brauchte auch nicht lange zu überlegen um festzustellen, dass es nicht so war. Trotzdem hatte sie ihren Stolz und wollte nicht sofort vor Vittoria in den Staub kriechen.
Beide wussten, dass die andere alles für einen getan hätte. Und das war genau der Punkt, warum beide so angestrengt über einer Lösung brüteten. War es die Freundschaft und das Glück des anderen wert, sein Recht zu verlangen, oder waren sie es der Freundschaft selber schuldig, das einzig richtige Urteil zu fällen? Konnte man es einer Freundin durchgehen lassen, dass sie sich, trotz mehr oder weniger besserem Wissen, an dem Exfreund der anderen verging, was in diesem Fall mit ihm schlafen assoziierte? War man es der eigenen Würde schuldig, sich selbst zurück zu stellen, oder verlangte man um seiner Selbst willen das Recht, was einem zustand? War einem das eigene Wohlergehen wichtiger, als das der Freundin?
Sie setzten gleichzeitig zum Sprechen an und brachen beide nach drei Worten wieder ab, als sie bemerkten, dass sie durcheinander redeten. Meg schwieg beharrlich und überließ es Vittoria, das erste Wort zu führen. „Ruf ihn an“, sagte die Italienerin, „er soll her kommen.“
Meg verschränkte die Finger hinter dem Becher ineinander. „Er wartet draußen“, sagte sie etwas kleinlaut. Sie hatte sich nicht getraut, alleine hierher zu kommen, es aber aus Respekt nicht über sich gebracht, zusammen mit Thomas hier aufzutauchen. Daher hatte sie ihn gebeten, draußen in einem Hauseingang zu warten, bis sie ihn zweimal anklingelte. Das war für ihn das geheime Zeichen, sie aus der misslichen Lage zu befreien.
Natürlich hatte sie nicht geglaubt, dass Vittoria handgreiflich werden würde. Aber falls sie in Tränen aufgelöst dasitzen und kein einziges Wort herausbringen sollte, wollte sie nur, dass er schnell bei ihr war. „Dann sag ihm, dass er reinkommen kann“, sagte Vittoria und Meg zückte ihr Handy. In weniger als zehn Sekunden ging die Tür auf und Thomas erschien.
Vittoria brauchte nicht genau hinzusehen, sie erkannte seine Statur als Schatten gegen die Helligkeit draußen auf der Straße bereits aus dem Augenwinkel. Es war kaum zu glauben, wie wenig er sich verändert hatte. Und als er mit einem beinahe verängstigten, aber auf jeden Fall sorgenvollen, Blick Ausschau nach Meg hielt, wusste sie bereits, wie ihre Antwort ausfallen würde. Doch sie wollte so fair sein und es ihnen beiden mitteilen.
Thomas’ Augen fanden den Tisch, an dem die beiden Frauen saßen. Er schätzte die Situation kurz ein, wie er es vor Gericht ebenfalls tat, und näherte sich mit schnellen Schritten. Er nickte Vittoria kurz zu, denn Meg saß mit dem Rücken zur Türe, da Vic als erste hier gewesen war und den Platz gewählt hatte, dann legte er schützend einen Arm um die schmalen Schultern von Megara.
Vittoria nahm diese Geste wahr und lächelte. Sie wusste genau, wie es sich anfühlte, wenn er den Arm um einen legte. Seine Stärke konnte einem sogar in einem Wirbelsturm noch Halt bieten, egal wie schlimm es auch sein mochte. An seine breite Brust konnte man sich lehnen, wenn man Schutz brauchte, und seine Schultern boten ausreichend Fläche, um Tränen zu trocknen. In seinen Haaren konnte man sich leidenschaftlich festhalten und um seine schmalen Hüften hatte selbst sie ihre Arme legen und ihn einfach nur halten können.
Doch die Art, wie er Meg ansah, zeigte ihr deutlich auf, was er nicht konnte.
Megara hatte durch ihren Vater immer eine gesunde Portion Respekt vor dem männlichen Geschlecht, und besonders vor Ordensträgern und Staatsdienern, eingetrichtert bekommen. Sie mochte es manchmal ganz gerne, wenn man ihr einen klaren Weg vorgab, auf dem sie sich bewegen konnte. Sie träumte davon, einen starken Mann zu heiraten und viele kleine Kinder von ihm zu bekommen.
Wohingegen Vittoria schon früh gelernt hatte, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie ließ sich von niemandem sagen, was für sie das Beste war. Dadurch, dass sie es alleine geschafft hatte, sah sie sich bestätigt, dass sie immer noch am besten wusste, was für sie gut war und was nicht. Dadurch, dass ihre Eltern sie immer klein gehalten und ihr nie etwas zugetraut hatten, konnte sie sich und ihre Fähigkeiten sehr gut selbst einschätzen. Wenn sie wusste, dass sie es schaffen konnte, schaffte sie es auch. Das hatte sie mehrmals eindrucksvoll bewiesen. Ein Mann, der stärker war als sie, oder zumindest vorgab es zu sein, und ihr auch noch sagen wollte, wo es lang ging, war eindeutig nicht der Richtige für sie. Aber Megara war nicht Vittoria.
Entschlossen blickte sie erst Megara dann Thomas an. „Setz dich bitte“, sagte sie zu ihm und wies auf den leeren Stuhl, der zwischen ihnen stand. Thomas zog ihn zu sich heran und nahm ihr gegenüber Platz. Auch er wirkte ziemlich entschlossen. Im Gegensatz zu Meg wich er ihrem Blick nicht aus. Er sah sie herausfordernd an und wartete darauf, was nun kommen würde.
„Liebst du sie?“, fragte Vittoria ihn und er musste auch gar nicht lange überlegen, bevor er mit einem klaren Ja antwortete. Sie nahm es Kopf nickend zur Kenntnis. „Ich kenne die Geschichte, wie ihr euch kennen gelernt habt. Und weil Lex mich genauso liebt, wie seine leibliche Schwester, zweifle ich auch nicht an der Richtigkeit seiner Erzählung.“
Sie konnte sehen, dass beide ein wenig erleichtert wirkten. Vermutlich war es ihre größte Sorge gewesen, dass Vittoria glaubte, man habe sie angelogen. Schließlich hätte jeder leicht behaupten können, nichts von der früheren Beziehung von Vic und Thomas gewusst zu haben, während die eine Betreffende am anderen Ende der Welt gerade ihrer täglichen Arbeit nachging. Aber wenn sie gar nicht darüber nachgedacht hatte, dass man sie angelogen haben könnte, war schon mal ein Teil der Schlacht geschlagen. Wer nun gewonnen hatte, war eigentlich egal. Hauptsache es wurde niemand getötet.
Sie hob den Finger und zeigte nacheinander auf die Gesichter der beiden. „Aber es gilt trotzdem als das oberste Gebot unter Freundinnen, dass sich nicht an einem Exfreund der anderen vergangen wird!“ Ihre Stimme war so scharf, dass man damit drei Wochen altes Brot hätte schneiden können. Und sie nahm zufrieden zur Kenntnis, dass beide, auch Thomas, unter ihren Worten zusammen zuckten.
Scheinbar entspannt lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück, genoss die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden und nahm noch einen Schluck von ihrem Chai Latte. Er hinterließ einen leichten Geschmack von Zimt auf ihrer Zunge. Dann erst dachte sie über ihre nächsten Sätze nach. Sie wollte es so dramatisch wie möglich machen und es noch ein bisschen auskosten, dass die beiden vor ihr zitterten. Wann hatte sie schon mal die Möglichkeit, Londons erfolgreichsten Anwalt so zum Schwitzen zu bringen?
Als ihre Gedanken in die Vergangenheit abzuschweifen drohten, schüttelte sie schnell den Kopf um die Bilder von Thomas’ nacktem schwitzendem Oberkörper zu vertreiben. Wann hatte sie eigentlich das letzte Mal einen Mann oben ohne gesehen?
„Also“, sagte sie und räusperte sich, um von ihrem leichten Unbehagen abzulenken. Denn sie wusste ganz genau, wann sie das letzte Mal einen Mann oben ohne gesehen hatte und es behagte ihr überhaupt nicht, in diesem entscheidenden Moment an ihn zu denken. Es hätte sie nur unnötig wütend gemacht. „Was ich von euch verlange, ist ziemlich einfach und auch einleuchtend, wenn ich das so sagen darf. Da ich diejenige bin, die hier hintergangen wurde“, und wieder nahm sie erfreut zur Kenntnis, dass man bei dem vorletzten Wort zusammen zuckte, „habe auch ich das Recht, eine Bedingung zu stellen. Nur eine einzige!“
Drohend hob sie den Finger, als Meg zum Sprechen ansetzen wollte, und brachte ihre Freundin so wieder zum Schweigen. Diesen Moment wollte sie voll auskosten. „Wie lange seid ihr jetzt zusammen?“
Thomas überlegte kurz, was wieder einmal bestätigte, dass Männer, wenn es um Beziehungen ging, keinen blassen Schimmer von der richtigen Zeiteinschätzung hatten. Meg hingegen antwortete, wie aus der Pistole geschossen: „Seit ziemlich genau vier Monaten.“
Wahnsinn, dachte Vittoria. Haben wir so lange nicht miteinander gesprochen? Die Zeit war wirklich rasend vergangen. Und laut sagte sie: „Nun gut, dann wird meine Forderung noch ein wenig warten, nehme ich an. Aber trotzdem sollte es darauf hinaus laufen, wenn ihr euch weiterhin meine Freundschaft sichern wollt. Denn nur, wenn ihr beide in nicht allzu ferner Zukunft unter den Baldachin tretet, werde ich akzeptieren, dass ihr euch liebt und zusammen sein wollt.“
Ihr Blick bohrte sich in den von Thomas. Aber dieses Mal hielt er ihr nicht stand. Er wich aus und starrte stattdessen auf ihre Nasenspitze. „Du wirst sie nicht verletzen“, sagte sie so leise, dass es fast ein Flüstern war. „Und du wirst sie auf Händen tragen, so wie du mich auf Händen getragen hast. Und solltest du sie auch nur ein einziges Mal zum Weinen bringen (Freudentränen natürlich ausgeschlossen), werde ich meine Verwandtschaft aus Sizilien bemühen und deinen toten Körper verschwinden lassen. Du weißt, dass ich das kann.“
Als sie ihn sprachlos zurück gelassen hatte, wandte sie sich an ihre Freundin. „Und du wirst ihn so lieben, wie du noch nie zuvor einen Kerl geliebt hast.“ Sie wusste ganz genau, dass es in Megs Vergangenheit noch nie einen Mann gegeben hatte, den sie genug gemocht hätte, um ihn ihrer Familie vorzustellen, geschweige denn ihn zu heiraten. „Und sollte er dir einen Antrag machen, wirst du nicht so feige davon laufen wie ich. Sondern du wirst ihn annehmen und glücklich werden. Habt ihr mich verstanden?“
Eindringlich sah sie beide eine lange Zeit an und wartete geduldig darauf, dass sie nickten. Thomas griff nach Megaras Hand und zog sie zu sich auf den Schoß. Vittoria konnte natürlich nicht die Zukunft beeinflussen, indem sie ihnen beiden einfach befohl, glücklich zu werden. Aber sie konnte angemessen drohen. Und wenn das helfen sollte, dann genügte es ihr.
Gerade wollte sie sich dazu durchringen, beide einmal kräftig zu umarmen um damit die leicht aufgeladene Stimmung ein wenig zu entschärfen, als die Tür aufging und eine vertraute Person das Kaffeehaus betrat. Vittoria hätte sich am liebsten sofort unter den Tisch geduckt, aber es war zu spät. Man hatte sie bereits entdeckt.
„Da bist du ja!“, rief Anna einmal quer durch den Raum und steuerte zielstrebig auf den Tisch zu, an dem sie alle drei saßen. Sie warf dem glücklichen Paar ein kurzes Hallo zu, dann wandte sie sich wieder an Vittoria. „Ist ja ein Zufall, dass ich dich hier treffe. Ich wollte mir nur einen Kaffee holen, bevor ich zu dir fahre. Aber so spar ich mir natürlich den Weg. Wie praktisch.“ Ein strahlendes Lächeln enthüllte zwei Reihen perfekter weißer Zähne.
Vergeblich versuchte Vittoria die Fassung wieder zu gewinnen, denn mit einem Angriff auf diese Art hatte sie nicht gerechnet. Seit sie kein Handy mehr hatte, konnten sich Besucher nicht mehr ankündigen, bevor sie auftauchten, also war sie es gewissermaßen selber Schuld. Sobald sich eine Gelegenheit bot, würde sie sich einen neuen Vertrag zulegen, schwor sie sich.
„Anna“, sagte sie, „das ist gerade vermutlich nicht der beste Moment. Können wir uns vielleicht später unterhalten?“ Und als die junge Schauspielerin nicht von der Stelle wich, fügte sie noch hinzu: „Es ist wirklich schlecht grade.“ Ein viel sagender Blick in Richtung Thomas und Meg ließ Anna schließlich begreifen.
Sie riss die sowieso schon großen Augen auf und sah dadurch noch mehr wie ein aufgeschrecktes Reh aus. „Natürlich“, sagte sie schnell, drehte sich auf dem Absatz um, überlegte es sich dann aber doch wieder anders und kehrte zum Tisch zurück. Vittoria musste sich zusammen reißen, um nicht mit den Augen zu rollen.
Eigentlich hatte sie Anna ziemlich gerne, aber manchmal konnte sie wirklich nicht mit der Realität umgehen. Sie hatte die Jüngere oft darum beneidet, eine so behütete Kindheit geführt zu haben. Doch wenn man in dem Alter immer noch nicht genau wusste, wann man besser den Mund hielt, war sie doch recht zufrieden damit, dass sie ohne besondere elterliche Fürsorge aufgewachsen war.
„Aber bevor ich es vergessen“, sagte Anna, als sie wieder neben dem runden Tisch stand, „ich wollte dich nur fragen, ob du schon die Karten für die Premiere bekommen hast.“
Vittoria wich augenblicklich alle Farbe aus dem Gesicht, als sie sah, wie sich Megaras Gesicht plötzlich aufhellte, die die junge Frau zu erkennen schien und breit grinste. Bevor sich ein Unglück anbahnen konnte, hielt Vittoria ihr die Handfläche hin, als wäre sie ein Verkehrspolizist, der auf einer belebten Kreuzung versuchte, das Chaos zu beseitigen. „Nein!“, rief sie aus, in der Hoffnung, jeglichen Protest im Keim zu ersticken. „Ich meine ja, aber ich hab jeweils nur eine Karte bekommen, weil ich Andrew gesagt habe, dass ich alleine hingehen würde.“
Sie sah, wie sich Megs Schultern wieder enttäuscht senkten und bereute es jäh, nicht doch eine Karte für Notfälle behalten zu haben. Sie warf einen entschuldigenden Blick in die Richtung ihrer Freundin, aber das war gar nicht nötig. Denn bei Annas nächsten Worten hellte sich ihr Gesicht schlagartig wieder auf: „Weißt du denn schon, was du anziehen willst?“