LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 20
~ Blank sandy Beach
Noch immer schmollend stand Jack an der Reling der Queen Anne’s Revenge, den Blick starr auf den Horizont geheftet. Eigentlich hätte er seinen Kompass zu Rate ziehen müssen, doch leider wusste er noch sehr genau, wo die kleine Insel Sola Fide lag. Dafür musste er nicht einmal mehr die Himmelsrichtungen deuten.
Ungünstig war auch, dass es nicht mehr weit war. Vom Festland aus schien eine mystische Kraft auf das Schiff einzuwirken, was ohnehin schon von zu viel Magie durchwirkt war, und es unerbittlich hinaus auf das offene Meer zu ziehen. Das gefiel ihm ganz und gar nicht und am liebsten wäre er wieder umgekehrt. Leider konnte er ohne Angelicas Blut nichts ausrichten. Dass sie wütend auf ihn war und ihn erschießen würde, wenn sie ihn das nächste Mal sah, musste Barbossa und den Rest der Crew ja nicht kümmern.
Verzweifelt suchte er nach einer Ausrede, wie er sich ihr wieder nähern könnte, ohne dass es ihn das Leben kostete. Wie oft hatte er diese Frau schon hinters Licht geführt und sie enttäuscht?
Doch andererseits hatte sie das auch oft genug mit ihm gemacht. Allein sein letztes Abenteuer war eine einzige Katastrophe gewesen. Und das nur dank der Spanierin, die eine Intrige nach der anderen erst gegen ihn, Captain Jack Sparrow, und dann gegen ihren eigenen Vater geführt hatte. Und zum Schluss hatte sie ihn auch noch verflucht!
Leicht angespannt legten sich seine Hände um das Holz der Brüstung und drückten zu, ohne dass er es recht bemerkte. Diese ganze Situation machte ihn wahnsinnig. Andererseits hatte er sich bisher immer noch aus jeder brenzligen Lage herauswinden können. Wieso sollte es dieses Mal anders sein?
„Haben wir einen Kurs, Jack?“ Barbossas Stimme ertönte vom Steuer zu ihm herunter und forderte ihn dazu auf, zu ihm hoch zu kommen. Mit einem ausladenden Schwung aus der Hüfte drehte Jack sich zu seinem momentanen Captain um und grinste selbstgefällig zurück.
„Aye, den haben wir!“ Mit großen Schritten stieg er die Treppe hoch, ließ dabei Pintel und Ragetti hinter sich, die sich mit einem Tau abmühten und sich gegenseitig die Schuld daran gaben, dass es nicht funktionierte, und kam neben Barbossa am Steuerrad zum Stehen. Grade wollte er seine Hand danach ausstrecken, als der Captain sie ihm wegschlug. Beleidigt sah Jack ihn an. „Du wolltest einen Kurs haben. Und den werde ich dir geben.“
Barbossa starrte ihn finster an. „Aye, das wirst du. Aber du wirst ihn mir mündlich vortragen und nicht mit deinen Händen. Hast du das immer noch nicht gelernt, dass man nicht alles anfasst, was einem vor die Nase kommt?“
Sparrow rieb sich die Hand, die geschlagen wurde. Und nach einer Weile, in der er ein stummes Duell mit seinem ehemaligen ersten Maat ausgefochten hatte, sagte er: „Isla Sola…“ Barbossa bedankte sich mit einem knappen Nicken und brachte das Schiff mit einem Wink von Blackbeards Schwert auf Kurs. Sofort wurde Pintell und Ragetti das Tau entrissen, wickelte sich von selbst auf und wand sich schließlich um den Mast herum hinauf in die Takelage.
Ragetti beugte sich näher zu seinem Onkel herunter, sodass dessen Ohr nur noch wenige Zentimeter von seinem Mund entfernt war. „Dieses Schiff ist mir unheimlich“, flüsterte er besorgt mit einem Seitenblick auf Barbossa und dessen Crew. „Kann mir nicht vorstellen, dass es ohne dunkle Magie vonstatten geht, dass wir so dahin segeln.“ Und Pintel pflichtete ihm mit einem knappen Nicken bei, schob ihn aber sogleich aus der Reichweite des Captains, bevor der ihre Unterhaltung wohlmöglich noch belauschen konnte. Das Ganze unterstrich er mit seinem üblichen falschen Grinsen.
Der Wind war ihnen gewogen, auch wenn es am Horizont bereits wieder dunkler zu werden drohte. Die Zeit der Stürme war noch nicht vorbei und selbst in der Karibik konnte zu dieser Jahreszeit extrem schlechtes Wetter herrschen. Doch zur großen Erleichterung der gesamten Crew bewegten sie sich von den düsteren Wolken fort und fuhren in die entgegen gesetzte Richtung.
Gibbs war das ohnehin alles einerlei. Er lehnte gelassen am Hauptmast, hatte auf alles ein mehr oder weniger wachsames Auge und genoss einen Schluck nach dem anderen aus seiner kleinen persönlichen Rumflasche. Als Jack sich neben ihn stellte, sagte er: „Hast du dir schon überlegt, was du Angelica sagen willst? Sie wird nicht gut auf dich zu sprechen sein. Und die Tatsache, dass du eigentlich nur ihr Blut willst, wird nicht gerade dazu beitragen, ihre Stimmung zu heben.“
Bevor Gibbs noch mehr sagen konnte, unterbrach Jack ihn unwirsch. „Ja ja, schon gut! Ich weiß, dass diese Situation ziemlich festgefahren ist.“ Und dann, etwas ruhiger, fügte er hinzu: „Aber wann, mein lieber Joshamee Gibbs, habe ich es schon mal nicht geschafft, meinen Hals aus der Schlinge zu ziehen?“ Selbstgefällig grinste er.
„Du meinst, außer das eine Mal, als du gestorben bist und von dem Kraken gefressen wurdest?“
Jack hob seinen Zeigefinger, der mit ein paar Ringen behängt war. „Was nur passiert ist, weil mich eine bestimmte Person, über die wir nicht reden wollen, mich an den Hauptmast gekettet hat. Sonst wäre das ganz sicher nicht passiert.“
„Nein“, gab Gibbs zu und Jack wollte sich schon entspannt zurücklehnen. Doch da hatte er nicht mit der Ehrlichkeit seines alten Freundes gerechnet. „Hätte die gute Elizabeth dich nicht an Ort und Stelle gehalten, wärst du ganz klamm heimlich mit einem Beiboot davon gerudert und hättest uns und seine geliebte Pearl im Stich gelassen.“
„Ich bin zurück gekommen!“ Empört blickte Jack Gibbs in die Augen.
„Aha!“, rief der triumphierend aus. „Also gibst du zu, dass du abhauen wolltest?“
Wie ein Fisch unter Wasser öffnete der Sohn von Captain Teague seinen Mund und schloss ihn wieder, weil ihm keine vernünftige Erwiderung einfallen wollte. Er biss sie Zähne aufeinander und ließ seine Hand wieder sinken.
„Hört doch auf zu streiten“, sagte plötzlich eine Stimme unter ihnen. Sie folgten dem Geräusch und erblickten, etwa auf der Höhe ihrer Bauchnabel, Marty, der sie beide herausfordernd ansah. Und als sie nichts erwidern konnten, sagte er weiter: „Jack ist wieder da. Das ist das Einzige, was noch zählt.“ Dann watschelte er auf seinen kurzen Beinen wieder davon.
Verdutzt sah Jack ihm nach. „Seid wann kann er mich so gut leiden?“, fragte er immer noch mächtig erstaunt. Allein schon das Wiedersehen in Tortuga war ihm sehr merkwürdig vorgekommen, hatte der Zwerg doch sonst nie ein gutes Haar an ihm gelassen. Doch vermutlich hatte sich in der letzten Zeit einiges geändert, seitdem sie das letzte Mal unter seinem Kommando gesegelt waren. Ob sie ihn tatsächlich alle vermisst hatten, so wie sie es vorgegeben hatten? Oder hatte es vielleicht noch mit seinem überraschenden Tod zu tun, der ihn selbst mehr überrascht hatte als alle anderen? Lernte man nicht erst etwas richtig zu schätzen, wenn man es verloren hatte?
Gibbs zuckte auf Jacks Frage hin nur wage mit den Schultern. Eigentlich interessierte es ihn nicht sonderlich. Seine Beziehung zu Jack hatte sich weder verbessert noch verschlechtert. Und das gedachte er auch nicht weiter zu gefährden, indem er ihm erzählte, dass seine ehemalige Crew nun, da er einmal gestorben war und das Wasser des Lebens ausgeschlagen hatte, besser von ihm dachte als früher. Immerhin hatten sie ihn sonst für einen ziemlich egozentrischen Mistkerl gehalten.
Um von der Unterhaltung abzulenken, reichte er Jack die Rumfalsche und ließ ihn einen großzügigen Schluck tun. Sein ehemaliger Captain seufzte zufrieden, als er das süße Gesöff, was so wunderbar herb im Rachen brannte, hinunterschluckte. Damit war das Thema vorerst erledigt.
Währenddessen hatten es sich Murtogg und Mullroy auf der Treppe gemütlich gemacht und betrachteten das Deck der Queen Anne’s Revenge sehr zufrieden. Ihr Werdegang war vermutlich nicht der eines echten Piraten, hatten sie immerhin vorher für die falsche Seite gearbeitet. Doch nach der letzten großen Schlacht hatten sie beschlossen, dass es vielleicht klüger war, so zu tun, als wäre man in dem Gefecht ums Leben gekommen und sich eine neue Existenz innerhalb einer Piratencrew aufzubauen. Ganz zu schweigen davon, dass die Bezahlung nun weitaus besser war als noch unter der East India Company.
„Und, was sagst du?“, fragte Mullroy, blickte sich dabei glücklich und verzog sein rundes Gesicht zu einem ehrlichen Grinsen. „Haben dir das nicht gut gemacht, uns an den Zwerg zu hängen in Tortuga?“
Murtogg, der nicht nur größer und dünner war als sein ehemaliger East India-Kollege, sondern auch ein gutes Stück dümmer, atmete genüsslich und tief ein. „Ja, das war eindeutig einer meiner besseren Ideen.“ Auch er verzog das lange Gesicht zu einem seligen Lächeln und verlagerte sein Gewicht etwas mehr nach rechts, um das Deck noch besser im Blick zu haben. Es war offensichtlich, dass er sich hier sehr wohl fühlte.
„Deine Idee?“, fragte sein Kumpan verblüfft und auch ein wenig ärgerlich. Das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden. Stattdessen funkelte er seinen Nebenmann bedrohlich an. „Das war meine Idee!“
„Nein, deine Idee war es, in dieses Gasthaus zu gehen.“
„Wo wir nicht nur auf den Zwerg, sondern auch auf den Stummen mit dem Papagei auf der Schulter gestoßen sind.“ Völlig überzeugt von seiner Logik warf Mullroy sich in die Brust, setzte sich aufrecht hin und sah Murtogg herausfordernd an.
„Und dann habe ich den Zwerg zufällig getroffen und angesprochen.“
Mullroy wollte schon etwas erwidern, hatte bereits den Mund geöffnet und tief Luft geholt, als plötzlich eine Stimme aus dem Ausguck etwas rief. Innerhalb von wenigen Augenblicken herrschte wilde Hecktick an Deck. Barbossa wickelte die beiden kleineren Segel mit einem Schlenker seines Handgelenks ein und ließ nur noch das große Hauptsegel wehen. Jack verschluckte sich beinahe an seinem letzten Schluck Rum und kam erst wieder zu Atem, als Gibbs ihm mehrere Male auf den Rücken geklopft hatte. Pintel und Ragetti liefen aufgeregt durcheinander und warfen sich beinahe selbst über den Haufen, während Cotton und sein Papagei versuchten den Überblick zu behalten. Scrum hatte sich gerade mit Marty um einen Apfel gestritten, doch beide ließen ihn gleichzeitig fallen und kamen mit allen anderen gemeinsam an den Bug des Schiffes. Dort liefen alle zusammen und warteten darauf, dass sie nahe genug an die winzige Insel kommen würden, die sich plötzlich vor ihnen aus dem Meer erhob.
So schnell, dass Jack gar nicht wusste, wie ihm geschah, hatte Gibbs bereits ein Beiboot klargemacht, in welchem Salaman der Inder bereits auf ihn wartete, um ihn an Land zu rudern. „Muss das wirklich sein?“, versuchte er sich noch aus seiner Situation herauszureden, doch Gibbs kannte kein Erbarmen.
Resolut schob er Jack auf die Strickleiter zu, die backbord an der Queen Anne herunter hing und im Beiboot endete. „Keine Ausreden, Jack! Ich bin auch nicht besonders froh darüber, dass du nun der einzige bist, der unser Schicksal wenden kann.“ Der Angesprochene warf dem alten Mann nur einen bösen Blick zu, bevor seine Stiefelspitzen über das Deck hinaus schauten und er sich in letzter Sekunde noch an der Reling festhalten konnte, bevor er mit sehr wenig Eleganz im Wasser gelandet wäre.
Mit einem entschlossenen Zucken seiner Schultern schüttelte er Gibbs’ Hände ab. „Schon gut, ich gehe. Aber ich erwarte Rum, wenn ich wieder da bin.“
„Den sollst du bekommen. Und jetzt geh!“ Und da nicht nur Gibbs, sondern auch der Rest der ein Dutzend Köpfe starke Mannschaft auf ihn blickten, ließ Jack sich auf die oberste Sprosse der Leiter herab sinken.
Mit ein paar kräftigen Schlägen hatte der Inder ihn schnell auf der Insel ausgesetzt. Nun wartete er schweigend und mit verschränkten Armen. „Ich vermute, dass ich dich nicht dazu bewegen kann, an meiner statt zu gehen, oder?“, wagte Jack einen letzten Versuch, doch er erhielt nur weiteres Schweigen als Antwort. „Verstehe.“ Mit eingezogenem Kopf betrat er die Insel, sein Stiefel sank dabei in den weichen Sand ein und sofort spürte er die Hitze durch seine dünnen Sohlen. Ob Angelica das überhaupt überlebt hatte die ganze Zeit über? Selbst mit Wasser wäre es kein Leichtes gewesen, diesen Temperaturen auf Dauer standzuhalten. Was, wenn sie nun gestorben war? Würden sie ihr Blut dann trotzdem noch nutzen können?
Als er ein paar Schritte gegangen war und noch keine laute Frauenstimme hatte hören können, wurde er etwas mutiger. Er legte seine beiden Hände trichterförmig um seinen Mund und rief Angelicas Namen. Immer tiefer drang er in das Innere der Insel vor, was nicht besonders groß war. So brauchte er auch nicht lange, um festzustellen, dass sie völlig leer war. Nur ein paar Spuren im Sand zeugten davon, dass er tatsächlich die richtige Insel erwischt hatte.
„Das ist unmöglich“, sagte er zu sich selbst und setzte zu einer zweiten Umrundung an. Doch auch dieses Mal brachte ihm das nicht mehr Glück. „Wie kann sie von der Insel verschwunden sein?“ Doch selbst die beste Erklärung wollte ihm nicht gestatten zu glauben, dass es tatsächlich wahr war. Selbst wenn es hier in der Nähe Schildkröten gegeben hätte, wäre das noch nicht Grund genug zu glauben, sie hätte es fertig gebracht und die Tiere dazu bewegt, sie von dieser Insel ans Festland zu tragen. Schwimmen war ebenfalls unmöglich. Und ein Schmugglerversteck war das hier auch schon lange nicht mehr.
So sehr er es auch drehte und wendete, es nützte nichts. Die Tatsache, dass Angelica nicht mehr auf der Insel war, auf der er sie zurück gelassen hatte, blieb.