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Kapitel 19

~ Schlacht um die Menschheit 

 

Die Zeit, die wir auf dem Schiff verbrachten, bis wir Osgiliath erreichen würden, fristete ich meinem Training. Und von Stunde zu Stunde wurde ich besser. Allerdings brachte es mich jedes Mal völlig aus dem Konzept, wenn Legolas mir anerkennend zulächelte, weil meine Kraft langsam zurückkehrte und ich ihm nun endlich wieder ebenbürtig war. Nicht, dass ich es nicht genossen hätte, die Anerkennung zu bekommen. Doch ich wusste einfach nicht, wie ich seine Gefühle einschätzen sollte, geschweige denn meine eigenen. Und immer noch hatte ich diese Angst im Hinterkopf, dass Haldir sich an ihm rächen könnte, weil er sich an seiner Verlobten vergriff. Auch wenn ich eigentlich nicht an derartige Geschichten glaubte, schienen mir die Träume in jeder Nacht ziemlich real.

 

Dann endlich kam die weiße Stadt in Sicht. Die glitzerte wie ein Dorn in der Sonne. Doch der Moment der Erleichterung wich jähem Entsetzen, als wir den Schlachtlärm hörten, schon lange bevor wir die Gesichter auf dem Pelennor erkennen konnten. Hoffentlich kamen wir nicht zu spät. Ich hoffte so sehr, dass wir noch helfen konnten, dass ich ganz vergaß, zurückhaltend zu sein. Aus Angst um unsere Gefährten, die schon die Schlacht in beiden Lagern, Rohan und Gondor, schlugen, und denen gegenüber, die noch an meiner Seite waren, griff ich nach Legolas’ Hand und drückte sie fest. Vielleicht würde dies das letzte Mal sein, dass wir so zusammen kamen. Vielleicht würden wir uns aus den Augen verlieren und jeder müsste einsam sterben. Davor hatte ich Angst: nicht da zu sein, wenn einer der Freunde, die ich in den letzten Monaten gewonnen hatte, sein Leben lassen müsste.

 

Das Schiff legte an der Hafenmauer an und eine Horde Orks schien die Korsaren schon erwartet zu haben. Ich hörte, wie einer von ihnen etwas sagte: „Zu spät, wie immer, das Piratenpack. Hier gibt es Messerarbeit zu erledigen. Kommt schon, ihr Seeratten. Runter von euren Schiffen.“ Ich atmete noch einmal tief durch, versuchte mich zu sammeln, dann blickte ich Aragorn an. Er gab das Kommando. Und auf seinen Wink hin sprangen wir über die Reling auf das Festland. Kurz blieben wir stehen, dann stürmten wir mit erhobenen Schwertern auf die Angreifer zu, die erst ein verdutztes, dann ein hämisches Gesicht aufsetzen. Als sie jedoch hinter uns die Geister sahen, wie sie von den Schiffen kamen, stand ihnen blanke Angst in den Augen. Sie wichen vor uns zurück, stolperten. Dann stürzten wir uns gemeinsam in den Kampf.

 

Mein Schwert durchschlug den ersten Arm eines Orks und sein dunkles Blut durchtränkte den Stoff meines Mantels und hinterließ dabei einen grässlichen Geruch. Ekel wallte in mir hoch, doch ich konnte es schnell wieder unterdrücken, bevor ich mich übergeben musste. Als der zweite Feind tot zu Boden ging, hatte ich mich wieder daran gewöhnt und kämpfte weiter. Nachdem ich ein paar Feinde getötet hatte, fühlte ich, dass mein Arm schwer wurde. Gerade noch rechtzeitig konnte ich verhindern, dass eine stumpfe Klinge mich durchfuhr, dann schlug ich auf dem Boden auf. Wütend stemmte ich mich wieder hoch, sah, dass Legolas meinen Angreifer erschlug und plötzlich war der Schmerz weg. Er wollte mir schon seine Hand reichen, doch ich zwinkerte ihm nur zu und erhob mich ohne Probleme. Das Adrenalin pumpte durch meine Adern und ließ alle Bedürfnisse nach Ruhe und Schlaf verschwinden. Schließlich kämpften Legolas und ich Seite an Seite.

 

Sein Rücken lag an meinem, ein seltsam vertrautes und doch fremdes Gefühl. Wir schwangen unsere Schwerter, als hätten wir gelernt, gemeinsam zu kämpfen, und ich konnte hörte, wie er leise mitzählte, wie viele er schon getötet hatte. Ich für meinen Teil hatte nicht vor, mich an diesem Spiel zwischen ihm und Gimli zu beteiligen. Es erschien mir schon in Helms Klamm ziemlich albern. Doch wenn so ein einfaches Spiel dazu fähig war, beiden das Leben zu retten, konnte es nur gut sein.

 

Als wir uns ein wenig freigekämpft und einige Lücken in die Reihen der Orks und Uruk-hai geschlagen hatten, ließ ich meinen Blick über das Schlachtfeld gleiten. Bekannte Gesichter fand ich nicht in dem Gewühl, nur die, die mir am nächsten waren und das waren Aragorn, Gimli und Legolas. Doch etwas weiter hinten konnte ich eine schwarze Gestalt auf einem geflügelten Untier erkennen, die einen Morgenstern schwang. Sofort wusste ich, dass es der Hexenkönig war.

 

Sein Ross warf gerade einen Reiter samt Pferd zu Boden. Wer es war, konnte ich auf die Entfernung nicht ausmachen. Also versuchte ich mich etwas in seine Richtung vorzukämpfen, doch es gelang mir nicht so richtig. Plötzlich ertönte ein hoher Schrei, der mich zum Schwanken brachte, und ein schwarzer Schatten fiel auf mich. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mein Langschwert hochreißen und den Angreifer aus der Luft abwehren. Ich schlug dem Flügelwesen, welche den Nazgûl dienten, einen Fuß ab und es taumelte vor Schmerz zu Boden. Noch bevor sein Herr begriffen hatte, was geschah, schlug ich den hässlichen Kopf vom geflügelten Rumpf. Dampf stieg aus dem abgeschlagenen Stumpf hervor und ich musste würgen. Auf so etwas war ich nicht vorbereitet gewesen.

 

Doch auf das, was jetzt kam, war ich gefasst. Der Nazgûl stieg von seinem zuckenden Reittier ab und zog sein Schwert. Mit seiner schneidende Stimme sagte er: „Endlich haben wir dich gefunden.“

 

Ich lachte. „Ihr habt mich gesucht? Dann muss ich eurem Herrn ja ziemlich wichtig sein.“

 

„Du hast es damals vorausgesehen. Deswegen schickte man dich über das Meer. Um dich auf diese Begegnung vorzubereiten.“ Wenn es nicht ein durch und durch böses Wesen gewesen wäre, das nun vor mir stand, hätte ich beinahe gedacht, dass es zitterte vor Aufregung, mit der Aussicht, mich töten zu können. Ich hatte bis dahin keine Ahnung gehabt, dass der Dunkle Herrscher wusste, dass ich überhaupt existiere. Also hatte er es doch gespürt, als sich unsere Geister vor über 4.000 Jahren berührten. Doch wie konnte das sein? Wie nur hatte es geschehen können, dass sich unsere Gedanken mischten? So weit mir bekannt war, gab es einen solchen Fall noch nicht in der Geschichte der Elben. Verbundenheit durch Liebe, darüber gab es viele Geschichten. Aber Verbundenheit zweier Geister, die sich bis dahin noch nie begegnet waren und sich hassen mussten?

 

Vielleicht war es eine Fügung der Götter gewesen, die das empfindliche Gleichgewicht in ihrer Welt wahren wollten. Aber vielleicht war es auch nur Zufall. Was auch immer es gewesen sein mochte, hatte mich schließlich hierher geführt, auf die Felder vor der Hauptstadt der Menschen, Minas Tirith, und vor das Angesicht meines Feindes. Wenn ich jetzt nicht kämpfte, wären meine Ausbildung und all der Schmerz, den ich erduldet hatte, umsonst gewesen. Also streifte ich den Mantel, den ich noch aus Lórien mitgenommen hatte, ab und ging in Kampfposition. Wenn er mich töten wollte, sollte er es nur versuchen.

 

Er ließ ein Geräusch hören, das verdächtig nach einem Lachen klang, doch genau zuordnen konnte ich es nicht. Mein Herz Schlug wie wild, als er einen Schritt auf mich zumachte, und Schweiß trat mir auf die Stirn. Doch ich war entschlossen, diesen Kampf zu bestreiten. Wenn ich starb, gab es andere, die meine Aufgabe erfüllen konnten. Ich musste auch gestehen, dass ich in diesem Moment mir ein wenig wünschte, sterben zu können. Doch wenn es in meiner Macht stand, würde ich ihn aufhalten. Und danach würde ich mir den Hexenkönig persönlich vornehmen.

 

Seine schwarze Klinge sauste auf mich hernieder, doch ich konnte sie mit meinem Schwert abblocken. Die Vibrationen des heftigen Schlags durchfuhren mich von meinen Armen bis in die Haarspitzen und ich ging in die Knie. Er ließ wieder sein hohles Lachen hören. Scheinbar ohne große Anstrengung erhöhte er den Druck auf meinen Arm und ich musste die linke Hand ebenfalls an den Schwertknauf legen, um nicht gegen ihn zu verlieren.

 

Das allerdings war ein großer Fehler, denn schon nach kurzer Zeit spürte ich den Atem der Nazgûl, wie er mir über das Gesicht und den Nacken strich und mich schwächte. Meine Arme, doch besonders mein linker, zitterten vor Anstrengung und Schweiß rann mir nun den Rücken hinab. Ich stieß ein Stöhnen aus. Dann hatte ich eine Idee. Ich ließ mich nach vorne fallen und rollte sogleich zur Seite. Dabei hörte ich, wie die Klinge in den Boden hinter mir einschlug, wo ich noch zwei Augenblicke zuvor gekniet hatte. Ich nutzte seine Verwirrung und schlug zu.

 

Der Stoff seiner Kutte fiel zu Boden. Ich hatte ihn genau an der Schulter erwischt, doch anstatt eines blutenden Stumpfes schaute nur Leere aus dem Loch, wo sein Arm hätte sein sollen. Ich erschrak leicht, fasste mich aber schnell wieder, bevor er zuschlagen und mich verletzen konnte.

 

Jemand brüllte meinen Namen, doch ich konnte mich jetzt nicht ablenken lassen. Der Stimme nach hätte es Legolas gewesen sein können. Hoffentlich würde er sich nicht mit in den Kampf werfen. Das war meine Angelegenheit, dies musste ich alleine regeln. Und das würde ich auch. Der Nazgûl hatte mir gesagt, dass der Schwarzer Herr des Dunklen Landes nach mir gesucht hatte. Doch warum? „Was will dein Herr von mir?“, rief ich über den Schlachtlärm hinweg, als ich ihn mir gerade ein paar Sekunden vom Leib halten konnte.

 

Der Nazgûl lachte. „Das weißt du nicht? Ich glaubte, dass Elben sich immer damit brüsten, alles zu wissen.“ Er wartete ab, schlug ein paar Mal halbherzig nach mir, dann setzte er die Schwertspitze auf den Boden und lehnte sich auf den mit Blut verschmierten Schwertknauf. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, sodass ich alles viel schärfer wahrnahm: das Geschrei der Kämpfenden hallte lauter in meinen Ohren wider; der Gestank der Toten stach mir in die Nase und trieb mir die Tränen in die Augen; das getrocknete Blut auf meiner Haut ließ mich Ekel für mich selbst empfinden; und der Eisengeschmack meines eigenes Blutes auf meiner Zunge ließ mich würgen.

 

Um uns herum hatte sich ein Ring aus toten Körpern gebildet, der als Mauer agierte. Niemand wagte diesen Platz zu betreten. Das Kampfgetümmel tobte um uns herum, doch ich versuchte alles auszublenden, mich nur auf meinen Gegner zu konzentrieren, auf das, was er sagen würde.

 

„Damals, als der Herr des Dunklen Landes seinen Ring der Macht schmiedete, hatte er eine Vision, wie die Elben ihm seinen Schatz nehmen würden. Zu tief sitzt auch heute noch die Angst, die die Hochelben bereits im Herzen seines Herrn Morgoth säten. Und als er dein Gesicht sah, in dem Moment, als sich eure Träume berührten, wusste er, dass du es sein würdest, die den Ring finden würde. Mein Herr suchte von da an nach dir, doch deine Eltern schickten dich an den einzigen Ort, den mein Herr nicht erreichen konnte. Jetzt aber bist du wieder hier und die Belohnung für deinen Kopf wird groß sein!“ Mit diesen Worten schlug er zu.

 

Meine Welt explodierte und drehte sich, bis mir ganz schwindlig wurde. Wie konnte Sauron annehmen, dass ich den Ring hatte? Er hatte die Hobbits gefangen nehmen lassen. Wenn er glaubte, dass die Zauberer ihn nicht hatten, wie konnte er glauben, ich hätte ihn?

 

„Ich spüre deine Unsicherheit“, sagte er und wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gedacht, dass er grinste. „Glaubst du, der Herr würde dich in offener Schlacht schlagen? Dass dein Verlobter mit in die Schlacht gezogen ist und dass er fiel, ist sicher kein Zufall gewesen. Nichts, was bisher in diesem Krieg passierte, war Zufall.“

 

Langsam begann ich zu begreifen. Als sie Gollum gefangen und gefoltert hatten, glaubte Sauron zunächst, dass er sich geirrt haben musste. Ein so armseliges Geschöpf konnte leicht den Verstand verlieren. Doch die Nazgûl fanden den Ring nicht im Auenland. Die Hobbits flohen nach Imladris, wo ich zu ihnen stieß. Er musste danach geglaubt haben, dass man mir den Ring bringen wollte. Die Hobbits waren von Saruman verschleppt worden, der den Plan dank der engen Freundschaft zu Gandalf besser durchschaut hatte. Und dieser hatte sein Wissen natürlich nicht mit seinem Herrn geteilt, um ihm dann nachher stolz den Ring bringen zu können, oder ihn wohlmöglich selber gegen ihn einzusetzen. Doch weil Sauron immer noch glaubte, dass seine Vision wahr werden würde, schickte er seine Armee und seine schwarzen Diener hierher. Weil Sauron glaubte, dass man mir den Ring anvertraut hatte, hatte Haldir sterben müssen.

 

Einerseits erschien es mir als eine Erleichterung, dass es nicht mein Schicksal war, dass die Menschen in meiner Nähe starben, sondern nur die Blindheit eines Mächtigen. Doch andererseits war ich wütend, dass mein Verlobter eines Missverständnisses wegen getötet wurde. Das Auge sah wohl doch mehr, als wir dachten. Doch sah es dann nicht auch, dass der Ring nun auf den Schicksalsberg zusteuerte?

 

Mit einem Schrei ging mein Gegner wieder auf mich los. Doch meine plötzlich aufkeimende Wut über das ganze Geflecht an Lügen und Intrigen entlud sich in meinem nächsten Schlag, der meinen Gegenüber in die Knie gehen ließ. Dies machte mir neue Hoffnung, dass ich doch nicht so schwach war, wie ich dachte. Ich ging nun stärker zu Angriffen über, während der Nazgûl noch am Boden lag. Aber trotz meiner hohen Deckung konnte ich keine Chance sehen, in erneut zu verletzen. Wenn es ihm überhaupt weh getan hatte.

 

Schließlich kam er in einem unachtsamen Moment meinerseits wieder auf die Füße. Jetzt überragte er mich um beinahe zwei Haupteslängen und ich musste mich nun mit der niedrigeren Kampfposition abfinden. Ich versuchte einen Tiefschlag auf die Beine, doch dafür kassierte ich einen heftigen Hieb mit dem Schwertknauf, der mich zurücktaumeln ließ. Schmerz pochte in meiner Stirn, doch ich ignorierte es. Dann sah ich vor meinem geistigen Auge Haldir erneut sterben, immer und immer wieder, bis ich meinen Gegner nur noch als Schatten vor mir sah.

 

Immer schneller schlug ich zu, dort, wo ich meinen Feind vermutete. Wenn er mich mit dem Schwert schnitt, spürte ich es nicht. Das einzige, was ich wahrnahm, waren die unerträglichen Schmerzen in meinem Herzen, das zerbrochen war und nun zerschmettert wurde. Tränen nahmen mir die Sicht, den Lärm hörte ich plötzlich nicht mehr, als wäre ich taub geworden. Ich wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war. Alles schien ein einziges Wirrwarr aus Farben und Formen zu sein, bis ich nur noch Haldirs Blut sah.

 

Ich war wie von Sinnen. Ich wusste nicht mehr, wer ich war, wo ich war und was ich tat. Ich hielt inne, mein Feind stand drohend vor mir, eine schwarze Gestalt umgeben von rot. Ich blickte ihm direkt in sein von Hohn verzerrtes Gesicht und rammte ihm die Spitze meines Schwertes mitten hinein in seine Grimasse.

 

Jemand packte mich von hinten bei den Unterarmen und löste meinen Griff vom Schwert. Meine Welt bestand nur noch aus Leid und Blut, dem Blut meines Verlobten und meinem Leid.

 

Dann wurde ich geschüttelt, mein Kopf flog zur Seite, schließlich drückte man mich nieder. So blieb ich, immer noch taub und blind vor Wut und Trauer, in mich zusammengesunken sitzen.

 

Endlich, nach einer unendlich langen Zeit, wich das Rot und zurück blieb nur die Dunkelheit. Ich hatte das Gefühl zu schweben. Alle meine Sorgen waren mit einem Mal wie weggewischt. Federleicht glitt ich durch Raum und Zeit und Schwärze bettete mich ein wie in weichen Samt. Alles war angenehm warm, ich fühlte mich gesund und ein wenig schläfrig. Doch ob ich die Augen geschlossen oder offen hatte, machte keinen Unterschied. Alles war egal und alles war gut.

 

Als ich so eine Zeit lang vor mich hingetrieben war, tauchte plötzlich weit vor mir ein Licht auf. Fasziniert sah ich zu, wie es flackerte und steuerte darauf zu. Als ich näher heran gekommen war, merkte ich, wie es immer wärmer wurde. Ich fühlte die Hitze erst auf meinem Gesicht, dann auf dem Rest meines Körpers, als wäre ich nackt. Doch diese Erkenntnis traf mich nicht. Ich hatte das Gefühl, dass es so sein musste. Dann hörte ich eine so liebliche Stimme, die in einem leisen Ton sang, dass ich nicht anders konnte, als weiter darauf zuzusteuern, denn ich wollte hören, was die Stimme sagte.

 

Nun, da das Licht immer größer wurde, wurde auch die Stimme lauter. Sie wiederholte immer nur fünf Worte, aber ich konnte sie nicht verstehen. Ich musste näher heran. Jetzt wurde das Licht langsam zu einem Tunnel und ich fürchtete mich erst, hineinzugehen. Doch schließlich siegte meine Neugier. Ich ging hinein und rief eine Grußformel, erhielt aber keine Antwort. Vielleicht konnte die Stimme mich noch nicht hören. Ich musste noch näher heran.

 

Endlich konnte ich hören, dass es ein Mann war, der sang. Es war ein freundliches Lied, doch in seiner Stimme lag tiefe Trauer. Ob er traurig war, weil er jemanden verloren hatte? Vielleicht konnte ich ihn trösten, denn ich hatte ganz tief in meinem Herzen das Gefühl, dass ich wusste, wie es war, jemanden zu verlieren.

 

Da war etwas, was sich aus dem Licht schälte. Es war ein Gesicht mit blauen Augen und blonden Haaren. Ich kannte dieses Gesicht, aber ich wusste nicht woher. Ich wusste nur, dass ich zu ihm wollte. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und berührte das Gesicht. Dann spürte ich einen heftigen Sog, der an meinem gesamten Körper zerrte.

 

~*~*~*~

 

Ein gellender Schrei flog über das Schlachtfeld und ließ Mann und Monster erzittern, als der Geist des Bösen über uns hinweg glitt. Dann erbebte die Erde.

 

Ich blickte mich um und sah ein riesiges graues Ungetüm auf mich zusteuern. Völlig entsetzt von diesem Anblick konnte ich mich nicht rühren. Ich starrte das Monster an und dachte, es wäre aus einem Traum entsprungen.

 

Aus weiter Ferne konnte ich Aragorn Legolas’ Namen rufen hören. Dann wurde ich zur Seite gestoßen und fiel zu Boden. Dort blieb ich liegen, mit dem Gesicht im Gras. Irgendwann hörte ich wie Gimli rief: „Der zählt trotzdem nur als einer.“ Dann wurde mir aufgeholfen. Taumelnd blieb ich stehen, immer noch zutiefst verwirrt.

 

Bald waren keine Feinde mehr da und das Schlachtfeld leerte sich. Der Boden war bedeckt mit toten Leibern, Schwertern und Speeren, sodass es schwerfiel, sich zu bewegen. Auf Gimli gestützt stolperte ich über die Ebene, auf Aragorn zu. Ihm gegenüber stand der Geisterkönig, der sagte: „Lasst uns frei.“ Noch immer jagte seine Stimme, die aus einer anderen Welt zu kommen schien, einen Schauer nach dem anderen über meinen Rücken.

 

Gimli erwiderte, mit versteckter Frucht in der Stimme: „Lieber nicht. Wenn’s drauf ankommt, sind sie nicht übel, die Kerle, auch wenn sie eigentlich tot sind.“ Im Grunde hatte er Recht, doch es wäre unfair gewesen, sie jetzt noch abzuweisen, wo sie die Schlacht für uns gewonnen hatten. Auch der Geisterkönig war nicht erfreut über diese Äußerung. „Ihr habt uns Euer Wort gegeben“, zischte er.

 

Aragorn jedoch hatte ein weiches Herz. Er hatte sie darum gebeten, für ihn zu kämpfen, wenn er sie im Gegenzug dafür erlösen würde. Sie hatten ihr Wort gehalten, also würde er jetzt auch seines halten. „Ich sehe Euren Eid als erfüllt an. Geht. Findet Ruhe.“ Und auf seine Worte hin verschwanden die Geister wie Nebel, der vom Wind davon getragen wird.

 

Als ich mich umblickte und die Toten vor mir liegen sah, sank mir das Herz. Hatten unsere Freunde überlebt? Ich blickte ich suchend um, doch nur Aragorn, Gimli und Legolas waren bekannte Gesichter. Alle anderen kannte ich nicht. Es waren Soldaten Rohans oder Gondors, die alle keine Namen hatten. Unter den Helmen konnte man kaum ihre Gesichter erkennen. Würden ihre Familien in der Heimat jemals erfahren, was mit ihnen geschehen war? Oder war die Masse der Toten zu viel, um jedem einen Grabstein geben zu können?

 

Es machte mich traurig, wenn ich daran dachte, dass alle, die hier im Namen einer größeren Sache gestorben waren, namenlos in der Erde verscharrt werden würden. Wenn wir unsere Gefährten fanden, würden wir wenigstens sie ehrenvoll begraben können.

 

In Gedanken legte ich mir schon Grabesworte für unsere Freunde zurecht, doch dann sah ich sie: Gandalf und Pippin standen vor uns und wirkten genauso erleichtert, wie ich, als sie sahen, dass wir überlebt hatten. Ich nahm Pippin in den Arm und drückte ihn fest an mich. Dabei fiel mir erst gar nicht auf, dass er nun die Tracht von Gondor trug. Ich war nur erleichtert, dass sie wenigstens überlebt hatten, dass ich weinte.

 

Als wir gemeinsam nach Überlebenden suchten, erzählte Gandalf mir, was geschehen war in der Zwischenzeit. Ich konnte es fast nicht glauben, als er mir berichtete, dass Pippin das Leben von Boromirs Bruder Faramir gerettet hatte, der von seinem eigenen Vater lebendig verbrannt werden sollte. Unser kleinster Hobbit war ein Held geworden.

 

Nun streiften wir gemeinsam über den Pelennor, auf der Suche nach Überlebenden. Viele fanden wir nicht. Doch diejenigen, die wir fanden, brachten wir in die Stadt. In den Häusern der Heilung sollten ihre Wunden genesen. Nie würden sie diese furchtbaren Tage voll Strecken, Schmerz und Schande vergessen können, doch ebenso würden sie die Erinnerung eines großen Sieges in sich tragen und noch ihren Kindeskindern davon erzählen können.

 

Ich ging mit Pippin, mein Schwert als Stütze nutzend. Unsere Blicke hingen am Boden. Als wir einen Mann am Boden sahen, dessen abgetrennter Arm neben ihm in eine Richtung zeigte, folgten wir dem Fingerzeig und fanden einen elbischen Mantel. Die Brosche daran stammte aus Lórien. Ich überlegte. Jeder der Gefährten hatte so einen erhalten. Boromir war tot; Frodo und Sam waren auf dem Weg zum Schicksalsberg; Legolas, Gimli, Aragorn, Gandalf und Pippin waren bei mir. Dieser hier konnte nur Merry gehören.

 

Ein schmerzerfüllter Schrei drang über das Feld an meine Ohren. Ich sah wie Éomer in die Knie ging und eine Person, die wie tot wirkte, in den Armen wiegte. Als ich das rotblonde Haar sah, wusste ich, dass es seine Schwester Éowyn sein musste. Wie sonst hätte Merry hierher kommen können, wenn sich nicht ein Reiter mit ihm belastet hätte. Es war nicht schwer zu erraten, wer ebenfalls in die Schlacht hatte ziehen wollen, aber nicht gelassen wurde. Hatte sie nun für diese Torheit mit ihrem Leben bezahlt? Hatten sie beide, die Schildmaid und der Hobbit, mit ihrem Leben bezahlt, weil sie ihre Freunde hatten retten wollen?

 

Man brachte Éowyn in die Häuser der Heilung, wo sich Aragorn höchst selbst um sie kümmerte. Auch ich wurde dorthin gebracht, da sich der Bruch in meinem Arm wieder aufgetan hatte. Ich wehrte mich aufs Heftigste, strampelte gegen Legolas an, der mich dorthin trug, und ließ mich nicht niederlegen. Ich schrie, doch niemand erhörte mich. Schließlich stellte Aragorn mich mit einem Saft aus der Mohnblume ruhig. Augenblicklich sank ich in den tiefsten Schlaf, den ich jemals in meinem Leben genossen hatte. Ich bekam nicht mehr mit, wie Pippin seinen Freund schließlich doch noch lebend wiederfand.

© by LilórienSilme 2015

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