LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 18
~ Rain in May
Feeling down when the Autumn has come
Clouds are grey and there’s Fog outside
Der Mai kam mit Regen. Das trübe Wetter passte sich scheinbar der Stimmung an, die im Atelier von Joe herrschte, denn pünktlich zum Start der Dreharbeiten in Bruchtal war natürlich das erste Kostüm kaputt gegangen. Der Schauspieler von Lindir war mit seiner Robe an einem überstehenden Nagel vom Set hängen geblieben, hatte es nicht bemerkt und sich daraufhin den kompletten unteren Teil abgerissen. Genervt betrachtete Joe das Malheur und wünschte sich, sie hätte sich heute krank gemeldet.
Schon seit zwei Tagen plagte sie ein pochender Kopfschmerz in der Stirn, der es ihr nicht leicht machte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Doch am Montag würde Cate Blanchett zum ersten Mal ihr Galadriel-Kostüm anprobieren und dafür musste alles perfekt sein. Schon seit zwei Wochen war sie so aufgeregt wegen diesem Termin, dass sie kaum etwas gegessen und selten geschlafen hatte. Was vermutlich die Ursache für diesen blöden Kopfschmerz war.
Sie hasste sich selbst für ihren Perfektionismus, aber auch das war eine Sache, bei der sie einfach nicht über ihren Schatten springen konnte. Ihre Unsicherheit anderen Menschen gegenüber sorgte nur noch mehr dafür, dass sie alles mehr als nur gut machen wollte. So würde sie vielleicht Anerkennung erhalten und ihre Schüchternheit wettmachen können.
Deswegen war sie heute besonders früh aufgestanden, damit sie zum Drehbeginn etwa um 9 Uhr fertig war mit Lindirs Mantel. Pete hatte sie erneut ans Set rufen lassen, falls so etwas noch einmal passieren sollte, was sie allerdings am liebsten abgelehnt hätte. Doch wie immer hatte ihr dazu natürlich der Mut gefehlt. Deswegen würde sie vermutlich wieder, wie die letzten Tage auch, die Mittagspause nutzen müssen, um noch einmal letzte Handgriffe an Galadriels Garderobe zu legen.
Um kurz vor 9 war sie tatsächlich fertig, steckte das Kostüm in einen Kleidersack, da es draußen regnete, und machte sich auf den Weg in die Stage. Ihre Haare hatte sie zu einem schnellen Dutt gedreht, den sie nun unter die Kapuze ihres Pullis schob. Ihre Beine steckten in einer Jogginghose, die sie heute Morgen um kurz vor 5 nur schnell aus dem Berg von frisch gewaschener Wäsche gezogen hatte. Der Pulli, den sie trug, war der ihrer Uni und ihr mindestens drei Nummern zu groß. Doch er war dem Wetter angemessen warm und sie konnte sich darin verstecken, wenn es nötig war.
In der Stage angekommen schüttelte sie sich kurz, um das überschüssige Wasser loszuwerden. Dann suchte sie Bret McKenzie, der zwar schon seine Perücke und die Ohren trug, aber ansonsten noch in Zivil war.
Er hatte sich in eine Ecke der Stage zurückgezogen und murmelte elbische Sätze vor sich hin, als Joe auf ihn zukam. „Oh man“, stöhnte er, „das kriege ich nie hin!“ Er wirkte leicht verzweifelt und bemerkte die Kostümdesignerin erst, als sie mit dem Kleidersack vor ihm zum Stehen kam. Daraufhin hellte sich seine Miene jedoch auf. „Ist es mein Mantel?“
Joe nickte stumm und öffnete den Reißverschluss. Sie zog das gute Stück hervor und reichte ihn Bret. Der Schauspieler hatte bereits in Der Herr der Ringe den Lindir gegeben, hatte da jedoch eine kaum erwähnenswerte Rolle gehabt. Dieses Mal würde er die Zwergengemeinschaft in Bruchtal begrüßen dürfen und sogar eine kleine Szene mit Hugo Weaving zusammen spielen.
Elrond war schon komplett angezogen. Er trug eine Rüstung der Elben und den silbernen Stirnreif, den er bereits in der Trilogie getragen hatte. Er witzelte mit Pete rum, der ihm noch ein paar Anweisungen gab. Später würde er sich dann auf ein Pferd schwingen und die Zwerge mit seinen Männern einkreisen müssen.
Noch herrschte ein heilloses Durcheinander am Set. Überall liefen die Zwerge in ihren Kostümen durch die Gegend; ein Stuntdouble von Gandalf, was Joe um mindestens einen Meter überragte, stand in der Ecke und schaute belustig unter seinem grauen Hut hervor. Aidan und Adam hatten es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, Stephen in seinem Bombur-Kostüm zu ärgern, indem sie ihm ständig den Stecker für seine Kühle herauszogen, wenn er nicht hinsah. Nach zwei Minuten, wenn er dann wieder anfing zu schwitzen, konnte man hören, wie er nach den beiden rief, sie sollen ihn wieder anstöpseln. Meistens waren sie dann aber schon wieder irgendwo untergetaucht.
Richard Armitage hatte sich eine Ecke zurückgezogen und schien zu meditieren. Und weil Joe nichts besseres einfiel, gesellte sie sich zu ihm. Sie stellte sich stumm zu ihm und schaute in dieselbe Richtung wie er, bis ihr auffiel, dass er gar nicht richtig dorthin sah, sondern dass seine Gedanken gerade an einem völlig anderen Ort waren. Er bemerkte sie erst richtig, als sie schon eine Weile neben ihm gestanden hatte.
„Hi Joe“, sagte er und lächelte direkt. Die angespannten Züge um seine Mundwinkel verflüchtigten sich und auch seine Stirnfalten glätteten sich, als er sie endlich direkt ansah. „Schön, dass du heute wieder am Set bist. Wie weit bist du mit Galadriels Kleid?“
Es überraschte sie angemessen, dass er das noch behalten hatte vom letzten Mal. Doch scheinbar konnte man an nichts anderes mehr denken, wenn man erst einmal dieses Kleid gesehen hatte. Zum Glück war heute Freitag und sie würde das Wochenende genießen können, indem sie vielleicht mal an etwas anderes dachte. Emily wollte mit ihr eine Kleinigkeit unternehmen, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Hoffentlich würde ihr das gelingen. Denn vermutlich würde Joe sonst noch verhungern bis Montag.
Sie senkte den Blick wieder, als er sie fragte. „Fast fertig“, sagte sie leise, aber Richard hörte sie gut.
„Das ist schön. Das freut mich für dich.“ Er blickte kurz in die Richtung der anderen. Sie hatten sich mittlerweile daran gewöhnt, dass er vor einer Szene seine Ruhe brauchte, um sich in Thorin einfinden zu können. Als er Aidan sah, kam ihm eine Idee. „Hast du heute Abend schon etwas vor?“
Verdutzt ruckte ihr Kopf ein Stück nach hinten, als hätte sie sich vor etwas sehr erschreckt. Wollte er etwa mit ihr ausgehen? Er war doch viel zu alt für sie. Sie konnte nur hoffen, dass es das nicht war.
Und sie sollte Recht behalten. Schnell lenkte er ein, als er ihren skeptischen Gesichtsausdruck sah. „Nicht, was du jetzt vielleicht denkst“, lächelte er. „Aidan schmeißt eine Grillparty und ich dachte, du könntest vielleicht auch kommen.“ Die Idee war ein spontaner Einfall gewesen und wohlmöglich nicht der beste. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie tat ihm immer so leid, wenn sie sich von allem abkapselte. Er wollte ihr zeigen, dass es auch anders ging, dass es nicht schwer war, sich mit anderen Menschen zu unterhalten und sich mit ihnen zu treffen.
Doch irgendwie schien das ein großes Problem für sie zu sein. Soweit er wusste hatte sie mit niemandem aus ihrem beruflichen Umfeld privat Kontakt. Nur Emily, die im Moment noch bei ihr wohnte, schien sie einigermaßen als Freundin zu bezeichnen. Aber sonst sah er sie immer nur alleine über das Studiogelände huschen. Dabei versuchte sie meist möglichst unauffällig zu sein, damit auch ja niemand bemerkte, dass sie da war.
Dabei war sie eine so interessante Persönlichkeit! Sie war klug und kreativ, hatte Humor und Anstand, und sie war sogar ziemlich hübsch. Für jemanden mit einem ausgewachsenen Beschützerinstinkt war sie perfekt, da sie mit ihrer geringen Körpergröße und den blonden Engelshaaren wie das niedliche kleine Mädchen von nebenan aussah. Doch ihrer Soziophobie war ihr so dermaßen im Weg, dass sie vermutlich als alte Katzenlady sterben würde, wenn man ihr nicht unter die Arme griff.
Joe hingegen fand diese Idee überhaupt nicht gut. Sie wehrte direkt ab. „Nein, danke. Ich...“, stotterte sie wieder. Sie musste sich auf die Lippe beißen, damit sie weiterreden konnte. Richard eine glatte Lüge vorzusetzen war nicht gerade das, was sie am Besten konnte. „Ich habe heute schon etwas vor.“
„Was denn?“ Neugierig zog er eine Augenbraue hoch. Vermutlich ahnte er, dass sie nicht ganz ehrlich zu ihm war. Eine Ausrede würde er aber nicht akzeptieren, nun da er die Einladung ausgesprochen hatte.
Ganz toll, dachte sie. Jetzt musst du dir auch noch einen blöden Grund aus den Fingern saugen. Hättest du doch mal die Klappe gehalten! Das kannst du doch sonst so gut...
Sie biss sich wieder auf die Unterlippe. „Ich weiß es nicht“, presste sie schnell hervor, bevor sie es sich anders überlegen konnte. „Emily wollte etwas organisieren.“
„Das ist doch gut! Dann bringst du sie eben mit.“
Joe wollte zu einer Erwiderung ansetzen, dich da verkündete Pete, dass nun alles bereit sei. Bret war nun vollständig in Lindir verwandelt worden und die Zwerge hatten sich auf der kleinen Fläche eingefunden, auf der sie später von den Elbenpferden eingekreist werden sollten. Die Proben dazu sollten noch vor der Mittagspause stattfinden.
Als alle auf ihren Plätzen waren, gab Pete das Zeichen für die Kamera. Joe hörte Befehle, die aus einem Walkie Talkie kamen, dann wurde das Licht im Regiezelt gedimmt. Sie selbst hatte davor Platz genommen, weil sie es befremdlich fand, im Halbdunkel mit einer Brille auf der Nase zu sitzen und zu beobachten, was keine zwei Meter von ihr entfernt tatsächlich passierte. Dadurch konnte sie zwar nicht sehen, wie die 3D-Technik wirkte, doch das war ihr auch nicht besonders wichtig.
Nach dem zweiten Take rief einer der Makeup-Leute sie zu sich, weil er befürchtete, dass etwas an Gandalfs Kostüm falsch war. Völlig verunsichert steuerte Joe also auf die Horde von Schauspielern zu, während Pete sie schon überholt hatte und unter ihnen stand. „Was habt ihr kleinen Bastarde wieder angestellt?“, flötete er und befühlte Gandalfs Mantel. „Joe, wo steckst du?“
Er sah sich nach ihr um und mit ihm folgten plötzlich alle Augen am Set, die hier anwesend waren, ihr ebenfalls, wie sie mit wackeligen Knien auf den Regisseur zulief. Jetzt nur nicht stolpern, dachte sie innerlich immer wieder wie ein Mantra und konzentrierte sich beinahe ausschließlich darauf, nun den nächsten Fuß vor den anderen zu setzen. Als sie bei Pete war, hielt der ihr den Mantel von Gandalfs Größendouble hin. „Schau mal, muss das so sein?“
Zögerlich beugte Joe sich herunter. Theoretisch wusste sie, wie das auszusehen hatte, doch praktisch war sie grade viel zu sehr damit beschäftigt, sich beobachtet zu fühlen. Ihr Nacken prickelte von den vielen Blicken, die auf ihr lagen; ihr Atem ging viel zu schnell, dass sie schon befürchtete, gleich ohnmächtig zu werden; ihre Hände und ihre Stirn waren sofort schweißnass. Sie wischte sich die Handflächen schnell an ihrer Jogginghose ab und hoffe dabei, dass es niemand bemerkt hatte, bevor sie den Stoff anfasste.
Beinahe im selben Augenblick spürte sie, dass der Stoff nicht richtig war. Sie wusste erst nicht, woran das lag, weil sie sich nicht wirklich konzentrieren konnte, doch dann fiel es ihr wieder ein. Das Material wirkte auf den ersten Blick viel zu grob und hatte eine viel zu bläulichen Färbung.
„Ähm“, machte sie. Dabei sah sie zu Pete auf. Der beugte sich erwartungsvoll zu ihr herunter. „Kann... Kann ich das bitte einmal...“ Sie brach ab, weil ihr die richtigen Worte fehlten, doch sie zeigte auf das Regiezelt und Pete verstand.
„Ja, sicher! Komm mit.“ Er zog sie zu dem grünen Gebilde hin, schob sie ohne großes Federlesen hinein und drückte sie auf seinen Stuhl. Er reichte ihr eine Brille und bat den Aufnahmeleiter die letzte Aufnahme abzuspielen.
Der Blick durch die 3D-Brille war ungewohnt. Doch nach ein paar Sekunden hatten sich ihre Augen so weit darauf eingestellt, dass sie sich konzentrieren konnte. Nach etwa einer Minute setzte sie die Brille wieder ab und reichte sie Pete. „Danke, ich hab genug gesehen.“
„Und? Ist der Stoff falsch?“
„Nein“, winkte sie ab. „Er wirkt nur so in diesem seltsamen Licht. Auf dem Bildschirm sieht es genauso aus, wie Ann sich das vorgestellt hat. Zumindest, wenn ich es geistig mit ihren Zeichnungen vergleiche. Und der Stoff wirkt so grob, weil das Double auch größer ist. Größerer Mensch, größere Maschen, damit es nachher nicht seltsam aussieht. Verstehst du?“
Pete nickte. „Gut, danke. Dann können wir jetzt weiter machen!“ Den zweiten Satz sprach er wieder in sein Walkie Talkie, was die Leute dazu veranlasste, wieder wild durcheinander zu laufen und sich bereit für den nächsten Take zu machen.
Beim Mittagessen hatte Joe sich glücklicherweise davonstehlen können, bevor Graham sie wieder mitgeschleppt hatte, oder gar Aidan. Richard hatte sie nach der fertigen Aufnahme nicht mehr gesehen. Sie wusste nicht, wo er hin war. Vielleicht erhielt er noch Einzeltraining mit Orkrist. Bisher schwang er es ihrer Meinung nach schon ziemlich gut. Doch das konnte sie nicht beurteilen.
Sie war froh, als sie die Tür in ihrem Atelier schließen konnte, hatte aber kaum einen Bisschen von ihrem mitgebrachten Essen genommen, als die Tür auch schon wieder aufflog und Emily hereinkam. „Hier bist du!“, rief sie aus und warf sich direkt in eine empörte Pose. „Ich hab dich schon überall gesucht.“ Sie lehnte sich auf den Tisch, an dem Joe mit dem einzigen Stuhl saß, und sah sie erwartungsvoll an. „Und, was machen wir heute?“
Joe zuckte die Schultern und schob sich eine Gabel voll Salat in den Mund. „Keine Ahnung“, sagte sie kauend. „Du wolltest dich doch um etwas kümmern.“
„Ja“, antwortete ihre Freundin resignierend, „aber bei dem Wetter kann man ja nichts unternehmen. Sonst hätte ich vorgeschlagen, dass wir mal deinen alten, verstaubten Grill anschmeißen. Der Sommer ist immerhin fast zu Ende.“
Genervt rollte die Blonde mit den Augen. „Was habt ihr nur mit eurem Grillen heute? Hast du dich mit Aidan oder Richard abgesprochen? Ich will da nicht hin!“
„Wohin?“
Oh, Mist!, fluchte Joe. Jetzt hab ich sie auch noch mit der Nase draufgestoßen, ich Esel. Doch laut sagte sie: „Nirgendwohin.“
Emilys Hände schnellten vor und packten die Freundin an ihren dünnen Oberarmen. „Das kauf ich dir nicht ab!“, rief sie aus. Dabei zogen sich ihre Mundwinkel verdächtig nach oben. „Spuck es schon aus: wohin? Wohin? Wohin?!“ Mit jedem Wort schüttelte sie sie so durch, dass ihr der ganze Salat aus ihrer Schüssel schwappte und sich auf ihrem Schreibtisch verteilte, den sie jedoch wohlweislich vorher leer geräumt hatte.
„Schon gut!“, schrie sie schließlich, als ihr Mittagessen zu einem Großteil vernichtet worden war, und hob ihre Hände zur Abwehr. Das brachte Emily endlich dazu, sie loszulassen. „Richard hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, heute Abend auch zu Aidan zu kommen. Er würde grillen - bei diesem Sauwetter.“
„Und was hast du gesagt?“ Sie sah die Kleinere abwartend an, doch als diese nichts sagte und nur schuldbewusst dreinschaute, antwortete Emily sich selbst: „Du hast entweder Nein gesagt oder nichts. Was beides vermutlich dasselbe bedeutet.“ Sie seufzte. „Süße, das kann doch nicht so weitergehen. Du musst wirklich mal unter Leute. Und diese gut aussehenden Kerle laden dich auch noch von selbst zu sich ein! Eine bessere Gelegenheit kriegst du nie wieder.“
„Was für eine Gelegenheit denn?“
„Na, dich an Aidan ranzumachen!“ Das sagte sie dabei so, als müsse sie einem kleinen Kind erklären, dass der Himmel blau ist.
„Was, bitte?“ Joe hielt auf halbem Wege, ihre Essensreste zusammenzusammeln, inne und starrte Emily an. „Ich will doch überhaupt nichts von ihm.“
„Willst du meine ehrliche Meinung, Liebes?“ Die Schneiderin lehnte sich mit den Ellbogen wieder auf die Tischplatte und sah die Designerin mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Eigentlich nicht“, erwiderte die Angesprochene, doch die andere ignorierte es. „Wenn du mich fragst, könnte es dir aber ganz gut tun, wenn du mal wieder ein bisschen flirtest. Wie hieß noch mal dein letzter Freund? Nicky? Und wie lange ist das bitte her? Du brauchst ein bisschen Testosteron! Und du brauchst Sex.“
Joe lief bei dem letzten Wort rot an, als wäre sie ein Teenager, der nur bei der Erwähnung von Zärtlichkeiten vor Scham verging. „Brauch ich überhaupt nicht!“, keifte sie trotzig. „Und jetzt will ich bitte zu Ende essen.“ Und damit drehte sie Emily ihren Rücken zu, was unmissverständlich hieß, dass sie nichts weiter zu diesem Thema zu sagen wünschte.
Leider hatte Joe nicht mit Emilys Eifer gerechnet. Denn während sie noch weiter an Galadriels Kostüm feilte schlich sich die Schneiderin aus ihrem Büro heraus und in die Kantine hinein. Das fiel nicht weiter auf, da um diese Uhrzeit alle aßen. Schnell hatte sie auch den Tisch gefunden, an dem Aidan saß. Es war natürlich der, wo am lautesten gerufen und gelacht wurde.
Bisher hatte sie noch nicht viel mit dem süßen Schauspieler gesprochen, doch er hatte sie schon das ein oder andere Mal bemerkt, wenn sie mit Joe unterwegs gewesen war. Sie hoffte daher, dass er sie erkennen würde.
Ein wenig von der Präsenz der Zwerge eingeschüchtert räusperte sie sich vernehmlich, als sie bei dem Iren angekommen war. Der drehte sich zu ihr um und schien sie tatsächlich zu erkennen. „Hey“, sagte er fröhlich und war sogar so höflich, vorher sein Essen hinunterzuschlucken. „Bist du nicht die Schneiderin?“
„Emily“, sagte sie und reichte ihm seine Hand. Er schüttelte sie kurz. „Ich bin hier wegen der Einladung.“
Aidan zog die Stirn in Falten. „Einladung?“ Bevor er jedoch Jed für einen Streich verantwortlich machen konnte, schaltete sich Emily dazwischen. „Joe hat mir davon erzählt, dass ihr sie gern dabei haben wollt.“ Aidans Grinsen sprach Bände. Dabei entging ihr jedoch das genervte Gesicht von Dean, der seine Laune hinter seinem Bart versteckte.
Später am Abend, als es schon fast dunkel war, schaffte Emily es tatsächlich, Joe ins Auto zu verfrachten. Es kostete sie viel Überredungskunst, doch irgendwann war es endlich soweit. Joe hatte es sich allerdings nicht nehmen lassen, als sie sich nicht mehr dazu in der Lage sah zu widersprechen, noch ein paar Würstchen zu besorgen. Diese umklammerte sie nun, als ginge es um ihr Leben, als sie bei Aidans kleine Holzhaus vorfuhren.
Die Einfahrt war komplett aus Holz und ebenerdig mit der Straße. Das Erdgeschoss, wenn man so wollte, wirkte nicht sehr groß, doch da das Haus am Hang lag, befand sich der größere Teil im Untergeschoss. Emily parkte den Wagen und stieg aus. Es dauerte noch eine geschlagene Minute, bis Joe auch soweit war, auszusteigen. Im nun nicht mehr so stark fallenden Regen huschten sie zur Haustür.
Als Aidan sie hereingelassen hatte, schlug ihnen schon der Geruch von Fleisch entgegen, was fröhlich vor sich hinbruzelte. Jemand hatte Bier mitgebracht und die Jungs hatten es sich auf dem großen Sofa gemütlich gemacht, während Stephen draußen den Grill bediente. Graham stand sofort auf, als er Joe sah. Seine Wangen waren leicht gerötet und seine Augen tränen, was davon zeugte, dass er bis eben noch kräftig gelacht hatte. Nun schloss er die kleine Blonde fest in die Arme. Sein Bieratem verriet ihr, dass er schon ein paar Gläser ausgetrunken hatte. „Schön, dass du doch gekommen bist, Kleine.“ Er drückte ihr einen feuchten Kuss auf den Scheitel, dann gab er sie wieder frei.
Unsicher, was sie nun tun sollte, stand Joe herum. Die Würstchen hielt sie immer noch fest umklammert, bis Aidan sich schließlich erbarmte und sie ihr aus den Fingern riss. „Die Armen können doch auch nichts dafür“, flüsterte er ihr dabei zu, was sie zum Anlass nahm, erneut rot anzulaufen.
Emily fand sich schnell in die Szene ein, warf sich zwischen Jed und Adam auf die Couch und nahm dankend vom Gastgeber ein Bier an. Joe jedoch zog es vor, sich auf einen der Barhocker zu setzen, die ein wenig entfernt an der Theke zur Küche standen. Sie trank Wasser und lehnte jeglichen Alkohol ab. Auch essen mochte sie nichts, denn sie war viel zu angespannt, um etwas herunter zu bekommen. Sie war so nervös, dass sie innerhalb von zehn Minuten ihr Getränk ausgetrunken hatte und dann auf die Toilette musste.
Weil sie jedoch niemanden aus den offensichtlich sehr intensiven Gesprächen herausreißen wollte, stand sie auf und suchte auf eigene Faust nach dem Bad. Dabei hörte sie, wie Emily ausgelassen mit Aidan um die Wette lachte, während Jed einen Witz auf Stephen Kosten machte, der noch immer draußen im Schutz der Veranda grillte.
Auch Richard stand draußen und unterhielt sich mit Dean und Mark Hadlow. Alle hatten ein Bier in der Hand.
„Hast du gehört“, sagte Mark und stieß Richard an, „dass Aidan auch diese schüchterne Blonde eingeladen hat?“
„Joe?“ Richard war sichtlich erstaunt. „Hat sie zugesagt?“
Dean rollte mit den Augen, versteckte es aber so geschickt hinter seiner Bierflasche, dass keiner der anderen es bemerkte. „Ja, sie ist schon hier. Hat ne Freundin mitgebracht. Das ist die, die so laut lacht.“
„Die Hyäne?“ Mark schob seine Unterlippe über die Oberlippe und schielte. Dabei gab er bellende Lachlaute von sich, die auch garantiert drinnen zu hören waren.
Richard verpasste ihm einen nicht ganz ernst gemeinten Hieb auf den Oberarm. Dean jedoch kicherte. „Sie will vermutlich das kompensieren, was Joe nicht spricht und lacht. Im Ernst“, sagte er und drehte sich wieder zu den dreien um, „wieso hat Aidan sie überhaupt eingeladen? Sie sagt nichts, sie tut nichts, sie ist eigentlich gar nicht existent.“
„Jetzt hör aber auf, Dean!“ Richard sah ihn finster an. „Sie ist eine sehr nette junge Dame und...“
Doch Mark unterbrach ihn lachend. „Nette junge Dame!“, kicherte er. „Bist du noch in deinem Robin Hood-Modus?“
„Sie ist wirklich nett!“, beharrte er.
Doch Dean winkte ab. „Das können wir nicht beurteilen, Archy, denn wir haben sie ja noch nie sprechen gehört.“
Während Mark und Stephen in Deans Lachen mit einstimmten, sank Joe im oberen Stockwerk erschöpft auf den geschlossenen Toilettendeckel. Als sie das Badezimmer endlich gefunden hatte, hatte sie nicht damit gerechnet, dass genau darunter der Grill stand und das Fenster offen war.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hätte niemals gedacht, dass die Leute so über sie denken würden. Zutiefst beleidigt und verletzt schlich sie sich zur Haustür hinaus. Es hatte wieder stärker zu regnen begonnen.