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Kapitel 18

 

~ What the French would do

 

Lieutenant Greitzer stand auf dem Balkon des Gouverneursanwesens und blickte zu den Obstgärten des Anwesens hinüber. Captain Miller hatte ihn hierher geschickt, um den Gouverneur bei seinen Verhandlungen zu unterstützen. Doch bisher war noch nicht viel geschehen. Sie warteten noch immer auf den französischen Gesandten. Und langsam fragte sich Greitzer, ob es überhaupt etwas zu sagen hatte, dass er hier war. Gouverneur Spotswood war bisher auch ganz gut ohne ihn ausgekommen. Doch vermutlich wollte Miller nur sicher gehen, dass er bei den Verhandlungen nicht übergangen wurde. Leider konnte er aber auch kein Geschäft ohne den Gouverneur machen.

 

Nachdem dieser sich als äußerst geschickt bei der Piratenjagd angestellt hatte, war es ein Ding der Unmöglichkeit, weitere Schritte gegen die Piraterie ohne ihn einzuleiten. Der Norden hätte es vermutlich als offenen Affront gegen sich betrachtet und sich in einen Krieg mit dem Süden verstrickt. Und das wollte nun wirklich niemand!

 

Grade fragte er sich, wie lange er sich wohl noch den kühleren Temperaturen ausgesetzt sehen musste, als der Butler des Hauses, Jacob Floot, den Kopf aus der Balkontüre streckte. Höflich straffte er sich, verneigte sich kurz und sagte dann: „Lieutenant, Ihr werdet im Büro des Gouverneurs erwartet. Es hat sich ein Besucher angekündigt.“

 

Greitzer nickte höflich, zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Dann folgte er dem Butler den Flur entlang und in das gewaltige Arbeitszimmer des Gouverneurs. Der vor etwa zehn Jahren fertig gestellte Governor’s Palace war ein weitläufiges Landhaus im grade modernen Kolonialstil, welchen die gut betuchten Europäer mit in die Neue Welt gebracht hatten. Das Haupthaus besaß einen rechteckigen Grundriss und drei großzügige Stockwerke. Flankiert wurde es von zwei identischen Nebengebäuden, alles umfasst von einer Backsteinmauer und geschützt durch ein weißes schmiedeeisernes Tor, bewacht von einem Löwen und einem Einhorn. Das Arbeitszimmer ging nach hinten in den Garten hinaus und lag daher sehr ruhig. Deswegen war Greitzer auch nicht überrascht, als der Butler ihn nur einließ und sofort wieder verschwand, um seiner Arbeit nachzugehen. Denn hier herrschte der Herr des Hauses und hier wollte er in stiller Abgeschiedenheit seinen Geschäften nachgehen.

 

Gouverneur Alexander Spotswood war ein kräftiger Mann. Sein gewaltiger Bauch hing normalerweise ein gutes Stück über seinen Hosenbund hinaus. Heute jedoch war er hinter der schweren Schreibtischplatte verborgen. Er trug eine rote Jacke, ein weißes Hemd und seine Perücke, was auf die außerordentliche Wichtigkeit dieses Besuches hinwies. Offenbar war er mehr als offiziell. Zumindest offizieller, als Greitzer bisher bewusst war.

 

Als Spotswood ihn bemerkte, sah er kurz von seinen Unterlagen auf. „Ah, Lieutenant, treten Sie näher!“, sagte er nur knapp, winkte ihn herein und beugte sich wieder über seine Papiere. Seine Fingerkuppen waren schwarz von Tinte und überall konnte Greitzer feinen Sand liegen sehen. Scheinbar hatte der Gouverneur eine Menge Korrespondenz betrieben, während er selbst die späte Abendsonne genossen hatte.

 

Etwas irritiert sah er sich um. Hatte Floot nicht von einem Besucher gesprochen? Doch hier war niemand. Er und das Oberhaupt von Virginia waren alleine.

 

Gerade wollte er Spotswood darauf hinweisen, als es erneut an der Türe klopfte. Floot schwebte herein, wie es nur Butler zu tun pflegen, verneigte sich steif, aber würdevoll, und sagte: „Gentlemen, François Maurice de la Croix.“ Floot wies mit der ausgestreckten Hand durch die Türe und sogleich folgte ihm ein ziemlich würdelos aussehender Franzose. Für das Auge eines englischen Oberschichtlers war der Anblick der locker gebundenen Halsbinde, der zu weiten Hosen und des leicht knittrigen Jacketts ein ziemlich schrecklicher Anblick und Spotswood musste sich sehr zusammenreißen, den Gesandten nicht gleich wieder des Anwesens zu verweisen.

 

Schnell wechselt er einen Blick mit seinem Butler, der diesen läppischen Aufzug ohne Zweifel bemerkt haben musste, und machte ihm wortlos klar, dass der Franzose nicht lange bleiben würde. Floot nickte unmerklich und zog sich auf der Stelle zurück. Lautlos fiel die Türe ins Schloss und ließ die drei Männer alleine zurück.

 

Eine Weile standen sie alle da, Greitzer auf halbem Wege zwischen Türe und Schreibtisch erstarrt, Spotswood halb erhoben, halb gebeugt hinter seinem Schreibtisch und de la Croix direkt neben der Tür erwartungsvoll den Gouverneur anstarrend. Erst ein paar Augenblicke später hatte dieser sich endlich wieder gefasst, räusperte sich kurz und deutlich und erhob sich nun vollständig. Es war ihm noch immer anzusehen, wie sehr es ihn erschreckt hatte, in welchem Aufzug der Gesandte vor ihn getreten war. Doch er versuchte es nun mit Höflichkeit zu überspielen. „Ähm, Monsieur de la Croix…“, stammelte er wenig elegant, „nehmt doch bitte neben Lieutenant Greitzer Platz.“

 

Der Erwähnte erinnerte sich genau zum richtigen Zeitpunkt an seine guten Manieren und folgte den Worten des Gouverneurs, indem er sich schnell setzte, nachdem er de la Croix kurz, aber kräftig, die Hand gegeben hatte.

 

„Es freut mich, dass Ihr hierher gefunden habt, Monsieur. Wie war die Überfahrt?“, fragte Spotswood, der sich nun auch an seine gute Erziehung erinnern zu schien, höflich. Er räumte dabei unauffällig ein paar Dokumente bei Seite, um seine Ellbogen aufstützen zu können, ohne sie in Tinte zu tauchen.

 

De la Croix lächelte breit. Er fühlte sich in dieser Rolle äußerst wohl und das sah man ihm an. Er hatte noch nie wirklich viel für das Königshaus seines Heimatlandes übrig gehabt und es war nur seinen guten Beziehungen zu verdanken, dass man ihn nicht des Hofes verwiesen hatte, denn mit einem Mundwerk, wie seinem, wurde man auch nicht unbedingt beliebter bei Hofe. Deswegen hatte er die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen, als sie sich ihm so ungeniert dargeboten hatte, und war das Geschäft mit Captain Miller eingegangen. Die Truhe musste mittlerweile auch gut in Port Royal angekommen sein. Das ermöglichte ihm einen guten Stand, um in die Verhandlungen zu starten. „Oh, es war äußerst grauen’aft“, sagte er gekünstelt, in einem nicht ganz akzentfreien Englisch. „Isch bin absolut nicht für Schiffsreisen geschaffen. Doch sum Glück bin isch nun ’ier und ’abe wieder festen Boden unter meinen Füßen.“ Er schloss seine überflüssige Erklärung mit einem Lächeln ab und schlug die Beine übereinander.

 

Vermutlich hätte er die Unterhaltung in perfektem Englisch führen können, wenn er es nur gewollt hätte. Doch er sah keine Notwendigkeit darin, seinen Verwandlungspartnern so schnell offen zu legen, wie es wirklich um seine Natur bestellt war. Ein paar Geheimnisse konnten nicht schaden. Deswegen hatte er Captain Miller auch verschwiegen, dass er sehr wohl wusste, was sich in besagter Truhe befand. Unwissenheit war ein Segen und dessen war er sich bewusst. Vielleicht konnte dieses Wissen, was er bisher noch nicht preisgegeben hatte, irgendwann einmal von Nutzen sein.

 

Bei Greitzer stellen sich die Nackenhaare auf, als er den Franzosen so reden hörte. Nicht, dass es ihm unangenehm war, ihm zuzuhören. Es war eher ein Unterton in dessen Stimme, der in stutzig machte. Je schneller diese Verhandlungen beendet waren, desto eher wurde er de la Croix wieder los.

 

„Ja, nun denn. Weswegen wolltet Ihr mich denn so dringend sprechen? Hättet Ihr die Verhandlungen nicht auch mit Captain Miller persönlich führen können? Was hat Euch zu diesem Umweg über Virginia bewogen?“ Spotswood fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut und in seiner Position. Er hatte keine Ahnung, um was es bei diesem Treffen ging. Er hatte nur in dem Brief, den Greitzer ihm überreicht hatte, gelesen, dass Captain Miller darum bat, dem französischen Gesandten möglichst alle seine Bedingungen zu erfüllen. Und dem hatte er sein Wort gegeben. Immerhin war er als Gouverneur immer noch der Krone unterstellt. Und Miller war, ob entfernt oder nicht, ein Cousin seines Königs.

 

De la Croix stellte die Beine wieder nebeneinander, faltete dafür jedoch seine Hände über dem flachen Bauch zusammen und lehnte sich lässig zurück. „Isch beabsichtige, ein Bürger Eures ’o’eitsgebietes su werden.“

 

Verblüfft sah Spotswood den Franzosen an. Und bevor er es verhindern konnte, fragte er: „Und darf ich fragen, wieso?“

 

„Nun, meine activités außerhalb von la France lassen misch leider stark annehmen, dass isch bald in meiner ’eimat nischt mehr allsu großes Anse’en genießen werde. Oder aber, um es anders aussudrücken: isch bege’e Verrat an der Krone.“

 

Greitzer musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut aussprechen, was er gerade dachte. Er wusste von Miller, dass dieser de la Croix ihm diese Truhe besorgt hatte, wie auch immer er daran gelangt war. Denn er wusste, dass sie sicher verschlossen gewesen war in den königlichen Schatzkammern. Der Franzose musste tatsächlich wahnsinnig gute Beziehungen haben, um den König ausrauben zu können, ohne dass dieser etwas davon mitbekamt. Denn hätte Louis XV. bereits Wind davon bekommen, könnten sie nicht mehr diese Verhandlungen führen, dessen war Greitzer sich sicher. Daher kam auch die Eile des Franzosen, schnell eine neue Heimat finden zu wollen.

 

Und plötzlich fiel der Groschen und das letzte Puzzelteil setzte sich an die Stelle, für die es vorgesehen war. Beinahe wäre er aufgesprungen und hätte laut „Ha“ gerufen. Doch er konnte sich gerade noch so beherrschen.

 

Natürlich hätte man de la Croix sicher in den französischen Kolonien vermutet, die viel weiter im Norden lagen, doch sicherlich niemals in den englischen, denn immerhin waren Frankreich und England sich noch nie besonders grün gewesen. Offiziell musste der König de la Croix hierher geschickt haben, um mit dem Gouverneur über die spanische Plage zu sprechen. Doch offenbar verfolgte er seine eigenen Interessen, denn er hatte nicht vor, wieder nach Versailles zurück zu kehren, wie es den Anschein hatte.

 

Langsam ergab das alles einen Sinn. Mit der Truhe hatte er sich den Aufenthalt in einer der Kolonien erkauft. Und Miller hatte seinen Einfluss geltend gemacht, um das Band mit Virginia zu festigen. Außerdem hatte er dem Gouverneur sicherlich noch etwas von dem Schatz versprochen, den er vor den Keys zu bergen gedachte. Man musste den Spaniern ja nicht alles zurückgeben. Etwas allerdings fehlte noch zu einem kompletten Bild. Vorsichtig wagte er sich vor. „Und wie gedenkt Ihr, Euch dieses neue Leben aufzubauen? Selbst wenn der Gouverneur Euch eine Eingliederung in die Gesellschaft ermöglicht, braucht Ihr Geld. Und das können wir Euch leider nicht beschaffen.“

 

Gouverneur Spostwood beugte sich vor. Seine Gedanken waren noch nicht so weit, wie die des Lieutenants, deswegen fand er die ganze Unterhaltung äußerst spannend. Sowieso war er davon ausgegangen, dass er nur Statist in diesem Stück sein würde. Doch das Ganze entwickelte sich zu einer wirklich spannenden Aufführung. Da hatte dieser Captain Miller sich ja etwas aufgeladen. Hoffentlich fiel das nicht auf ihn, Spotswood, selbst zurück, wenn nächstes Jahr doch wieder Wahlen anstanden.

 

Die falsche Besorgnis in dem Blick von Greitzer ignorierte de la Croix geflissentlich. Er wusste genau, was der Lieutenant dachte. Nur, weil er den Dummen spielte, hieß das noch lange nicht, dass er tatsächlich dumm war. „Das lasst nur meine Sorge sein, sous-lieutenant. Isch ’abe misch bereits darum gekümmert.“ Mit diesen Worten holte er einen kleinen Beutel aus der Innentasche seiner Jacke heraus, beugte sich vor und ließ den Beutel auf den Schreibtisch fallen. Dabei gab das Stoffstück ein klingelndes Geräusch von sich. Keiner der drei Herren musste nachsehen, um zu wissen, dass der Beutel randvoll war mit Münzen.

 

De la Croix ließ das Gesagte und das Geld seine Wirkung entfalten. Ihm war klar, dass der Gouverneur einer kleinen Spende nicht abgeneigt sein würde. Und das, was er ihm gab, tat ihm selbst nicht weh. Im Vergleich zu dem, was er noch immer in der Hinterhand hatte, war dies nur ein Kleingeld. Denn er war nicht so töricht gewesen, nur die Truhe aus der königlichen Schatzkammer stehlen zu lassen. Was er dort unten, in den tiefen Gewölben unter dem Palast gefunden hatte, hatte ihm all seine Sorgen genommen. Doch das Beste daran war, dass niemand mehr wusste, dass es noch existierte. So würde es auch niemand vermissen.

 

Nach einer kleinen Weile, in der der Gouverneur in Gedanken all die offenen Posten durchgegangen war, die er mit dem Geld des Franzosen würde bezahlen können, kam er zurück zum Geschäft. Er öffnete eine Schublade seines gewaltigen Schreibtisches und zog daraus ein bereits vorgefertigtes Papier hervor. „Tja, wenn das so ist“, sagte er genüsslich und schob das Papier zu de la Croix rüber, „müsst Ihr jetzt nur noch auf dem gepunkteten Linie unterschreiben.“

 

Mit großen Misstrauen beobachtete Greitzer, wie der Franzose nach der Feder und dem Tintenfass griff. Captain Miller würde sich vermutlich die Finger nach jeder noch so kleinen Information lecken, die er ihm liefern würde, wenn das alles hier vorbei war. Und es gab viel zu erzählen. Denn was hier gespielt wurde, war mit Sicherheit ganz und gar nicht das, was offen gezeigt wurde. Es liefen hier eine Menge Fäden im Hintergrund zusammen, die er noch nicht ganz entwirrt hatte.

 

Als de la Croix seine Kreuze unter das Blatt gesetzt hatte, streute der Gouverneur eigenhändig den Sand über die noch feuchte Tinte, schüttelte ihn wieder ab und blies kurz darüber. Dann packte er den gerade frisch geschlossenen Vertrag zusammen mit dem Geld zurück in die Schublade. Würdevoll erhob er sich hinter der Tischplatte, was seinen bauch dazu brachte, den Gürtel wieder zum Ächzen zu bringen, und reichte de la Croix eine Pranke herüber. „Monsieur, ich darf Euch im Namen der Kolonie Virginia herzlich Willkommen heißen.“

© by LilórienSilme 2015

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