LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 17
~ Fellow, Goodbye
Am letzten Tag der Dreharbeiten schien Andrew noch einmal all seine Kräfte zu mobilisieren und sich richtig in seine Arbeit zu stürzen. Bereits um die Mittagszeit war er mit der letzten Szene und dem restlichen Material so zufrieden, dass er alle versammeln ließ. Sie hatten sich auf dem Hof des telmarischen Schlosses zusammen gefunden und murmelten nun wild durcheinander. Manchen konnte man ansehen, dass sie glücklich waren, es hinter sich gebracht zu haben. Dazu gehörten auch eindeutig Anna, Vittoria und Skandar. Ben, Will und Georgie hingehen zogen lange Gesichter und blickten düster vor sich hin. Georgie war traurig, weil sie bald all ihre Freunde, und besonders Will, der für sie so etwas wie ein großer Bruder war, verlassen und alleine nach Hause zurückkehren zu musste. Sie hatte zwar zwei ältere Schwestern, aber die waren leider schon zu alt, um mit ihr die Zeit zu verbringen.
Will machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter, weil er Angst davor hatte, was ihn erwarten würde, wenn er zurück kam. Bisher hatte er nichts von seiner Agentin gehört und befürchtete, dass es für ihn bis zu den nächsten Dreharbeiten zu Narnia nichts zu tun gab. Was würde er in der Zeit tun, außer Trübsal blasen? Er dachte daran, wie er für die Rolle von Ron Weasley vorgesprochen hatte und abgelehnt worden war. Wenn er die bekommen hätte, hätte er wahrscheinlich ausgesorgt gehabt. Allerdings war es sicherlich schwer, aus so einer Rolle auch wieder herauszuwachsen.
Und während Will und Georgie grübelten, wusste Ben nicht so richtig, was er fühlen sollte. Einerseits war er froh, diesen Job hinter sich gebracht zu haben, was nicht zuletzt daran lag, dass die Drehbuchautorin ein Monster war. Doch andererseits grauste ihm davor, alleine in sein Appartement in Soho zurück zu kehren. Er war zwar nicht der Typ, der es liebte, jede Nacht um die Häuser zu ziehen und auf den Putz zu hauen, aber die ganze Zeit gelangweilt in der Wohnung sitzen und an die Wände starren war genauso wenig sein Ding.
Zum Glück, dachte er, hatte er noch Freunde, mit denen er etwas Zeit totschlagen konnte, wenn er wieder in London war. Außerdem liebte er diese Stadt. Er war schon in ihr geboren worden und vermutlich würde er auch in ihr sterben. Es war sein zu Hause. Und deswegen gab es auch dieses lachende Auge, wenn er an den Rückflug dachte. Er konnte nur hoffen, dass er dieses Mal nicht wieder Vittoria durch die Gegend tragen musste. Von Prag nach London gab es wenigstens Direktflüge. Da konnte sie sich so viel mit Tabletten zudröhnen, wie sie lustig war.
Mittlerweile war Andrew endlich aufgetaucht und unterbrach das freudige Gerede von Anna, Skandar und Vittoria, die sich bereits nach ihrem zu Hause sehnten und es kaum erwarten konnten, wieder britischen Boden unter den Füßen zu haben. Skandar dachte an seine Wohnung in Highbury und dass seine ältere Schwester vermutlich eine kleine Party für ihn veranstalten würde, weil er endlich wieder zu Hause war. Sie hatten es mal versucht, miteinander zu wohnen. Doch schon nach ein paar Wochen waren sie sich derart auf die Nerven gegangen, dass Soumaya wieder ausgezogen war. Seit dem hatte sich ihr Verhältnis zueinander sehr gebessert und sie verbrachten, wenn beide in London waren, viel Zeit miteinander. Und obwohl er es sehr genoss, mit seiner zweiten Familie, wie er es nannte, zu arbeiten, freute er sich auf zu Hause.
„Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten!“, rief Andrew und klatschte ein paar Mal in die Hände. Alle verstummten nach und nach und sahen ihn erwartungsvoll an. Hatten sie alles richtig gemacht, oder würde es eine Verlängerung geben? Es war immer wieder aufregend, wenn es auf das Ende zuging. Schließlich wollte man wissen, ob man seine Pläne ausführen oder sie über den Haufen werfen konnte.
Der Neuseeländer lächelte, als er beinahe jedem einzeln in die Augen sah. „Um es vorweg zu nehmen“, sagte er feixend, weil er genau wusste, was sie alle dachten, „es wird keine Verlängerung geben.“ Lauter Applaus schnitt ihm das Wort ab und sein Grinsen wurde breiter. „Dank der hervorragenden Darsteller“, er wies mit ausgebreitetem Arm auf die fünf Hauptdarsteller, „und der übrigen Crew, die ihre Arbeit absolut spitzenmäßig gemacht hat…“ Wieder wurde er von lautem Jubel unterbrochen. „Schon gut! Also, dank allen, die ihre Arbeit wirklich gut gemacht haben, können wir den Zeitplan einhalten. Viele werden morgen nach Hause fahren. Ihnen wünsche ich eine gute Heimreise und auf dass wir uns bei der Premiere wiedersehen. Doch einige müssen noch bleiben und mir bei der Nachbearbeitung helfen. Und diejenigen lade ich übermorgen Abend ein, mir bei einem Essen Gesellschaft zu leisten. Als kleiner Trost dafür, dass ihr noch nicht zu euren Familien fliegen könnt. Von den anderen verabschiede ich mich heute Abend im Speisesaal unseres Hotels. Ich erwarte euch um einundzwanzigtausend!“
Als er sich verbeugte, klatschten noch einmal alle, dann löste sich die Menge allmählich auf. Kurz darauf wurde bereits die Kulisse des Schlosses abgebaut, welche, wie sich Vittoria hatte sagen lassen, zu den größten Innenkulissen der Welt gehörte. Wahrscheinlich ließ sich kaum etwas mit den Kulissen zu „Der Herr der Ringe“ vergleichen, aber irgendwie schienen die neuseeländischen Regisseure einen Hang zu Übertreibungen zu haben, dachte sie schmunzelnd.
Als sie in ihrem Zimmer war betrachtete sie ein wenig wehmütig ihre Koffer. Sie hasste es zu packen. Also entschied sie sich dafür einfach alles hinein zu werfen und zu Hause dann wieder ordentlich zu bügeln und in ihren Schrank zu räumen. Dementsprechend war sie ziemlich schnell fertig und langweilte sich danach. Es waren gerade mal drei Uhr nachmittags und sie überlegte, wie sie den Rest des Tages verbringen konnte.
Dann dachte sie daran, dass sie eigentlich kaum etwas von Prag gesehen hatte. Also zog sie sich ihre Jacke an, hing sich ihre Handtasche über die Schulter und ging nach unten. Sie ließ sich ein Taxi rufen und wartete vor der Tür in der Sonne. Es war ziemlich mild für diese Jahreszeit und es tat ihr gut, wieder ein wenig UV-Strahlung abzubekommen. Für ihren Geschmack war sie viel zu blass und hatte zu viel Zeit drinnen verbracht in den letzten Wochen. Wenn sie nach Hause kam, würde sie erst mal unter die Sonnenbank gehen. Auch wenn sie normalerweise nicht so dafür war.
Sie wollte gerade in das Taxi steigen, als jemand ihren Namen rief. Sie drehte sich um und musste sich zusammen nehmen, dass sie nicht laut aufstöhnte und die Augen verdrehte. „Darf ich dich begleiten?“, sagte Ben, als er bei ihr angekommen war. Am liebsten hätte sie Nein gesagt und ihm die Türe vor der Nase zugeknallt, aber ihr Sinn für Höflichkeit hielt sie davon ab. „Ich will mir die Stadt ansehen“, sagte sie stattdessen, in der Hoffnung, dass er keine Zeit haben würde für einen ausgedehnten Bummel.
Zu ihrer großen Enttäuschung jedoch sagte er: „Prima! Ich bin nämlich schon fertig mit Packen und langweile mich.“ Also machte sie ihm wohl oder übel auf der Rückbank platz und ließ ihn einsteigen. „Ich hab es nicht so mit dem Zusammenlegen. Deswegen hab ich alles in den Koffer geworfen. Weißt du schon, was du dir alles ansehen willst? Ich hab auch eine Kamera dabei.“
„Nein“, sagte sie kurz angebunden und blickte dann aus dem Fenster, hoffend, dass er sie in Ruhe lassen würde, bis sie sich vielleicht im Gewühl der Leute in der Stadt davonstehlen konnte. Doch er ließ sich nicht so leicht den Wind aus den Segeln nehmen und zog einen Stadtplan aus der Jackentasche. Wortreich zeigte er ihr ein paar Punkte, die er markiert hatte, und erklärte ihr, was sich dort befand und was er darüber wusste. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie denken können, dass er unter Drogen stand. Wieso war er auf einmal so freundlich zu ihr?
Seine gute Laune verflog auch nicht, als sie ihn immer wieder mit einsilbigen Antworten und ihrer offensichtlich schlechten Stimmung abspeiste. Er fand immer wieder einen Aufhänger, um ein Gespräch anzufangen und langsam ging er ihr ziemlich auf den Wecker. Wenn sie gekonnt hätte, wäre sie während der Fahrt aus dem Auto gesprungen, nur um ihm und seiner Stadtführung zu entkommen.
In der Innenstadt ließ er das Taxi anhalten und schob sie mit sanfter Gewalt auf die Straße. Ohne Zögern zahlte er den verlangten Preis und drehte sich dann wieder zu ihr um. Er faltete die Karte auseinander, studierte sie eine Weile, dann zeigte er in eine Richtung und zog sie einfach mit sich, während er auf die alten Gebäude rund um sie deutete und aus dem Staunen scheinbar nicht mehr heraus kam.
Er wusste selbst nicht, was in ihn gefahren war, aber als er sie unten vor dem Hotel hatte stehen sehen, hatte er schnell seine Sachen in die Reisetasche gestopft, obwohl er so etwas normalerweise nie tat, und war ihr gefolgt. Der Abend gestern hatte ihm so viel Spaß gemacht, dass er einfach noch etwas Zeit mit ihr verbringen wollte, bevor sich ihre Wege wieder trennen würden.
Es machte ihn irgendwie traurig, dass nun bald alles vorbei war. Und es war ihm egal, ob sie seine Gesellschaft nicht wollte. Vermutlich wäre er lieber mit Anna gegangen, aber die war zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihre Hosen und Oberteile der Farbe nach zu ordnen und sorgsam in den Koffer zu legen. Skandar und Will hatte ebenfalls der Packwahn ergriffen und so war er auf sich alleine gestellt gewesen. Dass er gerne Zeit mit ihr verbrachte, empfand er als ziemlich lächerlich. Er wollte einfach nur nicht alleine sein. Und da war ihm sogar ihre Gesellschaft recht. Auch wenn sie ihm wohl am liebsten die Augen ausgekratzt hätte.
Aus dem kleinen Stadttripp wurde schließlich eine ausgedehnte Führung und ehe sich beide versahen, hatten sie erstaunlicherweise sogar richtig Spaß dabei. Prag war einfach wunderschön mit seinen alten Gebäuden, den vielen Friedhöfen, der Karlsbrücke und dem Schloss, sodass beide ihren Groll aufeinander für ein paar Stunden bei Seite schoben und sich benahmen wie richtige Freunde. Vittoria hakte sich bei Ben unter, während er die Karte las, und machte Fotos von allem, was sie bestaunenswert fand.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie schließlich die Karlsbrücke und die Moldau. Der Fluss schimmerte im Licht der untergehenden Sonne wie pures Gold, auf dem Diamanten verstreut waren, und die Wasserreflektionen zauberten kleine Lichter auf die Statuen, die die Brücke säumten. „Wow“, sagten beide gleichzeitig. Ben ließ den Stadtplan sinken und Vittoria vergaß ganz ein Foto davon zu machen, so gefangen war sie von diesem Anblick. Unwillkürlich lehnte sie sich ein wenig an ihn, während sie weiter in die Sonne blickte, und ein Seufzen entrang sich ihrer Kehle. So sah die Themse nicht einmal im Sommer aus.
„Kannst du wieder selber stehen?“, sagte Ben plötzlich und holte sie damit aus ihrem Tagtraum heraus. Unsanft wurde sie zurück in die Realität gezogen und merkte, dass sie sich an ihn gelehnt hatte. Verwirrt sah sie ihn an. „Entschuldige“, murmelte sie und nahm wieder Abstand. „Ich wollte dich nicht belästigen.“
Er winkte ab. „Schon gut, ich bin es gewöhnt, dass die Frauen an mir hängen“, feixte er. Das sah ihm wieder einmal ähnlich. Ein flüchtiger friedlicher Moment und er musste mit so einer völlig überflüssigen Bemerkung wieder alles zunichte machen. Männer waren manchmal echt das Letzte!
„Ach ja, ich hatte vergessen, dass du ja der große Frauenheld bist“, spottete sie und nahm vergnügt zur Kenntnis, dass sich sein Blick verdunkelte. Die Sache mit Cassandra saß wohl doch tiefer, als sie bisher gedacht hatte. „Ärgerlich nur, dass sich deine Anziehungskraft offenbar nur auf die Gestörten und Eifersüchtigen bezieht.“ Triumphierend drehte sie sich um und wollte ihn schon stehen lassen, doch sein nächster Schlag traf sie unvorbereitet hart. „Und wann hattest du das letzte Mal eine Beziehung? Nach einer Glücklichen brauch ich ja wohl erst gar nicht zu fragen, so wie du das letzte Mal am Telefon gekeift hast.“
„Meine Beziehungen gehen dich einen feuchten Dreck an“, zischte sie, als sie bemerkte, dass man sie schon ansah. „Und falls es dich interessiert: ich bin glücklich, Single zu sein. Sehr sogar!“
Er lachte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Natürlich. Das sieht man dir auch sofort an. Wenn du könntest, würdest du dich doch sofort dem Nächstbesten an den Hals werfen.“ Sie schnaubte verärgert auf. „Damit meinst du wohl dich, wie?“, sagte sie und zog eine Augenbraue nach oben.
„Nun ja“, sagte er, „eine schlechte Partie bin ich ja wohl kaum, oder?“
„Du fühlst dich doch nur in deiner Männlichkeit verletzt, weil ich dich nicht leiden kann und Anna offenbar mehr Interesse an Will zeigt, als an dir.“
Ihre Gesichter waren nur noch ein paar Zentimeter voneinander entfernt, sodass er beinahe Angst davor hatte, dass die Funken aus ihren Augen seine Haare in Brand setzen könnten. „Dich würde ich nicht mal nehmen, wenn du der letzte Mensch auf der Welt wärst“, sagte er leise.
„Das trifft sich prima“, sagte sie mit, wie sie hoffte, Überlegenheit in der Stimme. „Ich würde dich nämlich auch nicht nehmen.“ Und mit diesen Worten drehte sie sich um und ließ ihn stehen. Wütend stapfte sie die Brücke entlang auf die andere Flussseite, rief sich dort ein Taxi und fuhr zurück zum Hotel. Als sie dort ankam, war es bereits dunkel und sie musste sich beeilen, wenn sie noch pünktlich zu Andrews Versammlung kommen wollte.
Verärgert, weil er diesen wunderschönen letzten Tag in dieser atemberaubenden Stadt ruiniert hatte, zerrte sie an dem Haargummi, welches ihre Wellen zusammenhielt, und riss sich dabei ein paar Haare zu viel aus. Fluchend bürstete sie sich und band sich einen neuen Zopf. Dann zog sie ihren Lieblingspulli an und marschierte in den Speisesaal.
Als sie dort war, merkte sie, dass sie zum Glück nicht die Letzte war, und schlich leise auf einen leeren Platz neben Skandar. „Wo warst du?“, flüsterte er ihr zu, doch sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Lange Geschichte“, murmelte sie, dann zog Andrew die Aufmerksamkeit auf sich.
Das Abendessen verlief ziemlich ruhig, da alle ihren eigenen Gedanken nachzuhängen schienen, was das Ende des Projekts betraf, und so konnte Vittoria einer langen Erklärung über ihr heutiges Verbleiben entkommen. Als Ben sich zu ihnen an den Tisch setzte, wich sie seinem Blick aus und tat furchtbar beschäftigt. Sie ignorierte ihn den ganzen Abend. Und die anderen nahmen es stillschweigend zur Kenntnis. Schließlich war es nichts Neues für sie, dass die beiden sich einmal mehr in den Haaren hatten.
Später kam Andrew zu ihr und sie ließ sich bereitwillig in ein Gespräch verwickeln, während Will seinen Platz verließ und sich neben Ben setzte. „Habt ihr euch wieder gezofft?“, fragte er mit einem Fingerzeig auf Vittoria. Ben schnaubte. „Ich würde eher sagen, dass sie mich mal wieder beleidigt hat.“
Will rückte näher an ihn heran. „Kannst du mir vielleicht verraten, was mit euch beiden los ist? Habt ihr was Laufen, oder warum benehmt ihr euch so komisch?“ Ben verschluckte sich beinahe an seinem Drink, als er das hörte, und warf hustend einen wütenden Blick in die Richtung des Jüngeren. Als er sich wieder beruhigt hatte, sagte er mit rauer Stimme: „Hast du sie nicht alle? Die würde ich nicht mal mit der Kneifzange anfassen! Ich kann sie nun mal einfach nicht leiden. Das ist alles.“ Doch Will sah keineswegs überzeugt aus. „Wirklich!“
Er glaubte Ben zwar kein Wort, doch er beließ es dabei. Er würde ohnehin nicht mehr verraten, so wie er ihn kannte. Aber die Frage blieb. Als er heute gepackt hatte, hatte er sich den Kopf zerbrochen, was mit den beiden los sein könnte. In einem Moment kamen sie miteinander aus, auch wenn das, wie er zugeben musste, meistens nur dann war, wenn sie etwas getrunken hatten. Und im nächsten Augenblick würden sie sich am liebsten gegenseitig umbringen. Eigentlich ging es ihn ja nichts an, aber er war nun mal von Natur aus neugierig und nur glücklich, wenn er alles wusste.
Leider wusste er aber auch nur zu gut, dass er weder aus Vittoria noch aus Ben etwas herausbekommen würde, wenn nicht einer dazu bereit war, freiwillig etwas zu erzählen. Und das machte ihn fuchsig. Zum Glück würde er sich darüber ab morgen keine Gedanken mehr machen müssen, denn dann musste er das ganze Gezicke nicht mehr ertragen. Allerdings grauste ihm bereits vor der Premiere. Hoffentlich würden sie sich nicht vor laufenden Kameras an die Gurgel gehen. Das könnte verdammt peinlich werden.
Als er an Peinlich dachte, kam ihm automatisch der Kuss der beiden in den Sinn. Dabei hatten sie gewirkt, als wären sie längst ein Paar, und wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er gesagt, dass sie heimlich eine Beziehung führten. Doch irgendwie konnte er sich das nicht so richtig vorstellen. Auch wenn sie wirklich gut zusammen aussehen würden, das musste er zugeben.
„Träumst du?“ Georgie setzte sich zu Will und schob sich automatisch unter seinen Arm. Wie selbstverständlich zog er sie zu sich auf den Schoß und legte sein Kinn auf ihre Schulter. „Ich hab nur nachgedacht“, sagte er und seufzte. „Soll ich dich ins Bett bringen?“ Als sie nickte, war er erstaunlich erleichtert. Schnell verabschiedete er sich von allen, brachte erst Georgie ins Bett und begab sich dann anschließend in sein eigenes Zimmer. Schnell war er im Land der Träume und seiner Meinung nach viel zu früh klingelte schließlich sein Wecker. Draußen war es noch dunkel, immerhin war es erst kurz nach drei Uhr morgens. Doch er nahm es mit einem tiefen Gähnen zur Kenntnis, schlüpfte schnell unter die Dusche, zog sich an, packte seinen letzten Sachen zusammen und schleppte schließlich seinen Koffer in die Lobby.
Unten warteten bereits Ben, Anna, Georgie, Skandar und Vittoria auf ihn. Auch sie wirkten nicht wirklich ausgeschlafen und er konnte sehen, dass sie dunkle Augenringe hatten. Bei Vittoria mochte es tatsächlich an einer schlaflosen Nacht liegen, da sie fürchterlich unter Flugangst litt und vermutlich bereits mehrere Tabletten geschluckt hatte. Hoffentlich würde sie nicht schon im Taxi einschlafen.
Bei den anderen konnte es an der kurzen Nacht liegen. Er wusste nicht, wie lange sie alle aufgeblieben waren, aber selbst er, der bereits nach etwas mehr als zwei Stunden die Party verlassen hatte, konnte kaum die Augen offen halten. „Habt ihr überhaupt geschlafen?“, fragte er sie und sah in die Runde. Einstimmiges Kopfschütteln erklärte alles Weitere.
Müde purzelten sie wenig später in ein Großraumtaxi, was sie alle sechs und ihre Koffer bequem fassen konnte, und kaum waren sie ein paar Meter gefahren, hatten sie alle schon die Augen geschlossen und nickten ein. Vittorias Kopf rutschte auf Annas Schulter, die wiederum ihren Kopf auf Vittorias legte; Georgie hatte sich an Will gelehnt, der seinen Arm um sie legte, und Skandar und Ben begnügten sich jeweils mit der Scheibe, an die sie sich lehnten. Das rächte sich jedoch, als der Fahrer zu schnell über eine Bodenwelle fuhr und Ben hart mit der Stirn an das Glas schlug. Murrend öffnete er die Augen und sein Blick viel auf Vittoria. Wieso er ausgerechnet sie ansah und nicht Anna, wusste er nicht. Aber als er sie so dasitzen sah und sie friedlich schlummerte, konnte er sich kaum vorstellen, dass es dieselbe Person war, die ihn manchmal mit nur einem falschen Wort zur Weißglut treiben konnte.
Am Flughafen angekommen schleppten sich alle, noch müder als vorher, zum Schalter, checkten ein, gaben ihre Koffer ab und trotteten schließlich durch den Zoll. Sie hatten noch eine knappe Stunde Zeit, bis ihr Flug ging, also machten es sich die Jungs auf den unbequemen Plastikstühlen gemütlich, während die Mädchen noch an den Schaufenster der noch geschlossenen Geschäfte vorbei gingen. Der vertraute Duft von Kaffee stieg ihnen in die Nase und als Vittoria auch noch das vertraute grüne Schild mit der langhaarigen Frau drauf erkannte, konnte sie nicht widerstehen.
Mit einem großen Cafe Latte stieg sie schließlich ins Flugzeug ein. Die Tabletten gegen Flugangst hatte sie kurz vorher mit einem großen Schluck Kaffee herunter gespült und sie merkte langsam, wie die Wirkung einsetzte. Bevor sie den Becher ganz leeren konnte, fielen ihr die Augen zu. Sie rollte sich auf ihrem Sitz zusammen und ließ die Müdigkeit zu. Kurz bevor sie jedoch ganz einschlief, dachte sie daran, dass sie niemandem gesagt hatte, dass sie zurück kam. Es würde ein trauriger Empfang werden.
Das Aufsetzen der Räder auf dem Asphalt rüttelte sie wach. Waren sie noch im Dunkeln in Prag losgeflogen, zierten jetzt schon rote Streifen den Horizont. Allerdings lag wieder einmal ein vertrauter Schleier über allem. Sie ignorierte den kühlen Wind, der durch die Gangway pfiff und ging hinter den anderen her. Sie trödelte absichtlich ein bisschen, denn irgendwie scheute sie sich davor, ihren Koffer zu erhalten und schließlich nach Hause zu gehen. Was würde sie dort tun?
Doch wie alles im Leben konnte sie auch das nicht aufhalten. Sie war die Erste, die ihren Koffer erhielt. Schnell und das Gemurre ihrer Kollegen ignorierend verabschiedete sie sich von ihnen, zog ihre Jacke an und wappnete sich für das englische Wetter draußen. Hier schien der Frühling noch nicht angekommen zu sein.
Anna schloss sie als letzte in die Arme. „Sollen wir dich wirklich nicht mitnehmen?“, fragte sie und Vittoria schüttelte abermals den Kopf. Diese Frage hatte man ihr in der letzten halben Stunde schon so oft gestellt, dass sie gar nicht mehr wusste, wie oft sie schon Nein gesagt hatte. „Ich nehme mir einfach ein Taxi“, sagte sie, „das ist schon okay.“ Anna zuckte mit den Schultern. „Wie du willst. Aber sag nicht, wir hätten dich nicht gefragt.“
„Ich werde euch alle vermissen“, sagte sie, als sie sich ihre Handtasche über die Schulter warf und den Henkel des Trolleys packte, und sie wusste nicht einmal, ob es gelogen war oder nicht. Dann drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und ging.
Am Ausgang konnte sie die Familien der Schauspieler erkennen und sie beeilte sich noch ein bisschen mehr, bevor sie doch noch in die Wiedersehensfreude mit reingerissen werden konnte. Draußen nahm sie sich ein Taxi, ließ ihren Koffer verstauen und nahm auf der Rückbank platz. Sie lehnte ihre Stirn an die Scheibe und starrte gedankenverloren nach draußen.
Hinter ihr blieb der Flughafen Heathrow zurück und vor ihr tauchten bereit die ersten Lichter der Stadt auf, wenn auch leicht verschleiert. Sie fuhr durch ein verregnetes London nach Hause, und die Stadt, die sie so sehr liebte, hieß sie auf ihre ganz eigene Art Willkommen.