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Kapitel 17

 

~ Don’t approach me

 

So don't approach me, I won't approach you

And don't insult me, I won't insult you

Cause you don't know what I will or I won't do

 

Nach einem für Joe ziemlich ereignislosen Wochenende, was sie mit Putzen und Gartenarbeite verbracht hatte, musste sie wieder am Set antreten. Es standen ein paar Nachdrehs in Beutelsend an, die nun mit Dean als Fíli neu aufgenommen werden mussten. Die Essensschlacht, die bereits abgedreht worden war, würde nur teilweise neu gedreht werden müssen, da Pete weder die Geduld noch die Zeit dafür hatte.


„Und was machen wir dann heute hier?“, fragte Aidan, der bereits vollständig in Kíli verwandelt worden war. Dean würde noch eine halbe Stunde brauchen, hatte man ihnen mitgeteilt. Andy Serkis, der Regisseur der 2nd Unit, schob sich eine Brille auf die Nase und blätterte schnell das kurze Drehbuch für heute durch.

Seine wilden Locken sahen ungekämmt aus und der mittlerweile wuchernde Bart verstärkte diesen Eindruck noch zusätzlich. Scheinbar war es nun Mode, sich die Gesichtsbehaarung nicht mehr nur ankleben zu lassen, sondern sie gleich selbst zu züchten. Bei den Zwergen mochte das auch durchaus noch seine Begründung haben, doch bei dem Regisseur der 2nd Unit, der nur hinter der Kamera zu sehen war, war es ziemlich sinnlos. Und Joe musste gestehen, dass sie Andy lieber ohne Bart gesehen hätte. Auch, wenn er sie glatt rasiert mehr an Gollum erinnerte, was ihr immer mal wieder in bestimmten Situationen einen Schauer über den Rücken jagte.

Sie saß etwas abseits auf einer Kiste, die für das Equipment genutzt wurde, und beobachtete, wie Aidan auf seine Anweisungen wartete. Dahinter blödelte Martin Freeman ein wenig mit einer Assistentin herum. Er war mit seiner Perücke, den künstlichen Füßen und seinem Patchwork-Morgenmantel ebenfalls schon vollständig in Bilbo verwandelt worden.

Der Morgenmantel gefiel Joe immer noch sehr. Sie mochte das Design, was Ann sich ausgedacht hatte. Vielleicht würde sie sich ein ähnliches Stück einmal selbst nähen, wenn sie Zeit dazu hatte.

Sie wurde aus ihren Gedanken, welcher Stoff sich für sie besonders gut eignen würde, herausgerissen, als Dean angehetzt kam. Sein Gesicht war leicht gerötet, nachdem er mit einem Blick auf die Uhr festgestellt hatte, dass seine Verwandlung doch länger gedauert hatte als beabsichtigt. Was auch nicht zuletzt daran lag, dass er ständig Zwischenfragen gestellt hatte und nachher noch mit Richard gequatscht hatte, als der den gemeinsamen Makeup-Trailer betreten hatte, um sich in Thorin verwandeln zu lassen. „Entschuldigt“, keuchte er leicht atemlos. Das Kostüm, der Fatsuit und seine Maske machten ihn gut 20 kg schwerer, was sich auf seine Kondition auswirkte.

Andy klappte das Drehbuch wieder zu und sah seine beiden Zwerge und den Hobbit lächelnd an. „Jetzt, da wir alle da sind“, begann er mit seinem Seitenblick auf Dean, „kann ich euch sagen, was wir heute machen werden.“ Dabei sah er Aidan an, als wollte er sagen: „Hast du etwa nicht das Memo bekommen?“

Joe versteckte ihr Kichern hinter einer vorgehaltenen Hand. Sie wusste nicht genau, wieso sie ausgerechnet heute hier sein sollte, wo Pete doch mit der 1st Unit eine Szene zwischen Balin und Thorin drehte. Doch das machte nichts. Hier würde sie eindeutig mehr Spaß haben. Das konnte sie jetzt schon sehen.

„Also: Bilbo hat mittlerweile schon Besuch von Balin und Dwalin bekommen. Nun klopft es erneut an seiner Tür und Fíli und Kíli stehen davor. Er öffnet verdutzt“, Andy hielt kurz inne und sah Martin an, der eine imaginäre Tür öffnete und mit einer seiner typischen Grimassen nach draußen schielte, „und die beiden Brüder sagen ihren Namen, verbeugen sich und sagen dabei ‚Zu Euren Diensten‘. Alles klar?“ Einstimmiges Nicken antwortete ihm. „Gut, dann würde ich vorschlagen, dass wir das einmal kurz proben und dann direkt anfangen. Das ist ja jetzt keine allzu große Herausforderung.“

Dabei sollte er sich jedoch gewaltig geirrt haben. Nachdem die erste Probe hervorragend ablief, ließ Andy Licht und Kamera anschalten. Schon nach kurzer Zeit war Joe sehr dankbar dafür, dass sie sich für eine ¾-Hose, Ballerinas und ein Tanktop entschieden hatte, denn kaum waren die Strahler an, gaben sie eine derartige Hitze an ihre Umgebung ab, dass es innerhalb kürzester Zeit unerträglich heiß im Hobbitbau wurde. In der Stage, in der das Set stand, war es ohnehin nicht besonders kühl, da auch von der Decke Lampen hingen, die die imaginäre Umgebung ausleuchten mussten. Ganz zu schweigen davon, dass draußen schwüle 30 Grad herrschten. Der Hochsommer war mit voller Wucht zurückgekommen.

„Gut, Ton läuft?“ Andy sah den Tontechniker an, der den Daumen nach oben reckte. „Alles klar, dann, Martin, bitte!“ Er ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen und zeigte mit dem Finger auf Martin, der auf Kommando die Tür öffnete. Davor standen Dean und Aidan mit ernsten Gesichtern.

„Kíli“, sagte Dean und sah Aidan erwartungsvoll an. Der schaute verwirrt zurück und antwortete: „Fíli? Ich bin doch Kíli. Oder nicht?“

„Cut!“, brüllte Andy sofort wieder, wobei er nicht verhindern konnte, dass seine Mundwinkel verräterisch nach oben zuckten. „Was denn? Ihr werdet doch wohl eure eigenen Namen wissen?“

Joe kicherte im Hintergrund, was Aidan nicht sehen konnte. Er hatte aber eine Vermutung, beugte sich vor, sodass er durch die geöffnete Türe hindurchgucken konnte, und suchte sie. Als er sie fand, sagte er: „Hey! Auf den billigen Plätzen wird nicht gelacht.“ Das ließ sie gleich verstummen und sich ein Mäuseloch wünschen, in das sie kriechen konnte. Sie ahnte, dass Aidan es nicht böse gemeint hatte, doch da sie daraufhin alle in der Umgebung neugierig ansahen, befand sie sich plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit. Und das behagte ihr selbstverständlich überhaupt nicht.

Beim nächsten Take schafften die beiden es tatsächlich, sich richtig zu benennen. Doch leider konnten sie dabei nicht ernst bleiben, weil Martin, der beim Öffnen der Tür hinter die Kamera getreten war, sodass man ihn nicht mehr sehen konnte, eine Grimasse schnitt, die sich gewaschen hatte.

Nachdem sie es fünf Mal hintereinander versucht und kläglich daran gescheitert waren, dass sie entweder ihre Namen durcheinander brachten oder anfingen zu lachen, ordnete Andy eine Pause an, damit sich jeder ein bisschen sammeln konnte.

Als die Schauspieler nach draußen gegangen waren, um sich ein bisschen in ihrem Kühlzelt abzukühlen, warf er sich neben Joe in seinen Regiestuhl. Genervt stützte er den Kopf in die Hände. „Irgendwie hatte ich mir diese Szene leichter vorgestellt“, seufzte er und sah dann Joe an. „Und du?“

Doch sie zuckte nur mit den Schultern und lächelte.

Ein paar Minuten später rief seine Assistentin das Set wieder zur Ordnung und sie fingen von vorne an. Nachdem aber Dean zum dritten Mal in Folge sich selbst als Kíli bezeichnet hatte, konnten weder der Regisseur noch die Kostümdesignerin an sich halten und brachen mit den unmittelbar Anwesenden in schallendes Gelächter aus. Selbst Aidan ließ sich davon anstecken, biss sich erst auf die Unterlippe, um es zu unterdrücken, schaffte es dann aber doch nicht mehr. Er krümmte sich vor und schlug sich kichernd auf den Oberschenkel.

Dean fand das Ganze allerdings weniger lustig. Er war sehr stolz auf sich gewesen, dass er seinen ersten Drehtag so souverän hinter sich gebracht hatte. Dass der Zweite nun in so einer Katastrophe endete, wobei die Szene auch noch viel einfacher war als die von Freitag, machte ihm sehr zu schaffen. Als er dann auch noch die schüchterne Joe so ungezwungen lachen sah, was offensichtlich seiner Unfähigkeit galt, stieg ihm vor Scham die Röte ins Gesicht. Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Na, vielen Dank auch!“

Beleidigt verschränkte er seine Handprothesen vor seiner breiter gemachten Brust und schmollte. Das brachte nun auch Martin zum Lachen, der sich bisher zurückgehalten hatte, weil das Ganze ja mehr oder weniger seine Schuld war. Immerhin hatte er die ganze Zeit über von Andy ungesehen irgendwelche Gesichter für seine beiden Kollegen gezogen.

Joe fing Deans empörten Blick auf und verstummte gleich im nächsten Moment. In seinen Augen konnte sie lesen, was er in diesem Moment dachte, und sie wünschte, sie hätte sich mit ihrem Lachen etwas zurückgehalten. Bei nächster Gelegenheit würde er ihr sicherlich die Leviten lesen. Darauf konnte sie jedoch gut und gerne verzichten. Oder er würde ihr nur allzu deutlich machen, was er von ihr hielt und wie er über sie dachte. Hoffentlich tat er das nicht in aller Öffentlichkeit.

Deswegen war sie eigentlich eher weniger erleichtert, als Andy vor der Mittagspause, nach dem gefühlt 50. Take, endlich verkündete, die Szene im Kasten zu haben. Nun würde Aidan ganz sicher fragen, ob sie mit ihnen in die Kantine gehen wollte. Doch das wollte sie lieber nicht tun.

Leider ließ der Ire keine Widerrede zu. Er fragte auch gar nicht erst. Als die Kamera aus war und sie gehen durften, steuerte er schneller auf Joe zu, als sie überhaupt reagieren konnte. Sie hatte nicht einmal die Zeit, ein Nein auch nur ansatzweise herauszubringen, da hatte er sie schon am Arm gepackt, hakte sich bei ihr unter und sagte: „Du hast doch sicher nichts dagegen, mich zum Mittagessen zu begleiten, oder?“

Als er ihr so nahe kam, drang ihr sein penetranter Schweißgeruch, der sich mit dem Silikon mischte, was er noch trug, und dem Gestank, den sein Kostüm und sein Fatsuit allgemein ausdünsteten. Am liebsten wäre sie ein Stück von ihm abgerückt, doch er hatte sie in seinem Griff so fest eingeklemmt, dass sie keine Chance hatte, ihm zu entgehen. Sie setzte noch zu einem formellen Protest an, doch Aidan überhörte das einfach.

„Man, Aidan“, kam es schließlich genervt von Dean, der hinter ihnen ging. „Wenn sie nicht will, dann lass sie doch. Du kannst sie ja schlecht zwingen, mit uns zu essen.“ Und Joe hätte schwören können, dass er noch so etwas wie: „Und mich auch nicht!“ hinzusetzte. Doch er sagte es so leise, dass sie sich nicht sicher war, ob er überhaupt etwas gesagt hatte.

Dean jedoch hatte wirklich keine Lust, sich mit ihr zu beschäftigen. Langsam ging sie ihm mit ihrer schüchternen Art ganz gehörig auf den Wecker. Ihr jedes Wort aus der Nase zu ziehen war mehr als anstrengend. Es wurde langsam regelrecht lästig. Und dass Aidan, Graham und Richard es jedes Mal doch wieder versuchten, raubte ihm zusätzlich noch Nerven. Wieso konnten sie es nicht einfach gut sein lassen?

Sie nahmen am Tisch von Jed und Graham Platz, die schon fast fertig waren mit dem Essen. Sie trugen keine Kostüme und Dean nahm daher an, dass sie heute Vormittag frei gehabt hatten. Heute Nachmittag würde allerdings noch eine Wiederholung der Essensszene mit Andy in der 2nd Unit gedreht werden. Dazu würden sie wieder in die Maske müssen. Daher hatten sie ihr Mittagessen vorgezogen, um gleich so schnell wie möglich wieder verschwinden zu können.

Graham begrüßte Joe mit einem warmen Blick und warf Aidan einen zu, der ihn vermutlich hätte töten können. Der zuckte jedoch nur entschuldigend mit den Achseln. „Sie hat sich nicht gewehrt“, war seine Antwort.

Jed nahm das zum Anlass, Aidan einen blöde Spruch an den Kopf zu werfen: „Hey, Aid! Musst du Frauen jetzt schon betäuben, damit du sie abschleppen kannst?“ Und Joe hielt er seine Gabel. „Hier“, sagte er dann und packte sie wie eine kleine Waffe mit der geballten Faust mit den Zacken nach unten. „Das ist dein First Aid-Kit, falls er das nächste Mal zudringlich wird.“

Daraufhin brach Graham in schallendes Gelächter aus und verlor beinahe sein grade aufgenommenes Tablet. Zwischen zusammengepressten Zähnen und mit Tränen in den Augen japste er: „First-Aid-Kit! Der war gut, Jed!“

Dean und Aidan sahen sich verständnislos an. Sie hatten den Wortwitz nicht verstanden. Daher nahmen sie einfach Platz und begannen zu essen. Auch Joe wagte sich nun an ihr Mittagessen heran, stellte aber schnell fest, dass es ihr wieder einmal nicht besonders gut schmeckte. Sie wusste schon, wieso sie sich meistens etwas von zu Hause mitbrachte. Nach nur ein paar Bissen schob sie ihr Tablet von sich und lehnte sich zurück.

Nun kamen auch Richard und Ken Stott zu ihnen, die ihre Szene zwischen Thorin und Balin offensichtlich auch im Kasten hatten. „Hey, Kleines“, begrüßte Richard Joe und warf ein allgemeines Hallo für die anderen in die Runde.

Ken, ganz der englische Gentleman, reichte Joe seine verschwitzte Silikonhand. „Hallo, mit wem habe ich die Ehre?“, fragte er und zwinkerte ihr zu. Sein weißer Bart stand in zwei großen Wellen von seiner Brust ab, was das Essen sicher nicht leicht machen würde. Daher hatte er sich ein Handtuch mitgebracht, was er sich nun um den Hals band.

Bevor Joe antworten musste, sprang Richard ein. „Das ist Joe. Sie ist Kostümdesignerin. Du hast sie schon kennengelernt. An dem Tag, an dem wir die Set-Führung bekommen haben, hat Jed sie vom Boden aufgehoben.“

Jed legte seinen Zeige- und Mittelfinger an seine Stirn und grüßte in Joes Richtung, dann nahm auch er sein Tablet auf und folgte Graham zur Rückgabe. Auch er musste noch in Nori verwandelt werden.

Da Ken keinerlei Wiedererkennungsreaktion zeigte, gab Richard es auf, ihm zu erklären, wer Joe war. Dean jedoch sah sich bestätigt. Wie sollte der alte Mann sich auch an sie erinnern, wenn sie sich ständig im Hintergrund hielt und nie ein Wort sagte. Er fand es bewundernswert, dass Jed sich überhaupt mit ihr abgab. Immerhin konnte er mit stillen Leuten so wenig anfangen, die ein Eisbär mit einem Kühlschrank.

Nur noch genervter von dieser Situation im Mittagstisch konzentrierte er sich nun voll auf sein Essen. Er schaufelte es so verbissen in sich hinein, dass Richard bald ein Auge auf ihn warf. „Alles okay bei dir, Deano?“ Er zog die Augenbrauen zusammen und musterte ihn neugierig.

„Ja, ja!“, antwortete der nur. „Alles okay. Hab nur Hunger.“

Richard ließ es schließlich dabei bewenden. Er hatte zu Dean nicht das innige Verhältnis, was ein weiteres Bohren gerechtfertigt hätte. Daher wandte er sich an Joe und fragte: „Wo wohnst du eigentlich? Doch sicherlich nicht hier auf dem Gelände, oder?“

Sie schüttelte den Kopf und ließ sich viel Zeit mit der Antwort. Dann beugte sie sich ein bisschen zu ihm hin, um nicht allzu laut sprechen zu müssen. „Auf der Karaka Bay Road“, flüsterte sie fast und zuckte zusammen, als Richard begeistert ausrief: „Das ist doch bei mir um die Ecke! Das wusste ich gar nicht.“

Verwirrt starrte sie zurück. „Ich dachte, ihr würdet hier…“ Sie brach ab und machte eine allumfassende Geste mit der rechten Hand, die die Studios komplett einschließen sollte.

Für einen Moment begriff Richard nicht, doch dann lachte er auf. „Du denkst, wir würden nur in den Trailern wohnen?“ Und als er sah, dass sie wieder rot angelaufen war und ihr das sichtlich peinlich zu sein schien, fügte er ernst geworden hinzu: „Nein, wir haben zwar jeder unseren eigenen Trailer, den wir tagsüber auch als Rückzugsort nutzen. Aber abends und am Wochenende fahren wir immer zurück in unsere hier angemieteten Häuser. Stell dir vor, wir müssten uns jeden Abend in dem winzigen Bad im Wohnwagen vom Schweiß und Gestank des Tages befreien. Das würde ja gar nicht gehen.“

„Ja“, mischte sich nun auch Aidan ein, der mit vollem Mund sprach. „Ich meine, die Trailer sind schon ziemlich luxuriös eingerichtet, aber ich würde darin wirklich nicht für 18 Monate wohnen wollen. Das Geld, mir hier ein Haus anzumieten, ist es mir dann doch wert.“

Nun war Joe tatsächlich neugierig geworden. Sie vergas für einen kleinen Moment ihre Unsicherheit Aidan gegenüber und fragte ihn direkt. „Und wo hast du dir ein Haus angemietet?“

Dean hielt erstaunt in seinem Bemühen, so viel Essen wie nur möglich in seinen Mund zu stopfen, inne und sah sie erstaunt an. Wenn sie nicht wie ein Rehkitz guckte und sich verhielt, dann konnte sie tatsächlich recht normal wirken. Davon hätte er gern mehr gesehen.

Schnell rief er sich aber wieder zur Ordnung. Was hätte er denn davon, wenn sie sich ihm plötzlich öffnete? Vermutlich würde das sowieso nicht lange gut gehen. Schon nach kurzer Zeit würde sie wieder in ihr Reh-Schema zurückfallen und er würde sich wieder über sie ärgern. Konnte sie nicht einmal klar sagen und tun, was sie dachte? Wieso musste ständig darüber nachgrübeln, was andere von ihr denken könnten? So etwas machte ihn rasend! Immerhin war er jemand, dem es egal war, was andere von ihm hielten. Das hatte er schon während des Drehs zu The Almighty Johnsons begreifen müssen.

Als Schauspieler war es aber auch eher hinderlich, wenn man wenig von sich hielt. Man musste Produzenten und Regisseure von sich überzeugen können. Wenn man ein guter Schauspieler war, konnte man das auch sicher, wenn man wenig Selbstbewusstsein hatte. Doch er hatte gelernt, dass es vorteilhaft war, es nicht spielen zu müssen. Doch bei Joe war weder Potenzial zur Schauspielerei vorhanden, noch übermäßiges Selbstbewusstsein. Sie konnte ja noch nicht mal lügen, selbst wenn sie es wollte.

Aidan gefiel es, dass sie sich plötzlich für ihn zu interessieren schien. Er grinste sie mit halb vollem Mund an. „Napier Street, ganz in deiner Nähe“, nuschelte er, wobei er ihr noch ein halb ernst gemeintes Zwinkern zuwarf. Nachdem er den Bissen endlich runtergeschluckt hatte, setzte er noch hinzu: „Ich kann ja am Wochenende mal bei dir vorbei kommen und wir machen es uns gemütlich.“

Urplötzlich war Joes halbwegs selbstsicherer Moment verschwunden und sie lief wieder rot an. Ihre Kehle schnürte sich bei dem Gedanken, Aidan könnte wirklich plötzlich in ihrer Einfahrt stehen, zu und sie musste sich auf jeden einzelnen Atemzug konzentrieren. „Äh“, stotterte sie das eine Wort, wobei es eher wie ein Krächzen klang.

Ihre Erfahrungen, sich allein mit Männern zu unterhalten, beschränkten sich auf ein Minimum. Schon in der Schule war sie alles andere als erfolgreich bei so etwas gewesen. Meistens war es Denver gewesen, die dafür gesorgt hatte, dass sie überhaupt soziale Kontakte zum anderen Geschlecht hatte. Wobei sich die auch entweder auf ein Viererdate oder auf die Mitglieder ihrer Band beschränkt hatten.

„Schon gut“, winkte Aidan lächelnd ab. Irgendwie machte es ihm ein bisschen Spaß, Joe so zu ärgern. Vielleicht konnte er sie damit irgendwann einmal aus ihrem Schneckenhaus herausholen. „Das war nur ein Scherz.“

Dean hingegen sah das völlig anders. Was auch daran lag, dass er gar kein Interesse daran hatte, Joe auch nur im Geringsten zu verändern. Wenn sie das scheue Mädchen sein wollte, dann sollte sie es eben sein. Er hatte genug damit zu tun, sich hier unter all den Leuten zurecht zu finden. Seinen Platz unter den Zwergen zumindest hatte er.

Das lag allerdings auch eher daran, dass er sie alle am Wochenende zu sich eingeladen hatte. Es waren nicht alle gekommen, da viele auch ihre Familien hier hatten. Stephen Hunter zum Beispiel war erst vor kurzem Vater geworden und hatte seine Frau und sein Kind hier. Und das Kleine verlangte natürlich eine Menge Aufmerksamkeit am Anfang. Doch der Großteil war erschienen und sie hatten es sich auf der Veranda mit ein paar gegrillten Würstchen und einem kalten Bier gemütlich gemacht. Sie hatten auch schon darüber nachgedacht, das nun jedes Wochenende zu tun. Allerdings jedes Mal bei jemand anderem, da man Dean nicht zumuten wollte, jede Woche Essen und Trinken für alle zu stellen. Besonders Aidan und Graham hatten viel verschlungen.

Endlich hatte er sein Mittagessen beendet und er fühlte sich ziemlich voll. Das lag vermutlich daran, dass er sich seinen Teller viel zu voll gemacht hatte und einfach alles in sich hineingeschaufelt hatte, ohne groß nachzudenken. Nun bereute er es.

Doch bevor er sich weiter über Joe aufregen konnte, wie sie da still auf ihrem Stuhl saß und so tat, als wäre sie gar nicht anwesend, erhob er sich mit einer Entschuldigung und machte sich auf in seinen Trailer. Dort würde hoffentlich ein bisschen runterkommen und sich auf die nächste Szene konzentrieren können.

Wütend über sich selbst, weil sie ihn mit ihrem Verhalten so reizte, obwohl sie ja eigentlich gar nichts tat, stapfte er aus der Kantine. Begleitet wurde er dabei von den irritierten Blicken von Aidan und Richard. Joe schaute stumm auf ihren immer noch zum größten Teil vollen Teller. Sie hatte das ungute Gefühl, dass Dean ihretwegen so abgedampft war, und das ließ in ihr den Wunsch keimen, ihm so schnell nicht wieder über den Weg laufen zu wollen.


***


Vor dir steht dampfend eine Tasse Tee, deren Duft sich langsam um dich herum ausbreitet. Du fühlst dich sehr unwohl, weil du mit ihm heute das erste Mal alleine in ein Café gehst, doch Denver hat darauf bestanden. Ihm hat sie gesagt, dass sie sich heute nicht wohl fühlt. Doch du weißt, dass sie dir damit eigentlich einen Gefallen tun möchte.

Richtig freuen kannst du dich dennoch nicht darüber, denn deine Angst, etwas Dummes zu tun oder zu sagen, überwiegt die Aufregung, mit einem Jungen aus deiner Klasse endlich ein richtiges Date zu haben.

„Möchtest du nicht deinen Tee trinken, bevor er kalt wird?“, fragt er dich und lächelt dich an. Seine Tasse ist bereits halb leer. Und das, obwohl er die meiste Zeit redet. Ab und zu stellt er dir eine Frage, die du jedoch oft mit einem Ja oder einem Nein beantworten kannst. Aber am meisten geht es um ihn und was er so tut. Du findest ihn totlangweilig.

Nachdenklich nippst du an deinem Getränk und überlegst dir, wie du von hier abhauen kannst. Doch dir will einfach nichts Vernünftiges einfallen. Wieso nur kriegst du deine Zähne nicht auseinander?

„Joe!“, ertönt auf einmal eine bekannte Stimme von der Tür des Cafés her. Du weißt, wer da gerufen hat, und dein Herz schlägt sofort höher. Mit einem Lächeln drehst du dich zu ihm um. „Was machst du denn hier?“, fragt er, doch als er deine Begleitung sieht, lenkt er sofort ein. „Oh, ich verstehe. Entschuldigung, ich möchte euch nicht weiter stören.“

Dein Date muss die Begeisterung in deinen Augen sofort bemerkt haben, denn er erhebt sich augenblicklich. „Nein, schon gut“, sagte er. „Ich wollte ohnehin gerade gehen.“ Er zieht sein Portmonee heraus, legt einen Schein auf den Tisch, verabschiedet sich schnell und geht beleidigt nach Hause.

Dein Retter jedoch setzt sich lächelnd neben dich. Dabei berührt seine Hand leicht deinen Arm. Sofort spürst du ein Prickeln auf deiner Haut. „Hi“, lächelt er breit.

„Hi“, hauchst du überglücklich zurück.

© by LilórienSilme 2015

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