LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 17
~ Ritt nach Gondor
„Und Rohan wird antworten!“
Ich weiß nicht, was König Théoden damals bewogen hatte, seine Meinung zu ändern, aber diese vier Worte waren für uns alle eine Wohltat. Und als ob jedermann nur darauf gewartet hatte, wurden augenblicklich alle Vorbereitungen getroffen. Vielleicht hatte sein gesunder Menschenverstand gesiegt. Vielleicht war es aber auch nur sein gutes Herz. Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung und ich konnte mich trotz allem Schmerz doch etwas freuen. Denn nun würde es Sauron nicht mehr so einfach fallen, Gondor zu erobern.
Ein Blick auf eine Karte Mittelerdes zeigte mir, dass Minas Tirith an einem strategisch ungünstigen Punkt lag. Zwar gab es einen Fluchtweg hinauf in die Berge, aber für Frauen und Kinder würde dieser Weg nicht einfach werden. Wohlmöglich würden dadurch mehr sterben, als wenn sie sich gefangen nehmen ließen. Doch mehr Sorgen bereitete mir die Stadt Osgiliath. Wenn die Truppen dort dem Ansturm nicht standhalten würden, denn sie bot nun mal die erste Angriffsfläche von Mordor aus gesehen, hätte der Feind einen freien Weg zu den Feldern vor der Weißen Stadt.
Unser kürzester Weg würde uns vorbei am Weißen Gebirge führen, eingeklemmt zwischen dem Fluss Entwasser und den Bergen. Meiner Schätzung zufolge würde es ein Marsch von über dreihundert Meilen werden, die Pferd und Reiter zurücklegen mussten, bevor sie würden kämpfen können. Dies würde eine Herausforderung werden, so viel war sicher.
Als ich vor die goldene Halle trat, herrschte im Dorf geschäftiges Treiben. Die Männer sattelten ihre Pferde, legten ihre Rüstungen an und saßen auf. Die Frauen standen daneben mit einem Gesichtsausdruck, als wären ihre Männer, Söhne, Brüder und Väter schon gestorben. Sie wussten, dass nicht alle zurückkehren würden. Wahrscheinlich würde es nicht einmal die Hälfte schaffen, ihre Heimat wiederzusehen. Doch was nützte es. Würden sie nicht mit Gondor kämpfen, würden sie alleine untergehen.
Der König kam gerade aus der Halle heraus und hatte ein paar Männer um sich versammelt. Neben ihm ging sein Neffe Éomer. Dieser schien bereit für einen Kampf und so sagte sein Onkel zu ihm: „Versammelt das Heer in Dunharg. So viele Männer, wie sich finden lassen. Ihr habt zwei Tage. Am Dritten reiten wir nach Gondor und in den Krieg.“ Éomer nickte und ging davon. Er würde nun Heerschau betreiben und ich hoffte für ihn, dass er erfolgreich war. Ich hoffte es für uns alle.
Auch wir sattelten nun unsere Pferde. Dabei hörte ich, wie Aragorn mit Éowyn sprach, die mit uns bis zum Feldlager in Dunharg reiten würde. Ich wusste, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als ebenfalls in die Schlacht zu ziehen. Doch ihr Onkel und ihr Bruder würden es ihr niemals erlauben. Denn wenn beide fielen würde sie Königin über Rohan werden. Doch dies wollte sie genauso wenig, wie ich Herrin über Lórien werden wollte. Natürlich besaß ich von Natur aus ein gewisses Pflichtgefühl, doch die Jahre hatten mich gelehrt, dass ich so eine große Verantwortung nicht tragen wollte. Sollte ich den Krieg heil überstehen, würde ich in die Unsterblichen Lande zurückkehren und dort versuchen mein Glück zu finden. Denn mein Herz wurde mit jeder Minute schwerer, auch wenn es einen kleinen Lichtstrahl am Ende des Weges gab. Allerdings wuchs auch die Angst, das Licht könnte erlöschen, mit jedem Schritt, den ich auf es zutat. Mein Schicksal hatte mich misstrauisch gemacht und ich glaubte nicht mehr daran, dass einem einfach so etwas Gutes geschehen konnte. Wollte man sein Glück haben, musste man dafür hart kämpfen und viel davon verlieren, was einem wirklich wichtig war. Doch vielleicht auch gab es noch den Hauch einer Hoffnung, dass das Schicksal mich nicht völlig vergessen hatte und mir am Ende doch noch etwas Fröhlichkeit vergönnt war.
Auf dem Weg zum Feldlager schwieg ich beinahe die ganze Zeit. Ich hatte gesehen, wie Merry Théoden seine Dienste angeboten hatte. Nun war auch der letzte unserer Gefährten für den Krieg eingezogen worden. Hätten die Hobbits doch nur eine kräftigere Statur, so müsste man sich keine Gedanken darüber machen, dass sie von einem Pferd niedergetrampelt werden könnten. An Mut fehlte es ihnen nicht. Wahrscheinlich waren sie sogar mutiger, als mancher Ritter in den Diensten des Königs. Doch ein großes Herz konnte die Erfahrung im Kampfe nicht ersetzen. Sollte er tatsächlich in den Kampf ziehen wollen, würde ich mit ihm üben.
Die Stimmung unter den Reitern war eine ziemlich bedrückte. Sie ritten ihrem Schicksal entgegen und keiner konnte es ihnen verdenken, wenn sie nun doch einen Rückzieher gemacht hätten. Doch die Liebe zu ihrem Land und zu ihrem König hielten sie davon ab. Sie hatten Eide geschworen, die sie nun erfüllen mussten. Sie wollten kämpfen. Doch sterben wollten sie nicht. Ich schickte ein stilles Gebet zu meinen Göttern hinauf, dass sie über die Krieger der Menschheit wachen sollten. Und wenn es ihnen gefiel, dass ich durch meinen Tod in der Schlacht das Leben von auch nur einem einzigen Mann retten konnte, dann mögen sie es nehmen wollen. Ich würde es ihnen bereitwillig vor die Füße legen.
Doch dann fiel mein Blick auf denjenigen, der neben mir ritt, und mein Herz tat einen Sprung. Konnte es sein, dass es doch etwas gab, wofür es sich zu leben lohnte?
Legolas und ich hatten in der Zeit des Aufbruchs nicht viel miteinander reden können, doch ich hatte das Gefühl, dass unsere Übereinkunft, noch einmal von vorne zu beginnen, etwas war, was ihm das Herz leichter werden ließ. Denn, obwohl es nun unausweichlich in eine Schlacht gehen würde, schenkte er mir bei jeder Gelegenheit ein Lächeln. Manchmal, wenn mir danach zu mute war, lächelte ich zurück und seine Augen strahlten mich an. Und jedes Mal, wenn ich in seine blauen Augen sah, bildete ich mir ein, dass ich den Himmel sehen konnte, der blau und klar über einem ruhigen Meer lag. Eine warme Brise wehte über das Wasser und trieb mir den salzigen Duft der weiten Welt ins Gesicht. Leise Schreie von Möwen drangen an mein Ohr und ließen die Sehnsucht nach meiner Heimat in mir aufkeimen, bis ich dachte, mein Herz müsste zerspringen vor Glück, dass ich hoffentlich bald heimkehren konnte.
Doch dann veränderte sich das Bild. Das Meer wurde blutrot und ein dunkler Schatten tauchte aus der Tiefe auf. Die Schreie wurden bedrohlich und klagen voll Angst. Ich beugte mich tiefer über das Wasser, um sehen zu können, was dort unten lag. Zwei glühende Punkte kamen immer näher, bis sie direkt unter der Oberfläche schwammen und ich erkannte, dass es zwei Augen waren, die mich anklagend anblickten. Dann ertönte eine Stimme: „Du hast mich vergessen und mein Andenken beschmutzt. Eine Dirne ist aus dir geworden, die sich jedem, der sie rettet, an den Hals wirft. Schande über dich! Dein Leben soll verflucht sein und alle, die du liebst, sollen sterben!“
Ich stieß einen spitzen Schrei aus und zuckte zurück. Dabei wäre ich beinahe vom Pferd gefallen, wenn meine kluge Stute Alagos meine heftige Bewegung nicht abgefangen hätte. Sofort schossen mir die Tränen in die Augen, als ich begriff, wer eben in dieser Vision zu mir gesprochen hatte. Unglaubliche Angst durchflutete meinen Körper und ich konnte nicht verhindern, dass meine Hände zitterten und ich laut zu schluchzen begann. Eine Hand lag plötzlich auf meinem Oberarm und eine sanfte Stimme sprach zu mir: „Meine Herrin, ist etwas nicht in Ordnung?“ Ich blickte auf und sah Legolas. Sofort begriff ich, was der Geist gemeint hatte, und schlug seine Hand weg. „Es ist nichts!“, rief ich lauter und schneller, als dass man es hätte glauben können, und gab meiner Stute die Fersen. Nur weg von ihm, dachte ich. Wenn ich zu sehr in seiner Nähe blieb, bestand die Gefahr, dass der Fluch ihn treffen könnte, auch wenn ich ihn nicht liebte.
Oh, Haldir, was hatte ich dir nur angetan, dass du aus meinen Grab zu mir gesprochen hattest? Schuldgefühle plagten mich seit diesem Tage jede Nacht in meinen Träumen und ich erwachte jedes Mal Schweis gebadet, wenn ich wieder die roten Augen gesehen hatte, die richtend über mir schwebten, wie die Klinge eines Feindes. Doch vermutlich war es leichter zu sterben, als mit der Schuld, einen geliebten Menschen getötet zu haben, zu leben.
Ein schriller Schrei riss mich aus meiner Lethargie und holte mich zurück neben Théoden. „Habt Ihr das gehört?“, fragte ich ihn, doch er schüttelte nur den Kopf. „Ich habe nichts gehört, außer dem Trommeln der Hufe auf kaltem Boden.“
„Nein“, sagte ich, „das war es nicht, was ich hörte. Ich hörte den Schrei eines geflügelten Untiers, welches über einer Stadt aus Ruinen kreist. Osgiliath befindet sich in großer Gefahr. Vermutlich werden die Menschen die Stadt nicht halten können. Wir sollten unsere Pferde antreiben. Um Gondor steht es nicht gut.“
Der König nickte und drückte die Fersen seiner Stiefel in die Flanken des Pferdes. Es wehrte sich kurz gegen das hohe Tempo, lief jedoch dann eilig voran, um uns unserem Ziel ein Stück näher zu bringen. Wir wussten nicht, was uns erwarten würde. Doch wenn die Nazgûl die Heere der Orks unterstützten bei der Schlacht um den ersten Posten zwischen Mordor und den Menschen, würde es schwerer für uns werden, als wir angenommen hatten. Wenn der Dunkle Herr seine treusten und schrecklichsten Diener schickte, um gegen Minas Tirith ins Felde zu ziehen, dann maß er der Bedeutung der Menschen eine größere zu, als wir zunächst geglaubt hatten. Er musste Angst vor irgendetwas haben. Sollte es tatsächlich sein, dass er Angst davor hatte, ein König könne die Menschen wieder vereinigen? Schickte er aus diesem Grund allein seine Schwarzen Reiter hinter uns her?
Nein, er wollte auch den Ring. Er wusste nicht, dass Frodo und der Ring nicht mehr bei uns waren. Vielleicht glaubte er seinen größten Schatz in den Händen der Menschen, dort, wo er ihn damals verloren hatte. Vielleicht sah er den Erben von Isildur bereits mit dem Ring an der Hand aus der Dunkelheit auftauchen und ihn vernichten. Und wenn ein Mensch, ein König, den Ring hatte, würde er ihn sicher gegen ihn einsetzen. Sauron würde niemals auf die Idee kommen, dass wir diese große Macht gar nicht einzusetzen gedachten. Sein einfältiger Geist, der nur nach Macht und noch mehr Macht strebte, würde nicht begreifen können, dass wir eine derartige Waffe freiwillig aus den Händen geben und sie vernichten konnten. Deswegen griff er die Menschen an: weil er glaubte, sie würden ihn mit dem Ring besiegen können. Er wollte verhindern, dass sie ihn einsetzten. Und nur aus diesem Grund führte er beinahe seine gesamte Streitmacht nach Gondor, denn er wollte kein Risiko eingehen. Dies würde keine Schlacht werden, sondern ein Gemetzel. Wir würden uns etwas einfallen lassen müssen, wenn wir diesen Krieg wider erwarten gewinnen wollten. Alleine würden wir untergehen. Von den Zwergen und Elben konnten wir keine Hilfe erwarten. Vermutlich hatten sie genug eigene Schlachten vor ihrer Türe zu schlagen. Zumindest konnte ich mir vorstellen, dass Sauron es sich nicht nehmen lassen würde, in den Besitz der Drei Elbenringe zu kommen. Doch wer sonst konnte uns helfen? Mir fiel niemand ein.
Endlich ritten wir in das Lager am Dunharg ein. Doch es war nicht sehr groß. Augenscheinlich waren Éomers und Gamlings Heerschauen nicht so erfolgreich gewesen, wie wir alle erhofft hatten. Insgesamt warteten hier 6000 Männer. Mehr waren noch nicht eingetroffen. Weniger als halb so viel wie König Théoden erwartet hatte. Eine geringe Ausbeute gegen ein Heer von Zehntausenden.
Wir schlugen unsere Zelte auf einem kleinen Plateau auf, welches nur durch einen steilen Bergpfad zu erreichen war, dafür aber eine phantastische Übersicht über das gesamte Lager und seine Umgebung bot. Und mir gab es die Gelegenheit, Legolas erneut aus dem Weg zu gehen. Eigentlich wollte ich von nun an allen aus dem Weg gehen, denn der Geist war mir erneut im Traum erschienen und hatte mich davor gewarnt, Freundschaften zu schließen, denn ich würde ohnehin nur enttäuscht werden. Doch ich hatte mir vorgenommen, mit Merry den Schwertkampf zu trainieren, auch wenn es meinem Arm immer noch nicht hervorragend ging. Für den Anfang würde es reichen müssen. Also suchte ich den kleinen Krieger aus und fragte ihn, ob er etwas Hilfe gebrauchen konnte.
Er war mir dankbar, sodass er nicht hatte selber fragen müssen und sich wohlmöglich blamiert hätte. Denn er wusste natürlich, wie die Männer über ihn lachten, weil er so klein und sein Arm so kurz war. Doch so, wie ich die Hobbits nun kannte, würde ihn das nicht davon abhalten, in den Kampf zu ziehen. Schließlich waren alle seine Freunde nun im Krieg.
Wir stellten uns gegenüber voneinander auf und ich begutachtete seine Kampfhaltung. Er hatte einiges damals von Boromir gelernt, nur an der Technik mussten wir noch etwas feilen. „Du musst mehr Körperspannung halten. Dabei darfst du das Schwert aber nicht umklammern, als hänge dein Leben davon ab. Halte es locker, denn wenn es dir aus der Hand geschlagen werden sollte, könntest du dich selber verletzen. Und jetzt gibt Acht!“ Ich ließ meine Klinge auf ihn niedersausen, wobei ich meinen verletzten Arm, der leider nicht meine Schwerthand war, benutzte. Doch schon der Aufprall ließ mich meine Taktik ändern. Ich wechselte zu meinem gesunden Arm. Vermutlich würde er so auch nicht schneller heilen, aber eine weitere Verletzung konnte ich nicht riskieren.
Zu schnell wurde ich müde und musste eine Pause einlegen. Es hatte mich doch schwächer werden lassen, als ich mir eingestanden hatte. Wütend über mich selbst rammte ich mein Schwert in die Erde, wo es beinahe bis zum Schaft eingesunken stecken blieb. Wie sollte es so mit mir weitergehen? So konnte ich niemals am Kampf teilnehmen. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen.
Ich griff zu einem meiner Kurzschwerter. Die waren zwar nicht dafür geeignet, dem Hobbit einen echten Gegner vorzuspielen, aber etwas anderes konnte ich im Moment nicht halten. Dafür waren meine beiden Arme viel zu schwach. Meine Muskeln hatten sich zurückgebildet und es würde vermutlich Jahre dauern, bis ich meine alte Form wieder erreicht hatte. Wie konnte die Liebe nur so etwas mit mir machen?
Mit dem Kurzschwert lief es besser für mich. Auch Merry zeigte, dass er mutig und stark kein konnte. Es war zwar nicht viel, was ich ihn lehren konnte, doch ich hoffte, dass es reichen würde, um ihn heil aus diesem Gemetzel zu bringen.
Nachdem wir eine Zeit lang geübt hatten, beschloss ich, dass es genug war. Beide waren wir erschöpft und wir brauchten die Ruhe, denn morgen würden wir nach Gondor reiten.
Doch noch immer war mir kein rettender Gedanke gekommen, wie wir hätten die Männer, die wir hatten, vermehren können. Ich musste mich jemandem sprechen, der mir helfen konnte.
Aus einem der Zelte, die für unsere Versorgung verantwortlich waren, nahm ich mir eine flachte Schale mit Wasser gefüllt und setzte mich unter einen Baum, der mir ein bisschen Schatten und Schutz bot. Ich blies über die Wasseroberfläche und flüsterte den Namen meiner Mutter. Als ich eine Weile gewartet hatte, erschien ihr Gesicht in der Schale und sie begrüßte mich mit einem warmen Lächeln.
„Ich freue mich, dass es dir gut geht, meine Tochter.“
„Ja, Mutter, es geht mir gut. Doch ich mache mir Sorgen. Sauron schickt die Nazgûl, Gondor einzunehmen und ich vermute, dass er den Ring in den Händen der Menschen sieht. Wie nur können wir die gesamte Streitmacht Mordors aufhalten, wenn die Krieger der Weißen Stadt nicht einmal in der Lage sind, die Stadt Osgiliath zu halten?“
Meine Mutter dachte eine Weile über meine Worte nach, dann sagte sie: „Ihr müsst euch Verbündete suchen.“
Diese Idee war mir ebenfalls in den Sinn gekommen, doch mir fiel niemand ein, den wir hätten mit uns in die Schlacht nehmen können. Auch meine Mutter bestätigte mir meine Sorge, dass sie selbst in ihren eigenen Grenzen des Waldlandreiches kämpfen mussten. In Bruchtal gab es beinahe keine Elben mehr, denn sie waren alle auf dem Weg zu den Grauen Anfurten. Und im Düsterwald fanden ebenfalls erbitterte Schlachten statt.
Die Zwerge aus Moria waren schon lange tot. Und die, die am Einsamen Berg lebten, waren zu weit entfernt, um uns noch zu Hilfe eilen zu können. Alle anderen Völker, mit Ausnahme der Hobbits, die nie in einen Krieg ziehen würden, standen auf der Seite des Dunklen Herrschers. Meine Hoffnung schwand.
Ich verabschiedete mich von meiner Mutter und brachte die Schale zurück. Danach ging in zu dem Teil, wo die Pferde untergebracht waren und begann meine Stute zu putzen. Kaum hatte ich es mir neben Alagos gemütlich gemacht, sah ich, wie Legolas und Gimli ebenfalls auf diese Stelle zusteuerten. Die Unruhe anderer Pferde, die sich nicht anbinden lassen wollten, hatte sie hergelockt.
Ich hielt inne. Warum waren die Pferde so unruhig? „Es ist der Schatten des Berges, der sie beunruhigt“, sagte Éomer, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich folgte seinem Blick und erkannte eine schmale Spalte in dem massiven Berggestein, welches uns im Rücken lag.
„Dieser weg dort“, sagte Gimli, „wo führt er hin?“
Doch anstatt Éomer antwortete Legolas: „Das ist die Straße zum Dimholt, zum Tor unter dem Berg.“ Etwas regte sich in meinem Langzeitgedächtnis. Diesen Namen hatte ich schon einmal gehört, aber ich wusste nicht mehr, in welchem Zusammenhang dies stand. Und die Tatsache, dass niemand zurückkehrte, der sich jemals dorthin begeben hatte, wie Éomer sagte, ließ das ungute Gefühl in meiner Brust nicht nachlassen.
Nachdem ich Alagos fertig geputzt und den Männern geholfen hatte, die Pferde zu beruhigen, suchte ich nach Éomer. Ich fand ihn vor seinem Zelt sitzend und sein Schwert polierend. Unaufgefordert setzte ich mich neben ihn und blickte ins Feuer. Es war mittlerweile dunkel geworden und dies würde die letzte Nacht sein, die wir in Ruhe verbrachten. Oder es würde die letzte Nacht vor der ewigen Ruhe sein.
„Erzählt mir die Geschichte dieses Berges“, bat ich ihn und reichte ihm einen gefüllten Becher mit Wein. Vielleicht würde dies seine Zunge ein wenig lockern. Dankbar nahm er an, trank einen Schluck, seufzte tief und sah mir in die Augen. „Wenn Ihr es so wünscht. Aber wenn Ihr des Nachts nicht mehr schlafen könnt wegen dieser Geschichte, danket daran, dass Ihr es wart, die sie hören wollte.
Einst lebten Menschen in diesem Gebirge. Sie unterstanden dem König der Menschen, der seinen Thron in der Weißen Stadt Minas Tirith hatte, denn sie hatten ihm ihre Treue geschworen Es war die Zeit des ersten Ringkrieges und der König forderte diesen Eid ein im Kampf gegen das Böse. Sie willigten ein. Doch als es zur Schlacht kam, flohen sie wie Feiglinge zurück in die Berge. Isildur, der zu dieser Zeit König war, verfluchte sie daraufhin, dass sie nicht eher Ruhe finden würden, bis sie ihren Eid erfüllt hatten. Doch sie hatten mehr Angst davor, im Kampf zu fallen. So blieben sie in den Bergen, wo sie noch heute als Geister hausen und jeden töten, der ihre Pfade wagt zu beschreiten. Deswegen nennen wir es den Pfad der Toten. Und nur der König kann sie von ihrem Bann erlösen.“
Ich bedankte mich bei ihm und ließ ihn wieder alleine. Eine Idee kam mir, die uns vielleicht retten konnte. Doch zuerst musste ich Aragorn davon überzeugen. Leider war es inzwischen spät geworden und die Männer waren zu Bett gegangen. Vermutlich würde ich bis morgen warten müssen. Also legte auch ich mich schlafen, in der Hoffnung, dass nicht nur der König, sondern auch sein Erbe den Eid der Verfluchten würde einfordern können.