LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 16
~ Making out the Plan
Der Abend mit Elizabeth war nicht ganz so verlaufen, wie er erhofft hatte. Und doch war er seinem Ziel ein gutes Stückchen näher gekommen. Nachdem er sie zum Nachdenken gebracht hatte, schien sie nicht mehr ganz so abgeneigt gewesen zu sein, sich ihm seiner Idee zu öffnen. Auch, wenn er den Widerwillen trotzdem noch in ihren Augen gesehen hatte. Doch den würde er vermutlich nie völlig auslöschen können.
Ein Klopfen an seiner Bürotür holte ihn aus den Erinnerungen des gestrigen kleinen Erfolges zurück in die Gegenwart. Schnell sortierte er seine Papiere, dann rief er denjenigen, der geklopft hatte, herein. Es war Jonathan Cook, sein steter Begleiter, seit er aus London vertrieben worden war.
„Captain Miller“, sagte er und verneigte sich kurz. Mit einem ungeduldigen Wink gab er seinem Lieutenant zu verstehen, dass er die Türe zu schließen hatte, was dieser auch sogleich tat. Der jüngere Mann wirkte aufgeregt, hatte rote Wangen und leuchtende Augen wie ein Schuljunge, dem ein besonders guter Streich gelungen war.
Beide waren gemeinsam auf der Militärakademie in London gewesen, hatte eine Klasse besucht und waren schließlich zusammen zum Nachsitzen verdonnert worden, nachdem sie, jedoch unabhängig voneinander, den Lehrern ihre Streiche gespielt hatten. Dabei hatten sie sich kennen gelernt und waren seitdem gute Freunde geworden. Dass dem Cousin des Königs eine bessere Laufbahn beschieden war, als einem Mann aus dem einfachen Volk, war Jonathan immer klar gewesen. Doch er war klug genug, deswegen nicht eifersüchtig zu sein, sondern sich an Millers Versen zu helfen, um vielleicht etwas von dem Ruhm abzubekommen. Und bisher hatte sich diese Taktik als äußerst erfolgreich erwiesen.
„Gibt es Neuigkeiten?“, fragte Miller, den Cooks Auftreten stutzig gemacht hatte. „Hat man den Olifanten sicher an Land gebracht?“ Ohne ein Wort zu viel zu sagen nickte Cook aufgeregt. Keiner von beiden wollte riskieren, dass ihr Plan an die falschen Ohren geriet. Dazu hatte es zu lange gedauert, ihn auszutüfteln. Und natürlich hatte auch ein bisschen Glück eine entscheidende Rolle in diesem Theater gespielt.
Nachdem man Miller mit allen Ehren aus der Akademie in den aktiven Dienst entlassen hatte, hatte er eine Kompanie angeführt, die eigentlich zum Scheitern verurteilt war. Diese Information hatte er bei einem nächtlichen Trinkgelage aus dem befehlshabenden Offizier heraus gekitzelt. Doch das hatte ihn nicht überrascht. Er wusste, dass die königlichen Berater ihn loswerden wollten. Leider war das nicht so einfach, wie sie sich das vielleicht erhofft hatten.
Nachdem die Schwester des Königs eine ziemlich unrühmliche Affäre mit einem schlichten Bürgerlichen hatte und dies auch noch öffentlich wurde, als sich ihr sonst so flacher Bauch zu runden begann, hatte man sich eine Lösung ausdenken müssen. Ihr Vater, König Georg I., musste sich daraufhin schnell eine Lösung für das kleine Problem ausdenken, bevor es zur Welt kommen konnte. Er verfrachtete seine Tochter kurzerhand in ein Kloster, wo sie den kleinen Henry zur Welt bringen konnte und trotzdem noch um ihr Seelenheil beten durfte.
Das hielt allerdings nicht besonders lange an, da Eleonore kurze Zeit darauf schon an Kummer verstarb, da man ihren Liebsten bereits zu Tode hatte kommen lassen. Also musste das Kind aus dem Kloster raus. Nicht nur, weil es immer noch von königlichem Blut war, sondern vor allem, weil es sich bei dem Kloster um ein Nonnenkloster handelte und ein kleiner Junge dort sicher nichts zu suchen hatte. So kam Henry also wieder zurück nach London, in die Obhut einer strengen Matrone, eine Cousine seines Großvaters, die kinderlos geblieben und äußerst streng war. Als männlicher Nachkomme der weiblichen königlichen Linie hatte er damit nur einen geringen Anspruch auf den Thron. Doch er blieb in der Thronfolge verhaftet, auch wenn sein Großvater das gar nicht gerne sah.
Zu dessen großem Glück jedoch bekam Henrys Onkel einen Jungen, der ihm auf den britischen Thron folgen konnte und Henrys Anspruch zunichte machte. Zu diesem Zeitpunkt befand Henry sich gerade in den Pyrenäen und heckte einen Plan aus, der ihn nicht nur zurück an den britischen Hof, sondern vielleicht sogar auf den britischen Thron katapultieren würde.
Er dachte zurück an diese schicksalshafte Nacht, als ihm das Herzstück seines Meisterwerkes buchstäblich in die offenen Hände fiel. Nachdem man ihm, mehr oder weniger freiwillig, erzählt hatte, dass sein erster Einsatz ein Himmelfahrtskommando sein sollte, hatte er beschlossen, zur Nemesis zu werden. Zur Nemesis seines verhassten Cousins George II und zur Nemesis aller korrupten Bastarde, die ihn erst in diese umrühmliche Lage gebracht hatten, zu denen er nicht nur seinen befehlshabenden Offizier zählte, sondern vor allem diejenigen, die ihn hierher gebracht hatten. Denn offenbar hatte George II nicht nur gehofft, Henry aus dem Weg räumen zu können, sondern sich auch noch, um ganz sicher zu gehen, mit Freibeutern der Krone verschworen, die ihn, sollte er tatsächlich den Rückweg nach London antreten können, irgendwo zwischen Frankreich und der Heimat über Bord gehen lassen sollten. Henry rächte sich an den Freibeutern, indem er ihre Schiffe in Brand steckte.
Henry wusste, dass er gegen den englischen König nicht viel ausrichten konnte, selbst wenn er ihm die Krone abnahm. Das Volk würde ihn akzeptieren. Deswegen hatte er die Idee, selbst König zu werden, schnell wieder verworfen. Doch vielleicht würde er sich selbst ein Königreich aufbauen können, weit weg von seinem Zuhause, das er sowieso nie wirklich hatte.
„Das Objekt in sicher im Hafen eingetroffen und wird soeben ins Haus getragen“, sagte Cook und wirkte selbstzufrieden.
Miller legte die Hände an den Fingerspitzen zusammen und lächelte. „Sehr gut. Und was ist mit Elizabeth? Irgendwelche Vorkommnisse?“
„Leider nein.“ Cook zog sich einen Stuhl heran und nahm auf den anderen Seite des mächtigen Schreibtisches Platz. „Sie verhält sich ganz normal. Keine Hinweise darauf, dass sie Kontakt zu den Piraten aufgenommen hat oder es vielleicht in nächster Zeit vorhat. Wohlmöglich sagt sie die Wahrheit.“
„Über Turner?“ Miller schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Die Geschichte, dass er auf See verschollen ist, kaufe ich ihr nicht ab. Das mag vielleicht für die Klatschmäuler in der Stadt ausreichen, aber für mich ist es nur eine dumme Ausrede. Sie hat meinen Antrag so entschieden ablehnt, dass es gar keine andere Möglichkeit gibt, als dass sie immer noch darauf glaubt, dass er lebt. Und ich glaube es auch.“
Cook runzelte die Stirn. Es war ihm immer durchaus bewusst, dass sein Freund besser über alles, was auf dem Meer so vor sich ging, informiert war, als er zugeben wollte. Doch dass William Turner tatsächlich noch am Leben war, war eigentlich unmöglich. Man hatte ihn seit über sechs Jahren nicht mehr lebend gesehen. Auch die Tatsache, dass James Norrington spurlos verschwunden war auf der Suche nach Elizabeth war ein Indiz dafür, dass dort draußen etwas vor sich ging, was er nicht verstehen konnte. Doch so sehr er auch versucht hatte, Henry ein bisschen davon zu entlocken, es war ihm bisher nicht gelungen. „Henry, was weißt du? Langsam musst du es mir wirklich sagen, wenn ich hier weitermachen soll. Ich kann nicht mit halben Informationen arbeiten.“
„Wenn du nichts weißt, kannst du auch nichts aus Versehen ausplaudern, oder?“ Und bevor sein Freund protestieren konnte, hob er die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Schon gut, ich weiß, was du sagen willst.“
„Ach, wirklich?“ Ironisch zog Cook eine Augenbraue nach oben. Er war immer stolz auf sein gutes Aussehen gewesen, die dunkle Haut, das braune Haar, was er penibel unter einer weißen Perücke versteckte, die stahlblauen Augen. Im Gegensatz dazu war Henry eher durchschnittlich. Und das wussten beide. Cook war groß und schon früh der Schwarm der jungen Damen in London gewesen. Henry war eher gedrungen, klein, aber mit einem scharfen Verstand und einer honigsüßen Zunge gesegnet, die seine eher farblosen grauen Augen, das eckige Gesicht und die kleinen Hände wieder wettmachen konnten.
Miller erhob sich. „Ja, wirklich.“ Er seufzte tief, als er sich zu dem großen Fenster hinter sich umdrehte, die Hände hinter dem Rücken verschränkte und nach draußen blickte. Er beschloss, dass es vielleicht wirklich an der Zeit war, Jonathan ein paar Brocken zuzuwerfen. Also erzählte er ihm, was er von Lieutenant Greitzer gehört hatte, dem Vertrauten von Lord Beckett, der allerdings nicht, wie sein Vorgesetzter, bei einer entscheidenden Schlacht mit den Piratenfürsten ums Leben kam. Wie er sein Leben damals gerettet hatte, wusste Greitzer selber nicht mehr so ganz zu sagen. Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass er in aller Eile die HMS Endeavour verlassen hatte, bevor sie explodiert war, während Beckett mit ihr zusammen in die Luft flog.
Als Miller geendet hatte, blickte Cook in verdutzt an. Er wusste nicht so ganz, ob sein Freund ihn nur auf den Arm nahm, oder er es tatsächlich für bare Münze nehmen konnte. „Davy Jones? Aber das sind doch nur Ammenmärchen, Seemannsgarn, nichts weiter.“
„Greitzer hat es mit eigenen Augen gesehen. Er schwört, dass es wahr ist. Und ich glaube ihm. Denn das könnte eine Erklärung dafür sein, was in den letzten zehn Jahren so alles schief ging, sobald Jack Sparrow irgendwo aufgetaucht ist.“
„Und du glaubst, dass Sparrow nun das Geisterschiff steuert?“
„Nein, das wiederum glaube ich nicht.“ Er machte eine kunstvolle Pause, um die Wirkung, die die Wahrheit auf Cook haben würde, zu genießen. „Turner ist nun vermutlich Captain der Dutchman. Und Sparrow... Nun, der ist vermutlich längst auf dem Grund des Meeres gelandet, wo er hingehört. Jedenfalls soll die Black Pearl letztes Jahr gesunken sein, von Blackbeard höchstpersönlich versenkt. Wo der ist, weiß ich allerdings nicht. Sicher ist jedoch, dass die Queen Anne‘s Revenge erst vor Kurzem in der Nähe von Tortuga gesehen wurde. Doch sie soll nun einen anderen Captain haben.“
„Darauf kann ich mir beim besten Willen keinen Reim machen. Wer könnte dieser andere Captain sein?“
Miller zog die Stirn in Falten, legte eine Hand an sein Kinn, während die andere immer noch auf seinem Rücken ruhte. „So ganz sicher bin ich mir da auch nicht. Aber das spielt auch keine Rolle. Wichtig ist nur, dass Sparrow nicht mehr gesehen wurde. Er ist eine größere Bedrohung, denn er ist einer der Piratenfürsten. Zumindest, wenn wir Becketts Aufzeichnungen Glauben schenken dürfen.“
„Und was hast du jetzt vor?“
Miller drehte sich wieder zu Cook um, stützte beide Hände auf der Kante seines Schreibtischs ab und horchte auf das Getrampel seiner Untergebenen, die gerade eine schwere Holzkiste die Treppe hoch brachten. In wenigen Minuten würden sie hier sein. „Mein Plan sieht vor, alle Piraten auf einen Schlag von den sieben Weltmeeren zu tilgen. Dazu habe ich bereits ein sicheres Abkommen mit Frankreich geschlossen, die die Spanier als ebenso bedrohlich erachten wie wir.“
Er unterbrach sich selbst, als es heftig an der Tür pochte. Gleich darauf platzten zwei Diener hinein, die sich offensichtlich schwer unter der Last der Holztruhe abmühten. So schnell und unauffällig wie es eben ging wuchteten sie die Truhe in eine Ecke, verbeugten sich und waren wieder verschwunden. Nur ein paar dreckige Fußspuren zeugten noch von ihrem Auftritt.
Miller beachtete es nicht weiter, sondern ging auf die Truhe zu und fuhr mit den Finger darüber. Ein paar Brocken Erde lösten sich aus den reichlichen Verzierungen und Einlegearbeiten und plumpsten lautlos auf den Boden. Das Holz sah stark mitgenommen aus, schien sehr alt zu sein und hatte Flecken, als wäre es nass geworden und dann wieder getrocknet. Begeistert hob er den Deckel leicht an und spähte hinein. Als er sah, dass sich genau das darin befand, was er zu hoffen gewagt hatte, schloss er die Truhe wieder.
Er fuhr mit seiner Ausführung fort, als wäre nichts geschehen. „Denn nur durch Frankreichs Hilfe konnte ich an das hier gelangen.“ Dabei machte er eine ausladende Geste Richtung der Truhe, die nun still in der Ecke stand und den Raum mit einer merkwürdigen Aura beinahe vollständig ausfüllte.
Cook machte ein wissendes Gesicht. „Und mit Elizabeth‘ Hilfe willst du nun an die Piratenfürsten kommen.“
„Ganz zu schweigen von dem Schatz, der vor ein paar Tagen vor den Keys gesunken ist. Vielleicht können wir sie damit anlocken, wenn wir ihn bergen und ihn öffentlich Spanien anbieten.“
„Als Schmiergeld sozusagen?“
„Nicht ganz. Ich würde es eher ein hinterhältiges Friedensangebot nennen.“
„Doch das wird Frankreich ganz und gar nicht friedlich stimmen“, gab Cook zu bedenken. Er knetete verwirrt seine Hände. Was hatte Henry nur vor?
Dieser hob einen Zeigefinger, wie ein Lehrer, der seinen Schüler auf etwas Offensichtliches aufmerksam machen will. „Auch dem habe ich bereits Abhilfe geschaffen, indem ich mir die Loyalität eines Gesandte aus Versailles gesichert habe. Er wird morgen eintreffen. Ein Freund von Gouverneur Spotswood, wenn du so willst.“
„Du hast wirklich an alles gedacht.“ Cook lächelte begeistert. Der Plan wies, soweit er bis jetzt sehen konnte, keine Lücken auf. Nur an der Ausführung haperte es noch ein bisschen. Schließlich waren sie in gewisser Weise darauf angewiesen, dass die verwitwete Mrs. Turner nun Kontakt zu Sparrow aufnahm. „Einzig bei Elizabeth müssen wir noch etwas nachhelfen.“
Doch Henry Miller lächelte nur. Er setzte sich auf die schmutzige Truhe und achtete nicht darauf, dass seine weißen Hosen danach nicht mehr weiß sein würden. „Das lass nur meine Sorge sein. Die morgige Ausgabe unser kleinen Provinzzeitung wird sie schon auf die nötigen Gedanken bringen. Das kann ich dir versprechen.“