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Kapitel 15

 

~ Reality

 

Dreams are my reality, the only kind of real fantasy

Illusions are a common thing, I try to live in dreams

It seems as if it's meant to be

 

Die Einsicht, dass Joe in Emily tatsächlich eine Freundin gefunden hatte, kam am Abend, als sie in ihr Häuschen zurückkehrte. Sie hatte beinahe den ganzen Tag am Set verbracht und schließlich doch noch ein bisschen Spaß beim Dreh mit den Trollen gehabt. Außerdem hatte es etwas zu tun gegeben, als sich Aidan seinen Ärmel abgerissen hatte, weil er sich mit dem Stoff in einer der Drahtseile verheddert hatte, die ihn hielten.


„Tut mir wirklich leid“, hatte er ziemlich zerknirscht gesagt, als er zu Pete und Joe ins Regiezelt gekommen war. Joe hatte ihm direkt angesehen, dass er wahrhaftig bereute, so ungestüm gewesen zu sein. Sie hatte das Reißen des Stoffes sofort gehört, hatte aber natürlich nichts gesagt, sondern lieber gewartet.

Pete jedoch hatte gar nichts gesagt, sondern nur eine kleine Pause ausgerufen. Die Zwerge hatten sich daraufhin in ihr Kühlzelt begeben und Joe war mit ihnen gegangen, um sich um Aidans Kostüm zu kümmern. Schnell hatte sie aber einsehen müssen, dass sie mit einer einfachen Nadel hier nicht viel ausrichten konnte. Also hatte sie Aidan gebeten, den Mantel auszuziehen, damit sie ihn mit in ihr Atelier nehmen und dort nähen konnte. Pete hatte daraufhin gesagt, dass Aidan sie einfach begleiten sollte.

Im Art Department – den Weg dahin hatten sie schweigend zurückgelegt – hatte der Ire nicht schlecht gestaunt, als er sich in Joes Allerheiligstem umgesehen hatte. „Wahnsinn“, hatte er gehaucht, als er die ganzen Zeichnungen an den Wänden gesehen hatte. „Das sieht ja wirklich unglaublich aus. Sind die alle von dir?“

Joe hatte nur stumm genickt und war sofort wieder rot angelaufen ob des Komplimentes, was er ihr offensichtlich gemacht hatte. Und während sie das Kostüm geflickt hatte, war er weiter staunend an den Wänden entlang gelaufen und hatte sich die Bilder angeguckt. Vor einer Konzeptzeichnung von Thorin, Fíli und Kíli war er schließlich stehen geblieben. Noch immer schien der Fíli auf dem Bild Roberts Gesichtszüge zu tragen. „Das wirst du aber noch einmal machen müssen“, hatte er leise gesagt und mit dem Daumen darauf gedeutet. „Der Neue sieht ganz anders aus. Morgen ist sein erster Drehtag. Heute hat er nur eine Führung bekommen. Hast du ihn schon gesehen?“

Joe hatte nur den Kopf schütteln können. Woher sollte sie wissen, dass sie ihn gesehen hatte, wenn sie nicht einmal wusste, wie er aussah? Außerdem war sie nicht für Fílis Kostüm verantwortlich. Das war eines von Anns Werken.

Später, als Aidan wieder neu zusammengenäht und einsatzbereit war, war sie gleich im Department geblieben, hatte nur noch etwas aufgeräumt und war danach nach Hause gefahren. Skeptisch hatte sie registriert, dass ihre Veranda gekehrt worden war. Und als sie nun die Tür aufschloss und in den Flur trat, wäre sie beinahe wieder umgedreht aus Angst, sie hätte sie im Haus geirrt.

Der Boden war frei von jeglichem Dreck, die Fenster wirkten geputzt, alle Kissen auf dem Sofa lagen an ihrem angestammten Platz, sogar die Decke war zusammengelegt und ordentlich hingelegt worden. In der Küche setzte sich das seltsame Bild fort: die Arbeitsfläche war sauber, der Spülstein gereinigt, die Sachen alle ordentlich und sorgsam in den Schränken verstaut und im Backofen brutzelte etwas gemütlich vor sich hin. Der vielversprechende Duft von Lasagne wehte durch den Raum und ließ Joe bemerken, dass sie seit heute Morgen nichts mehr gegessen hatte.

Vor Aufregung, dass sie den ganzen Tag wieder am Set verbracht hatte, hatte sie gar nichts hinunter bekommen. Obwohl man vielleicht denken musste, dass sie sich dran gewöhnte, schwitzte sie doch jedes Mal wieder aufs Neue Blut und Wasser, wenn sie die Stage betrat. Wer konnte schon ahnen, was der neue Drehtag bringen würde.

Was dieser Abend jedoch bringen würde, damit hatte Joe zuletzt gerechnet. Gerade wollte sie noch einmal nach draußen gehen und die Hausnummer überprüfen, als Emily die Treppe hinunterkam. „Oh, gut, du bist schon da!“ Sie strahle über das ganze Gesicht und machte einen Eindruck wie eine Ehefrau aus Stepford auf Joe, die am liebsten sofort durch die Hintertüre abgehauen wäre. Doch dazu hatte sie gar keine Gelegenheit mehr, denn ihre Freundin packte sie schon sanft beim Arm, nahm ihr die Umhängetasche und den Schlüssel ab und drückte sie auf einen Stuhl im Essbereich.

„Ähm“, machte Joe, als sie sanft Platz genommen wurde, doch Emily fuhr ihr schon wieder über den Mund. „Keine Widerrede“, sagte sie und legte Joe einen Finger auf die Lippen. „Heute koche ich und du entspannst dich. Ich hab einiges wieder gutzumachen.“

Wie gerne hätte Joe einfach nur Ja oder Halleluja gerufen, doch sie war viel zu erstaunt und glücklich über diese unnatürliche Wendung des Schicksals. Normalerweise wurde alles meist nur noch schlimmer, wenn sie sich Besserung erhoffte. Dass das noch kommen sollte, konnte sie ja in diesem Moment nicht ahnen.

So ließ sie einfach alles über sich ergehen, was Emily mit ihr vorhatte, und beobachtete gespannt, wie die erst hübsch den Tisch deckte, dann die Lasagne mit den selbstgehäkelten Topflappen von Joes Mutter aus dem Ofen holte und sie sehr dekoraktiv in der Tischmitte platzierte. Sie stach zwei großzügige Stücke davon ab und lud jedem etwas auf den Teller. Dann setzte sie sich. Doch bevor Joe anfangen konnte zu essen, schrak Emily wieder auf. „Der Salat!“, rief sie aufgeregt. „Möchtest du Salat haben?“

Sie wartete die Antwort gar nicht ab, sondern spurtete zurück in die Küche, riss den Kühlschrank auf und holte eine Schüssel mit grünem Salat heraus. Joe hätte aber auch gar nichts sagen können, so verblüfft war sie über das ganze Theater. Sie starrte nur immer wieder von dem Essen, was nicht nur vorzüglich roch, sondern auch noch gut aussah, zu ihrer sonst so unordentlichen Freundin und wieder zurück. Erst, als Emily den ersten Bissen genommen hatte, wagte Joe auch etwas zu probieren.

Und es schmeckte tatsächlich! Es schmeckte ihr so gut, dass sie gleich zwei Portionen davon verdrückte und schließlich noch einen Teller Salat mampfte. Danach lehnte sie sich kugelrund zurück und strich sich über ihren leicht gewölbten Bauch. Emily strahlte sie noch immer an, und das, obwohl Joe die ganze Zeit über nicht ein Wort gesagt hatte.

Schließlich sagte sie doch etwas. Und es kostete sie eine Menge Überwindung, nur dieses eine Wort auszusprechen: „Danke.“

Emily winkte ab. „Ach was, ich muss dir danken! Dass du mich nicht rausgeworfen hast, war wirklich eine Leistung, die einer Mutter Theresa gleichkommt. Das Essen war nur eine Kleinigkeit.“ Sie war schon dabei, die Teller abzuräumen, als Joe nach ihrem Handgelenk griff und sie so zwang, ihr in die Augen zu sehen.

Emily merkte gleich, dass die Sache mit einem einfachen Essen nicht erledigt war, dass es noch viel zu besprechen gab, es Joe aber natürlich schwer fiel, ihre Gedanken in Worte zu fassen. Deswegen nahm sie wieder Platz und wartete ab, bis ihre kleine Freundin sich ihre Sätze zurechtgelegt hatte.

Es dauerte eine Weile, doch schließlich wusste Joe, was sie sagen wollte. Lange hatte sie diese Worte hinuntergeschluckt, tief in sich vergraben und gehofft, sie nie wieder ausbuddeln zu müssen. Doch heute war vermutlich die einzige Gelegenheit dazu, das alles ins Reine zu bringen. Wenn nicht heute, dann vermutlich niemals. Und sie wollte das klären. Sie wollte es sogar so sehr, dass sie vergaß, wütend auf Emily zu sein. Und sie legte für einen kurzen Moment ihre sonst so sorgsam gehütete Schüchternheit ab, die ihr seit einigen Wochen eher wie eine Maske erschien, hinter der sie sich verstecken konnte, wenn sie wollte.

„Ich weiß“, begann sie, räusperte sich und fuhr fort, „dass ich dir etwas hätte sagen sollen. Ich hätte dir sagen müssen, wie sehr mich das alles nervt, was hier in den letzten Wochen passiert ist. Aber ich hatte zu große Angst davor, es auszusprechen.“ Sie hielt einen Moment inne, suchte wieder nach den richtigen Worten. Dann sagte sie: „Deswegen muss ich es jetzt aussprechen, weil es gesagt werden muss: das war scheiße! Das war richtig scheiße von dir!“

Emily zuckte unter den letzten Worten zusammen wie unter einem Peitschenhieb, doch sie ertrug es. Sie wusste, dass sie Mist gebaut hatte und dass Joe so etwas niemals sagen, würde wenn es nicht wirklich, wirklich, wirklich so war.

Eine Weile herrschte Stille und die beiden jungen Frauen sahen sich an. Emily wollte nicht die erste sein, die etwas sagte, weil sie auch gar nicht wusste, was sie hätte sagen sollen. Und Joe war noch nicht fertig mit ihren Ausführungen, fand aber keine Worte mehr dafür. Schließlich war sie der Meinung, dass genug gesagt worden war, und sie lächelte wieder, nachdem sich die senkrechte Falte zwischen ihren Augen geglättet hatte. „Können wir das Thema jetzt beenden?“

„Hast du denn gesagt, was du sagen wolltest?“, wagte Emily zu fragen. Erleichtert atmete sie auf, als Joe nur kurz nickte. „Gut, dann kann ich ja jetzt anfangen, mein schlechtes Gewissen zu verarbeiten.“ Mit diesen Worten räumte sie auch nun endlich den Tisch ab, stellte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine, packte die Reste in eine Tupperdose, verstaute diese im Kühlschrank und kam schließlich mit einer Flasche Sekt und zwei Gläsern zurück zum Tisch. Sie hatte die Flasche schon vorher geöffnet und schenkte ihnen beiden nun einen großzügigen Schluck ein.

Joe grinste verzückt. „Von mir aus kannst du dein schlechtes Gewissen noch eine Weile behalten, wenn ich jetzt jeden Abend so verwöhnt werde.“ Als Emily sah, dass es ein Scherz sein sollte, stimmte sie in das Lachen der Designerin mit ein, was schließlich auch ihre Spannungen löste. Die Stimmung hellte sich merklich auf und bald saßen beide auf dem Sofa und besprachen den Tag miteinander.

„Du und Aidan wart alleine in deinem Atelier?!“

Irgendwie hatte Joe geahnt, dass etwas Derartiges kommen würde. Daher rollte sie nur mit den Augen. „Es war nichts“, sagte sie und nahm noch einen Schluck von dem Sekt. „Er hat sein Kostüm kaputt gemacht und ich hab es repariert. Ende der Geschichte.“

„Oh man.“ Emily warf sich resignierend zurück in die Kissen. „Dir ist auch wirklich nicht zu helfen. Erst küsst dich der zweiheißeste Kerl am Set und das lässt dich kalt. Und dann bist du auch noch mit dem heißesten Kerl alleine und wieder lässt dich das völlig kalt! Was passiert als nächstes? Orlando Bloom spaziert hier herein, macht dir einen Heiratsantrag und du schickst ihn wieder weg?“

„Erstens“, setzte Joe an und hob ihren Zeigefinger, „ist Orlando Bloom verheiratet und hat sogar mit seiner Miranda dieses Jahr ein Kind bekommen. Zweitens“, sie nahm den Mittelfinger dazu, „hat Robert ich nur geküsst, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, und er hat direkt danach das Land verlassen, was eigentlich schon zwei Punkte wert ist. Und Drittens“, sie nahm auch noch den Ringfinger dazu, „ist Aidan ganz und gar nicht der heißeste Kerl am Set.“

Das war Emily nicht mehr als ein Pffft wert und schließlich begab sie sich ins Bett. Joe saß noch eine Weile im Wohnzimmer und hing ihren Gedanken nach. Irgendwann fiel ihr ein, dass sie Emily gar nichts von diesem Dean erzählt hatte, der ihr sein Pferd auf den Hals gehetzt hatte. Doch dieses kleine Geheimnis würde sie auch noch eine Weile für sie behalten. Wer konnte schon ahnen, was Emily ihr daraus wieder für einen Strick drehen würde!

Am nächsten Tag fuhren die beiden Frauen gemeinsam zur Arbeit. Auf dem Weg dahin sagte Emily schließlich, nachdem sie sich lange gesammelt hatte: „Ich suche mir eine neue Wohnung!“

Joe wäre beinahe auf ihren Vordermann aufgefahren, als sie das hörte, und sie war froh, dass die Ampel vor ihr nun rot war und sie genug Zeit hatte, ihre Freundin entsetzt anzustarren. Eigentlich hatte sie gedacht, dass der gestrige Abend ein guter Auftakt für einen Neuanfang war. Doch offenbar hatte sie sich geirrt.

Bevor sie jedoch protestieren konnte, fuhr Emily fort. „Du willst mich doch aus dem Haus haben, oder? Und ich will wieder ein eigenes Leben führen. Was liegt da näher, als dass ich mir endlich eine eigene Bude suche? Ich hab noch nie alleine gewohnt. Mit Mike bin ich direkt zusammen gezogen, nachdem ich es bei meinen Eltern nicht mehr ausgehalten habe. Ich finde, ich sollte mal alleine wohnen.“

„Aber“, setzte Joe an, wurde aber von wildem Hupen hinter sich unterbrochen. Erst, als sie völlig verstört an der Stone Street ankam, den Motor abgestellt und ausgestiegen war, fand sie ihre Sprache wieder. „Aber ich dachte, wir fangen jetzt noch einmal von vorne an. Es war doch so nett gestern Abend.“

Ihre großen grünen Augen hatten den Ausdruck eines angeschossenen Rehs angenommen, was es Emily mehr als schwer machte, bei ihrer Meinung zu bleiben. Doch sie hatte sich entschieden. Daher wiegelte sie beschwichtigend ab. „Ja, es war auch wirklich schön. Aber du müsstest dich meinetwegen viel zu sehr einschränken. Ich mache so viel Unordnung und du bist so ordentlich. Ich müsste viel mehr darauf achten, was ich wohin lege, und das will ich nicht.“

„Wir könnten einen Putzplan erstellen“, schlug Joe vor. An der Schrank zückte sie kurz ihren Ausweis, ließ sich aber sonst nicht weiter von dem Wachmann beeindrucken. „Ich versuche mich zu bessern und nicht mehr so pedantisch zu sein. Wir können Kompromisse finden!“

Ihre überschwängliche Rede, die völlig untypisch für sie war, weil sie normalerweise lieber aufgab als einen Streit oder eine Diskussion zu riskieren, in der sowieso verlor, wurde rüde von einem der Assistenten unterbrochen, der offenbar schon hinter dem Pförtnerhäuschen auf sie gewartet hatte. „Johanna Taylor?“, sprang er sie von der Seite an und brachte sie dazu, ihre Autoschlüssel fallen zu lassen, die sie noch nicht in ihrer Umhängetasche verstaut hatte. Vermutlich wäre sie vor Schreck auch gerne einen Meter in die Luft gesprungen, doch das Gewicht ihrer Tasche hielt sie immer schön am Boden fest.

Emily nutzte die Gelegenheit, um sich aus dem Staub zu machen. Sie winkte Joe noch kurz zu, dann verschwand sie um die nächste Ecke. Was sie heute hier zu suchen hatte, war Joe schleierhaft, in diesem Moment aber auch herzlich egal.

Sebastian Meek, Peter Jacksons persönlicher Assistent, durchbohrte sie nämlich mit einem derart fiesen Blick, dass sie an gar nichts mehr denken konnte. Daher nickte sie nur stumm, während sie, ohne den Augenkontakt zu unterbrechen, ihre Schlüssel aufhob.

„Gut“, sagte ihr Gegenüber plötzlich viel freundlicher und auch irgendwie erleichtert, „dann folge mir bitte.“ Er warf sich seine blond gefärbten Haare nach hinten, was ein wenig schwierig war bei seinem Vorne-lang-hinten-kurz-Schnitt, und stolzierte einfach davon, ohne auf eine Antwort oder Reaktion zu warten. Joe musste sich beeilen, um mit ihm Schritt halten zu können. Als sie aufgeholt hatte, hatte sie tatsächlich so viel Mut zusammen gesammelt, um zu fragen: „Was…?“

Doch er unterbrach sie gleich wieder, indem er eine Hand hob und mit der anderen sein Walkie Talkie an den Mund nahm und sprach. „Sie ist jetzt endlich eingetroffen. Ich bringe sie rein.“

Das Ganze kam Joe so merkwürdig und surreal vor, als wäre sie über Nacht zum Star geworden und man müsste sie nun beschützen. Hatte so eine Szene in Bodyguard nicht ziemlich übel geendet? Am liebsten wäre sie wieder umgedreht und nach Hause gefahren, oder hätte sich zumindest in ihrem Atelier vergraben. Grade wäre es ihr sogar lieber gewesen, wenn man sie am Set gebraucht hätte.

Doch die Anwesenheit von Pete höchstpersönlich, als Sebastian sie schließlich irgendwo im Art Department abgestellt hatte, ließen ihre Aussichten auf Flucht erheblich schrumpfen. Sie war wohl doch kein Star, sondern eher der Bösewicht, der nun an den Pranger gestellt wurde. Hatte sie etwas angestellt?

Angestrengt versuchte sie herauszufinden, ob sie in der letzten Zeit einen Fehler gemacht hatte. Und wie aufs Stichwort fielen ihr gleich eine ganze Menge ein. Allen voran die Sache mit Robert. Jetzt hatte Peter keinen Fíli mehr und sie war schuld!

Unvermutet traten ihr die Tränen in die Augen. Sie biss sich noch auf die Unterlippe, konnte aber leider nicht mehr verhindern, dass sich ein kleines Rinnsal auf ihrer Wange bildete. In dem Versuch, es irgendwie vor Pete zu verstecken, strich sie sich ihre Haare in die Stirn, die sie heute zum Glück offen gelassen hatte.

Der Regisseur trug wie immer kurze Khakihosen, ein kariertes Hemd, was halb offen stand, und war barfuß. Nach seiner Krankheit hatte er schon wieder etwas zugelegt, doch noch immer schienen ihm seine alten Sachen nicht zu passen. Auch sein Gesicht war noch sehr schmal, doch seine dunklen Augen blitzten schon wieder. Hinter ihm stand ein Kerl mit einer Handkamera, die er geradewegs auf Joe richtete, als diese den Raum betrat. Sie war jedoch zu geschockt, um sich abwenden zu können, sondern starrte nur dumm in die Linse rein.

Ganz toll, Joe!, kommentierte sie innerlich. Guck mal doof. Danke, reicht!

„Ah, da ist sie ja endlich!“ Pete strahlte über sein ganzes Gesicht, als er auf sie zutrat und die Arme ausbreitete. „Wir wussten ja, dass du später kommst, aber dass du so spät kommst.“ Er zwinkerte ihr zu, um den Worten seine Schärfe zu nehmen.

„Bin ich zu spät?“, wagte Joe zu quieken, während sich ihre Stimme dabei in luftige Höhen schraubte.

„Nein, keine Angst!“, beschwichtigte der Regisseur und klopfte ihr beruhigend auf die schmale Schulter. „Die Sache ist nur die: Ann hat sich einen Virus eingefangen und muss das Bett hüten. Bob ist mit den Rüstungen der Zwergenkrieger beschäftigt und bei Dan leider unabkömmlich. Und Richard ist sowieso heute Morgen irgendwo in der Werkstatt verschwunden und seitdem nicht mehr aufgetaucht. Außerdem kann er das auch gar nicht, was ich von ihm will. Aber du schon!“ Er bohrte ihr mehr oder weniger liebevoll seinen linken Zeigefinger zwischen ihre Schlüsselbeine, die aus ihrem luftigen Sommeroberteil hervorlugten. Mit dem anderen Arm drückte er sie fest an seine Seite.

Bevor er weitersprechen konnte, öffnete sich neben ihnen eine Tür und eine aufgeregte Schneiderin kam daraus hervor. Sie schob einen Kleiderständer vor sich her, hatte große rote Flecken auf den Wangen und wirkte ziemlich verlegen. Dabei kicherte sie immer wieder vor sich hin und beruhigte sich erst, als Pete sie mit einem fragenden Blick bedachte.

Hinter ihr schob sich ein blonder Kerl durch die Türe. Er hatte langes, gelocktes Haar, was ihm bis über die Brust fiel und über den Ohren von Zöpfen zurückgehalten wurde, einen Schnauzbart, der ihm geflochten über das Kinn reichte, und einen kurz geschnittenen Vollbart. Seine Ohren wirkten unnatürlich groß, genauso wie seine Nase und seine Arme. Ganz zu schweigen von den gewaltigen Stiefeln, die er trug. Der Fatsuit, der ziemlich rosa in der sonst eher düsteren Umgebung des kleinen Ateliers schimmerte, tat sein Übriges zu der seltsamen Erscheinung.

„Dean, wie schön! Steht dir sehr gut, der Anzug“, lachte Peter, ließ Joe endlich los und ging auf den Schauspieler zu, der sich noch immer nicht recht zurechtfinden konnte in dem ganzen Zeug, was er anhatte.

„Danke“, konnte er daher nur hervorpressen, „aber ich bevorzuge meine eigene Haut.“

Pete lachte über den schlechten Witz verhalten, dann legte er ihm ebenfalls eine seiner großen Hände auf die Schultern. „Keine Sorge, gleich wirst du dich wohler fühlen. Wenn unsere Kostümdesignerin dein Kostüm genau auf dich angepasst hat!“ Er zeigte auf Joe, die vor Schreck erstarrt war, als sie die Stimme des Schauspielers gehört hatte.

Wie zur Salzsäule geworden stand sie da, hatte noch immer ihren Autoschlüssel in den Händen, der ihr wieder zu entgleiten drohte, und starrte Dean an. Der wiederum richtete sich nun zu seiner vollen Größe auf und suchte die Person, von der Peter gesprochen hatte. Als sich ihre Augen trafen, grinste er breit. „Na, dich kenn ich doch! Schön, dass wir uns noch mal wiedersehen.“ Und als sie nicht antwortete, weil sie ihn immer noch fassungslos anstarrte und nicht glauben konnte, dass ausgerechnet ihr so etwas passieren musste, fügte er unnötigerweise noch hinzu: „Zum Glück redet sie nicht so viel bei der Arbeit wie andere hier.“ Dabei warf er der albernen Schneiderin einen vielsagenden Blick zu und zwinkerte ihr zu, was sie gleich wieder in grobes Kichern ausbrechen ließ.

Joe jedoch wäre gern auf der Stelle im Boden versunken. Weil das aber ging, entschied sie sich stattdessen Schlüssel und Tasche an Ort und Stelle fallen zu lassen und durch die Vordertür das Weite zu suchen. Mit hochrotem Kopf schoss sie an Sebastian vorbei, der gar keine Gelegenheit mehr hatte, sie noch aufzuhalten.

© by LilórienSilme 2015

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