LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 15
~ Wise Man said
„Angelica.“
Jack flüsterte den Namen, bevor er überhaupt richtig darüber nachgedacht hatte. Doch als er es nun aus seinem eigenen Mund hörte, gab es gar keine andere Lösung mehr für sein Problem. Die Lösung war das Blut. Und er wusste ja aus ziemlich zuverlässiger Quelle, dass Angelica Blackbeards Tochter war. Damit war sein Blut zwar verdünnt, doch es floss noch in ihren Adern. Es war dasselbe Prinzip wie damals, als sie den Fluch von Cortés aufgehoben hatten.
Gibbs’ Augen weiteten sich, als er hörte, was sein Captain gesagt hatte. „Aber natürlich!“, rief er aus und erhob sich mit einem Ruck, dem man dem alten Mann sicherlich kaum noch zugetraut hätte. „In ihren Adern fließt Blackbeards Blut auch nach seinem Tod noch weiter, denn sie ist seine Tochter.“ Seine Augen leuchteten nun verzückt bei der Vorstellung, die Black Pearl endlich für Jack zurückgewinnen zu können. Dann würden sie wieder frei sein, über die sieben Weltmeere zu segeln und zu plündern, was ihnen gerade vor den Lauf ihrer Kanone kam.
Nachdem Gouverneur Alexander Spotswood von Virginia entschieden gegen die Piraten in den nordamerikanischen Gewässern vorgegangen war, trieb es die meisten Freibeuter in südlichere Gefilde. Das jedoch sorgte dafür, dass nicht mehr genug Beute für alle zu holen war. Außerdem schienen die Kolonialmächte ihre Handelsschiffe nun besser bewachen zu lassen. Dass man eines alleine antraf, war schon fast ein kleines Wunder. Manche Kapitäne waren daher dazu übergegangen, sogar die Schiffe zu überfallen, die unter einer schwarzen Flagge segelten. Und das wiederum dezimierte die Anzahl derjenigen, die noch der ehrlichen Piraterie nachgingen. England, Frankreich und Spanien waren da sehr rigoros geworden in den letzten Jahren, was vermutlich auch nicht zuletzt an Blackbeard selbst gelegen hatte. Immerhin hatte er den Ruf, der Übelste aller Schurken zu sein, die jemals ein Gewässer befahren hatten. Mit der Pearl aber hätten sie vielleicht noch einmal die Chance, das goldene Zeitalter der Piraten aufleben zu lassen.
Barbossa war mit seinen Gedanken noch nicht soweit. „Blackbeard hatte eine Tochter?“ Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen und sah Jack fragend an. „Woher weißt du das? Und wieso weiß ich nichts davon?“
„Ach, Hector“, seufzte Jack, erhob sich elegant von seinem Stuhl und ging um den Tisch herum. Dabei warf er prüfende Blicke in die Regale an der Wand, inspizierte hier und da etwas, was ihm merkwürdig vorkam, und blieb schließlich an einem Gefäß hängen, in welchem die Hexe Mehlwürmer eingelegt hatte. Er zog es heraus und hielt es Barbossa vor die Nase. „Du kannst alles essen, aber du musst nicht immer alles wissen, weißt du?“ Und als keiner etwas sagte, blinzelte er ein paar Mal verwirrt. „Klar soweit?“
Jack stellte das Glas zurück an seinen Platz, während Barbossa sich nun seinerseits erhob und mit pochenden Schritten näher kam. „Du weißt scheinbar eine Menge über diese Tochter, wie mir scheint. Dann erleuchte uns doch und sag uns, wo wir sie finden können.“
Der Sohn von Captain Teague warf einen Seitenblick zu Gibbs, der jedoch nur die Hände hob und mit den Schultern zuckte, zum Zeichen, dass er dabei nicht helfen konnte. Immerhin hatte Jack ihn erst aufgesucht, nachdem er von dem Trip zur Quelle zurückgekommen war. Was zwischen seinem Verschwinden und dem Zusammentreffen am Strand geschehen war, wusste Gibbs nicht, und Jack würde es ihm nicht erzählen. Jedenfalls nicht freiwillig.
„Weißt du, das ist so.“ Verzweifelt rang er ein wenig die Hände, bis er sich darauf besann, dass er auf Barbossa angewiesen war. Ohne ihn hatten sie kein Schiff. Also würde er wohl oder übel mit der Wahrheit herausrücken müssen. Also erzählte er den beiden, was passiert war, während Ichtaca weiterhin auf ihrem Stuhl saß und vor sich hinlächelte. Es war diese Art von Lächeln, die verriet, dass derjenige, der lächelte, mehr wusste, als alle anderen im Raum. Doch keiner der drei Männer konnte sich dazu durchringen, ihr die alles entscheidende Frage zu stellen. Denn vermutlich hatte jeder von ihnen auf seine eigene Art Angst vor der Antwort.
Nachdem Jack zu Ende gesprochen hatte, erhob Barbossa sich schwungvoll auf sein Holzbein. „Dann würde ich sagen, dass wir einen Kurs haben, Gentlemen!“ Und damit war er auch schon zur Türe hinaus. Gibbs folgte ihm nur wenige Augenblicke später, denn die Gegenwart der Hexe war ihm unangenehm und verursache ein Prickeln auf der Haut, das nicht von Sonnenbrand kam. Nur Jack blieb alleine mit ihr zurück. Ob das nun besonders furchtlos oder besonders dumm war, konnte Gibbs nicht sagen.
Er zögerte einen Moment, bevor er etwas sagte. Doch Ichtaca sah ihn abwartend an, denn offenbar ahnte sich, dass er noch nicht vollends zufrieden gestellt war mit ihrer Aussage, die sie soeben getätigt hatte. Ihr Lächeln wurde breiter.
„Was hast du damit gemeint, als du sagtest, dass nur das Blut mir geben kann, wonach es mich so sehnlichst verlangt?“
Die Hexe erhob sich von ihrem Stuhl und schlürfte langsam zu ihm herüber. Auch Jack konnte ihr Alter nicht einmal annähernd schätzen. Als sie endlich bei ihm war, war er sicher, dass Barbossa und Gibbs entweder schon ziemlich ungeduldig auf ihn warteten, oder sogar schon ohne ihn zum Schiff zurück gerudert waren. Doch dann fiel ihm ein, dass die Jolle ja gar keine Ruder besaß. „Was ist dein größer Herzenswunsch, Jack?“
Sie sprach seinen Namen so merkwürdig aus, dass er sich unweigerlich an Tia Dalma erinnert fühlte. Dabei sah sie ihr noch nicht einmal ähnlich. Und doch ahnte er, dass diese beiden Frauen etwas verband, was niemand sonst sehen konnte. Es kam ihm beinahe wie ein unsichtbares Seil vor, dass sie aneinander band und sie sich nahe sein ließ, wie nur Schwestern es vielleicht konnten. Bei dem Gedanken erschauderte er und schob ihn schnell wieder bei Seite. Er war mit Calypso nicht besonders freundschaftlich auseinander gegangen.
„Mein großer Herzenswunsch?“
„Du erinnerst dich doch sicher an deinen Kompass, nicht wahr?“ Er nickte. „Doch wenn du hoffst, damit Angelica zu finden, wirst du kein Glück haben.“
Verwirrt sah er sie an. „Wieso? Wenn ich es wirklich will, finde ich sie damit. Das ist doch der Sinn dieses sonst wertlosen Geschenks.“
Sie griff ihm an den Gürtel und zog den Kompass zu sich heran. Als sie ihn aufklappte, begann die Nadel wie wild zu pendeln. Sie schüttelte das Ding, doch auch danach wurde es nicht besser. Die Nadel drehte sich danach nur im Kreis, ohne stehen zu bleiben. „Es ist eine Warnung, Jack Sparrow.“ Sie ließ das Navigationsgerät wieder los und es schnellte augenblicklich an der Kordel zurück an seinen Gürtel. Dabei zuckte er kurz zusammen. „Versuche nicht damit, Angelica zu finden. Es wird dir nicht gelingen. Lasse dich lieber von deinem Verstand leiten, mag er auch noch so wankelmütig sein.“
Damit ließ sie ihn stehen und verschwand durch den Vorhang, der, kaum, dass sie hindurchgegangen war, auch schon wieder aufhörte zu schwingen. Nur eine Schwade des grünen Rauchs kam wieder darunter hervor und kündigte noch von der seltsamen Bewohnerin dieses seltsamen Hauses.
Gerade wollte er sich umdrehen und gehen, als ihn wieder dieser seltsame Stich ins Herz traf. Reflexartig packte er sich an die Brust, merkte dabei jedoch, dass seine Arme ihm nicht mehr richtig gehorchten wollten. Es fühlte sich beinahe so an, als würde jemand darauf stehen, sie am Boden festnageln und sein ganzes Gewicht darauf verlagern. Er stöhnte auf, als er in die Knie ging, von einer unsichtbaren Last nach unten gezogen, und seine Kniescheiben auf dem harten Holzboden aufschlugen. Er rechnete fest damit, dass Ichtaca gleich wieder hinter dem Vorhang hervorkommen würde, doch es rührte sich nichts. Vergeblich versuchte er Luft zu holen, um zumindest um Hilfe rufen zu können. Doch auch das gelang ihm nicht. Und dann, ganz plötzlich, war es wieder verschwunden und er konnte sich wieder erheben, als wäre nichts geschehen.
Verwirrt verließ Jack die Hütte. Ganz in Gedanken merkte er kaum, dass er schon an der Treppe angelangt war, und wäre beinahe hinunter gefallen. Im letzten Moment fing er sich an einem der Pfeiler ab und stieß dabei die Laterne herunter, die darauf platziert war. Das Licht segelte hinunter zum Wasser, tauchte ein in den Nebel und war, ohne ein Platscher, verschwunden. Ziemlich verdutzt wagte er kaum seinen Augen zu trauen, doch als er die seltsamen Blicke seiner zwei Gefährten sah, wusste er, dass er das nicht geträumt hatte: es wirkte beinahe so, als würde das Boot nicht auf Wasser schwimmen, sondern auf dem Nebel selbst.
„Dieser Ort ist verflucht“, stellte Gibbs wenig später fest, als Jack es endlich geschafft hatte, auch in die Jolle zu klettern. „Wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden. Es behagt mir nicht, wie die Dunkelheit uns mit ihren toten Augen mustert.“
„Ihr hatte schon immer einen starken Hang zur Dramatik, Master Gibbs.“
Gibbs zog es vor, darauf nicht mehr zu antworten. Stumm wartete er darauf, dass sich das Boot endlich wieder Richtung Küste in Bewegung setzte. Er verkniff sich auch jegliche Frage danach, was Jack noch in der Hütte der Hexe zu suchen hatte, als sie bereits gegangen waren. Er ahnte vielleicht, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde.
Vorsichtig kletterte Jack zu den anderen, immer darauf bedacht, nichts von dem seltsamen Nebel zu berühren. Doch das erwies sich leider als aussichtsloses Unterfangen. Zu seiner großen Erleichterung jedoch passierte nichts, als eine Schwade ihn einhüllte und wieder davon zog. Eine Gänsehaut überzog seinen Körper und ließ die P-förmige Narbe auf seinem Unterarm prickeln. „In diesem Fall muss ich Gibbs Recht geben, Hector. Mir behagt dieser Ort auch ganz und gar nicht. Hoffen wir, dass diese Nussschale nicht zu lange überlegen muss, bis sie uns wieder zurück zum Schiff gebracht hat.“
„Ihr seid zeternde Waschweiber, alle beide! Was kann euch so ein bisschen Nebel schon anhaben, mh?“
„Ich habe schon zu viel gesehen in meinem Leben, Captain Barbossa. Da würde mich ein mordlüsterner Nebel auch nicht mehr überraschen.“
„Und mich überrascht es, dass Ihr überhaupt noch am Leben seid.“
Jack fuhr dazwischen, als es ihm zu bunt wurde. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und er hielt diese sinnlosen Gespräche nicht mehr aus. „Schweigt endlich! Ist ja nicht zum Aushalten.“ Und nachdem er sicher gestellt hatte, dass er nicht aus dem Boot fallen konnte, das sich nun in Bewegung setzte, fügte er noch hinzu: „Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, Angelica zu suchen.“
„Wir?“ Barbossa lachte lauthals. „Nein, Jack. Ich habe mich dazu bereit erklärt, dich hierher zu bringen. Aber ich werde nach dieser Zaubernummer ganz sicher keinen weiteren Schritt in deiner Gegenwart tun. Ein Bein habe ich schon verloren. Und wenn man mit dir zusammen ist, geht immer etwas schief. Ich möchte zumindest das andere Bein und meine beiden Arme noch behalten. Und am allerliebsten würde ich meinen Kopf gerne behalten.“
„Komm schon, Hector.“ Er schlug seinem alten Feind freundschaftlich auf die Schulter. „Ich habe dir eine Flotte versprochen. Und die sollst du auch haben. Davon hast du doch immer geträumt.“
Nachdenklich runzelte Barbossa die Stirn und tat so, als müsse er sehr angestrengt nachdenken. Natürlich hatte Jack Recht, doch was war eine Flotte von Schiffen wert, wenn man keine Beine mehr hatte, um an Deck stehen zu können? Und irgendetwas sagte ihm, dass dieses Abenteuer kein Spaziergang werden würde.
Als er jedoch immer noch nicht einlenkte, machte Jack einen Schritt auf ihn zu. „Gut, sag mir einfach, wie viele Schiffe du willst. Wie wäre es mit drei, anstatt der versprochenen zwei? Ist das ein gutes Angebot?“
„Und woher nimmst du die drei Schiffe? Du hast nur drei Gläser und die Pearl willst du für dich selbst.“
Doch Jack machte nur eine wegwerfende Handbewegung. „Keine Angst, du bekommst deine drei Schiffe. Wie, das lass meine Sorge sein. Du musst mich nur zum Captain auf Zeit machen auf der Queen Anne’s Revenge, ich segle uns zu Angelica und danach bekommst du deine Schiffe.“
„Vergiss es! Dieses Schiff“, sagte er und deutete mit seinen krummen Fingern auf die am Horizont dümpelnde Queen Anne, „segelt niemand mehr, außer mir. Wir machen es so: du sagst mir, wo die Insel ist, ich segle euch hin und erhalte danach meine Schiffe.“ Dabei grinste er Jack an und enthüllte seine gelben Zähne. Jack jedoch lächelte nicht zurück.
„Und sobald ich dir gesagt habe, wo die Insel ist, setzt du mich auf einer anderen aus, holst dir Angelica selbst und lässt mich verrotten. Nein, das kommt nicht in Frage! Ich werde segeln!“
„Das wirst du nicht!“
„Doch, das werde ich!“
„Haltet endlich den Mund!“, rief Gibbs dazwischen und brachte die beiden Streithähne tatsächlich zum Schweigen. Überrascht sahen sie den alten Mann an. „Jack, ohne dich bekommt Barbossa seine Schiffe nicht. Er kann dich gar nicht übers Ohr hauen. Sei doch dieses eine Mal wenigstens vernünftig. Bitte!“ Doch Jack verschränkte nur die Arme vor der Brust und blickte schmollend hinüber zum Schiffsrumpf. So hatte er sich dieses Abenteuer ganz und gar nicht vorgestellt.