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Kapitel 14

~ Tod

 

Regen setzte sein, als wir endlich unsere Plätze auf den Mauern der Hornburg eingenommen hatten. Ich hatte mich zu Haldir gestellt, denn jetzt, da wir endlich wieder vereint waren, wollte ich durch nichts erneut von ihm getrennt werden. Wenn wir schon kämpfen mussten, dann würden wir zusammen kämpfen.

 

Wir hatten noch keine Gelegenheit gehabt, viel miteinander zu sprechen, doch er hatte mir ein wenig von seiner Reise nach Bruchtal erzählt. Er hatte mir gesagt, dass mein Vater ihn dorthin geschickt hatte, um ein kleines Heer aufzustellen, das ihm folgen würde um die Prinzessin von Lothlorien zu verteidigen. Ich hatte bisher versäumt danach zu fragen, wie mein Vater hatten wissen können, dass ich ebenfalls in diese Schlacht ziehen würde, wenn ich doch eigentlich sicher in meiner Heimat bleiben sollte, bis der Ring vernichtet worden war.

 

Das mächtige Heer Isengarts rückte immer näher. Ich konnte ihre stampfenden Schritte auf dem matschigen Untergrund und ihre aneinander schlagenden Rüstungen hören. Es klang bedrohend und ich konnte mir nicht vorstellen, welche Angst die Frauen und Kinder in den Höhlen unter uns litten. Doch mit Haldir an meiner Seite fürchtete ich mich nicht.

 

Brüllend blieb der Feind eine Meile vor den Mauern stehen. Sie waren nicht außerhalb unserer Bogen, doch wir warteten ab, was geschehen würde. Wir hatten es nicht eilig, Blut zu vergießen. Dies wurde noch früh genug geschehen, so viel war sicher.

 

Unsicher spielten meine Finger mit dem Bogen. Ich hielt ihn fest umklammert und lauschte mit geschlossenen Augen auf das, was dort draußen geschah. Eine Hand griff nach meiner und ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich die vertraute Wärme erkannte. Ich öffnete meine Augen und sah den Mann an, der neben mir stand. Haldir sah mir tief in die Augen. „Hattest du Angst?“

 

Mit dieser Frage löste er einen unwiderstehlichen Drang in mir aus und ich musst mich zusammennehmen, dass ich im Angesicht des Feindes und mit unseren Freunden an unserer Seite nicht meinen Tränen freien Lauf ließ. Hatte ich vor wenigen Tagen noch Gimli davon erzählt, dass meine Tränen versiegt waren, konnte ich sie nun kaum noch zurückhalten. Ich schüttelte mich, aber nicht um seine Frage zu verneinen. Er hatte ja keine Ahnung, wie groß meine Angst in Wirklichkeit um ihn gewesen war, wie sehr ich gelitten hatte unter der Vorstellung, dass er sterben würde. Ich konnte nicht sagen, ob dieses Schicksal immer noch auf ihn wartete, aber ich brachte auch nicht den Mut auf, ihm die Wahrheit zu sagen, was ich in dem Spiegel meiner Mutter gesehen hatte, oder ihn gar von dieser Schlacht fernzuhalten. Und dies löste erneut Angst in mir aus. Würde ich die Schuld für seinen Tod tragen?

 

Ich erinnerte mich an Vardas Worte zurück, die ich in Lothlorien vernommen hatte: „Geh mit Gandalf und dein Schicksal wird sich erfüllen. Wenn du jedoch hier bleibst, wird Haldir zu dir zurückkehren und ihr werdet den Bund eingehen. Die Entscheidung liegt bei dir, Lilórien.“ Wenn ich also dort geblieben wäre, hätte ich mir keine Sorgen um meinen Verlobten machen müssen, aber mein Schicksal hätte sich nicht erfüllt. Doch dafür war ich schließlich nach Mittelerde zurückgeschickt worden. Ich hatte nicht umsonst die Ausbildung der Valar genossen und vieles aufgegeben, was mir wohl ein schöneres Leben geschenkt hätte. Wahrscheinlich würde ich noch mehr opfern müssen, um wirklich das zu tun, wofür Eru mich vorgesehen hatte.

 

Deswegen blickte ich meinem Verlobten fest in die Augen und sagte mit leiser, aber sicherer, Stimme zu ihm: „Nein, ich wusste, dass wir uns wieder sehen würde. Ich war mir immer sicher, dass du in Sicherheit bist und es auch bleiben würdest.“ Ich glaube, dies war die erste Lüge meines Lebens und ich hoffte, es würde auch gleichzeitig die letzte sein.

 

Ein Pfeil flog aus unseren Reihen auf die Linien des Feindes zu und ein Uruk-hai ging grunzend zu Boden. Aragorn rief, dass die Waffen noch schweigen sollten. Ich ergriff Haldirs linke Hand mit meiner rechten, drückte sie und sah ihm dabei in die Augen. Vielleicht war es das letzte Mal, dass wir uns so nahe waren, denn wenn er nicht fiel, konnte diese Schlacht auch immer noch meinen Tod bedeuten. Dann spannten auch wir unsere Bogen und lauschten auf den prasselnden Regen, der auf Stein und Rüstung niederfiel und uns bis auf die Knochen erweichte. Ich konnte Legolas hören, wie er sagte: „Faeg i-varv dîn na lanc a nu ranc!“ [1], und mir war klar, wo mein Pfeil ein sicheres Ziel finden würde.

 

Dann begann der Sturm. Auf Aragorns Befehl hin schossen wir unsere Pfeile ab und jeder der Elben brachte einen Feind zu fall. Auch mein Pfeil fand sein Ziel. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in meiner Brust breit, denn das Töten hatte mir noch nie besondere Freude bereitet. Ich zweifelte daran, ob es eine gute Idee war, mich als Kriegerin hierher zu schicken, aber ich schob dieses Gefühl bei Seite und legte erneut an. Ihre erste Reihe war gefallen, jetzt würde ihre zweite zu Boden gehen.

 

Das Heer rückte näher an die Mauer heran und selbst unsere Bogenschützen waren nicht in der Lage, es auf Abstand zu halten. Dazu waren es einfach zu viele. Wie konnten wir, die wir im Gegensatz zu 10.000 doch so wenige waren, diesen Kampf nur für uns entscheiden, wenn nicht ein Wunder geschah? Ich erinnerte mich an Gandalfs Worte in Edoras und rechnete zurück. Wenn wir diese Nacht überstehen würden, dann würden er und Éomers Rohirrim uns zur Hilfe kommen. Doch dazu mussten wir erst einmal überleben.

 

Kaum waren die ersten Uruk-hai gegen die untere Mauer der Hornburg gebrandet, nahm ich eine Bewegung unter ihnen wahr, die seltsam schien. Erst als ich genauer hinsah, erkannte ich die Gefahr. „Pendrain!“[2] brüllte ich und ich konnte hören, wie Gimli erfreut aufrief, denn er und Legolas hatten einen Platz so hinter der Brüstung gewählt, dass der Zwerg nichts sehen und nichts ausrichten konnte. Die schweren Eisenleitern wurden am Fuße der Mauer postiert und dann eine nach der anderen hochgezogen. Es waren so viele, dass ich kaum mit dem Zähle hinterher kam. Wenn auch nur zehn Feinde an jeder darüber auf die Mauer kamen, dann standen unsere Chancen wirklich schlecht.

 

„Schwerter!“, rief Aragorn, als die ersten Leitern auf der Mauer einrasteten. Ich steckte meinen Bogen zurück zu den Pfeilen in den Köcher und zog mit derselben Handbewegung meine Kurzschwerter aus ihren Halterungen an meinem Rücken. Haldir tat es mir gleich. Er warf mir einen letzten besorgten, aber entschlossenen, Blick zu, dann stürzten sich die Feinde auf uns. Ich schlug zu.

 

Schwarzes Okrblut ergoss sich über meinen Arm und ein widerlicher Gestank breitete sich um uns herum aus, dass es mir beinahe die Luft abschnürte. Ich schnaubte verbissen, doch sobald ich erneut einen Feind zu Fall brachte, wurde der Gestank stärker. Diese Krieger waren sogar im Tod noch eine Bedrohung, wenn auch nur für die Nase. Ich wurde leicht zurückgedrängt, doch ich fand erneut meinen Platz neben Haldir. Auch er hatte Blutspritzer auf seiner Rüstung, doch dies gab ihm irgendwie Würde. Ich hatte ihn noch nie kämpfen sehen und mein Herz schlug bei seinem Anblick ein wenig höher.

 

Es hörte nicht auf zu regnen und langsam vermochte mein Haar die Wassermassen nicht mehr aufzusaugen und kleine Rinnsale liefen über mein Gesicht. Ich wischte sie bei Seite, denn ich hatte Angst, dass sie mich in einem entscheidenden Moment stören könnten. Ich schlug gerade einem Feind von hinten den Kopf ab und drehte mich erneut in Richtung Mauer, als mich etwas von den Füßen riss. Ein Uruk-hai war von der Brüstung auf mich gesprungen und drückte mich nun mit seinem ganzen Gewicht zu Boden. Ich hatte keine Möglichkeit meine Arme freizubekommen und dachte schon, dass ich sterben müsste. Doch dann blitzte eine Klinge auf und durchtrennte den Hals meines Angreifers.

 

Haldir trat den Kadaver von mir hinunter und reichte mir eine Hand zum Aufstehen. Dankbar lächelte ich ihn an, hatte aber keine Zeit, wirklich meinen Dank auszusprechen, denn schon waren neue Feinde hinter ihm aufgetaucht. Nun kämpften wir Seite an Seite und ich musste feststellen, dass unsere Kampfstile sehr gut miteinander harmonierten. Zusammen waren wir beinahe unschlagbar und das machte mir wieder Mut. Wenn wir nur weiter beide Seite an Seite kämpfen würden, dann könnte uns nichts geschehen und wir würden beide mit dem Leben aus dieser Schlacht davonkommen. Dann endlich würden wir zurück in unsere Heimat reiten und den Bund eingehen.

 

Doch ich sollte schon bald eines Besseren belehrt werden. Plötzlich kam eine neue Bewegung in die Reihen unsere Feinde und ich konnte hören, wie Aragorn etwas rief: „Togo hon dad, Legolas! Dago hon!“ [3] Ich blickte über die Mauer und sah, wie ein Uruk-hai mit einer riesigen Fackel auf die Mauer zurannte. Was hatte er damit vor? Wo wollte er damit hin?

 

Legolas’ Pfeile trafen zwar ihr Ziel, doch sie erbrachten nicht die gewünschte Wirkung. Durch den zweiten Pfeil ins Straucheln geraten, fiel der Uruk hin und aus meinem Sichtfeld. Keinen Augenblick später zerriss eine gewaltige Explosion die Luft und brannte ein Lock in die äußere Verteidigungsmauer. Die Druckwelle warf mich um und ich fiel von der Brüstung hinunter. Steine prasselten auf mich hernieder und ich hoch schützend meine Arme vor mein Gesicht.

 

Das war ein Fehler! Ein großer Felsen schlug auf meinen linken Arm ein und ich konnte hören, wie mein Knochen unter der Wucht splitterte und ich zurückgeschleudert wurde. Schmerz durchzuckte mich und ich schrie auf. Mein Sichtfeld verschwamm durch die Tränen, die mir augenblicklich in die Augen traten und ich konnte Freund nicht von Feind unterscheiden, als ich eine dunkle Gestalt auf mich zu rennen sah.

 

„Lilórien!“ Es war Haldir. Ich atmete erleichtert auf, aber ich konnte mich nicht aufrichten. Der Schmerz betäubte meinen Körper. Er kniete neben mir nieder. „Du bist verletzt! Geh zurück in die Burg.“

 

„Nein!“, rief ich entschlossen. „Ich werde dich nicht verlassen!“

 

„Ich kann nicht kämpfen, wenn ich weiß, dass du verletzt bist!“ In seinem Gesicht konnte ich, trotz meiner Tränen, große Angst lesen. „Ich wäre in zu großer Sorge um dich verwundbar.“

 

Er half mir auf und schob mich auf die Burg zu. Ich rannte ein Stück in diese Richtung, doch ich konnte meinen Geliebten doch jetzt nicht alleine lassen. Als er sich umgedreht hatte, rannte ich zurück. Meinen linken Arm hielt ich angewinkelt vor meinem Körper und griff mit der rechten nach meinem Langschwert. Ich würde ihn nicht alleine lassen, denn wenn ich jetzt ging, würde er sterben, das sagte mir mein Gefühl. Ich musste mich nur vor ihm verborgen halten, denn wenn er mich hier unten sah, würde er auch sterben.

 

Gab es überhaupt eine Möglichkeit aus dieser Situation herauszukommen? Wenn er in beiden Fällen sein Leben verlor, war es doch meine Schuld gewesen. Wie könnte ich mit dieser Tatsache leben? Ich musste ihm helfen, auch wenn er es nicht wollte. Und ich war bereit, mein Leben für das seine zu geben.

 

Ich versuchte so gut es ging die Uruk-hai abzuwehren, die zum Tor vorzudringen versuchten, doch es waren sehr viele. Kaum hatte ich einen erschlagen, kamen zwei neue auf mich zu, um mir nach dem Leben zu trachten. Ich duckte mich unter der krummen Klinge aus Isengart hinweg, ging in die Hocke und stach zu. Es war nicht so einfach, das Langschwert mit nur einer Hand zu führen, aber meine Wut über meine Verletzung und die Verzweiflung, die ich empfinden würde, würde Haldir den Tod finden, trieb mich weiter.

 

Nachdem ich zehn Feinde erschlagen hatte, hörte ich die Rufe aus der Burg. Sie riefen uns zu, dass wir uns zurückziehen sollten und ich drehte mich schon herum um durch das Tor zu laufen. Doch irgendetwas hielt meinen Blick fest auf das Schlachtgetümmel vor mir gerichtet. Ich versuchte, Haldir auszumachen, aber die Gegner waren zu zahlreich. Ich hörte, wie Aragorn rief: „Na barad!“ [4], aber meine Füße bewegten sich nicht. Ich konnte nicht gehen, wenn ich nicht wusste, dass mein Verlobter noch am Leben war.

 

Dann sah ich ihn. Er kämpfte verbissen und erschlug viele Feinde. Dann rief auch er seinen Kriegern die rettenden Worte zu. Aber plötzlich sah ich hinter ihm eine Klinge aufragen. Meine Füße hatten wieder die Kraft gefunden mich zu tragen und so rannte ich, so schnell ich konnte, auf ihn zu. Ich rief seinen Namen, doch er hörte mich nicht. Die Klinge sauste auf ihn nieder und ich konnte es nicht verhindern.

 

Schreiend lief ich zu ihm, doch als ich bei ihm war, mich neben ihm auf die Knie warf, blickten seine Augen mich nur noch halb an. Ich nahm seinen Kopf in meine Hände und streichelte sein Haar. Ich versuchte ihn aufzurichten, aber mein gebrochener Arm versagte mir den Dienst. Sein Kopf blieb auf meinem Schoß liegen, seine Augen wurden glasig. „Tollen i lû.“ [5], flüsterte er.

 

„Baw!“, rief ich. „Û-gwanno! Im an-cen.“ [6] Ich streichelte erneut über sein Haar, doch ich spürte bereits, dass seine Haut kalt wurde. Ich wollte aber nicht zulassen, dass dies geschah. „Dartho! Tulu telitha. Û-eglon nin.“ [7] Er öffnete den Mund und seine Worten waren nur noch ein Hauch, aber sie bedeuteten in diesem Moment alles für mich: „Im mel-cen…“ [8] Ich küsste ihn, doch schon als meine Lippen die seinen berührten, war kein Leben mehr in seinem Körper.

 

Entsetzt brach ich über ihm zusammen. Tränen liefen meine Wangen hinunter und trafen auf sein Gesicht. Der Schmerz in meinem Arm war nun nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den ich tief in meinem Herzen spürte. Bis in die tiefsten Tiefen meiner Seele bestand mein ganzes Dasein nur noch aus dem Schmerz des Verlustes.

 

Ich spürte nicht mehr, wie Aragorn zu mir kam, mich aufnahm und in die Burg trug. Wenn ich gewusst hätte, dass er Haldirs Körper einfach dort draußen diesen Bestien überließ, hätte ich mich nicht so einfach davontragen lassen. Aber ich besaß keine Kraft mehr, mich zu wehren. Selbst ein Kind hätte mich nun erschlagen könne. Und das wäre mir sogar noch willkommen gewesen. Ich wollte nun nicht mehr leben. Ich hatte keinen Grund mehr dazu. Eru hatte mir nun alles genommen, was mir etwas wert gewesen war auf dieser Erde. Wie sollte ich ohne all das überhaupt noch einen einzigen Atemzug tun?

 

Als ich die Augen aufschlug, lag ich in einer großen Halle. Mein Arm war verbunden und jemand hatte mir eine dampfende Schale an mein Lager gestellt. Doch der Geruch des Inhaltes brachte Übelkeit in mir hervor. Ich spürte meinen Arm nicht mehr, doch es war mir egal. Das einzige, was jetzt noch für mich zählte, war die Tatsache, dass ich nun ganz alleine war auf dieser Welt.

 

 

~~*~~*~~*~~*~~*~~

 

[1] Faeg i-varv dîn na lanc a nu ranc! - Ihre Rüstungen sind schlecht unter dem Nacken und unter dem Arm!

[2] Pendrain! – Leitern!

[3] Togo hon dad, Legolas! Dago hon! - Bring in zu Fall, Legolas! Töte ihn!

[4] Na barad! - In die Burg!

[5] Tollen i lû. – Die Zeit ist gekommen.

[6] Baw! Û-gwanno! Im an-cen! – Nein! Stirb nicht! Ich bin bei dir!

[7] Dartho! Tulu telitha. Û-eglon nin. – Halte aus! Hilfe wird kommen. Verlasse mich nicht.

[8] Im mel-cen. – Ich liebe dich.

© by LilórienSilme 2015

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