LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 14
~ Promise to give
Nur zögerlich setzte Elizabeth einen Fuß vor den anderen, Billy an ihrer Hand rieb sich schon die Augen, weil es längst für ihn Zeit war zu schlafen, doch hier waren sie. Plötzlich stand sie vor der Türe, die früher zu ihrem zu Hause geführt hatte und hörte sich klopfen. Nur Augenblicke später öffnete ein Diener ihr.
Erinnerungen durchzuckten sie von Alfred, dem Butler ihres Vaters, wie er an der Tür erschossen worden war, als die Piraten hier eingefallen waren. Das alles war so lange her, dass es ihr beinahe vorkam wie ein anderes Leben. Sie atmete einmal tief durch, dann trat sie über die Schwelle.
Es hatte sich viel in der Eingangshalle verändert. Noch immer hing ein Kronleuchter in der Mitte, doch der Boden war ein anderer und auch die Wände sahen ganz anders aus. Alles war in dunklen Farben gehalten. Die Wände waren mit schweren Seidentapeten behangen, schwere Brokatvorhänge verhüllten die Fenster, dicke Teppiche bedeckten den Boden und schwere und reich verzierte Möbel standen in jeder Ecke. Ein Sofa in Dunkelblau stand unter dem Aufgang der breiten Treppe hinauf ins erste Geschoss. Dort wartete bereits ein junges Mädchen in der Kleindung des Dienstpersonals. Sie erhob sich, als sie Elizabeth und den Kleinen sah, kam auf sie zu und machte einen Knicks vor ihr.
„Mylady, mein Name ist Sarah“, sagte sie sehr höflich und lächelte breit. Dabei enthüllte sie zwei Reihen perfekter weißer Zähne in einem sonst sehr runden Gesicht mit blauen Augen, die allerdings nicht besonders viel aussagten. Ihre blonden Haare hatte sie unter einer schwarzen Haube mit weißem Rand verborgen. „Ich bin dafür zuständig, den jungen William heute Abend zu betreuen. Wollt Ihr ihn mit anvertrauen?“
Es war keine ernst gemeinte Frage, wie Elizabeth feststellen musste, denn das Mädchen streckte sogleich die Hand nach Billy aus. Doch ihr kleiner Junge drückte sich nur enger an seine Mutter heran und vergrub das Gesicht in ihrem Rock. Elizabeth überlegte fieberhaft, ob sie es wagen konnte, Sarah zu vertrauen. Natürlich wurde es von ihr erwartet, dass sie hier keine Szene machte, denn ein Fünfjähriger war bei einem Abendessen sicher keine gute Gesellschaft. Allerdings hatte sie ihren kleinen Schatz noch nie lange aus den Augen gelassen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie ihn kaum in ein anderes Zimmer alleine gehen lassen. Er war immer bei ihr und er vertraute seiner Mutter. Wenn sie ihn nun wegschickte, musste sie sich sicher sein, dass ihm nichts geschehen würde.
Doch dann straffte sie sich. Was sollte ihm hier schon passieren? Er war hier sicherlich in guten Händen. Daher kniete sie sich hin, um mit ihm auf einer Augenhöhe zu sein. Dann nahm sie ihn bei beiden Händen. „Hör zu, mein Engel“, sagte sie leise, „du wirst jetzt mit Sarah mitgehen und ein bisschen mit ihr spielen. Und wenn du müde bist, wird sie dich in ein Bett bringen, wo schlafen kannst. Und wenn Mami gegessen hat, werde ich wieder kommen und wir gehen nach Hause. Einverstanden?“
„Ich mag aber nicht von dir weggehen“, erwiderte er trotzig und schob die Unterlippe vor. Dass er gebildet war und schon früh sprechen gelernt hatte, hatte sie immer stolz gemacht. Doch jetzt ärgerte sie sich ein wenig darüber. Eigentlich hatte sie gar nicht herkommen wollen, doch kaum, dass sie wieder zu Hause gewesen waren, hatte ein Bote an der Türe geklopft und ihr ein Präsent überbracht. Es war ein großes Paket gewesen, in Seide eingeschlagen und mit einer Schleife verziert. Und als sie es geöffnet hatte, war ihr der Atem weggeblieben.
Früher hatte sie viele solcher Kleider besessen, doch nachdem sie zurückgekehrt war, war ihr Kleiderschrank leer gewesen und sie hatte es nicht gewagt, sich so teure Stoffe zu leisten, da sie ihr erstens bald wegen der Schwangerschaft nicht mehr gepasst hätten, und es sich zweitens für eine trauernde Witwe, die sie nun einmal spielen musste, nicht gehörte, sich in etwas anderes als Schwarz zu kleiden. Deswegen waren ihre Kleider meist schlicht und in dunklen Farben gehalten gewesen. Das hellgrüne Kleid mit den goldenen Stickereien darauf war ihr daher wie eine Offenbarung erschienen.
Zärtlich hatte sie den feinen Stoff berührt und schnell festgestellt, dass Captain Miller offenbar nur das Beste gut genug war. Die Contouche war vorne offen, sodass man die aufwändige Schnürung besser sehen konnte, hatte einen ovalen Reifrock und auch an das Mieder hatte er gedacht. Kurz hatte sie gefürchtet, dass er ihr die Unterwäsche nur besorgt hatte, um sie ihr nachher eigenhändig wieder auszuziehen, doch den Gedanken schob sie weit von sich, als sie das Kleid, nach einem kurzen Ringen mit sich selbst, doch angelegt hatte.
Es saß perfekt an ihrem Körper, betonte ihre schlanke Taille und zauberte ihrer sonst eher wenig weiblichen Figur ein üppiges Dekolleté und runde Hüften. Es musste ein kleines Vermögen gekostet haben, so ein Kleid für sie nähen zu lassen und beinahe schämte sie sich dafür, dass es ihr so gut gefiel. Doch je länger sie sich im Spiegel betrachtet hatte, desto schöner kam sie sich vor und desto aufgeregter wurde sie, bis sie sich beinahe darauf freute, ihm in diesem Traum von einem Kleid gegenüber zu treten.
Der Moment war gekommen, als Sarah mit Billy verschwunden war. Er hatte sich nur zögerlich auf sie eingelassen, doch schließlich war es Elizabeth gelungen, ihn zu überzeugen. Die Süßigkeiten, die Sarah ihm versprochen hatte, hatten ihr Übriges dazu getan. Sie wurde nun von dem Diener, der die Türe geöffnet hatte, die Treppe hinauf geführt. Er hielt ihr eine Tür auf, die in einen großen Raum führte, der ebenfalls mit Brokat, Seide und Teppichen aus dem Orient geschmückt war. Doch das Beeindruckendste war der riesige Esstisch in der Mitte, der beinahe den gesamten Raum zu füllen schien. Er war aus dunklem Holz gefertigt und mit hellen Einlegearbeiten verziert. Seine Beine waren wuchtig und verschnörkelt. Mehr als ein Dutzend Stühle standen passend dazu um die Tischplatte herum.
Allerdings war der Raum leer. Captain Miller ließe sich noch entschuldigen, sagte der Diener und bat Elizabeth auf einem Sofa Platz zu nehmen. Als er gegangen war, hielt sie jedoch nichts mehr hier und sie machte sich auf die Suche nach dem Hausherren.
Natürlich wusste sie noch, wie das Haus aufgeteilt war, und so war es ein Leichtes für sie, das Arbeitszimmer zu finden, das er zweifellos für sich beanspruchen würde, da es einen besonders großen Balkon und einen schönen Blick auf die Bucht zu bieten hatte. Die Flügeltüren standen weit offen und so konnte sie schon früh hören, dass jemand bei Henry Miller war. Sie schlich sich näher heran und spähte um die Ecke. Dabei konnte sie sehen, wie der Captain einem anderen Mitglied der Royal Navy einen Briefumschlag überreichte, der mit Wachs versiegelt war.
„Lieutenant Cook“, sprach Miller seinen Gegenüber an, „macht Euch unverzüglich auf den Weg nach Virginia. Gouverneur Spotswood wird sich über diese Nachricht sicher freuen. Und unterrichtet Admiral Pike von unseren Plänen. Wir werden ihn brauchen, noch bevor das Jahr um ist.“ Dabei ließ er seinen Blick durch den Raum wandern, als fürchtete er, belauscht zu werden, und erblickte Elizabeth, die sich ein wenig zu weit vorgewagt hatte.
Sofort erhob er sich. „Miss Swann!“, rief er erfreut aus und kam um seinen gewaltigen Eichenschreibtisch herum. Lieutenant Cook versteifte sich sofort und ließ das Kuvert in seiner Brusttasche verschwinden. „Wie schön, dass Ihr es geschafft habt.“ Er lächelte sie freundlich an und weckte den Verdacht in ihr, dass er es tatsächlich ernst damit meinen könnte.
Sie jedoch fühlte sich äußerst unwohl. „Es tut mir schrecklich leid“, sagte sie händeringend, während er sie sanft am Arm nahm und sie in sein Büro führte. „Ich hatte nicht die Absicht, Euch bei Euren Geschäften zu stören.“
„Aber nicht doch! Der Lieutenant wollte ohnehin gerade gehen.“ Und als würde er einen Befehl ausführen, verneigte sich der Angesprochene kurz mit seinem Hut unter dem Arm und verließ mit langen, steifen Schritten das gemütliche Zimmer. Als er um die Ecke gebogen war, richtete Captain Miller wieder seine volle Aufmerksamkeit auf Elizabeth. „Ich muss mich bei Euch entschuldigen, Miss Swann. Ich wollte Euch nicht warten lassen, doch man erwartet dringend eine Antwort von mir. Bitte.“ Er wies mit einer großen Geste zur Türe, ließ sie vorgehen und zog hinter ihnen die Flügeltüren zu. Dann führte er sie zurück ins Speisezimmer.
Normalerweise hätte dieses sich zweifellos im Erdgeschoss befinden müssen, da die Küche auch auf dieser Ebene lag. Doch anscheinend besaß Captain Miller genug Geld, sich es leisten zu können, ein paar Konventionen zu brechen. Als sie nämlich eintraten, war der Tisch bereits eingedeckt worden und der erste Gang wurde aufgetragen. Dabei erhaschte Elizabeth noch einen kurzen Blick auf einen Speiseaufzug in der Ecke. Beeindruckt nahm sie Platz.
Den Auftakt zu einem wirklich köstlichen Menü machte eine Suppe aus Erdäpfeln mit weißem Brot und einer kräftigen Salzbutter. Danach servierten die Diener einen Braten vom Rind mit einer deftigen Kruste aus Pfeffer und Curry. Dazu gab es Mais, Knödel aus Erdäpfeln, eingelegten Kohl in weiß und rot und Wurzelgemüse mit Butter. Den Abschluss bildete eine süße Speise, die Elizabeth noch nie gesehen hatte: kleine Küchlein mit Apfelstückchen, die mit Zimt betreut waren. Dazu wurde eine dickflüssige, gelbe Soße gereicht, die, wie Captain Miller stolz sagte, mit echter Vanille zubereitet war. Während des gesamten Mahls wurde roter Wein zum Trinken gereicht.
Als die Diener die leeren Teller abgeräumt hatten, lehnte Captain Miller sich in seinem hohen Stuhl an der Stirnseite des Tisches zurück und sah sie an. Überall im Raum brannten Kerzen und man hatte eines der großen Fenster geöffnet, um ein wenig kühlere Luft hereinzulassen. Im leichten Windhauch bewegte sich eine Locke ihres locker zusammen gesteckten Haares und strich ihr sanft über die Wange. Er ertappte sich bei dem Gedanken, wie er sich ausmalte, sie ebenfalls so zu berühren.
„Gestattet mir zu sagen, dass Ihr wirklich wunderschön ausseht heute Abend.“ Dabei lächelte er sie an und streckte eine Hand nach ihr aus. Doch sie ergriff sie nicht, was ihn jedoch nicht wunderte. Wäre sie weniger schwierig gewesen, wäre es keine besondere Herausforderung für ihn. So jedoch genoss er ihre Gegenwart nur noch mehr.
Allerdings besaß sie den Anstand, leicht zu erröten. „Danke“, hauchte sie. „Vermutlich liegt es jedoch an diesem traumhaften Kleid, das Ihr für mich ausgesucht habt. Ihr seid wirklich sehr großzügig. Dafür möchte ich mich in aller Form und Höflichkeit bei Euch bedanken.“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das war doch nur eine Kleinigkeit. Es gefällt mir, es an Euch zu sehen. Es war purer Eigennutz, es Euch zu schenken. Ich wollte mich nur an Eurem Anblick erfreuen.“
„Es schmeichelt mir wirklich sehr, wie Ihr mit Worten umgehen könnt. Doch bitte, Ihr dürft nicht vergessen, dass ich eine verheiratete Frau bin.“
Er hatte erwartet, dass sie das sagen würde, und er musste sich schwer zurückhalten, um nicht lauthals loszulachen. Denn allein aus diesem Grund hatte er sie hierher bestellt. Er biss sich auf das Innere seiner Wange, bevor er antwortete: „Ich weiß, dass Ihr Euch sicher noch in Trauer befindet, doch bitte, Elizabeth, seid nicht verärgert, wenn ich offen mit Euch spreche.“ Er wartete ihre Reaktion nicht ab, sondern fuhr einfach fort. „Ihr seid jetzt schon so lange alleine. Ihr solltet die Trauerzeit hinter Euch lassen. Euer Gemahl wird nicht zu Euch zurückkehren, dessen müsst Ihr Euch bewusst sein.“
Sie schüttelte energisch den Kopf, sodass ihre Locken nur so flogen. Natürlich konnte sie ihm nicht die Wahrheit sagen, dass Will gar nicht tot war, sondern nur einen Packt mit einer Göttin eingegangen war, der ihn dazu verdammte, zehn Jahre auf See zu sein, bevor er einen Tag an Land gehen durfte. „Versteht mich nicht falsch“, sagte sie daher und achtete sorgsam darauf, ihre Worte gut zu wählen. „Aber mein Herz gehört nun einmal meinem Ehemann. Und solange ich nicht seine Leiche gesehen habe, wird es keine Ruhe finden.“
Gedanklich lobte sie sich für diese Ausrede, denn wenn ein Mann auf dem Meer als verschollen galt, fand mal selten einen toten Körper, da die meisten Leichen über Bord geworfen wurden, um Krankheiten zu vermeiden.
Doch auch Miller schien dies zu wissen. „Miss Swann, bitte haltet mich nicht für so dumm, Euch diese Geschichte zu glauben. Ich weiß sehr wohl, wie es auf Schiffen zugeht. Sobald jemand stirbt, wird der leblose Körper dem Meer überantwortet. Eine Leiche zu finden, die man noch eindeutig Eurem Ehemann zuordnen kann, ist daher mehr als unwahrscheinlich.“
Sie biss sich auf die Lippe, um nicht aufzufahren. Was bildete sich dieser Schnösel nur ein? Er kam hierher, zog in das Haus ihres Vaters, schenkte ihr ein Kleid, machte ihr den Hof, um ihr dann an den Kopf zu werfen, dass sie eine dumme Frau war, die darauf hoffte, ihren Mann doch noch einmal in die Arme schließen zu können. Sie selbst war nie sonderlich gut mit Worten gewesen, doch das begriff sie auch so. „Was verlangt Ihr von mir, Captain Miller?“
Nun stahl sich doch ein Grinsen auf seine Züge, denn er konnte seine Freude nun kaum mehr verbergen. Sie war so leicht in seine Falle getappt, dass es fast zu einfach war. „Ich möchte Euch zu meiner Frau nehmen.“ Und bevor sie wütend davon stürmen konnte, packte er ihre Hände und hielt sie fest. „Bitte, denke darüber nach, Elizabeth. William braucht einen Vater und du einen Ehemann, der nicht tot auf dem Grund des Ozeans liegt. Und eine bessere Partie als mich wirst du in den gesamten Kolonien nicht finden.“ Sie schnaubte ungehalten. „Du glaubst es nicht, doch ich kann dir versichern, dass adliges Blut durch meine Adern fließt. Meine Mutter war die Schwester des Königs.“
„War?“
„Sie starb, als ich noch klein war. Eine Base von ihr hat mich aufgezogen und mich schließlich hierher bringen lassen, damit ich ein würdiges Amt übernehmen kann. Du siehst also, dass ich die Wahrheit sage: eine bessere Partie wirst du nicht mehr finden.“
Sie wollte ihm wütend ihre Hände entziehen, doch er packte sie nur umso fester. Entsetzt sah sie ihm in die kalten Augen. „Denk doch an Billy!“, ermahnte er sie, doch sie wollte nicht hören, wie er die Wahrheit sagte. Sie wusste, dass er Recht hatte. Doch wie hätte sie das nur tun sollen, in dem Wissen, dass Will irgendwo dort draußen darauf wartete, dass die zehn Jahre verstrichen.
Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und rollte ihre Wange herunter. Das erschreckte Miller und er ließ sie los. Sie erhob sich daraufhin vom Tisch, raffte ihre Röcke und ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. „Ich kann nicht“, flüsterte sie. Doch das wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Mit wenigen Schritten stand er plötzlich wieder vor ihr, kniete sich vor sie hin und ergriff wieder ihre Hände. „Bitte, Elizabeth, denk doch an deinen Sohn. Er braucht einen Vater. Und denk an dich selbst. Hast du dich nicht einsam gefühlt in den letzten Jahren? Ich könnte diese Einsamkeit vertreiben. Und ich wäre in der Lage, dir und Billy ein Leben zu bieten, das du einst selbst gelebt hast. Du könntest es wieder haben. Du könntest dieses Haus wieder haben.“ Als sie nicht antwortete, sondern weiter stumme Tränen weinte, drückte er ihre Hand. Zögerlich hob sie den Blick von ihren ineinander verschlungenen Händen und sah ihm lange in die Augen.