LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 13
~ Retirement
Die Sonne brannte auf den sowieso schon heißen Sand und machte es beinahe unerträglich für sie. Selbst im Schatten gab es kaum Rettung vor den sengenden Strahlen, geschweige denn irgendwelche Kühlung. Erfrischung konnte sie nur im Wasser finden. Doch dazu musste sie erst einmal barfüßig über den kochenden Strand laufen, um sich dann, ausgetrocknet wie sie war, ins Salzwasser gleiten zu lassen. Da könnte sie sich auch gleich einen Strick nehmen.
Wenn es doch nur einen Strick hier gab. Doch hier gab es nichts! Sie hatte die einzigen beiden Kokosnüsse schon vor drei Tagen verspeist. Deren Saft hatte sie noch einen Tag länger über Wasser gehalten, doch selbst das konnte sie nicht vor dem nahenden Tod bewahren. Selbst, wenn in diesem Moment eine weitere Frucht reifen sollte, hätte sie nicht mehr die Kraft, sich den Stamm herauf zu schleppen, um sie zu pflücken. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, war sie zu gar nichts mehr in der Lage. Sie hätte sich nicht mal umbringen können, wenn sie noch einen Schuss in der Waffe gehabt hätte.
Sie verfluchte ihren Stolz, dass sie ihre einzige Kugel Jack hinterher gefeuert und ihn auch noch verfehlt hatte. Wieso hatte sie die Kugel nicht behalten? Wieso nur hatte sie nicht auf ihn gehört?
Doch dann obsiegte die Wut wieder. Wieso hatte er sie nur auf dieser von Gott verlassenen Insel ausgesetzt? Jeden Tag hatte sie gebeten, dass man sie erretten möge, doch es war niemand gekommen. Selbst die Befriedigung, ihre Wut auf Jack an seiner Puppe auszulassen, hatte ihr nichts genutzt, denn auch er war nicht gekommen. Doch sie war sich sicher, dass er etwas gespürt haben musste. Zumindest musste sie sich das selbst einreden, um nicht völlig verrückt zu werden, wenn sie das nicht ohnehin schon war.
Vor zwei Tagen hatte sie morgens für einen winzigen Augenblick gedacht, Segel am Horizont aufblitzen zu suchen. Sie war zum Strand gelaufen und hatte rufen, war gesprungen und hatte dabei wild mit den Armen gewunken. Doch nach ein paar Minuten musste sie sich eingestehen, dass sie sich das wohl nur eingebildet hatte.
Ihre aufgesprungenen Lippen schmerzten. Ihre Kehle war trocken und rau und ihr Herzschlag langsam und träge. Es fühlte sich beinahe so an, als würde ihr Blut mit jeder Minute dicker werden. Als sie das letzte Mal vor zwei Tagen Wasser gelassen hatte, war alles, was sie ausgeschieden hatte, ein paar Tropfen gewesen, die beinahe braun wirkten. Ihr unterer Rücken schmerzte unerträglich, sie fühlte sich ständig müde und schlapp, bewegte sich kaum aus dem sicheren Schatten heraus und schlief fast den ganzen Tag. Sie wusste, dass das sehr gefährlich werden konnte, denn vielleicht würde sie beim nächsten Mal, wenn sie einschlief, nicht mehr aufwachen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte kaum noch die Augen aufhalten.
Die Jack-Puppe lag neben ihr. Sie hatte sogar gestern aufgehört, die Puppe zu verfluchen und anzuschreien, denn nicht einmal dazu hatte sie noch genug Kraft. Jetzt streckte sie eine Hand danach aus, ergriff das kleine Spielzeug, was ihr Vater angefertigt hatte, und drückte es an ihre Brust. Sie hasste Jack, doch sein Abbild war ihr einzig noch verbliebener Trost in dieser eintönigen Einöde.
Ein leichtes Lächeln verzog ihre Lippen und ließ die rissige Haut nur noch weiter aufplatzen, bis sie Blut schmeckte. Genüsslich leckte sie sich über die Lippen und freute sich wenigstens über dieses winzige Bisschen an Flüssigkeit. Doch ihr eigenes Blut zu trinken würde sie nicht wieder lebendig machen. Als die Wunde wieder verschlossen war von der Hitze und sie alles Blut aufgeleckt hatte, fragte sie sich plötzlich, wieso sie gelächelt hatte. Ihr Verstand arbeitete so langsam, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnte, welche Uhrzeit sie hatten.
Dann fiel es ihr wieder ein: bald würde sie bei ihrem Vater und ihrer Mutter sein. Ihre Mutter war so früh gestorben, dass sie kaum die Gelegenheit gehabt hatte, sie richtig kennen zu lernen. Deswegen freute sie sich auf eine Art, sie vielleicht endlich einmal in die Arme schließen zu können. Und ihren Vater würde sie um Verzeihung bitten können.
Doch würde er das überhaupt wollen? Würde der unbeugsame Edward Teach ihr überhaupt zuhören? Dabei hatte sie gar nichts getan. Jack war derjenige gewesen, der ihn zum Tode verurteilt und sie am Leben gelassen hatte. Er hatte ihren Vater seiner Jahre beraubt und sie ihr geschenkt. Und was hatte es am Ende genützt?
Vielleicht war sie gar nicht dafür bestimmt gewesen, so viel länger zu leben. Vielleicht hatte ihr Vater auch einfach nicht mehr genügend Jahre gehabt, die er auf sie hätte übertragen können. Immerhin hätte er ja ohnehin durch die Hand des Einbeinigen sterben müssen laut der Prophezeiung.
Dabei drängte sich ihr allerdings eine andere Frage auf: wieso hatte Jack sie auf dieser Insel zum Sterben zurück gelassen, wenn er ihr doch vorher das Leben gerettet hatte? Wieso war er so grausam, sie erst vor dem schleichenden Gifttod zu bewahren, um sie dann hier verdursten zu lassen? Sollte sie Jack Sparrow noch einmal wiedersehen, und sei es auch nur, dass sie ihn als Geist heimsuchen würde, dann würde sie ihm für diese Frage eine Antwort entlocken. Und dieses eine Mal würde er sich nicht rausreden können!
Die Wut, die in ihr aufstieg, schüttete Adrenalin aus, und das sorgte dafür, dass sie sich kurz aufrichten konnte. Sie ließ die Puppe achtlos zur Seite fallen, stützte sich auf die Hände und stemmte sich hoch. Ihre Muskeln schmerzten, als hätte sie tagelang auf der Ruderbank gesessen, und es gelang ihr nur mit Mühe und Not, sich in eine sitzende Position zu hieven, bis sie die Kräfte wieder verließen. Das hier war eine eindeutig beschissene Situation und sie konnte gar kein schlimmes Schimpfwort dafür finden, was es vielleicht auch nur ansatzweise beschrieb.
Sie verbrachte eine Weile damit, dem Wellenspiel zuzusehen. Wenn sie doch nur auch hätte ins Wasser waten und davon schwimmen können. Doch sie hatte ja keine Ahnung, wie weit das nächste Land entfernt war. Und vielleicht trieben sich Haie in der Nähe herum, die sie liebend gerne verspeist hätten. Außerdem war sie schon alle Möglichkeiten, diese Insel lebend zu verlassen, hunderte Male gedanklich durchgegangen. Und sie hatte schnell feststellen müssen, dass diese Methode, meuternde Mannschaftsmitglieder einfach auszusetzen, durchaus gut durchdacht war. Sie konnte sie auch nicht erinnern, dass jemals jemand diesem Martyrium entkommen war – außer Jack natürlich.
Wieso nur mussten die übelsten Schurken immer das meiste Glück haben? Natürlich hatte er sie nicht auf einer Insel ausgesetzt, die ein Schmugglerversteck für Rum enthielt. Das hätte sie ja wohlmöglich zur Flucht nutzen können. Nein, er musste sie auf der kleinsten beschissenen Insel in der verdammten Karibik absetzen!
Ihre Wut verrauchte so schnell, wie sie gekommen war, und sie sank erschöpft zurück an den kleinen Felsen, der ihr als Rückenlehne diente. Wieder nahm sie die Puppe zu sich und drückte sie fest an ihre Brust. „Sparrow, du gottloser Pirat“, flüsterte sie. „Komm gefälligst und hol mich von dieser verdammten Insel runter.“
Ihr Kopf sank an den Felsen zurück. Ihr Blick verschwamm nun beinahe vollständig und sie konnte so gerade noch erkennen, wo der Strand aufhörte und das Meer begann, obwohl die Schaumkronen keine fünfzig Meter von ihr brachen. Das Weißwasser schwemmte ein bisschen Seetang an, doch der war leider roh nicht essbar. Und auch Krebse und Muscheln hatte sie keine gefunden. Nicht einmal Vögel gab es hier, die man hätte essen können. Doch vermutlich hätte sie nicht mal einen gefangen. Und um ein Tier roh zu essen, weil man nichts hatte, womit man Feuer machen konnte, musste man schon sehr verzweifelt sein.
Bin ich das nicht?, fragte sie sich selbst, als ihr die Augen abermals zufielen. Bin ich nicht verzweifelt genug, um alles zu tun, um zu überleben? Ja, das war sie. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie sogar eine lebende Ratte gefressen. Doch auch die gab es hier nicht, denn es gab nichts, wovon sie sich hätten ernähren können. Diese Insel war, abgesehen von den Bäumen, den wenigen spärlich belaubten Sträuchern und den weggeworfenen Ballaststeinen völlig leer. Eigentlich war das der letzte Ort zum Sterben.
Und doch musste sie einsehen, dass es mit ihr zu Ende ging. Sie schaffte es kaum noch, die Augen offen zu halten. Alles, was sie sehen konnte, vermischte sich zu einem einheitlichen Brei aus Farben und Formen, die wild vor ihren Augen tanzten, bis ihr schwindelig wurde. Mit letzter Kraft drückte sie die Jack-Puppe an sich, versuchte zu schlucken, doch es ging nicht mehr.
Ihr Kopf rutschte von dem Stein und landete sanft im Sand. Sofort sammelte sich Sand auf ihren Lippen, verkrustete sie und drang in ihre Lunge ein. Sie spürte davon jedoch nichts mehr. Sie sah nicht, wie ein Schiff auf der Rückseite der Insel anlegte, wie ein Beiboot zu Wasser gelassen wurde und wie es von drei Männern an Land gerudert wurde. Sie spürte auch nicht mehr, wie alte faltige Hände mit Ringen an jedem Finger ihren Kopf aus dem Sand hoben, wie alte braune Augen aus einem faltigen Gesicht sie musterten. Die Federn auf dem großen Hut, dessen Schatten das halbe Gesicht des Mannes bedeckte, flatterten in dem leichten Wind. Er winkte mit seinen krummen Fingern die beiden näher, die ihn in dem Boot herüber gerudert hatten.
„Aye, Captain!“, sagte der eine, als sie neben ihm standen, und salutierte. Er war noch jung, hatte kaum sein erstes Jahr auf See verbracht und ihm wurde manchmal noch schlecht, wenn der Seegang besonders schlimm war. Doch er war ein guter Kabinenjunge, mutig und treu. Und vor allem war er verschwiegen.
Der Captain erhob sich wieder. Er war zu alt, um die Frau alleine zu tragen. „Los, tragt sie rüber zum Boot. Wir nehmen sie mit uns.“ Zurück auf seinem Schiff strich der Captain Angelica die trockenen, spröden Haare aus dem Gesicht und betrachtete sie lange, wie sie auf seinem Bett lag und flach atmete. Man hatte sie gewaschen, ihr mindestens zwei Liter Wasser eingeflösst und sie dann zu ihm gebracht. Nachdenklich sah er erst sie an, dann die Puppe, die sie in ihren Händen gehalten hatte. „Oh Jackie, was hast du nur wieder angestellt?“