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Kapitel 13

 

~ Can’t get her out of my Bed

 

Die Ankunft in ihrem Hotel erlebte Vittoria wie in Watte gepackt. Noch schläfrig von den Tabletten schlürfte sie hinter Anna her, ihre Handtasche baumelte müde von ihrem Arm herunter. Mit halb geschlossenen Augen blickte sie um sich, konnte aber kaum etwas von der Schönheit der Stadt genießen. Offenbar hatte der Schlaf, den sie im Flugzeug gehabt hatte, wenig mit Erholung zu tun. Und das Erste was sie tat, war sich ins Bett zu legen und bis zum nächsten Tag durchzuschlafen.

 

Ein hämmerndes Klopfen, welches sich ganz tief in ihre Gehirnwindungen fraß und ihr Kopfschmerzen der allerbesten Sorte verpasste, riss sie am Morgen aus ihren Träumen. Sie hatte geträumt, dass Ben sie in einem hellen Kleid durch ein großes Haus getragen hätte und wenn sie jetzt daran dachte, wurde ihr fast schlecht von dem Gedanken. Dieser Milchbubie würde sie nicht einmal hochheben können, wenn sein Leben davon abhinge, dachte sie amüsiert.

 

Nachdem das Hämmern aber auch nach ein paar Minuten immer noch andauerte, erhob sie sich schließlich mit einem lauten Stöhnen. Vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, stolperte sie zur Tür. Sie hatte in den letzten Wochen viel Zeit auf ihrem Zimmer in Neu Seeland verbracht und hatte dort jeden Winkel gekannt. Hier war alles neu und sie musste, ob sie es wollte oder nicht, die Augen öffnen, um den Weg zur Tür zu finden. Das Licht, welches schon durch die Fenster fiel, war für ihren Geschmack jedoch noch viel zu hell, und sie musste sich abwechselnd die Hand vor die Augen halten und sie dann wieder ausstreckten, um nicht vor irgendeinen Gegenstand zu laufen.

 

Endlich, als sie die Türe erreicht hatte, öffnete sie und blickte verschlafen in das strahlende Gesicht von Georgie, die ihr fröhlich entgegen rief: „Aufstehen, Schlafmütze, es gibt Frühstück!“ Dabei zog sie jedes Wort unnötig in die Länge und unterstrich alles mit einem viel zu hohen Ton, der offenbar nur ausdrücken sollte, wie gut ihr dieser neue Abschnitt des Drehs gefiel.

 

Vittoria hatte dafür wenig Verständnis und wollte ihr schon wieder die Tür vor der Nase zuschlagen, doch da drang plötzlich ein herber Duft zu ihr durch, der ihre Lebensgeister ein wenig belebte. Sofort meldete sich auch ihr Magen lauthals und kündigte an, dass sie seit beinahe drei Tagen nichts mehr gegessen hatte. So schnell, wie es ihr in diesem Zustand möglich war, zog sie sich an und hackte sich schließlich bei Georgie ein, die sie runter in den Frühstückssaal führte.

 

Ben wurde ebenfalls unsanft von Will geweckt, der auch bei ihm an die Tür hämmerte und ihn erst nach mehreren Versuchen davon überzeugen konnte, mit hinunter zu kommen. Dummerweise hatte er sich nämlich am Abend zuvor noch von den Zwergendarstellern Peter Dinklage und Warwick Davis überreden lassen, einen Pub zu besuchen. Dabei war es natürlich nicht geblieben und er war erst ins Hotel zurückgekehrt, als es schon beinahe wieder hell wurde.

 

Das bezahlte auch er nun mit einem hämmernden Schmerz hinter den Schläfen, während er sich mit Will in den winzigen Aufzug zwängte und in das Erdgeschoss fuhr. Als sich die Türen öffneten, musste er sich die Hände auf die Ohren pressen, weil der Lärm, den die Crew machte, doch etwas viel auf einmal war. Doch Will erwies sich als äußerst hilfreich und bugsierte ihn vorsichtig zu einem freien Tisch in der Ecke. Dort drücke er ihn auf einen Stuhl und verschwand mit dem Versprechen, ihm Kaffee zu besorgen.

 

Wenig später nahm er aus dem Augenwinkel wahr, wie sich drei schemenhafte Gestalten seinem Tisch näherten. Müde hob er den Kopf von seinen Händen und blinzelte rüber, konnte aber nur verschwommen erkennen, dass es sich um drei weibliche Gestalten handeln musste. Er nuschelte ein „Guten Morgen“ und ließ seinen Kopf wieder auf seine Hände sinken, während er verzweifelt auf die Rückkehr von Will mit dem Kaffee hoffte.

 

Vittoria schaffte es zumindest alleine an den Tisch, ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und nahm Anna das Versprechen ab, einen Liter Kaffee so schwarz, dass man den Löffel hineinstellen konnte, zu besorgen.

 

Kurz darauf erschien auch Skandar und nahm Georgie mit zum Buffet. Ben und Vittoria jedoch waren entweder noch viel zu müde, oder ihr Magen rebellierte noch zu stark, als dass sie hätten etwas essen können. Sie waren so vertieft in ihr Elend, dass sie gar nicht merkten, mit wem sie da eigentlich den Tisch teilten. Aus halb geschlossenen Lidern sahen sie sich beide an, ohne den anderen wahr zu nehmen. Hätten sie es getan, wäre vermutlich der dritte Weltkrieg ausgebrochen. Doch so konnten alle sechs ein einigermaßen ruhiges Frühstück genießen.

 

Nachdem Vittoria ihre dritte Tasse schwarzen Goldes getrunken hatte und sich langsam ein bisschen was von dem Koffein bemerkbar machte, nahmen die Umrisse ihrer Umgebung schärfere Konturen an. Nun konnte sie erkennen, was hier den Lärm veranstaltete und fühlte sich augenblicklich an ihre Schulzeit erinnert. Auch, dass sie sich fühlte, als würde sie, wieder einmal, am Außenseiter-Tisch sitzen, machte das Gefühl nicht besser. Bevor sich jemand mit seinem Tablett auf sie stützen und vor allen Leuten lächerlich machen konnte, erhob sie sich.

 

„Wo willst du hin?“, fragte Anna und musterte besorgt, wie sie schwankend auf die Beine kam. „Simma“, stieß sie nur hervor, bevor sie, benommen von dem schnellen Aufstehen, aus dem Raum stürzte. Der Kaffee machte sich nun auf andere Weise bemerkbar und wollte ihren Körper auf unnatürlichem Wege wieder verlassen. Vielleicht war es doch nicht so gut gewesen, so ein starkes Gebräu auf leeren Magen zu trinken, dachte sie noch, bevor sie auf die nächste Toilette zurannte, die Tür aufstieß und sich geräuschlos übergab.

 

Nach einer schieren Ewigkeit hörte das Zittern ihrer Glieder endlich auf. Mehrmals hatte sich ihr Magen zusammen gekrampft und ihr Schweißausbrüche beschwert. Nun endlich schien er sich wieder beruhigt zu haben. Vorsichtig öffnete sie die Türe und lugte hinaus, ob sie beobachtet wurde. Als sie jedoch feststellte, dass sie scheinbar alleine war, schlich sie leise nach oben zu ihrem Zimmer. Wahrscheinlich waren die anderen schon auf dem Weg zum Set. Bestimmt war inzwischen eine Menge Zeit vergangen und man suchte sie bereits.

 

Doch als sie in ihrem Zimmer blinzelnd auf die Uhr sah, stellte sie fest, dass nur eine halbe Stunde verstrichen war. Sie hatte also noch etwas Zeit. Langsam, um ihren Kreislauf nicht wieder herauszufordern, zog sie sich aus und schlüpfte unter die Dusche. Der heiße Wasserstrahl tat unglaublich gut und sie wäre am liebsten den ganzen Tag hier stehen geblieben und hätte sich berieseln lassen. Endlich schien ihr Kopf leer und nicht mehr so vollgepackt mit schlechten Gedanken.

 

Unwillkürlich zuckte sie zusammen, als sie an das Telefonat mit Meg zurückdachte. Bisher hatte sie es, dank der Schlaftabletten, gut verdrängt und war ohne schlechte Laune in Prag angekommen. Aber jetzt, da sich ihr Verstand langsam wieder klärte, kam die Erinnerung zurück. Und ohne, dass sie es wollte, löste sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel und vermischte sich mit dem Süßwasser aus der Leitung, um gemeinsam im Abfluss zu verschwinden.

 

Als sie dem Schaum nachsah, wie er in den Gully rann, begann sie plötzlich unkontrolliert zu schluchzen. Sie wusste nicht woher dieser Gefühlsausbruch kam und was er zu bedeuten hatte, denn eigentlich war es ihr immer ziemlich egal gewesen, was mit Thomas passiert. Zumindest hatte sie das bis zu diesem Zeitpunkt gedacht. Dass er nun aber scheinbar mit ihrer besten Freundin ging, rückte die Sache in ein anderes Licht. Wie ein Messerstich mitten rein ins Herz fühlte es sich an, wenn sie daran dachte, wie er Meg im Arm hielt und sie küsste. Aber wieso?

 

Ohne eine Antwort auf die Frage finden zu können und ohne ihre Tränen zu stoppen trocknete sie sich ab und zog sich frische Sachen an. Sie putze sich drei Mal die Zähen, bis sie das Gefühl hatte, den widerlichen Geschmack losgeworden zu sein, dann atmete sie noch einmal tief durch, straffte ihre Schultern und machte sich schlussendlich auf den Weg in die Studios.

 

Sie trat gerade auf die Straße, als sie von hinten jemanden ihren Namen rufen hörte. Erst wollte sie so tun, als hätte sie es nicht gehört, weil sie nicht wollte, dass sie jemand mit verquollenen und geröteten Augen sah, aber als derjenige sie immer wieder rief, blieb ihr schließlich keine andere Wahl mehr. Sie schluckte die letzte Träne tapfer runter und drehte sich dann mit einem etwas gekünstelten Lächeln um.

 

„Wie siehst du denn aus?“, begrüßte Ben sie, als er auf sie zutrat. Sofort gefror das Lächeln auf ihren Lippen und sie verzog den Mund zu einem angewiderten Ausdruck. „Na, vielen Dank, Charlie Sheen! Du siehst auch nicht viel besser aus“, giftete sie zurück. „Und nach deiner Fahne zur urteilen hast du gestern Abend ordentlich einen über den Durst getrunken. Gut, dass du schon volljährig bist, Püppi.“

 

Zu ihrer Überraschung lachte er auf und gab ihr einen Klaps auf die Schulter. „Immerhin kannst du noch Witze machen“, grinste er. „Dann kann deine Nacht nicht so schlimm gewesen sein, auch wenn du anders aussiehst.“ Er zwinkerte ihr zu und sie musste gegen ihren Willen auch grinsen. Wieso war ihr nie aufgefallen, dass er so schöne Augen hatte, dachte sie in diesem Moment, schüttelte aber gleich wieder heftig den Kopf, um diesen merkwürdigen Gedanken schnell zu vertreiben.

 

Als sie an der Straße ankamen, blieben sie stehen und blickten sich um. „Sag mal, du weißt nicht zufällig, in welcher Richtung die Studios liegen?“, fragte Vittoria und kratzte sich verlegen am Kopf. Irgendwie hatte sie wohl geschlafen, als Andrew ihnen das mitgeteilt hatte. Sie hasste es, wenn sie unvorbereitet war. Wieso nur hatte sie es sich nicht aufgeschrieben? Nervös kaute sie an ihrer Unterlippe. Wenn er nun jetzt auch nicht weiter wusste, was würden sie dann machen?

 

Ben stieß einen schrillen Pfiff aus und hob seine rechte Hand. Augenblicklich hielt ein Taxi vor ihnen. Sie sah ihn erstaunt an. Dabei hatte sie gedacht, dass das nur in New York üblich war, eine Mitfahrgelegenheit herbei zu pfeifen. In London musste man sogar nur die Hand heben. „Wir fragen einfach mal“, sagte er und steckte seinen Kopf zum Fenster rein. Ein paar Sekunden unterhielt er sich mit dem Fahrer, dann zog er seinen braunen Schopf wieder hervor, grinste sie an und öffnete ihr die Tür. „Bitte einzusteigen, Milady“, sagte er und hielt ihr eine Hand hin. Ziemlich beeindruckt ließ sie sich von ihm beim Einsteigen helfen und rutschte durch. „Du kannst Tschechisch?“, fragte sie.

 

„Nein, der Fahrer kann Englisch“, gab er zu, schenkte ihr aber ein so strahlendes Lächeln, dass sie wieder grinsen musste. Hatte er heute Pillen genommen, oder warum war er so nett zu ihr? Vielleicht dachte er, dass er mit ihr heute leichtes Spiel hatte, weil sie so schlecht geschlafen hatte. Aber die Illusion würde sie ihm schnell wieder nehmen, schwor sie sich, wenn sie erst am Set waren. Dann würde er wieder nach ihrer Nase tanzen müssen.

 

Die Fahrt durch die Stadt gestaltete sich als sehr angenehm. Der Fahrer war unglaublich redselig und spielte Fremdenführer für sie. In einem ziemlich guten Englisch, was sie nicht erwartet hätte, zeigte er ihnen ein paar schöne Orte der goldenen Stadt und als sie an der Moldau entlang fuhren, kam Vittoria nicht umhin, sich ein wenig zu verlieben.

 

Nach etwa zwanzig Minuten waren sie schon beinahe aus der Stadt raus und sie begann sich zu fragen, ob sie wirklich nicht aufgepasst hatte. Doch dann sah sie ein Schild mit der Aufschrift Barrandov und etwas tief hinten in ihrem Gedächtnis regte sich und verriet ihr, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Ben steckte dem Fahrer die verlangten Kronen durch das Seitenfenster zu, dann begaben sie sich auf den Weg zum Set. Wahrscheinlich würden sie mächtigen Ärger bekommen, aber am ersten Tag, so hofften sie, würde es vielleicht nicht allzu schlimm sein, dass sie mittlerweile eine Stunde zu spät dran waren.

 

Zu ihrer Überraschung jedoch mussten sie sich darüber erst mal keine Gedanken machen, denn mit einem schrillen „Benji-Süßer!“ kündigte sich eine Entschuldigung an. Beide drehten sich mit einem Ruck in die Richtung, aus der die hohe Stimme kam, und Ben drehte sich beinahe im selben Augenblick wieder in die andere Richtung und tat so, als hätte er nichts gesehen oder gehört.

 

Für einen Moment schien sein Herz auszusetzen, als er sah, wer dort auf ihn zukam. Was zur Hölle machte sie hier? Er konnte sich nicht erinnern, ihr erzählt zu haben, dass er in Prag war. Hatte sie es etwa von seiner Mutter? Die würde was erleben können, wenn er ein Telefon in die Hände bekam. Sie konnte doch nicht einfach so mir nichts, dir nichts, ausplaudern, wo er war. Und erst recht nicht in deren Gegenwart.

 

Ohne richtig zu wissen, was er tat, packte er Vittoria am Oberarm und zerrte sie in Richtung Eingang. Er konnte nicht leugnen, dass sie jetzt hier war, aber vielleicht konnte er ihr noch bis zum Feierabend entkommen. Denn so wie er sie kannte, würde sie hier draußen campen, bis er raus kam. Vielleicht aber gab es auch einen Hinterausgang, wo er sich rausschleichen konnte. Oder er ließ sich mit dem Hubschrauber ausfliegen und direkt zum Flughafen bringen. Das würde Andrew ihm allerdings nie verzeihen. Also würde er wohl für den Rest seiner Tage in diesen Studios wohnen und dafür sorgen müssen, dass sie hier nicht rein durfte.

 

„Du tust mir weh!“, rief Vittoria und versuchte sich zu befreien. Doch sein Griff saß zu fest um ihren Arm, wie ein Schraubstock. Wenn sie blaue Flecken von ihm bekommen würde, könnte er aber was erleben! „Was soll das?“

 

Doch er reagierte nicht darauf. Erst als sie sich erneut losreißen wollte, sah er sie an. Er wollte keine Zeit mit Erklärungen verlieren, doch dieses biestige Miststück ließ sich nicht so ohne Weiteres mitziehen. Immer verlangte sie nach einer Erklärung und immer musste sie alles besser wissen. Manchmal konnte sie wirklich anstrengend sein. „Können wir das bitte drinnen besprechen?“, zischte er und wies mit dem Kopf in die Richtung, aus der ihre Verfolgerin kam.

 

Der Unterton in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Er hatte doch nicht etwa Angst vor dieser Rothaarigen? Vittoria sah ihre Chance auf Rache gekommen. Die Aktion unter der Dusche würde sie ihm nun endlich heimzahlen können und dann waren sie quitt.

 

Abrupt blieb sie stehen und zwang ihn damit auch stehen zum Anhalten. Verwirrt blickte er sie an, doch als er den hämischen Ausdruck in ihren Augen sah, ahnte er bereits, was kommen würde. Nie hätte er gedacht, dass er sie mehr hassen könnte, als an dem Tag, an dem sie ihm seine Rolle vorgespielt hatte. Doch damit überspannte sie den Bogen eindeutig. Er versuchte noch zu flehen, doch es war bereits zu spät. Cassandra war bereits in Hörweite. Ihre langen Beine steckten in hautengen Jeans, die sie in hohe graue Stiefel gesteckt hatte, mit denen sich jede normale Frau die Haxen gebrochen hätte. Doch sie schien Übung darin zu haben, denn in weniger als ein paar Sekunden war sie bei ihnen angelangt und warf sie ihm in die Arme.

 

„Benji, mein Schatz!“, rief sie und Vittoria musste sich die Ohren zuhalten, um keinen Hörsturz zu bekommen. Wie konnte ein normaler Mensch so eine hohe Stimme haben? Aber noch viel mehr als die Stimme faszinierte sie das rote Haar der Fremden. Wie Feuer wallte es in langen, ästhetischen Locken über ihren Rücken. Wie lange sie wohl gebraucht hatte, um es so aussehen zu lassen?

 

Cassandra löste sich nach einer schieren Ewigkeit endlich wieder von ihm und sah ihn mit feuchten, aber strahlenden Augen an. Sie hatte schon immer ein gewisses Talent für große Auftritte gehabt. „Was machst du denn hier, Cass?“, presste er mühsam hervor und versuchte sich an einem Lächeln. „Dich besuchen, was sonst?“, sagte sie und wollte ihm einen Kuss aufdrücken, dem er jedoch noch ausweichen konnte. Dabei fiel sein Blick auf Vittoria, die ihn schadenfroh beobachtete und nur darauf wartete, dass er anfing zu schreien.

 

Und in diesem Moment wäre ihm auch nichts lieber gewesen, aber als er sah, wie Vittoria sich die Lippen nach seinem Leid leckte, brannte eine Sicherung in seinem Kopf durch. Bevor er sich selbst daran hindern konnte, drückte er seine Exfreundin plötzlich an sich und küsste sie. Natürlich erwiderte sie den Kuss und so standen sie eine Weile ineinander verschlungen da.

 

„Entschuldigung“, sagte Vittoria nach einer Weile, als sie es beinahe nicht mehr ertragen konnte, und räusperte sich, „aber Benji und ich müssen zur Arbeit.“ Die beiden lösten sich endlich wieder voneinander und Ben sah Vittoria herausfordernd an. „Nimmst du die Kleine mit ins Studio?“ Ohne ein weiteres Wort nahm er Cassandra bei der Hand und führte sie durch das Tor am Wächter vorbei hinein.

 

Am Set erwartete man Kaspian bereits sehnsüchtig und ehe er sich versah, stecke er in seinem Kostüm und wurde abgepudert. Dabei beobachtete er sowohl Cassandra als auch Vittoria, die nun zusammen standen, und er konnte sehen, dass der Italienerin es überhaupt nicht passte, neben einem großen, schlanken, rothaarigen Model zu stehen. Gegen sie wirkte sie klein, gedrungen und irgendwie farblos.

 

Kurz bevor es losging, kam Will auf ihn zu. Er ahnte bereits, was er sagen würde, und hätte sich am liebsten gleich wieder versteckt, denn als er in der Maske gesessen und sich im Spiegel angesehen hatte, musste er an seinen Bruder Jack denken. Wieso war Cassandra jetzt hier? Er hatte lange nicht mehr mit ihm gesprochen. Waren sie vielleicht schon wieder getrennt? Oder hatte sie seinen Bruder genauso abserviert, wie sie es damals mit ihm gemacht hatte, und machte sich jetzt wieder an ihn ran, weil er bald auf der großen Leinwand zu sehen sein würde?

 

„Ist das deine Freundin?“, fragte Will und bestätigte damit seinen Verdacht. Doch Ben zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß noch nicht, was sie ist“, sagte er und Andrews Aufruf nach Ruhe unterband ihn von jeglicher weiterer Unterhaltung. Und um auch nicht weiter über dieses Dilemma nachdenken zu müssen, stürzte er sich regelrecht in die Arbeit, sodass sogar Vittoria dieses Mal nichts zu bemerken hatte.

 

Als aber am Abend die letzte Klappe fiel, kam er um die Sache nicht mehr herum. Er schaffte es noch so grade in die Maske zu schlüpfen, wo sie nun wirklich nichts zu suchen hatte, und konnte sich in aller Ruhe von seiner Rolle befreien.

 

Zum Nachdenken kam er allerdings nicht mehr, denn kaum war die Türe hinter Skandar zugefallen, kam Cassandra rein und setzte sich neben ihn. Sie sah ihn von der Seite an und strich ihm das lange Haar aus dem Gesicht. „Du siehst blass aus, Liebling“, sagte sie und er hätte ihr mal liebsten die Hand wieder weggeschlagen, aber er konnte sich gegen das Gefühl nicht wehren, dass er sie irgendwie vermisst hatte. So entsetzt er auch gewesen war nach der Sache mit seinem Bruder, so weich wurden ihm jetzt die Knie, als sie ihm das Gesicht streichelte.

 

Völlig verwirrt von seinen eigenen Gefühlen packte er sie und zog sie zu sich auf den Schoß. Eigentlich hatte er sie kleiner in Erinnerung gehabt und auch irgendwie nicht so dünn, aber als sie sich küssten, war es ihm egal.

 

Zusammen fuhren sie zu seinem Hotel, wo auch die anderen bereits eingetroffen waren und in der Lobby auf ihn warteten, um den Abend noch gemeinsam in einer Kneipe ausklingen zu lassen, doch er winkte schnell ab und zog Cassandra an allen vorbei zum Aufzug. Die Türen waren noch nicht mal geschlossen, da umfingen ihre Lippen wieder seine und er krallte sich mit seinen Händen in ihrem Haar fest.

 

Ungläubig starrten Will, Anna und Vittoria die beiden an, bis die Fahrstuhltüren sich endlich schlossen. „So eine kitschige Liebesszene könnte ich nicht mal schreiben, wenn ich betrunken wäre“, sagte Vittoria, der immer noch die Augen aus dem Kopf zu fallen drohten, und Anna und Will nickten mit offenem Mund. „Und wenn ich betrunken bin, werde ich sehr sentimental.“

 

Oben angekommen stolperten Ben und Cassandra, die einander immer noch fest umschlugen hielten, gemeinsam durch den Flur in Richtung Zimmer. Er schaffte es fast blind die Türe aufzuschließen und sie mit einem Fußtritt wieder zu schließen. Ohne die Lippen voneinander zu lösen begannen sie sich nun auszuziehen und ich Richtung Bett zu gehen. Sein Gehirn hatte sich ausgeschaltet und das Einzige, was im Moment zählte, waren ihre Berührungen auf seiner nackten Haut.

 

Als sie schließlich fast nackt unter ihm lag, betrachtete er ihr Gesicht eine Weile im Halbdunkeln. Sie sah noch genauso aus wie früher. Ihre Haare waren länger geworden und sie verstand es offenbar sich besser zu kleiden, aber ansonsten hatte sich an ihr nichts verändert. Und als er sein Gesicht erneut an ihrem Hals vergrab, kam er sich wieder wie dieser Junge vor, der gerade seinen Abschluss gemacht und den Traum hatte, ans Theater zu gehen.

© by LilórienSilme 2015

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