LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
~ Von Edoras nach Helms Klamm
Unser Weg nach Edoras, zur Goldenen Halle Meduseld, Heimat König Théodens von Rohan, verlief ohne Zwischenfälle. Wir mieden die Dörfer, denn wir waren uns sicher, dass dort die Orkscharen mit dem Zeichen der Weißen Hand Sarumans auf uns warten würden. Wenn wir also die üblichen Straßen mieden, würden wir sicher unser Ziel erreichen.
Wir rasteten eine Nacht lang auf dem weiten Grasland, denn Arod und Hasufel, die Pferde, die Aragorn und Legolas von Éomer erhalten hatten, liefen bei weitem nicht so schnell wie Alagos oder gar Schattenfell.
In der Nacht der Rast fand ich wieder einmal keinerlei Schlaf, auch wenn mich die Anwesenheit meiner Stute merklich beruhigt hatte. Ich lauschte auf ihren Atem und richtete meinen Blick in den Sternenhimmel, denn Elben hatten die Angewohnheit mit offnen Augen zu schlafen, damit sie auch dann noch, wenn tiefe Träume sie umfingen, die Sterne nicht aus dem Blick verloren, von denen sie gekommen waren. Und trotzdem flogen meine Gedanken mal hierhin und mal dorthin. Ich dachte an Merry und Pippin, wie sie nun bei Baumbart waren. Gandalf erzählte mir, als Baumbart mit den Hobbits davongegangen war, dass sie und ihre „Hastigkeit“, wie er es nannte, bei den Ents wohl etwas auslösen würden, das kleinen Steinen gleichkam, die eine Lawine ins Tal hinunterstürzen ließen. Was er genau damit meine, hatte er mir jedoch nicht sagen wollen.
Natürlich waren meine Gedanken auch wieder bei Haldir. Ich schloss die Augen und versuchte mir sein Gesicht vorzustellen, doch es gelang mir nicht, so sehr ich mich auch anstrengte. Also versuchte ich es zu rekonstruieren. Ich malte zuerst seine Umrisse, das Kinn und die Ohren. Danach konzentrierte ich mich auf seine Augen, denn diese waren mir am deutlichsten von ihm im Gedächtnis geblieben. Doch als ich mir das noch unfertige Bild genauer betrachtete, konnte ich eine gewisse Ähnlichkeit mit Legolas nicht leugnen. Lag das nur daran, dass sie sich wirklich sehr ähnlich waren, oder hatte dies andere Ursachen?
Ich war so sehr in meine Gedanken vertieft, dass ich überhaupt nicht bemerkte, wie Gimli mit mir sprach. Ich merkte es erst, als er mich sanft am Arm berührte und eindringlich sagte: „Junge Herrin, geht es Euch gut?“
Ich schüttelte den Kopf, als wollte ich die merkwürdigen Gedanken vertreiben. Aber ein Schatten davon blieb zurück, wie die Erinnerung an einen bedeutsamen Traum, die im ersten Licht des Tages verblassen. Ich räusperte mich, um meine Verwirrung zu überspielen und sagte: „Entschuldige, Gimli. Was sagtest du?“
Der Zwerg nahm neben mir Platz. „Ich hatte mich nur gefragt, welch düsteren Gedanken Eure Stirn in so tiefe Falten legen können. Ist etwas nicht in Ordnung?“
Er hatte ja keine Ahnung davon, was gerade, und die letzten Monaten und Jahren, in meinem Kopf vorging. Ich hatte meisten selber keine Ahnung davon, was ich eigentlich dachte und wollte. Aber ich seufzte tief und sagte: „Es gibt vieles, was meine Gedanken dunkel und schwer werden lässt. Ich glaube sogar fast, dass ich vor einer Ewigkeit den letzten fröhlichen Gedanken hatte. Wenn ich könnte, würde ich weinen.“
„Wieso könnt Ihr nicht weinen?“ Ich konnte spüren, dass ihn dieses Gespräch etwas tiefer führte, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. Dennoch griff er in seine Jacke, zog seine Pfeife und einen Beutel mit Tabak hervor und begann sie zu stopfen. Ich wartete, bis er sie entzündet und einen kräftigen Zug genommen hatte, bevor ich weiter sprach. Vielleicht würde der Rauch ihn besser auf das vorbereiten, was ich nun zu sagen hatte.
„Meine Tränen sind versiegt“, sagte ich schlicht. „Vielleicht habe ich in meinem Leben schon zu viel Traurigkeit erfahren, dass ich in diesem Moment nicht traurig genug bin um Tränen vergießen zu können. Und dies allein ist, genau genommen, schon Grund genug zum Weinen.“
„Habt Ihr denn nichts, was Euch Freude bereiten würde?“
Er konnte es natürlich nicht verstehen. Wie sollte er auch, hatte ich ihm doch noch nie meine ganze Lebensgeschichte erzählt. Wenn er sie jedoch eines fernen Tages hören sollte, würde er sicherlich verstehen, was ich damit sagen wollte. Und doch: „Es gäbe da etwas“, sagte ich langsam, „aber ich fürchte, dass das Schicksal beschlossen hat, mir auch das zu nehmen.“ Als ich das verständnislose Gesicht des Zwerges sah, sprach ich weiter, jedoch ohne zu viel zu verraten, was noch zu mehr Fragen geführt hätte. „Wir Elben können bis zu einem gewissen Punkt in die Zukunft blicken, können aber nicht bestimmt, was wir sehen; dies nennen wir Voraussicht und sie ereilt uns meist dann, wenn wir es am wenigsten erwarten. Manche Elben, wie meine Mutter, Frau Galadriel, oder mein Schwager Herr Elrond, können die Voraussicht in bestimmte grobe Bahnen lenken, wissen aber trotzdem nicht genau, was sie sehen werden. Und, wie du sicherlich schon gehört hast, bin ich mit dem Krieger Haldir verlobt, der die Gemeinschaft an den Grenzen Lothlóriens in Empfang genommen hat.“
Gimli schnaubte verächtlich und ich hatte ganz vergessen, wie sehr Zwerge und Elben sich eigentlich verhasst waren. Es war ein kleines Wunder, dass zwischen Gimli und Legolas eine solche Freundschaft entstanden war. „Glaubt Ihr denn, dass ihm etwas zustoßen könnte?“
Beinahe hätte ich gesagt, dass Legolas doch einen guten Freund oder zwei an seiner Seite wusste, die auf ihn Acht geben würden. Mir gelang es aber vorher noch, zum Faden des Gesprächs zurückzufinden und mich darauf zu besinnen, dass wir über meinen Verlobten und nicht über Legolas gesprochen hatten. Also nicht ich. Gimli versuchte nun, mir etwas Mut zu geben, aber ich war müde – zum ersten Mal seit Tagen. Ich legte mich also nieder und schlief auch sofort ein. Am nächsten Morgen musste ich zum allerersten Mal, seit diese Wanderung begonnen hatte, geweckt werden, obwohl die ersten Sonnenstrahlen am Tag sonst Wecker genug für mich waren.
Wir setzten also unseren Weg nach Edoras fort und erreichten die Stadt um die Mittagsstunde. Etwa eine Meile vor den Toren zügelte Gandalf Schattenfell und wir flankierten ihn mit unseren Pferden. „Edoras und die Goldene Halle Meduseld. Dort lebt Théoden, König von Rohan, dessen Geist zerrüttet ist.“
Ich nickte und konnte eine böse Vorahnung nicht unterdrücken. „Sarumans Einfluss auf König Théoden ist nun sehr stark.“ Ich konnte eine Vision erhalten, die mir die Goldene Halle zeigte. Ich sah den Thron den Königs, wie er alt und gebrochen auf ihm saß und hinter ihm zog ein dunkler Schatten seine Kreise. Dieser Schatten schien von mächtig zu sein, dass selbst die ehrbarsten Krieger nicht wagten, sich gegen den Willen des Königs, der unweigerlich dem Willen Sarumans folgte, zu stellen.
Gandalfs Worte ließen die Vision verblassen. „Seid vorsichtig, was ihr sagt. Erwartet nicht, dass ihr hier willkommen seid.“ Und damit trieb er sein Pferd erneut zur Eile und wir folgten ihm in die Stadt hinein. Wir wurden seltsam angesehen und niemand sagte ein Wort. Nur das Wiehern von den Pferden in den Ställen war zu hören und Gimli beschrieb es sehr genau, als er sagte: „Auf jedem Friedhof ist die Stimmung fröhlicher.“ Und auch wenn es etwas unangebracht war, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Zwerge schienen genau meinen Humor zu treffen.
Wir ließen unsere Pferde in der Obhut der erfahrenen Stallknechte und gingen hinauf zur Halle. Als wir davon standen, öffneten sich die Tore, die von bewaffneten Soldaten flankiert waren, und drei Männer traten heraus. Der Mittlere von ihnen richtete das Wort an uns. „So bewaffnet darf ich Euch nicht zu König Théoden vorlassen, Gandalf Graurock. Auf Geheiß von Gríma Schlangenzunge.“
Nun begann ich langsam zu verstehen, was hier vorgefallen war. Der Schatten, der sich über Rohan gelegt hatte, hatte zweifellos seinen Ursprung in Isengart, doch es gab noch einen Zwischenmann. Und diesen mussten wir vertreiben, wenn wir das Land retten wollten.
Wir sahen Gandalf zweifelnd an. Unbewaffnet konnten wir diesen Kampf nicht gewinnen. Aber er nickte uns zu, also legten wir unsere Waffen nieder. Der Mann, der uns angesprochen hatte, befahl dem Zauberer jedoch, auch seinen Stab anzulegen, doch ich wusste, dass er ohne seinen Stab nichts ausrichten konnte, selbst wenn es nur darum ging, Sarumans Geist zu verteidigen. Also sprang ich ein. „Ihr wollt einem alten Mann doch etwa seine Stütze nehmen?“ Nach einem Augenblick des Überlegens nickte der Mann und ließ uns in die Halle ein. Um meinen Worten mehr Kraft zu verleihen und mich nicht als Lügner zu strafen, streckte Gandalf seine Arme aus und Legolas und ich ergriffen sie um ihn zu führen.
In der Halle selbst war es zwar warm durch ein Feuer, das in der Mitte brannte, doch man konnte fast mit den Händen nach der Kälte der Herzen greifen, die sich hier ausbreitete. Ich fühlte mich nicht wohl hier, doch falls es zu einem Kampf kommen würde, wurde ich benötigt. Auf halbem Wege zum Thron sagte Gandalf: „Die Höflichkeit in Eurer Halle hat letzthin etwas nachgelassen, Théoden, König.“ Ich sah nun den Verräter neben dem Thron sitzen und konnte hören, wie er dem König zuflüsterte, dass Gandalf hier nicht willkommen war.
Als wir den Thron beinahe erreicht hatten, erhob sich Gríma und kam auf uns zu. „Spät ist die Stunde, in der dieser Zauberkünstler auf den Plan tritt. ‚Láthspell’ sollte man ihn nennen! Schlechte Nachricht ist ein schlechter Gast!“
„Schweigt!“ Gandalf und Gríma standen sich nun genau gegenüber. „Behaltet Eure gespaltene Zunge hinter Euren Zähnen. Ich bin nicht durch Feuer und Tod gegangen und wechsle jetzt verlogene Worte mit einem einfältigen Wurm.“ Der Zauberer erhob seinen Stab und sein Feind wich erschrocken zurück. Er schrie, dass er befohlen hatte, ihm den Stab zu nehmen und taumelte zurück. Sofort griffen die Wächter in der Halle an, die jedoch glücklicherweise ebenfalls keine Waffen besaßen. Während Gandalf auf Théoden zuging, hielten wir die Männer davon ab, ihn aufzuhalten.
Mit erhobenem Stab ging er auf den Thron zu. „Théoden, Thengels Sohn“, richtete er seine Worte an den König. „Zu lange habt Ihr im Schatten gesessen. Hört mich an!“ Wir hatten die Männer, die sich gegen uns gestellt hatten, auf den Boden nieder geworden und Gimli hatte seinen schweren Fuß auf Gríma gestellt. Nun konnte er sich nicht mehr rühren. Die anderen Männer schienen anscheinend begriffen zu haben, dass wir nichts Übles im Sinn hatten und näherten sich vorsichtig dem Thron.
Gandalf sprach weiter. „Ich befreie Euch von dem Zauber.“ Er hatte die freie Hand auf Théoden gerichtet, doch bevor er mit der Beschwörung beginnen konnte, begann der König zu lachen. Die Stimme, mit der er sprach, war seine eigene, doch es waren nicht seine Worte. „Du besitzt keine Macht hier, Gandalf der Graue.“ Hohn lag darin, doch als Gandalf seinen grauen Mantel abwarf, kam sein strahlend weißes Gewand zum Vorschein und Théoden wurde durch die gute Macht, die von diesem Leuchten ausging, zurück in seinen Thron geworfen.
Es entbrannte nun ein Kampf des Geistes, wobei natürlich keiner der beiden Zauberer nachgeben wollte. Aus Théodens Mund kamen nun Worte mit der Stimme Sarumans und ich wollte Gandalf schon helfen, doch er hob abwehrend die Hände und ich verstand. Er musste diesen Kampf alleine schlagen, denn er musste seinem alten Mentor beweisen, dass er nun nicht mehr hinter ihm stand.
Nach einem letzten Aufbäumen Sarumans schlug Gandalf seinen bösen Geist endlich in die Flucht. Der König sackte auf seinem Thron zusammen und eine Frau eilte zu ihm um ihn zu stützen. Als sie ihn aufgefangen hatte, schien sich sein Gesicht zu verändern. Seine Augen wurden wieder klar und er nahm seine Umgebung wieder wahr. Er schien von einem alten Greis wieder zu einem Mann zu werden, der sich jedoch seiner Kräfte noch nicht recht erinnerte. Als er die junge Frau erblickte, sagte er: „Ich keine Euer Gesicht…“ Dann schien er sich zu erinnern: „Éowyn!“
In diesem Moment erinnerte ich mich an eine alte Prophezeiung. Alte Worte kamen mir in den Sinn, die den letzten Krieg und das letzte Bündnis der Völker Mittelerdes beschrieben. Es geschah vor etwa 1000 Jahren, dass eine Schlacht stattfand, um das geteilte Königreich Arnor zu verteidigen. Es hatten auch Elben daran teilgenommen, unter anderem Glorfindel, Elbenfürst aus Bruchtal. Er drängte bei der Schlacht bei Fornost den Hexenkönig von Angmar in sein Reich zurück und als er geflohen war, rief Glorfindel hinter ihm her, dass er mächtig ist, seine Macht keine Grenzen kennt und er von keines Mannes Hand erschlagen werden könnte. Denn der Hexenkönig ist der Oberste der Neun, der Fürst der Nazgûl und ein schrecklicher Krieger. Würde Sauron ihn, der sein oberster Diener ist, in den Kampf schicken, wäre es unmöglich für uns zu siegen, selbst wenn wir alle Kraft aufbringen würden.
Die Vorahnung verflog und ich bekam gerade noch mit, dass König Théoden sein Schwert ergriff und auf seinen ehemaligen Berater Gríma losging. Er drängte ihn hinaus aus der Goldenen Halle und die lange Treppe davor hinunter. Er erhob das Schwert hoch über seinen Kopf und wollte es schon auf seinen Diener niedersausen lassen, doch Aragorn war schneller als der noch schwache Arm des Königs und er hielt die Klinge auf. Er beschwichtigte Théoden und reichte Gríma sogar die Hand, um ihm aufzuhelfen. Doch dieser spuckte nur auf Barahirs Ring und machte sich, so schnell er konnte, auf dem Rücken eines Pferdes aus der Stadt auf nach Isengart.
Die Menschen aus Edoras hatten die Szene stumm mit angesehen und starrten nun ihren König an, verneigten sich aber schließlich auf den Ruf „Heil, Théoden, König!“ hin. Als der König sich aber umblickte, die gesenkten Köpfe seiner Untertanen betrachtete, kam ihm ein schrecklicher Gedanke: „Wo ist Théodred? Wo ist mein Sohn?“ Nur wenig später am selben Tag, im Schein der untergehenden Sonne, fand die Beerdigung statt. Es herrschte eine drückende Stille, die schwer auf alle Gemüter niederschlug und alle Gedanken düster werden ließ. Nur Éowyn hatte den Mut, ihre Stille zu erheben und ein Lied zu singen, was ihre Trauer zum Ausdruck brachte.
Selbst Gandalf, der bis jetzt in jeder aussichtslosen Lage Hoffnung gesehen hatte, war still geworden. Er blieb noch eine Zeit lang mit dem König allein, als die schwere Steintür des Hügelgrabes versiegelt worden war, während wir zurück in die Halle gingen. Wir warteten dort, sprachen kein Wort miteinander. Nur Gimli mampfte ungerührt vor sich hin. Wir anderen hatten keinen Hunger, auch wenn was Mahl, das man uns auftischte, reichlich war. Hatte ich zuvor noch eine große Leere in meinem Magen gespürt, machte mich die Traurigkeit, die ich in den Augen der Leute sah, nun satt.
Wir warteten auf Gandalf und Théoden, doch als sie kamen, waren sie nicht alleine. Zwei Kinder begleiteten sie, die beiden völlig erschöpft waren. Der Junge musste vom Pferd gefallen sein, denn sein Gesicht war schmutzig. Sie berichteten, was in ihrem Dorf vorgefallen war: Orks hatten sie überfallen und jeden getötet, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Das Mädchen und der Junge waren nur davongekommen, weil ihre Mutter sie auf ein schnelles Pferd gesetzt hatte.
Saruman war zu einem Monster geworden, das weder Halt für Alten noch vor Kindern machte. Und selbst wenn Théoden keinen offnen Krieg riskieren wollte, so stand er ihm doch bevor. Er musste also so schnell wie möglich handeln, um seinem Volk die Sicherheit zu gewährleisten, die er ihm als der König geben konnte. Er musste sie mit seinem und dem Leben seiner Männer verteidigen, doch durch Grímas Verrat waren viele Männer aus der Stadt und aus dem Königreich vertrieben worden. Er hatte also nicht genug Männer, um die Stadt und das Volk schützen zu können.
„Ihr habt 2000 fähige Männer, die in diesem Augenblick nordwärts reiten“, sagte Aragorn und zog somit die Aufmerksamkeit auf sich. „Éomer ist Euch treu ergeben. Sie werden zurückkehren und für ihren König kämpfen.“
Théoden erhob sich, entschlossen, die Sache wieder selbst in die Hand zu nehmen, wo er die Zügel des Landes so lange in anderen Händen gelassen hatte. „Sie werden mittlerweile 300 Meilen von hier entfern sein“, sagte er und ich konnte spüren, dass es ihm sehr leid tat, seinen Neffen so verraten zu haben, und das nicht nur, weil er seine Hilfe jetzt so dringend benötigte. „Éomer kann uns nicht helfen.“
Er war in die Mitte der Halle getreten und entfachte eine Diskussion mit Aragorn. Beide hatten Recht, so weit ich das von meinem Standpunkt auf betrachten konnte, denn beide wollten das Beste für das Volk Rohans. Doch hier, in Edoras, konnten sie nicht bleiben. Der König entschied deshalb, dass die gesamte Stadtbevölkerung nach Helms Klamm evakuiert werden würde. Und wenn sie es noch schaffen wollten, mussten sie sofort aufbrechen. Sie packten alles zusammen und machten sich bereits für den langen und beschwerlichen Marsch durch die Berge.
Gandalf allerdings wollte nicht so einfach nachgeben. „Auch wenn Helms Klamm eine sichere Festung ist, können sie keiner Belagerung ewig standhalten. Wir brauchen Hilfe für sie.“
Ich erhob mich von meinem Platz und ging mit Gandalf, Aragorn, Legolas und Gimli hinaus zu den Stallungen. „Ich werde reiten und Éomer für den Kampf holen“, sagte ich entschlossen, denn ich fürchtete mich davor, mit dem Volk zu ziehen und zu warten. Doch Gandalf widersprach mir. „Deine Stute ist schnell, Lilórien, doch Schattenfell ist schneller. Ich werde reiten.“ Er beugte sich zu mir und flüsterte mir etwas ins Ohr, dass nur ich hören konnte. „Aragorn wird deine Hilfe brauchen.“ Ich nickte.
Er ging zu seinem Hengst und streichelte dessen Fell. „Der Graue Pilger, so nannte man mich einst. Seit 300 Menschenleben bin ich nun schon auf dieser Erde und jetzt habe ich keine Zeit mehr. Mit etwas Glück wird meine Suche nicht umsonst sein.“ Er saß auf. „Erwartet mein Kommen beim ersten Licht des fünften Tages. Bei Sonnenaufgang schaut nach Osten.“ Dann stürmte er davon.
Wir und das gesamte Volk machten uns nun auf die Reise. Wir hatten nur leichtes Gepäck dabei, doch die Menschen mussten ihre Vorräte mitnehmen und so kamen wir nur sehr langsam voran. Doch der Marsch der Orks von Isengart bis zur Feste würde auch länger dauern. Und so hatten wir die Hoffnung, dass sie uns nicht vorher überraschen würden.
Alagos und ich ritten ein Stück voraus, um doch unerwünschte Begegnungen zu vermeiden. Wir konnten jedoch nichts ausmachen, das und hätte gefährlich werden können, also ritten wir zurück. Abwesend ritt ich neben Aragorn und Legolas her, meine Gedanken waren wieder bei Haldir. Ich hatte erneut versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen, doch es war mir nicht geglückt. Ich hatte Angst, dass er inzwischen überfallen worden war und nicht mehr zu mir zurückkehren würde. Und das musste man mir wohl angesehen haben, denn Legolas richtete das Wort an mich. „Herrin, Ihr seht betrübt aus.“
Ich blickte ihn freundlich an. „Es ist nichts“, sagte ich und richtete meinen Blick wieder in die Ferne. „Es ist nichts.“
„Das scheint mir aber nicht so.“ Er wollte wohl nicht locker lassen. „Habt Ihr etwas auf dem Herzen, so könnt Ihr es mir sagen, wenn Ihr möchtet.“ Doch als ich nicht antwortete, fügte er hinzu: „Natürlich müsst Ihr nicht mit mir reden, wenn Euch nicht danach der Sinn steht. Aber es betrübt mich, Euch in so düsterer Stimmung zu sehen.“
„Ich danke Euch, Legolas, aber ich bezweifle, dass Euch meine Geschichte interessieren könnte.“ Wie falsch ich damit doch lag, doch das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. So tief in meine eigenen Sorgen vertieft, nahm ich nicht wahr, dass er sich wirklich Gedanken um mich machte. Er musste bereits zu diesem Zeitpunkt Gefühle für mich entwickelt haben, doch das konnte ich nicht sehen, weil ich mich so sehr auf Haldir konzentrierte. Hätte ich es gewusst, wäre meine Reise wohl etwas anders zu Ende gegangen, aber ich sah es nicht. Und vielleicht war dies auch ganz richtig so, denn dann wäre sicherlich nicht das passiert, was dazu führte, dass ich nun meine Geschichte erzählen kann.
Wir brauchten zwei Tage bis zur Hornburg. Am zweiten Tag der Reise ritt Legolas nicht mehr neben mir. Wahrscheinlich hatte ich ihn mit meiner Abwesenheit verletzt, doch ich bemerkte nicht einmal mehr, dass ich wieder alleine ritt. Ich war schon oft alleine geritten, dass mir dieser Umstand nun nichts mehr ausmachte.
Als wir beinahe am Ziel waren, ritten zwei Reiter vor, um die Gegend auszukundschaften, doch nach kurzer Zeit schon konnte man Geräusche eines Kampfes hören. Aragorn eilte voran und kam brüllend zurück: „Warge! Sie greifen uns an!“
Théoden gab schnell den Befehl, dass Éowyn alle Frauen und Kinder in die Burg führen sollte und ritt mit seiner Schar voran. Auch ich folgte ihm. Auf der Hügelkuppe angekommen, blieb ich neben Legolas stehen und sah, wie viele uns angriffen. Wir mussten gut sein, um mit dem Leben davonzukommen, denn die Reittiere der Orks waren noch schrecklicher als ihre Herren.
Legolas und ich schossen von weitem Pfeile auf unsere Angreifer, doch es zeigte keine große Wirkung, auch wenn unsere Geschosse ihr Ziel nicht verfehlten. Der Feind kam schnell näher und kurz bevor wir aufeinander prallten, erblickte ich Haldirs Gesicht. Er öffnete den Mund, um mir etwas zu sagen, doch ein Schmerz in meinem rechten Bein holte mich in die Wirklichkeit zurück. Ich ignorierte ihn, denn nun war ich sicher, dass mein Verlobter noch am Leben war und ich war entschlossen, diesen Kampf nicht zu verlieren, um ihn lebend wieder zu sehen.
Ich erschlug viele Orks und atmete erleichtert auf, als alle am Boden lagen. Wir hatten große Verluste erlitten, doch ich war sicher, dass meine Gefährten alle überlebt hatten. Als ich jedoch hörte, wie Gimli nach Aragorn rief, schluckte ich. Ich rannte zu dem Zwerg und dem Elb und konnte gerade noch so hören, wie ein Ork berichtete, dass Aragorn die Klippen heruntergestürzt war. In seiner Klaue fand Legolas Arwens Kette.
Betrübt erreichten wir die Hornburg und richteten uns dort ein, doch trotz der Sicherheit fühlte ich mich unwohl. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Aragorn gefallen war, aber er hätte ganz sicher nicht das Wertvollste, was er hatte, einem Ork überlassen. Die Kreatur musste die Wahrheit gesagt haben, aber dann hätte er diesen Sturz niemals überlebt.
Ich wurde, Varda sei Dank, eines Besseren belehrt. Kurz vor dem Abend nahm ich einen starken Geist in der Nähe wahr und ließ auf die äußere Verteidigungsmauer. In weiter Ferne erblickte ich einen einsamen Reiter auf einem dunklen Pferd. Ich eilte hinunter zum Tor und befahl den Wächtern, es zu öffnen. Ich rannte hinaus und konnte gerade noch verhindern, dass Aragorn vom Pferd fiel. „Du lebst!“, rief ich und er lächelte mich an.
„Zumindest bin ich nicht tot“, sagte er. „Bring mich in die Burg, der König muss wissen, was ich gesehen habe.“ Also brachte ich ihn hinein. Kurz vor dem Quartier Théodens stellte sich Legolas uns in den Weg. Erst blickte er mich an, dann Aragorn. Er öffnete seine feine Hand und gab Aragorn die Kette wieder.
Die Nachricht, die Aragorn mitgebracht hatte, übertraf all unsere dunkelsten Gedanken. Ein Heer von 10.000 Orks und Uruk-hai marschierte in diesem Augenblick auf die Hornburg zu und wir waren alleine. Gondor würde uns nicht zur Hilfe kommen, dafür war es zu spät. Nur noch Éomer und seine Rohirrim konnten uns nun retten.
Ich bereitete mich auf die Schlacht vor, indem ich eine Rüstung aus Leder anlegte. Sie war mir etwas zu groß, denn sie stammte sicherlich von einem Mann, doch sie würde ihren Zweck schon erfüllen. Théoden hatte seinen Befehlshabern den Auftrag gegeben, jeden Mann und jeden Knaben, der ein Schwert halten konnte, auch mit einem auszustatten. Die anderen sollten unterdes in den Höhlen Schutz suchen. Legolas gefiel der Gedanke nicht und versuchte Aragorn die Schlacht auszureden. Doch dieser wollte nicht nachgeben, denn auch er war ein Mensch und sein Pflichtgefühl sagte ihm, dass diese Schlacht unumgänglich war.
Ich konnte nicht verantworten, dass sie zerstritten in den Kampf zogen, also ging ich zu Legolas. „Ihr könnt nicht von ihm verlangen, dass er zusieht, wie sein Volk ausgerottet wird. Auch er ist ein Mensch! Hat er uns nicht immer siegreich geführt? Wie könnt Ihr jetzt an ihm zweifeln?“
Er sah mich erst entsetzt an, dann zeige sich Reue in seinen Augen. „Ihr habt Recht, ich sollte mich bei ihm entschuldigen.“ Und das tat er zum Glück dann auch. Ich hatte zwar nicht erwartet, dass meine Worte so schnell Wirkung zeigen würden, doch ich war erleichtert, dass es so war. Ich folgte ihm in die Waffenkammer, wo Aragorn sich inzwischen beinahe fertig angezogen hatte. Ohne Worte reichte Legolas ihm sein Schwert, dann sagte er doch noch etwas, und es überraschte mich, dass er meine Worte wählte: „Wir vertrauten dir stets. Nie hast du uns fehlgeleitet. Verzeih mir, ich hätte nicht zweifeln dürfen.“ Sie lächelten sich an und ich war froh, dass sie Seite an Seite kämpfen würden, wie sie es taten, seit sie sich kannten.
Doch dann drang etwas an mein Ohr, das ich schon aufgegeben hatte zu hören. Sofort machte mein Herz einen Sprung. Ich war die erste, die draußen vor den Treppen ankam. Und das, was mein Augen erblickte, ließ meine Gedanken endlich wieder fröhlicher werden. „Haldir!“, rief ich und rannte auf ihn zu. Hinter mir folgten Aragorn und Legolas. Ich warf mich ihm in seine Arme. „Ich glaubte, dich verloren zu haben.“ Sanft streichelte er über mein Haar und hauchte einen Kuss auf meine Stirn. Dann ließ ich von ihm ab, denn es ziemt sich nicht, einen Heerführer vor seinen Leuten so zu begrüßen.
Auch Aragorn begrüßte Haldir und seine Männer. Doch nun ging es daran, eine Schlacht zu schlagen. Die Bogenschützen postierten sich auf den äußeren Verteidigungsringen und so warteten mein Geliebter und ich Seite an Seite auf den Beginn eines Kampfes, der für uns beide über Leben und Tod entscheiden würde.