LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 13
~ Counting Stars
In my face these flashing lights
Seek it out and ye shall find
Es dauerte eine Weile, bis Joe sich nach dieser Abfuhr wieder rühren konnte. Nicht, dass sie sonderlich damit gerechnet hätte, dass er ihr sein Herz ausschüttete. Doch zu sagen, dass etwas nicht stimmte und dann einfach wegzugehen, das verstand sie nicht. Wollte er denn nicht darüber reden?
Verwirrt trottete sie ihm hinterher und versuchte sich gegenüber den anderen nichts anmerken zu lassen, doch Peter war wie immer sehr aufmerksam. Nachdem er Joe so hart angegangen war, nachdem er wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte er ein richtig schlechtes Gewissen gehabt. Er wusste, dass sie bei jedem falschen Wort zusammenzuckte und sich die Schuld für alles gab. Er wusste nicht, wieso das so war, doch er hatte auch feststellen müssen, dass es nicht so einfach war, sie zu ändern. Wenn es denn überhaupt ging.
Das mochte auch ein Grund dafür gewesen sein, wieso er sie bei sich haben wollte: um sich bei ihr zu entschuldigen und gleichzeitig auch zu bedanken, dass sie bisher so großartige Arbeit geleistet hatte.
Mittlerweile waren auch beinahe alle Kostüme soweit fertig, dass er sie mit gutem Gewissen bei sich behalten konnte. Wenn sie Ende des Jahres auf die Location Shootings gehen würden, würde er sie sogar noch mehr brauchen, denn in der freien Wildbahn, wie er es gerne nannte, konnte schnell etwas am Stoff reißen.
Und weil er sich so auf sie eingeschossen hatte, weil sie auch in ihm irgendwie Beschützerinstinkte wachrief, bemerkte er gleich, dass etwas vorgefallen sein musste. Natürlich fiel sein erster Verdacht auf Aidan, der keine Gelegenheit ungenutzt ließ, sich ihr irgendwie anzubieten. Ob sie mit ihm essen gehen wolle, ob sie mit ihm ins Kino wolle, ob sie überhaupt mal mit ihm reden wolle. Das Ganze war sogar gestern so weit gegangen, dass sie beinahe ihre Kündigung eingereicht hätte. Nur Richard Taylor hatte sie noch davon abhalten können.
Daraufhin hatte er Aidan erst einmal ins Gebet genommen und ihm gesagt, er solle endlich die Klappe halten und sich eines von den Makeup-Mädchen suchen. Die wären weniger schreckhaft und auch weniger wichtig für den Film, sollten sie seinetwegen kündigen.
Das hatte Aidan zutiefst beleidigt und er war mit hängenden Schultern abgezogen. Sofort hatte Robert ihn wieder versucht aufzuheitern und ihm vorgeschlagen, dass sie am Wochenende ausgehen würden. Und das hatte dem Iren mit den mittlerweile kurz geschorenen Haaren und dem struppigen länger gewordenen Bart auch tatsächlich ein Lächeln entlockt.
Manchmal benahm er sich wirklich wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Wobei Joe in diesem Fall das wertvolle Porzellan war, was einem bei der kleinsten falschen Bewegung sofort unter den Händen zersprang. Deswegen musste Peter nun äußerst subtil vorgehen, wenn er ihr etwas entlocken wollte.
Die Tontechniker waren nach einem kurzen Check fertig für einen neuen Take, doch die Kameraleute wollten etwas Neues testen. Und so hatte Pete noch ein paar Minuten, bis es weitergehen konnte. Er nahm sich sein Headset ab, trat aus dem verdunkelten Regiezelt, was am Rande aufgestellt worden war, und schlenderte betont beifällig zum Set der Trolle hinüber.
In einer Hau-Ruck-Aktion hatte die komplette Crew, die anwesend war, das Set noch umgestaltet, weil ihm nicht gefallen hatte, wie die Kameraführung hier funktionierte. Er hatte fließende Bilder haben wollen und nicht einzelne Aufnahmen. Deswegen hatte man extra Platz für die Schienen der Kamera schaffen müssen. Doch das hatten alle wundervoll hinbekommen und er gedachte, ihnen dafür am Freitag eher frei zu geben.
Als er bei Joe angekommen war, die am Rande stehen geblieben war und die Arme vor der Brust verschränkt hatte, stellte er sich kurzerhand neben sie und schaute in dieselbe Richtung. Doch sie sah gar nicht das Feuer und die Bäume. Ihre grünen Augen starrten ins Leere. Vorsichtig beugte er sich zu ihr herunter, bis er in ihrem Blickfeld war und ihr ins Gesicht sehen konnte. „Ist alles okay bei dir?“, fragte er. „Hat Aidan dich wieder genervt? Ich hab dem Jungen doch gesagt, er soll endlich still sein!“
Das entlockte ihr tatsächlich ein Lächeln. „Nein“, sagte sie, „es ist nicht wegen ihm.“ Mittlerweile fiel es ihr schon viel leichter, mit Pete zu reden. Da sie nun viel Zeit miteinander verbrachten und sich so aneinander gewöhnen konnten, mussten beide schnell feststellen, dass sie ziemlich gleich dachten. Das erleichterte ihr den Umgang mit ihm sehr.
„Was ist es dann? Kann ich dir irgendwie helfen?“
Von hinten ertönte der Ruf, dass die Kameraleute endlich fertig waren, und Andrew Lesnie, Petes Erster Kameramann rief ihm zu, dass sie nun weitermachen könnten. Doch zu Joes großer Überraschung rief Pete zurück: „Einen kleinen Moment noch!“, dann wandte er sich wieder ihr zu und sah sie aufmerksam an. Er hatte seine Frage wirklich ernst gemeint.
„Ich“, stammelte sie auf einmal wieder, weil sie sich unwohl fühlte, wenn ihr jemand seine Hilfe anbot. Das war sie nicht gewöhnt. Sonst kamen die Leute nur immer zu ihr, um ihr ihr Leid zu klagen. Dass sie selbst sich einmal von allein beklagt hätte, war wirklich nur äußerst selten vorgekommen. So ein Mensch war sie einfach nicht. Unwillkürlich kam ihr ein Zitat aus Twilight in den Sinn: „Ich bin eher der still vor sich hin leidende Typ.“
Dann fiel ihr wieder ein, wie Robert geguckt hatte, als sie ihn angesprochen hatte, und sie wollte schon sagen, dass es nichts war. Doch irgendetwas sagte ihr, dass die beiden Männer mal miteinander reden sollten. Also nahm sie all ihren Mut zusammen. „Es ist Robert“, flüsterte sie. „Er scheint nicht glücklich zu sein.“
Als sie das gesagt hatte, fühlte sie sich auf eine Art seltsam erleichtert. Auf der anderen Seite aber hatte sie ein fürchterlich schlechtes Gewissen, weil sie einfach so über seinen Kopf entschieden hatte, Pete etwas davon zu sagen. Sofort kroch wieder dieses Gefühl des Versagens in ihrer Brust hoch und sie wäre am liebsten sofort nach Hause gefahren und hätte sich in ihrem Bett verkrochen. Doch zu Hause warteten immer noch Emily und das Chaos auf sie.
Die Unordnung hatte sich ein bisschen gelegt, nachdem klar geworden war, dass es nicht die Putzfrau sondern Joe gewesen war, die immer aufgeräumt hatte. Aber die beiden Frauen lebten trotzdem in dem Haus mehr neben- als miteinander. Es war beinahe wie in einer WG und Joe hätte gerne einen Putzplan aufgehangen. Doch Emily hatte sich zumindest schon dazu herabgelassen und war zwischendurch auch einmal einkaufen gewesen. Sie hatte zwar nur Tiefkühlpizza, Fertiggerichte und Cornflakes gekauft, doch das war schon einmal ein Fortschritt, den man verzeichnen konnte. Nur was die Ordnung im Badezimmer anging, waren noch Verbesserungen nötig. Ganz zu schweigen davon, dass die beiden Frauen kaum miteinander redeten.
Doch Joe war darüber ganz froh. So musste sie wenigstens kein Verständnis mehr vorheucheln. Und außerdem verheilt Emily sich auch weitestgehend still. Sie hätte auch nun ihre Freiheit ausnutzen und jede Nacht einen neuen Kerl mit nach Hause bringen können. Deswegen war Joe irgendwie auch dankbar dafür, dass sie das zumindest nicht tat.
Pete zog nach ihrem Kommentar die Stirn kraus. „Ja“, sagte er nachdenklich, „das ist mir auch schon aufgefallen. Vielleicht sollte ich mal mit ihm reden.“ Er wollte schon wieder gehen, doch Joe hielt ihm am Arm fest und sah ihm hilflos in die Augen. Ohne ein Wort begriff er, was sie sagen wollte. Beruhigend legte er ihr eine Hand auf seine. „Keine Angst, ich werde ihm nicht sagen, dass die Information von dir ist.“ Dann zwinkerte er ihr zu und ließ sie wieder alleine, um sich in sein grünes Zelt zurückzuziehen.
Der weitere Drehtag verlief ruhig. Für Joe gab es daher nichts weiter zu tun und so schaffte sie es, früh genug nach Hause zu bekommen, bevor Emily ebenfalls nach Hause kam. Schnell räumte sie noch die Sachen auf, die liegen geblieben waren, dann verzog sie sich, nachdem sie ihre beiden Kater gefüttert hatte, in ihr privates Atelier in ihrer Garage.
Bisher hatte Emily sich daran gehalten, dass sie dort nichts zu suchen hatte, und darüber war Joe erleichtert. Sie wüsste nicht, was sie getan hätte, wenn sie Emily hier drinnen erwischt hätte. Vermutlich hätte sie – wie immer – einfach nichts sagen können und sie dann hier stehen gelassen, ohne eine Erklärung dafür abzuliefern, wieso ihr dieser Platz so heilig war und ihr jeder Besuch eines Fremden wie eine Entweihung erschien.
Früher hatte sie viel Zeit mit ihrer Mutter in ihrem privaten Atelier verbracht, als sie noch in Auckland gewohnt hatten. Dann hatten sie stundenlang hier sitzen und einfach nur malen können. Und jetzt, da ihre Mutter tot war, fühle sie sich ihr zwischen der ganzen Kunst, die sie zusammen geschaffen hatten, immer besonders nahe. Vermutlich war das der Hauptgrund, warum sie das noch niemandem gezeigt hatte.
Heute wollte sie ein paar Bilder entwickeln, die sie vor einer Ewigkeit – so kam es ihr zumindest vor – geschossen hatte und die immer noch auf ihrer Filmrolle schlummerten. Sie hätte den Film natürlich auch einfach im nächsten Fachhandel abgeben können, doch sie mochte es, den Bildern dabei zuzusehen, wie sie sich langsam aus dem Nichts schälten, wie die Umrisse entstanden und etwas Neues geboren wurde, was bisher noch niemand vorher gesehen hatte. Deswegen fotografierte sie auch noch immer damit, obwohl es längst hochtechnische Digitalkameras gab.
Es war nicht so, dass sie die Dinger nicht benutzte, doch wenn sie kunstvolle Fotos erstellen wollte, dann benutzte sie immer noch die alte Kamera ihrer Mutter.
Als sie wenig später die ersten Fotos bewundern konnte, stutzte sie kurz. Was hatte sie denn da nur fotografiert? Erst, als sich das Bild vollständig gebildet hatte, erkannte sie, dass es Thorin und Dwalin waren, die ihr da entgegen lächelten. Davon würde sie noch zwei weitere Abzüge machen und sie Richard und Graham schenken.
Erst, nachdem sie sah, dass das Licht im Gästezimmer ausging, wagte Joe sich schließlich wieder ins Haus. Zu ihrer großen Erleichterung hatte ihr Untermieter nichts angerührt, sondern nur das restliche Essen gegessen, was noch in der Küche gestanden hatte, und tatsächlich die Teller und alles andere sauber in die Spülmaschine geräumt. Mit einem leichten Lächeln kroch Joe schließlich unter ihre Bettdecke und hoffte, dass es von nun an ein bisschen erträglicher werden würde.
Doch dem war leider nicht so. Als sie am darauffolgenden Tag wieder in die Studios kam und zum Set stiefelte, kam Robert ihr entgegen. Er trug ein Gesicht zur Schau, das jeden sofort in die Flucht geschlagen hätte, und Joe wäre am liebsten sofort wieder umgekehrt und ihm davongelaufen. Doch er fing sie ab, bevor sie die Tür erreicht hatte. Mit düsterem Blick sah er sie an, drängte sie an die Wand und versperrte ihr jegliche Fluchtmöglichkeit, indem er sich mit den Händen rechts und links von ihrem Kopf abstützte. So war sie nicht nur gefangen, sondern auch gezwungen, ihm in die Augen zu sehen.
„Was hast du Peter erzählt?“
Sie hatte geahnt, dass das kommen würde. Doch irgendwie hatte sie gehofft, dass Pete Wort halten und sie nicht verpfeifen würde. Tränen sammelten sich in ihren Augen, weil sie sich so verraten fühlte, und sie hätte alles dafür gegeben, wenn sie sich in diesem Moment hätte verstecken können.
Als sie nicht antwortete, weil sie auch einfach nicht wusste, was sie dazu sagen sollte, kam er mit seinem Oberkörper noch ein Stückchen näher an sie heran. Er trug sein übliches graues Muskelshirt, was seine trainierten Oberarme stark betonte. Dazu eine enge Jeans und Sportschuhe. Hätte er nicht so bedrohlich auf sie gewirkt, hätte sie ihm vielleicht sogar das Attribut „gutaussehend“ verpasst. So hatte sie aber nur Angst vor ihm.
Eingeschüchtert senkte sie den Blick und starrte seine Brust an. Doch einen Augenblick später wurde ihr klar, was sie da tat, und fixierte einen Punkt direkt über seiner rechten Schulter. Schließlich, als er mit seinem Körper nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt war und damit das Maß ihrer erträglichen Nähe bis zum Äußersten ausgereizt hatte, presste sie hervor: „Nichts!“
Das stellte ihn allerdings überhaupt nicht zufrieden. „Und woher weiß er es dann?“ Und weil sie ihn immer noch nicht ansah, packte er ihr Kinn und zwang sie dazu. „Woher weiß er es?“ Dabei betonte er jedes Wort.
Nun rannen ihr die Tränen tatsächlich über die Wangen. Nicht nur, weil sein Griff wirklich weh tat, sondern weil sie sich auch so hilflos und nutzlos vorkam. Sie war jetzt nicht nur ca. 30 cm kleiner als er, sie fühlte sich auch wie eine Küchenschabe, die er jeden Moment zertreten könnte, wenn er nur gewollt hätte. Aus Angst, er könnte vielleicht sogar noch etwas Schlimmeres mit ihr machen, als nur ihr Gesicht schmerzhaft zu packen, rückte sie mit der Sprache raus. Dabei schluchzte sie unkontrolliert. „Mir ist nur aufgefallen“, nuschelte sie, „dass es dir nicht gut geht. Und Pete sagte, dass ihm das auch schon aufgefallen ist. Mehr hab ich nicht gesagt, ich schwöre es!“
Endlich ließ er sie los. Und weil ihre Knie so weich waren wie Pudding sackte sie sofort zu seinen Füßen zusammen. Dabei bebten ihre Schultern heftig unter einem Heulkrampf.
Als er sie so am Boden hocken sah, packte ihn das schlechte Gewissen. Automatisch kam er zu ihr herunter, wollte ihr zum Trost eine Hand auf den Arm legen, doch sie zuckte vor ihm zurück. Das brachte das Fass zum Überlaufen.
Nie im Leben hatte er sie so verletzten wollen! Diese ganze Situation war nur so verdammt verzwickt. Entsetzt über seine eigene Brutalität biss er sich auf die Lippe, bis er Blut schmeckte. Unsicher sah er sich um, doch es war zum Glück niemand in der Nähe. Ein Wagen aus der Kostümabteilung mit Statistenkleidern, die niemandem zu gehören schienen, schirmte sie beide vor neugierigen Blicken ab. Aber wie hätte er das auch erklären sollen?
Er startete einen zweiten Versuch. Dieses Mal ließ er die Gegenwehr jedoch nicht zu, sondern zog sie direkt in eine feste Umarmung. Eine Frau so zum Weinen zu bringen war garantiert nichts, worauf er stolz sein wollte. Seine Nerven lagen nur noch blank in letzter Zeit, doch das konnte keine Entschuldigung sein. Das hätte er einfach nicht tun dürfen. Sie war doch so winzig und verletzlich. Wie hatte er sie nur so grob angehen können?
Verzweifelt drückte er sie an sich, zog sie dabei auf seinen Schoß und legte sein Gesicht an ihres. Dabei flüsterte er immer wieder: „Es tut mir leid!“ Schließlich saßen sie beide mehr oder weniger auf dem harten Betonboden der Stage. Ihre Finger hatten sich in sein Shirt gekrallt und hinterließen schmerzhafte Abdrücke in seinem Rücken. Doch er sagte nichts. Das hatte er verdient!
Irgendwann – er wusste nicht mehr, wie lange sie hier schon unentdeckt hinter dieser Stoffwand saßen – rührte sie sich endlich wieder. Ihr tränenverschmiertes Gesicht tauchte unter ihm auf und sein schlechtes Gewissen überschlug sich förmlich. Ihre Augen waren gerötet und geschwollen, ihre Lippen bebten noch immer und sie zitterte am ganzen Körper. Vorsichtig nahm er ihren kleinen Kopf zwischen seine großen Hände, mit seinen Daumen wischte er ihr die Tränen von den Wangen.
„Es tut mir leid“, wisperte er. „Das hab ich nicht gewollt.“ Dann küsste er sie.
Er wusste selbst nicht, wieso er das tat, doch es erschien ihm in diesem Moment mehr als nur richtig. Er wollte sich bei ihr entschuldigen, wollte etwas wieder gutmachen. Doch er bewirkte nur das Gegenteil.
Fast unmittelbar nachdem sich ihre Lippen berührt hatten, spürte er, wie sie sich unter ihm versteifte. Das brachte ihn dazu, sie wieder loszulassen. Erschrocken betrachtete er ihre weit aufgerissenen Augen, die ihn fassungslos anstarrten und ihn stumm fragten, was das alles zu bedeuten hatte. Doch wie hätte er ihr eine Antwort geben können, wenn er es doch nicht einmal selbst wusste?
Wieder beteuerte er, dass es ihm leid täte, doch dieses Mal ließ er es zu, dass sie sich von ihm schob und aufrichtete. Verlegen strich sie sich eine Strähne ihres goldenen Haares hinter ihr Ohr und er musste entzückt feststellen, wie hübsch sie doch eigentlich war. Wenn sie etwas mehr aus sich gemacht hätte, würde man sie vielleicht sogar mehr beachten. Doch so, wie sie sich immer vor allem und jedem versteckte und sich in dunklen Ecken herumdrückte, war es kein Wunder, dass sie bisher niemandem wirklich aufgefallen war.
Nun verfluchte er sich dafür, dass er vorher nicht richtig hingesehen hatte, denn nun war es zu spät.
„Scheiße“, murmelte er, drückte sich den Handrücken seiner rechten Hand auf die Lippen und wuschelte sich mit der anderen Hand durch seine kurzen blonden Haare. Was hatte er hier nur angerichtet? Diese ganze Geschichte hier in Neuseeland lief ganz gewaltig aus dem Ruder. Das hätte ihm eigentlich schon vorher aufgefallen sein müssen. Doch wie so oft im Leben kam die Erkenntnis zu spät.
Er ließ Joe stehen und spurtete in seinen Trailer zurück, bevor er überhaupt richtig am Set gewesen war. Und schon am nächsten Tag hatte Pete seine Kündigung auf dem Tisch liegen. Er hatte in Windeseile seine Sachen gepackt, indem er einfach alles in seine Koffer geworden hatte, und nun stand er vor einem leeren Trailer. Das Angebot, hier ein Haus zu beziehen, hatte er von Anfang an abgelehnt. Er hatte keine Familie hier, die bei ihm hätte wohnen können. Seine Familie war zu Hause in England geblieben.
„Bist du dir sicher, dass du das tun willst?“
Aidans Stimme riss ihn aus seinen düsteren Gedanken heraus und er drehte sich zu seinem Kollegen um. Ex-Kollege, erinnerte er sich selbst. Dann nickte er entschlossen. „Ja“, sagte er, „ich muss das tun. Wenn ich jetzt nicht gehe, dann ist es vielleicht zu spät.“
„Tust du das denn für dich oder für sie?“
Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Aidan davon zu erzählen, doch irgendjemandem hatte er es sagen müssen, dass seine Großmutter im Sterben lag, dass seine derzeitige Partnerin ihm die Hölle heiß machte, weil er nie zu erreichen war, und dass er sich schuldig fühlte wegen Joe.
Robert seufzte tief. „Es hätte nie soweit kommen dürfen, Aid. Was glaubst du wohl, wie ich mich gefühlt habe, als sie mich so angesehen hat? Mit Tränen in den Augen, für die ich verantwortlich bin! Das hier verändert mich zu sehr.“ Er hielt einen Moment inne. „Ich weiß, dass meine Grammy noch ein bisschen Zeit hat. Doch ich weiß auch, dass ich bei ihr sein möchte. Und das hat wirklich nichts mit Kathrin zu tun. Ich glaube kaum, dass sie mich noch nehmen würde, wenn ich zurückkomme. Immerhin habe ich diese gigantische Produktion sausen lassen.“
Das entlockte den beiden doch noch ein Lächeln. Sie hatten sich in der kurzen Zeit nicht besonders gut kennen gelernt, doch es hatte gereicht, eine Freundschaft zwischen ihnen entstehen zu lassen. Und vielleicht würden sie auch weiterhin Kontakt miteinander haben, wenn das alles hier vorbei sein würde.
Robert warf einen letzten Blick in seinen leeren Trailer, dann zog er die Tür zu. Er wollte sich schon von Aidan verabschieden, doch der Jüngere packte entschlossen einen der vielen Koffer und sagte: „Ich bring dich noch zum Taxi.“
Am Haupttor angekommen wartete es auch bereits auf seinen Fahrgast. Der Fahrer half ihnen, das Gepäck zu verladen, dann stieg er wieder ein und überließ sie dem Abschied. Nach einem anfänglichen peinlichen Zögern umarmten sie sich schließlich. „Mach‘s gut, Aid.“
„Du auch, Rob! Und lass von dir hören, wenn du zurück in der Heimat bist.“
Robert lächelte. „Das mache ich.“ Er wollte schon ins Taxi einsteigen, als er noch einmal innehielt. „Und mach es dem Neuen nicht so schwer, hörst du?“
Der dunkelhaarige Ire setzte einen Unschuldsblick auf. „Wie könnte ich?“ Dann knallte die Taxitür ins Schloss und das Gefährt fuhr Richtung Flughafen davon. Als Aidan sich davon abwandte, erhaschte er noch einen kurzen Blick auf eine blonde Mähne, die in einem der Gebäude des Art Department verschwand.