LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 12
~ Segnung
Der Tag der Niederkunft von Ithil-dî rückte immer näher. Ihr Bauch wölbte sich nun sehr stark hervor und mit jedem Tag schien sie ein bisschen ungelenkiger zu werden. Doch so groß die Kugel auch wurde, die sie nun mit sich herumtrug, so hell strahlte ihr Gesicht vor Freude, wenn ich sie ansah. Jedes Mal schien ihr Lächeln ein bisschen breiter zu werden und ich konnte niemals widerstehen, meine Hand auf ihren Leib zu legen und zu fühlen, wie das Kind nach mir trat.
Telperion hatte bereits eine Wiege für das neue Mitglied unserer Gemeinde angefertigt. Es würde in einem Bett aus Erlenholz schlafen, mit detailreichen Verzierungen und einer wunderbar weichen Daunenmatratze. Die Daunen hatte Ithil-dî selbst gesammelt, das Kissen daraus genäht und es mit Stickereien verziert. Ein wenig Lavendel hatte sie ebenfalls mit in das Futter gegeben, damit der Schlaf des Kindes ruhig und traumlos blieb.
Wahrscheinlich war ich aufgeregter als sie selbst, als die Wehen endlich einsetzten. Mitten in der Nacht klopfte jemand an unsere Türe. Ich schreckte sofort hoch, während Legolas neben mir nur langsam erwachte. Er streckte die Hand nach mir aus, doch ich schob sie liebevoll wieder zurück, küsste ihn und bat ihn weiterzuschlafen. „Was ist denn los, Liebste?“, fragte er verschlafen. Schnell streifte ich mein Nachtgewand ab und zog mir eine Hose und ein Hemd über. Dann beugte ich mich noch einmal zu meinem Gemahl herunter. „Das Kind meiner Cousine möchte geboren werden“, sagte ich und küsste ihn noch einmal. „Schlaf weiter. Sollte es Schwierigkeiten geben, werde ich dich rufen lassen.“
Er murmelte eine Zustimmung, dann drehte er sich wieder auf die andere Seite und schlief augenblicklich wieder ein. Einen Augenblick verweilte ich noch am Bett und betrachtete ihn, wie sich seine Brust ruhig hob und senkte. Dann warf ich mir meinen Mantel über und folgte dem Boten, der mich abgeholt hatte.
Im Haus, welches meine Cousine mit ihrem Gemahl bewohnte, herrschte schon große Aufregung. Telperion hatte bereits Wasser aufgesetzt. Meine Aufgabe war es nun, das Kind auf die Welt zu bringen und der Mutter durch die Geburt zu helfen. Ich bat um genügend Tücher und eine Schüssel heißes Wasser. Meinen Mantel warf ich achtlos über die Lehne eines Stuhls, krempelte mir die Ärmel hoch und kniete mich neben das Bett.
Ithil-dî hatte sich an einen Kissenberg gelehnt. Ihr Kopf war leicht gerötet und Schweiß stand ihr auf der Stirn. Noch lag sie ruhig da. „In welchem Abstand kommen die Wehen?“, fragte ich und sah beide zukünftigen Elternteile an. Telperion eilte an das Bett seiner Frau und griff nach ihrer Hand. „Etwa alle vier Minuten.“ Ich nickte kurz, dann warf ich einen Blick unter ihr Nachtgewand. Es war bereits nass vom Fruchtwasser und der Muttermund war so weit geöffnet, dass das Kind auf die Welt kommen konnte.
Aufgeregt wartete ich auf die nächste Wehe. Ich sah meine Cousine aufmunternd an. „Wenn du bereit dazu bist, kannst du nun pressen.“ Telperion nahm ihre Hand fester in seine und schenkte ihr ein warmes Lächeln. Er und ich würden ihr beistehen, wie schwer es auch sein würde.
Doch unsere Sorge war völlig unbegründet. Nachdem Ithil-dî ihren Rhythmus gefunden hatte, atmete sie beinahe von selbst richtig, um die Schmerzen so erträglich wie möglich zu machen. Ich wischte ihr in regelmäßigen Abständen den Schweiß von der Stirn und prüfte, ob das Wasser noch heiß genug war. Dann endlich kündigte sich ein kleiner blonder Schopf an und nur wenige Minuten später wickelte ich das Kind in eine warme Decke ein. Telperion durchtrennte die Nabelschnur, dann legte ich es noch in der Decke an die Brust der frisch gebackenen Mutter.
„Es ist ein Sohn“, sagte sie mit schwacher aber überglücklicher Stimme. Das Haar hing ihr in Strähnen in die Stirn, ihr Gesicht war ganz rot vor Anstrengung, doch sie war so wunderschön, wie eine Mutter nur sein konnte, nachdem sie einem gesunden Kind das Leben geschenkt hatte.
Augenblicklich schossen mir die Freudentränen in die Augen und ich umarmte die junge Familie vorsichtig. „Ich freue mich so unglaublich für euch“, flüsterte ich und gab der Mutter einen Kuss auf den Scheitel. Dann nahm ich den frischen Erdenbürger hoch, wusch ihn sauber und legte ihn in die Arme seines Vaters.
Während er stolz mit seinem Sohn vor die Tür trat und es allen verkündete, half ich Ithil-dî die Nachgeburt abstoßen zu können und anschließend zog ich ihr die verschwitzten Sachen aus. Schnell bezog ich auch das Bett neu, wusch ihr das Blut und den Schweiß so gut es ging ab und legte sie wieder in die weichen Kissen. Erschöpft sank sie zurück. „Ich danke dir“, sagte sie und sah mich mit feuchten Augen an. „Ich kann mein Glück gar nicht fassen.“ Vorsichtig setzte ich mich neben sie auf die Bettkante. „Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass alles so gut gegangen ist. Die Götter waren bei uns.“ Ich streichelte ihr über die Haare und gab ihr schließlich einen Kuss auf die Stirn. Doch sie schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie, „nicht sie waren bei uns. Du warst bei uns und das ist viel wichtiger. Ohne dich wäre dies alles nicht möglich, liebste Freundin.“
Ich seufzte ergeben. Wie konnte ich da widersprechen? Denn vermutlich hatte sie recht. Es lag mir jedoch fern, alles Lob für mich beanspruchen zu wollen. Ich hatte ihnen den Weg gezeigt, den ich mit ihnen gehen wollte. Mitgekommen waren sie von ganz alleine. Wenn es sich nun als das Richtige herausstelle, war es also nicht ganz allein mein Verdienst. Ich war froh, dass man mir so viel Vertrauen entgegenbrachte, doch darüber wollte ich nicht weiter nachdenken. Dies war ein Freudentag für den kleinen Sohn, den meine Cousine heute geboren hatte. Und wir würden ihm zu Ehren ein Fest veranstalten. Denn er war der Erste von den Elbenkindern, die noch in unserer Gemeinschaft geboren werden sollten.
Das Fest wurde drei Tage und drei Nächte lang gefeiert. Und am Ende war Ithil-dî sogar wieder stark genug, um daran teilzunehmen. Sie war ganz überwältigt von der vielen Freude, die ihr entgegen schlug. Und es schien ihr sogar ein wenig unangenehm zu sein, beinahe von jedem von uns Geschenke zu erhalten. Doch sie ließ es stoisch über sich ergehen und dankte jedem im gleichen Maße.
Als der kleine Junge nun vier Tage alt war, beschlossen die Eltern, ihm einen Namen zu geben. Wir versammelten uns also alle bei Sonnenaufgang auf dem kleinen Hügel außerhalb der Siedlung, auf dem Legolas und ich uns bereits unser Versprechen gegeben hatten, und legten das Kind auf eine Decke genau in die Mitte. Ich stellte mich nun so hinter das Kind, dass ich die aufgehende Sonne beobachten konnte, wie sie am Rande der Ebene über den Horizont blinzelte. Die Eltern frankierten mich zu beiden Seiten. Grüßend hob ich beide Arme gen Himmel.
„Oh Varda, erhabene Herrin der Gestirne, wir haben dieses Kind bereits in unsere Mitte aufgenommen, schenke du ihm nun ein langes Leben. Lasse Ariens Strahlen diesen reinen Körper umhüllen und ihm Kraft für seine kommenden Jahre geben. Auf dass er unsere Gemeinschaft mit seinem Geist und seiner Kraft stärke, stets im Sinne des größeren Wohls handele und in Frieden auf dieser Welt leben möge.“
Nun trat ich bei Seite um Platz für die Mutter zu machen. Sie würde ihrem Sohn seinen ersten Namen geben. Ithil-dî kniete sich neben das Kind, legte eine Hand auf seine Stirn und blickte in die Sonne. Leise flüsterte sie: „Varda, segne meinen Sohn.“ Eine kleine Träne rollte aus ihrem Augenwinkel. Sie wischte sie jedoch entschlossen weg, dann sagte sie lauter, sodass es alle hören konnten: „Von diesem Tage an soll mein Sohn den Namen Thalion tragen. Er soll ihn mit Stolz und Freude in die Welt hinaus rufen. Möge er seine Familie immer für würdig erachten.“
Als Telperion an der Reihe war, sah ich, dass er leicht zitterte. Ich schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und stellte mich neben ihn. Hoffentlich würde es ihm ein wenig Mut machen, dachte ich.
Auch Telperion legte seine Hand auf den Kopf des Kindes. Den Blick in die Sonne gerichtet, die nun vollständig hinter dem Horizont hervorgekommen war, sagte er: „Von heute und für immer soll mein Sohn den Namen Tathar tragen. Möge er sein Gemüt widerspiegeln und ihn sanft und biegsam machen.“
Als die Zeremonie zu Ende war, war es bereits später Vormittag. Legolas nahm neben mir Platz und küsste mich auf die Stirn. „Du siehst erschöpft aus, meine Liebste“, sagte er. Wir hatten uns auf dem Rand eines kleinen Brunnens in den Gärten niedergelassen. Hier war es ruhig und ich konnte mich ein wenig von der Aufregung der letzten Tage erholen. Wie sollte es erst werden, wenn ich ein eigenes Kind bekam, dachte ich.
Mein Blick streifte die üppige Blumenpracht, die bereits jetzt einen warmen Sommer ankündigte. Der Garten würde wunderbar duften, wenn die heißen Strahlen die Erde erwärmten und den Blüten Kraft schenkten. „Die vergangenen vier Tage waren ziemlich anstrengend für mich. Außerdem“, fügte ich hinzu, um ihn an meinen Gedanken teilhaben zu lassen, „frage ich mich ständig, was wohl wäre, wenn uns ein Kind vergönnt wäre.“
Behutsam nahm er meine Hände in seine und küsste sie. „Würdest du es dir wünschen?“
„Mehr, als alles auf der Welt“, flüsterte ich. Er lächelte mich warm an, stand auf und zog mich hinter sich her in unser Haus. Den ganzen Weg über sprachen wir kein Wort. Doch das war auch nicht nötig. Wir beide wussten, was der andere dachte: wir beide sehnten uns danach, unsere Liebe mit der einzig wahren Krone zu krönen.
Später lag ich in seinen Armen und blickte an die Decke. Er hatte ein dünnes Fell über unsere nackte Haut gelegt und spielte verträumt mit einer meiner Haarsträhnen. Sie schimmerte im Halbdunkeln bläulich. Ob meine Tochter meine Haare erben würde? Ich stelle mir vor, wie unser Kind Legolas’ Augen bekam, und als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte er: „Ich hoffe, dass es nicht so schön wird, wie du es bist. Stell dir vor, alle jungen Männer würden ihr nachstellen. Als Vater könnte ich das nicht ertragen.“
Ich lachte. „Ein wirklich unschöner Gedanke“, sagte ich und drehte mich zu ihm. „Ich möchte nur, dass sie etwas hat, was mich an dich erinnert.“ Eine Weile sahen wir uns schweigend in die Augen, verloren uns im Blick des anderen. Dann sagte ich: „Könntest du es lieben, wenn es mir das Leben nähme, wenn ich es gebäre?“
Zunächst sah er mich entsetzt an. Dann kehrte die Wärme in seine blauen Augen zurück. Wie ich es liebte, wenn er mich so ansah. „Natürlich würde ich es lieben!“ Er setzte sich auf, sodass das Fell von ihm herunter rutschte und seinen nackten Oberkörper frei gab. Noch immer zeichneten sich die harten Muskeln unter seiner weichen Haut ab, die er vermutlich von all den Kämpfen erworben hatte. Für kurze Zeit hielt mich dieser Anblick gefangen, dann hob er mein Kinn an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. „Es wäre doch das Einzige, was mir von dir bliebe, solltest du gehen.“
Er schenkte mir einen leidenschaftlichen Kuss und erneut versanken wir in einer innigen Umarmung.
Zwei Wochen später konnte man beinahe schon den Sommer erahnen. Die Sonne schien mit aller Kraft und wärmte mich, als ich in meinem Mantel vor das Haus trat. Ich hatte einen Eimer in der Hand, um Wasser am Brunnen zu schöpfen und Tee für uns zu kochen. Als ich ihn gefüllt am Seil wieder aus der Tiefe zog, krampfte sich plötzlich mein Magen zusammen. Schweiß trat mir auf die Stirn und ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem Unterleib. Augenblicklich ließ ich das Seil los und der Eimer raste wieder zurück in den Brunnenschacht. Ich hörte, wie er klatschend aufs Wasser traf, dann rebellierte mein Magen.
Geräuschvoll erbrach ich mich direkt neben den Brunnen. Ich schaffte es gerade noch, mich auf den Boden zu setzen, bevor meine Beine nachgaben. Doch obwohl mein Magen nun leer sein musste, hörten die Schmerzen nicht auf. Verwirrt ließ ich den Kopf an den kalten Stein hinter mir sinken und schloss die Augen. Eine Hand in die Erde gekrampft, die andere auf meinen Bauch gedrückt, saß ich da und wartete, dass mich jemand fand.
Als ich vom Brunnen nicht zurückkehrte, machte Legolas sich Sorgen. Er zog seine Stiefel an und machte sich auf den Weg zum Marktplatz. Dort fand er mich auf dem Boden sitzend, blass wie neuer Schnee. Sofort stürzte er zu mir, legte mir eine Hand auf die Stirn und fasste mich bei der Schulter. Sanft schüttelte er mich und rief meinen Namen, bis ich endlich die Augen öffnete. „Liebste, was ich passiert? Geht es dir gut?“
Seine Stimme holte mich zurück in die Realität. Die letzten Minuten verschwammen, bis nur noch der Schmerz zurück blieb. Mein Körper verkrampfte sich. „Mein Bauch“, schaffte ich zu sagen. Sofort schob er die Hand, die darauf lag, bei Seite und fühlte selbst. Seine Augen weiteten sich, bis ich dachte, sie müssten ihm aus dem Kopf fallen.
Inzwischen war mein kleiner Schwächeanfall bemerkt worden und ein paar Bewohner waren zusammengelaufen. Auch Gimli war unter ihnen. Er schob sich nach vorne zu uns und blieb neben seinem Freund stehen. „Was ist mir ihr? Geht es ihr gut?“ Als Legolas nicht antwortete, rief Gimli seinen Namen. Verwirrt schüttelte mein Gemahl den Kopf, offensichtlich erstaun darüber, dass wir plötzlich nicht mehr alleine waren. Der Zwerg sah ihn eindringlich an und auch die anderen unserer Gemeinschaft warteten auf eine Aussage seinerseits. Hatte ihre Herrin eine schwere Krankheit ereilt? War sie gar verletzt worden?
„Es geht ihr gut“, sagte Legolas schließlich. Er erhob sich, damit alle ihn hören konnten. „Lilórien-rîn geht es gut. Sie erwartet ein Kind von mir.“
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Namensbedeutung:
Thalion – Held
Tathar – Weidenbaum
Rîn – Dame, Lady (höfliche Anrede: Lady Lilórien)