LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 12
~ The Bear and the Maiden Fair
He sniffed and roared and smelled it there!
Honey on the summer air!
Oh, I‘m a Maid, and I‘m pure and fair!
I‘ll never dance with a hairy bear!
Die Arbeit am Set machte Joe wider Erwarten richtig Spaß. Nachdem sie allen Zwergen erfolgreich das Mikrofon verpasst hatte, ließ sie sich seltsam zufrieden irgendwo im Set nieder und beobachtete, wie gedreht wurde.
Als sie bei Aidan angekommen war, hatte der sich natürlich seine anzüglichen Bemerkungen nicht verkneifen können, doch ein Seitenhieb von Graham hatte ihn sofort zum Schweigen gebracht. Robert, der Fíli-Darsteller, hatte lauthals losgelacht und sich daraufhin einen Tritt vors Schienbein von Aidan eingefangen, der immer noch beleidigt aussah.
Joe beobachtete ihn nun aus der Ferne und warf ihm immer einen düsteren Blick zu, sobald er sie ebenfalls ansah. Das veranlasste Jed Brophy schließlich dazu, ein kleines Liedchen anzustimmen, indem es um einen verschmähten Ritter ging, der von seiner holden Jungfrau nicht erhört wurde. Es dauerte daraufhin eine kleine Weile, bis sich alle wieder beruhigt hatten und sie weiterdrehen konnten, denn auch Pete fand das ganze ziemlich komisch und kicherte in seinem Zelt vor sich hin.
Als dann für die Mittagspause unterbrochen wurde, ahnte Joe schon, was kommen würde, und wollte sich schnell aus dem Staub machen, doch Richard war schneller. Archy stellte sich ihr in den Weg und sah sie von oben herab streng an. „Kommst du heute wenigstens mit uns zum Mittagessen?“
Verwirrt sah sie ihn an. Nicht wegen der Frage, sondern weil er irgendwie anders aussah heute. Natürlich wusste sie, dass er Prothesen im Gesicht trug, doch auch die wirkte heute anders. „Was ist denn mit deiner Nase passiert?“ Zu fasziniert davon, um über ihre Schüchternheit nachzudenken, packte sie ihm an seinen übergroßen Zinken und drückte daran herum. Das ließ er sich eine Weile gefallen, doch dann machte er eine scheuchende Handbewegung, als wäre sie eine lästige Fliege. „Lass das“, sagte er leicht genervt. „Die haben meine Prothesen geändert und irgendwie drückt die heute ganz schön.“
„Oh“, sagte Joe nur und errötete sofort, „entschuldige.“
Das brachte ihn auf eine Idee. Spitzbübisch grinsend sah er sie. „Willst du es wieder gutmachen?“
Wenig später saß sie mitten in einem Haufen von Zwergen, die sich geradezu eine Essenschlacht lieferten. Sie hatte schon gehört, dass Pete sie alle nur die kleinen Bastarde nannte, doch jetzt verstand sie auch, wieso. Mal abgesehen davon, dass sie scheinbar überall, wo sie hinkamen, Chaos und Verwirrung stifteten.
Netterweise hatten es sich Graham und Richard zur Aufgabe gemacht, ein bisschen auf sie aufzupassen. Besonders Graham war anzumerken, dass er es nicht dulden würde, wenn ihr etwas passieren sollte. Trotzdem achtete Joe bei jedem Schritt darauf, wo sie mit ihrem Tablett hintrat. Vielleicht wollte ihr ja doch jemand ihr Essen ins Gesicht schleudern.
Sicher an ihrem Tisch angekommen warf sie Archy nur einen bösen Blick zu. Dafür, dass er ihre Schwäche ausgenutzt und ihr ein schlechtes Gewissen gemacht hatte, hasste sie ihn beinahe. Und um ihm das auch angemessen zu zeigen, hatte sie beschlossen, ihn von nun an und für immer, auch in der Öffentlichkeit, nur noch Archy oder Crispy zu rufen, sollte sie sich das denn auch trauen. Natürlich war nicht auszuschließen, dass sie eher lieber im Boden versank, doch vielleicht hatten ja die Götter ein bisschen Einsicht mit ihr und erlaubten ihr einen kleinen Höhenflug.
Danach sah es aber zurzeit nicht aus. Stattdessen pickte sie nur lustlos in ihrem Essen herum und beobachtete ängstlich das Schauspiel, was um sie herum stattfand. Sie wusste auch schon gar nicht mehr, was sie sich eigentlich zu Essen genommen hatte. Es musste irgendetwas mit Reis gewesen sein. Zumindest sah es so aus. Der Rest war allerdings undefinierbar.
Schließlich schob sie den Teller einfach von sich. Das konnte sie beim besten Willen nicht essen! Sie wollte es auch gar nicht erst versuchen. Vermutlich hätte sie dann ihre Geschmacksknospen eingebüßt.
Aidan, der sich ihr gegenüber gesetzt hatte, langte ohne zu fragen nach ihrem Teller. Erst, als er seine Gabe schon tief hinein gepiekt und davon gekostet hatte, fragte er mit vollem Mund: „Isst du das noch?“ Auf eine Antwort wartete er erst gar nicht mehr, sondern schaufelte es gleich auf seinen Teller drauf. „Schmeckt gar nicht schlecht!“ Dass ihm dabei etwas in seinem Kinnbart hing, schien ihm gar nicht aufzufallen.
Joe brachte es allerdings zum Kichern. Und als Graham auffiel, über was sie so lachte, musste auch er plötzlich grinsen. „Sieh‘ dir das an, Jed! Aidan hebt sich etwas für später auf!“ Dabei stieß er den Angesprochenen an, der direkt neben ihm saß.
Jed in seiner üblichen aufgedrehten Art griff Aidan sofort ans Kinn und zupfte ihm das Reiskorn heraus. Danach betrachtete er es von allen Seiten, roch kurz daran und aß es schließlich auf.
Gleichzeitig zu tiefst angeekelt, aber über die Maßen amüsiert von Jeds Art prustete Joe schließlich los. Sie hielt sich den Bauch vor Lachen und steckte damit nicht nur Richard an, der das Mimenspiel ebenfalls angewidert beobachtet hatte. Mit seiner tiefen Thorin-Stimme sagte er: „Scheinbar haben sie nicht nur meine Prothese, sondern auch den Kleber dafür geändert. Der scheint hier jedenfalls bei manchen schon Wirkung zu zeigen.“
Und um diese Worte auch gleich zu bestätigen, legte Jed einen kleinen Tanz hin, der jedoch zur Folge hatte, dass er, nachdem er es nicht mehr mit ansehen konnte, von Mark in seinem Dori-Kostüm beinahe zu Boden gerungen und in seinen Stuhl zurück gedrückt wurde. Amüsiert verfolgte Joe, wie sich die beiden noch einen Moment weiter stritten, bis schließlich wieder Ruhe einkehrte und jeder Zwerg sich seinem Essen widmete.
Das nutzte Joe gnadenlos aus, um sie alle ausgiebig zu mustern. Ihre Kostüme gefielen ihr wirklich ausgesprochen gut. Nicht, dass sie etwas anderes erwartet hatte. Immerhin hatten Bob und Ann gute Arbeit geleistet. An ihren eigenen Werken fielen ihr allerdings sofort ein paar Dinge auf, die sie beim nächsten Mal sicher anders gemacht hätte.
„Sag mal, Arm“, sagte plötzlich Adam, der sich neben Aidan und Robert gesetzt hatte und mit ihnen zusammen die jüngste Front unter den Schauspielern bildete. Er hatte sich einen speziellen Spitznamen für Richard ausgedacht, den er auch schamlos benutzte. Bei absolut jeder Gelegenheit. „Wo hast du die Kleine eigentlich aufgetrieben? Ich weiß, dass sie Kostümdesignerin ist“, setzte er schnell hinzu, als Richard schon antworten wollte, „aber wieso ist sie jetzt hier?“
Das war absolut nicht so abfällig von ihm gemeint, wie es sich vielleicht im ersten Augenblick anhörte, und sein Grinsen und sein typisch schiefer Gesichtsausdruck nahm dem Satz auch jegliche Härte. Trotzdem fragte sich Joe das plötzlich auch. Eigentlich hätte man damit rechnen müssen, dass sich die Zwerge wohl eher mit ihren Visagisten, Makeup- oder Hair-Artists anfreunden müssten, oder zumindest mit denen, die sie hier im Boot Camp trainiert hatten, weil sie mit diesen Leuten die meiste Zeit verbrachten. Doch stattdessen saß sie hier. Und sie konnte sich auch plötzlich nicht mehr dagegen wehren, sich hier in der Kantine umzusehen.
Ein paar der jüngeren Mädchen, die für den Film engagiert worden waren, warfen ihr vielsagende Blicke zu. Vermutlich hätten sie eine Menge dafür gegeben, mit diesem Aidan oder diesem Robert Mittag zu essen. Stattdessen aber saß sie hier, Joe Taylor, die Schüchternheit in Person und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch diejenige, die am wenigstens hier sitzen wollte. Wie gern hätte sie mit dieser Blonden dahin am Tisch getauscht, die kein Auge von Aidan lassen konnte! Doch vermutlich hätte Richard sie eher hier am Stuhl festgebunden, als sie einfach so wieder gehen zu lassen, wo er sie doch endlich soweit hatte, mit ihm in die Kantine zu gehen.
Der warf seiner kleinen Begleitung nur einen flüchtigen Blick zu, bevor er sich wieder seinem Essen widmend antwortete. „Ich mag sie einfach!“, sagte er schlicht und mehr war aus ihm nicht herauszubekommen, das konnte man ihm anmerken. Dass sie in ihm extreme Beschützerinstinkte weckte, würde er niemals zugeben. Das, und die Tatsache, dass er sie noch niemals außerhalb ihres Ateliers gesehen hatte. Nicht zum Essen, nicht als er sie gebeten hatte, mal beim Boot Camp vorbeizuschauen, nicht am ersten Drehtag. Nur bei der Maori-Zeremonie hatte er gesehen, wie sie vorzeitig die Stage verlassen hatte, nachdem er den Gruß und den Segen erwidert hatte.
Er wusste nicht, wieso sie so war, wie sie nun mal war. Doch er hatte das Gefühl, dass er auf sie aufpassen musste, sie beschützen musste, um sie vielleicht auch ein bisschen aus ihrem Schneckenhaus herauslocken zu können. Und wenn Graham das genauso sah – und dessen war er sich eigentlich ziemlich sicher, so wie er Joe ständig musterte und beinahe permanent ein Auge auf Aidan hatte -, dann war er froh, jemanden gefunden zu haben, der sich ebenfalls um die Kleine kümmern wollte.
Er konnte ja nicht ahnen, dass Graham dieselben Gedanken hegte. Vom ersten Moment an, da er ihr Atelier betreten hatte, hatte er sie gemocht. Die Art, wie sie ihre Zeichnungen anordnete, wie sie arbeitete und alles dabei irgendwie nach Chaos aussah, obwohl es das eigentlich gar nicht war, gefiel ihm. Und auch er hatte das Gefühl, sie beschützen zu müssen, denn er hatte gehört, dass sie außer ein paar Katzen wohl keine Familie mehr hatte.
Das hatte ihn zunächst tief bestürzt und der große Schotte mit der Glatze hatte lange darüber nachgedacht, was der Kleinen wohl zugestoßen sein mochte. Daraufhin hatte er sich bei ein paar Kollegen erkundigt, ob sie nicht etwas über diese Joe wussten. Doch leider hatte ihm niemand weiterhelfen können. Er hatte nur immer wieder gehört, dass sie lieber für sich blieb, niemanden an sich heranließ und auch eher selten etwas sagte. Geschweige denn, dass sie etwas zur allgemeinen sozialen Situation hier am Set beitrug. Es war, als würde es sie überhaupt nicht geben. Wie ein Schatten fristete sie ihre Existenz am Rande dieses ganzen Durcheinanders. Wenn er nicht gewusst hätte, dass sie hier für das Design der Kostüme verantwortlich war, hätte er sie wohlmöglich nur für einen Papierträger gehalten, der ansonsten nichts zu melden hatte.
Doch das war Joe nicht. Hätte sie nur ein bisschen mehr Selbstvertrauen besessen, hätte sie vermutlich so einiges hier bewegen können. Aber sie gab sich einfach damit zufrieden, ein paar Kostüme zu zeichnen und ansonsten den Mund zu halten. Und das ärgerte ihn einfach maßlos, weil er doch so viel Potenzial in ihr sah. Und Richard Taylor und Pete musste das nicht anders gehen. Sonst hätten sie sie vermutlich gar nicht eingestellt und ihr erst recht nicht so viel Vertrauen entgegen gebracht.
Nach der Mittagspause, als sie langsam wieder alle zum Set schlenderten, konnten allerdings weder Archy noch Graham Joe dazu überreden, wieder mit nach Beutelsend zu kommen. Selbst die Aussicht, sie heftig in diesem Kostüm schwitzen zu sehen, ließ sie nicht einlenken. Sie sagte, sie wolle lieber noch etwas an ihren Entwürfen weiterarbeiten. Außerdem war es ihr ohnehin mittlerweile langweilig am Set geworden.
Das konnte Richard allerdings nachvollziehen. Für die Leute, die nur zusahen, war es immer langweilig. Zumindest nach dem zwanzigsten Take, der doch irgendwie immer gleich ablief. Also gab er sich damit zufrieden, winkte ihr zum Abschied und ließ sie ziehen.
Erleichtert kehrte Joe ins Art Department zurück. Dabei half es ihr ungemein, dass sie so klein und schlank war, denn so konnte sie sich zwischen dem ganzen Equipment durchschlängeln. Es war ihr ein Rätsel, wie man ihre ganzen Klamotten erst hier herein getragen und dann auch noch irgendwo untergebracht hatte. Woher hatte man überhaupt den Platz genommen, ihr ein eigenes Büro zu geben? Nicht, dass es besonders groß gewesen wäre, doch hier war jeder Platz wertvoll. Sogar die Küchenecke hatte man als Lager umgewandelt, sodass man sich durch Berge von Orkkörperteilen und Rüstungen kämpfen musste, um sich Teewasser zu organisieren.
Auf dem Weg dahin liefen ihr jede Menge fremder Leute über den Weg, die alle irgendetwas mit diesem Film zu tun hatten. Und zum ersten Mal war Joe ein wenig dankbar dafür, nun hier zu sein und nicht mehr bei Weta. Denn so musste sie Emily hier nicht mehr unbedacht über den Weg laufen.
Seitdem ihre Freundin bei ihr eingezogen war, hatten sie kaum mehr ein Wort miteinander gewechselt. Und das war vermutlich auch gut so. Nicht, dass Joe eventuell ausgerastet wäre, aber es hätte sie wohlmöglich nur noch frustrierter und wütender gemacht, als sie ohnehin im Stillen schon war. Am liebsten hätte sie Emily jeden Tag aufs Neue wieder vor die Tür gesetzt. Doch sie brachte es ja nicht einmal fertig, ihr zu sagen, sie solle ihre dreckige Kaffeetasse doch bitte indie Spülmaschine räumen und sie nicht oben drauf stehen lassen.
So verlief der Alltag für Joe immer wieder gleich: sie stand morgens in aller Herrgottsfrühe auf, damit sie pünktlich um 6:00 Uhr im Studio war, um eventuell noch letzte Änderungen an den Kostümen zu machen. Danach beobachtete sie eine Weile aus dem Hintergrund, was gedreht wurde, und wenn nichts drohte kaputt zu gehen, kehrte sie meist noch vor dem Mittagessen wieder in ihr Atelier zurück. Dort versteckte sie sich dann manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich vor Archy und Gra’am, wie sie die beiden nur noch nannte, die sich gelegentlich doch noch zum Mittagessen abholten, wenn sie denn Zeit dazu hatten.
So lernte Joe die Schauspieler immer besser kennen, machte sich aber ihrerseits nicht die Mühe, sich ihnen anders zu präsentieren. Sie hatte ohnehin jedes Mal, wenn sie dann doch mit in die Kantine kam, das Gefühl, dass die Hälfte der Zwerge wieder vergessen hatte, wer sie war. Und die andere Hälfte war ihr meist viel zu aufdringlich oder aufgedreht.
Nur dieser Robert schien halbwegs normal zu sein. Er lächelte sie immer an, wenn er sie sah, grüßte allerdings niemals laut. Wenn, dann winkte er ihr noch aus der Ferne zu. Beim Mittagessen saß er zwar in ihrer Nähe, war dabei aber meistens eher still und in sich gekehrt. Ganz anders als Aidan, der es nicht müde wurde und sie jedes Mal, wenn sie am Set auf tauchte oder ihm sonst irgendwie über den Weg lief, lauthals begrüßte. Außerdem suchte er sich immer den Platz ihr gegenüber aus, weil Richard und Graham sich meist rechts und links von ihr niederließen. Dann grinste er sie breit an und versuchte sie in irgendein Gespräch zu verwickeln.
„Liest du viel?“, fragte er sie eines Mittags Mitte April, als sie gerade Pause von einer der Trollszenen machten.
Sofort brach Mark Headlow zwei Plätze weiter in schallendes Gelächter aus. Er lachte so sehr, dass er sich an seiner eigenen Spucke verschluckte und nur Jed ihm das Leben retten konnte, indem er ihm ziemlich fest auf den Rücken hämmerte, dass es Dori beinahe die Perücke vom Kopf gerissen hätte.
Als Mark sich wieder einigermaßen im Griff hatte, beugte Richard sich leicht über den Tisch vor, schob seine langen Haare, die man ihm als Thorin verpasst hatte, wieder mit einer mittlerweile gekonnten Bewegung zurück und sagte: „Was Mark uns mit seiner Performance sagen wollte, ist wohl Folgendes:“
Doch er kam nicht mehr dazu, es auszusprechen. Stattdessen fiel ihm Jed ins Wort, der wie üblich schneller als die anderen und auch hektischer war. „Seit wann liest du denn, Turn-A-Dainer?“
Dies war ein typischer Jed Brophy-Spitzname, den er allen verpasste, mit deren Namen er so eine Verdrehung anstellen konnte. Joes Spitzname für Richard, Archy, gefiel ihm so sehr, dass er daraus Archy Rimitage gemacht hatte und Mark nur noch Hark Madcow nannte. Vermutlich hätte er auch Joes Namen verunstaltet in so etwas wie Toe Jaylor, wenn er nicht hätte befürchten müssen, dass sie daraufhin gleich in Tränen ausbrach.
Jed kannte die Kleine kaum, die manchmal in Begleitung von Archy und Graham auftauchte, doch sie war ihm für seinen Geschmack ein bisschen zu ruhig. Sie wirkte nicht dumm, sondern einfach nur extrem schüchtern. Und mit solchen Leuten konnte er nicht viel anfangen. Er hatte mal versucht, sie auf dem Weg in die Kantine etwas aus der Reserve zu locken, doch das hatte nur dazu geführt, dass sie auf einmal stammelnd behauptete, noch etwas Wichtiges vergessen zu haben und einfach abgedampft war. Seitdem vermied er es, sie direkt anzusprechen.
Diese Hemmungen kannte Aidan aber nicht. Er war es gewöhnt, dass die anderen sich über ihn lustig machten. Allein schon deswegen, weil er als Prothese nichts weiter als eine künstliche Nasenspitze trug, während die anderen zweieinhalb Stunden lang jeden Morgen in der Maske saßen, geschminkt und beklebt worden, bis man sie endlich vor die Kamera ließ.
Deswegen überging er diese blöde Bemerkung einfach und lehnte sich nun seinerseits zu Joe über den Tisch. Dabei zog er auffordernd eine Augenbraue hoch. „Also?“
Und weil sie nun scheinbar einfach jeder der Schauspieler in diesem Tisch zu mustern schien, wäre sie am liebsten sofort wieder im Boden versunken. Ihr schoss das Blut ohne Umwege in die Wangen, ließ ihre Ohren ganz rot und heiß werden und ihr Mund wurde so trocken, dass sie kein einziges Wort mehr herausbrachte. Sie versuchte sich damit zu retten, dass sie einen Bissen von ihrem Mittagessen nach, doch leider schindete das nur etwas Zeit, entband sie aber nicht einer Antwort.
Aidan sah sie immer noch abwartend an und Joe versuchte ihrerseits einen für sie möglichst glimpflichen Ausweg zu finden. Daher nickte sie schließlich kurz und sagte schlicht: „Ja.“ Dann wandte sie sich an Robert, der wie immer neben Aidan saß und vergeblich versuchte, seine beiden Bartzöpfe aus seiner Suppe herauszuhalten. „Und du, Rob?“ Mehr schaffte sie nicht zu sagen. Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass sie es fertig brachte, jemanden von sich aus anzusprechen. Scheinbar war sie wirklich verzweifelt.
Der Angesprochene schaute überrascht auf. Nicht nur, dass er damit nicht gerechnet hätte, er hatte auch das Thema überhaupt nicht verfolgt, weil seine Gedanken ganz woanders waren. Irritiert blickte er in die Runde, stellte fest, dass ihn nun alle ansahen und räusperte sich verlegen. „Was denn?“
Bevor er sich richtig in Verlegenheit bringen konnte, fiel ihm Mark wieder ins Wort und zog Aidan erneut mit seiner Frage nach Bücher auf. Er hätte ja noch nicht mal den Hobbit gelesen und wüsste gar nicht, wer seine Figur überhaupt wäre. Dem konnte Aidan nur zustimmen und das tat er Joes Meinung nach viel zu selbstbewusst. Unwissenheit war normalerweise nichts, mit dem man hausieren ging. Sie jedenfalls nicht.
Ihre Aufmerksamkeit wurde jedoch wieder von Robert in Anspruch genommen, der sich erneut seiner Suppe gewidmet hatte. Seine übergroße Nase konnte nur teilweise den traurigen Ausdruck in seinem Gesicht verdecken. Seine Augen jedoch sprachen Bände. Und wenn Joe etwas konnte, dann Traurigkeit oder Verzweiflung auf den ersten Blick zu erkennen. Sie hätte ihm gerne eine Hand auf den Arm gelegt, doch dazu hätte sie einmal quer über den Tisch greifen müssen, was sicherlich wieder Aidan auf den Plan gerufen hätte. Und es schien ihr in diesem Moment, als wäre nicht nur sie diejenige, die das um jeden Preis verhindern wollte.
Nach dem Essen versuchte sie, sich ein bisschen zurückfallen zu lassen, um Robert vielleicht alleine zu erwischen. Doch der hatte sich scheinbar wieder gefangen, denn er sorgte nun dafür, dass die anderen auch ja da weitermachten, wo sie eben hatten aufhören müssen, weil Aidan, das Objekt ihrer Belustigung, sein Tablett weggebracht hatte.
So begnügte sie sich damit, den anderen noch ans Set zu folgen. Und in einer der Drehpausen hatte sie auch Glück und Robert verschwand allein nach draußen. Eigentlich hätte auch er das Kühlzelt, welches man extra errichten hatte, um die Schauspieler in ihren vielen Lagen Kostüm und Schaumstoff auf Betriebstemperatur zu halten, doch ihm war offenbar gar nicht so warm.
Joe jedenfalls stellte fest, dass er kaum schwitzte. Also war er etwas krank oder so sehr vom Dreh abgelenkt, dass er es nicht merkte. Langsam trat sie an ihn heran und legte ihm vorsichtig eine Hand auf den Arm.
Er zuckte nicht zusammen, als sie ihn berührte. Also musste er sich gehört haben. Doch er hatte scheinbar mit jemand anderem gerechnet, denn als er sie ansah, sagte er: „Oh, du bist es!“
„Geht es dir gut?“ Bevor sie es sich hätte anders überlegen können, hatte sie die Worte hervorgepresst. Nun bereute sie es fast, denn wieder trat dieser Ausdruck der Verzweiflung in seine Augen. Wie gern hätte sie ihm seinen Schmerz genommen! Sie kannten sich zwar kaum, doch irgendwie schien es in ihrer Natur zu liegen, Mitleid zu empfinden.
Doch er war offenbar nicht in Stimmung zum Reden, denn er sah sie nur eine Weile stumm an, dann entwand er sich ihrem Griff. „Nein“, wisperte er nüchtern, dann drehte er sich um und war wieder im Set verschwunden, bevor sie noch etwas sagen konnte.