LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 11
~ Let me disappoint you
Megara Harding saß, wie so oft in letzter Zeit, am Bett ihres immer noch nicht ganz gesunden Bruders Lelex und haft ihm dabei sich ein wenig aufzusetzen, damit er in einer bequemeren Lage sein Abendessen einnehmen konnte. Nach dem Prozess hatten ihre Eltern darauf bestanden, ihn mit nach Hause nehmen zu dürfen, da er im Krankenhaus einzugehen drohte, und Meg hatte ihnen das Versprechen abgenommen, auf ihn zu achten. Da sie nun ihr Studium beendet hatte, würde sie dafür auch genug Zeit haben.
„Du musst mich wirklich nicht so bemuttern“, sagte Lelex, als sie ihm gerade sein Kissen noch einmal aufschüttelte. „Ich komme auch alleine ganz gut klar.“ Sie gab ihrem Bruder einen Kuss auf die Stirn. „Ist schon gut, Lex“, sagte sie, „ich habe im Moment sowieso nichts zu tun.“
In diesem Moment betrag ihr Vater das Zimmer und baute sich im Türrahmen auf. Er war bei der British Army gewesen und hatte es dort zum General gebracht. Nach dem Ende des kalten Krieges war er jedoch den Reduzierungsmaßnahmen zum Opfer gefallen und hatte in den Ruhestand gehen müssen. Eine gute Abfindung, eine hohe jährliche Rente und seine sportliche Figur waren ihm aber geblieben. Noch heute war er eine eindrucksvolle Erscheinung und war fitter, als so mancher Mann, der gute vierzig Jahre jünger war als er.
Nun verschränkte General Anthony Harding a. D. die Arme vor der breiten Brust und sah seine Tochter gespielt empört an. „Du könntest dir zum Beispiel einen Job suchen.“ Sie waren nie eine arme Familie gewesen, doch zwei Kinder durchzufüttern, die beide erwachsen waren und eigentlich ganz gut auf sich selbst aufpassen konnten, würde das Budget auf Dauer sprengen. Doch natürlich verstand er, dass Megara bei ihrem Bruder sein wollte. Die beiden hatten sich immer sehr nahe gestanden.
„Und wer passt dann auf Lex auf?“, fragte Meg und hielt ihrem Bruder einen Löffel Suppe hin. Dieser jedoch nahm ihr den Teller und den Löffel ab und begann von alleine zu essen. „Meine Arme sind noch intakt, Schwesterherz. Ich brauche keinen Babysitter. Wirklich!“, fügte er noch hinzu, als er ihren tadelnden Blick sah.
Der General zog die Schultern hoch. „Du hast ihn gehört! Also geh endlich mal wieder vor die Tür. Amüsier dich! Triff dich mit diesem Anwalt. Wie hieß er doch gleich?“
Wütend nahm Meg ihrem Bruder den Teller ab und trug sein Abendessen, was er noch nicht einmal hatte beenden dürfen und ihm nun sehnsüchtig hinterher sah, mit samt dem Tablett wieder zurück in die Küche. „Thomas“, sagte sie und schob sich an ihrem Vater vorbei, „ist sehr beschäftigt und hat keine Zeit für ein Date. Sein Vater möchte ihm bald die Kanzlei übergeben.“
Sie stellte das Tablett neben die Spüle und begann das Geschirr sauber zu machen. Ihre Mutter stand daneben und putzte ein paar Möhren, die sie für einen Eintopf am nächsten Tag brauchen würde. Es war Sonnabend und sonntags luden sie immer ein paar Freunde zum Lunch ein. „Na, wenn das mal kein guter Fang ist“, rief Susan aus und wedelte mit dem Schälmesser vor der Nase ihrer Tochter herum. „Den solltest du nicht entwichen lassen.“
„Mom“, rief Meg empört aus und ließ den Teller lieber stehen, um zu flüchten, bevor noch irgendwelche anderen Bemerkungen folgen würden. Susan breitete die Arme aus und sah ihren Mann fragend an. „Was hab ich denn gesagt?“ Doch der schüttelte nur hilflos mit dem Kopf.
In ihrem Zimmer ließ Meg sich auf ihr Bett fallen und starrte an die Decke. Sie kam sich wie ein Teenager vor, der dem Jungen, auf den sie stand, nicht sagen konnte, dass sie sich in ihn verknallt hatte, weil sonst wohlmöglich die ganze Schule über sie lachen würde. Doch dieses Mal war es schlimmer. Sie hatte mit dem Ex ihrer besten Freundin geschlafen! Noch dazu mit dem, der sie gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wollte.
Sie wusste, dass Vic damals Nein gesagt hatte, doch das änderte nichts an der Situation. Wie oft hatten sie diese Diskussion schon miteinander geführt, dass sie es nie zulassen würden, dass sich ein Kerl zwischen sie drängen könnte. Und nun war es doch passiert. Vittoria hatte davon noch keine Ahnung, doch das machte es nicht weniger schlimm.
Im Gegenteil, denn so stand Meg noch das Schlimmste bevor: sie musste es ihr noch beichten! Eigentlich würde sie sich lieber selber einen Arm abhacken, als es Vic zu erzählen. Wer wusste schon, wie sie reagieren würde. Sie konnte ja schlecht zu ihr hingehen und sagen: „Hey beste Freundin, ich muss dir was sagen: ich habe mit dem Kerl geschlafen, der dich vor ein paar Jahren gebeten hat, seine Frau zu werden. Das macht dir doch nichts aus, oder?“
Sie kannte Vittoria nun schon lange genug und wusste, dass sie ausrasten würde. Italiener waren nicht umsonst für ihr Temperament bekannt. Wenn sie Pech hatte, würde sie den nächsten Tag schon nicht mehr erleben.
Seufzend drehte Meg sich auf den Bauch und legte den Kopf auf die Arme. Dabei fiel ihr Blick auf ihr Tagebuch. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, alles hineinzuschreiben, doch dann verwarf sie alles wieder. Es würde nichts bringen, einem Buch alles anzuvertrauen. Ein paar vollgeschriebene Seiten konnten ihr keine Antwort geben, was sie tun sollte.
„Du wirst es ihr irgendwann sagen müssen.“ Erschrocken fuhr Meg hoch und wäre beinahe vom Bett gefallen. Als sie sich wieder gefangen hatte, starrte sie ihren Bruder an, der etwas hilflos in ihrem Türrahmen lehnte und versuchte sein verletztes Bein nicht zu belasten. Sofort sprang sie auf und eilte zu ihm hin. „Lex, du sollst doch noch nicht aufstehen“, tadelte sie ihn und wollte ihn schon wieder zurück in sein Zimmer schieben, doch er stemmte sich dagegen.
Er maß sie mit einem Blick, den nur große Brüder ihren Schwestern schenken konnten, wenn diese genau wussten, dass sie das Richtige tun sollten, es sich aber nicht trauten. „Du musst es ihr sagen“, wiederholte er und sah ihr dabei tief in die Augen. In diesem Moment hasste sie ihn, so sehr sie ihn auch liebte.
Geschlagen ließ sie sich wieder auf ihr Bett fallen, Lelex humpelte hinter ihr her und setzte sich neben sie. „Du hast Recht“, sagte sie nach einer Weile und lehnte sich an seine Schulter. Sie konnte den Knochen darunter fühlen und erschrak etwas darüber. Sie hatte fast vergessen, wie dünn er in der letzten Zeit geworden war. „Natürlich hab ich Recht“, sagte er.
„Aber wie soll ich ihr das sagen?“ Verzweifelt warf sie die Arme in die Luft und ging zum Fenster hinüber. Als sie dort angekommen war, ging sie zurück zur Tür und begann die Runde von Neuem. „Ich kann ihr das doch nicht einfach so vor den Latz knallen. Das geht nicht. Und erst Recht nicht am Telefon. Ich meine, sie ist hunderttausend Kilometer weit weg und ich soll ihr sagen, dass ich mit ihrem Verlobten geschlafen hab? Nein, das geht nicht.“
„Willst du warten, bis sie wieder da ist?“ Lelex versuchte sich so hinzusetzen, dass er sein kaputtes Bein nicht belasten musste. Doch irgendwie gelang ihm das nicht so ganz und er gab es schließlich auf. Dieser dämliche Verband schnürte ihm alles ab. Er konnte von Glück reden, wenn er jemals wieder etwas in seinen Zehen fühlen konnte.
Meg krallte ihre Hände in ihre blonden Haare und zog leicht daran. Das hatte sie schon als kleines Kind immer gemacht, wenn sie einerseits nicht wollte, dass ihre Mutter erfuhr, was sie angestellt hatte, aber auch nicht lügen wollte. „Ich weiß es nicht.“ Kraftlos sank sie wieder zurück aufs Bett und machte damit die Bemühungen ihres Bruders, eine entlastende Position zu finden, völlig zunichte. „Ich weiß es wirklich nicht. Hilf mir.“ Mit flehenden riesengroßen blauen Augen sah sie ihn an.
„Du siehst aus, wie ein Dackel“, sagte er und schlug halbherzig nach ihr. „Lass das sein, sonst lass ich mich doch noch dazu überreden, dir zu helfen.“ Mit einem Jubelschrei schlang sie die Arme um ihren großen Bruder und küsste sein ganzes Gesicht ab. Erst als er sie in den Oberarm kniff, weil er keine Luft mehr bekam, ließ sie ihn los. „Danke“, sagte sie und gab ihm einen letzten Kuss.
„Super“, sagte er, „krieg ich jetzt mein Abendessen?“ Sie machte einen empörten Laut, stand dann jedoch auf und holte ihm das Tablett wieder. Ihre Mutter hatte es netterweise noch stehen lassen.
Während Lelex nun endlich sein Abendessen zu sich nehmen konnte, saß Meg auf der Fensterbank und blickte in den Regen hinaus. Wenn sie Vittoria doch nur sagen könnte, was hier in ihrer Heimat passiert war, während sie am anderen Ende der Welt ihrer Arbeit nachgegangen war. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es in Neuseeland jetzt neun Uhr morgens war. Ob sie jetzt schon anrufen konnte?
„Du überlegst nicht ernsthaft, jetzt schon anzurufen, oder?“ Schon früher hatte Lelex die große Gabe gehabt, ihr ihre Gedanken von der Stirn ablesen zu können. Obwohl sie eigentlich eine begabte Schauspielerin hätte sein können, ihn hatte sie nie täuschen können. Selbst als sie noch Kinder waren hatte er es ihr immer sofort an der Nasenspitze angesehen, wenn sie etwas ausgefressen hatte. Und merkwürdigerweise wusste er auch immer sofort, wie viele Tage Hausarrest ihr das einbringen würde.
Sie drehte sich zu ihm um und sah selber dabei aus, als wäre sie das Regenwetter persönlich. Ein begossener Pudel hätte nicht trauriger dreinschauen können. „Je länger ich warte, desto schlimmer wird es doch nur“, sagte sie und knetete dabei ihre Finger. „Für dich oder für sie?“, fragte er, doch sie sparte sich die Antwort, weil er sie sowieso schon wusste.
Nachdem er aufgegessen hatte, was seltsamerweise länger dauerte, als sie gedacht hatte, klatschte er in die Hände und richtete sich wieder gerade auf. Er straffte die Schultern und wirkte dabei beinahe wieder wie der Lelex vor dem Unfall. So sehr er auch versuchte es zu verbergen, sie konnte merken, wie schwer es ihm zu schaffen machte, nicht auf eigenen Beinen stehen zu können. Und das war im doppelten Sinne gemeint. „Nun gut, dann reiche mir einmal das Telefon herüber, kleine Schwester.“
Sie tat wie ihr geheißen und nahm neben ihm Platz, während er ihr Telefonbuch nach der richtigen Nummer durchforstete. Schließlich klingelte es. Er musste ein paar Töne abwarten, doch dann hob endlich jemand ab. „Meg“, zischte die Person in den Hörer. „Ich bin schon auf der Arbeit. Ich kann jetzt nicht reden.“
Er räusperte sich und seine Schwester hielt den Atem an. Das Handy war auf Lautsprecher gestellt, so konnte sie jedes Wort mitverfolgen. „Hier ist Lelex. Hey Vic, wie geht’s dir denn?“
„Lelex!“, rief sie erfreut auf, dann drangen gedämpfte Stimmen durch die Muschel, als hätte sie ihre Hand darauf gelegt. „Lelex“, flüsterte sie nun viel leiser, jedoch nicht weniger begeistert. „Mein Gott, wie geht’s dir denn? Ist alles in Ordnung? Ich freu mich so deine Stimme zu hören. Was macht dein Bein?“
Er musste sich ein Lachen verkneifen. Schon immer war Vittoria recht ungestüm gewesen und hatte nie viel für sich behalten können. „Lass mich doch erst mal eine Frage beantworten.“ Er hörte, wie sie am anderen Ende lachte und es ließ sein Herz etwas leichter werden. Schon lange hatte er sie nicht mehr lachen hören. „Okay, also mir geht es wunderbar. Es ist alles in Ordnung. Und mein Bein, tja das ist leider immer noch außer Gefecht. Doch unser Anwalt war spitzenklasse.“
Meg zog scharf die Luft ein, als er so unvermittelt das Thema wechselte. Sie hatte gehofft noch ein wenig Gnadenfirst zu erhalten, doch ihr Bruder wollte es offenbar schnell hinter sich bringen. „Sagt dir der Name McGillian noch etwas?“ Am anderen Ende herrschte eisiges Schweigen, doch nach ein paar Augenblicken schien sie sich wieder gefangen zu haben. „Dann habt ihr euren Fall sicher gewonnen. Glückwunsch.“ Doch es klang nicht einmal annähernd so, wie es gemeint war.
Irgendwie läuft das Gespräch in die falsche Richtung, dachte er zerknirscht. Eigentlich hatte er gehofft, dass sie etwas besser auf ihren Exverlobten zu sprechen war, doch dann wurde ihm bewusst, was er da verlangte, und von wem. Er würde es also anders versuchen müssen. „Ja, nein, also…“ Verzweifelt suchte er nach den richtigen Worten. „Ich hatte leider das Pech an einen der oberen Zehntausend dieser Stadt zu geraten, wenn du verstehst. Aber Thomas war klasse! So viel steht fest.“ Als sie darauf nicht reagierte, steuerte er erneut in eine andere Richtung. „Wie läuft es denn bei dir so? Nette Männer dabei?“
Aus irgendeinem Grund schnaubte sie plötzlich wütend und er wurde das Gefühl nicht los, dass er schon wieder einen wunden Punkt getroffen hatte. Musste er ausgerechnet heute so zielsicher sein? Seine Schwester warf ihm einen bösen Blick zu, doch er konnte nur hilflos mit den Schultern zucken. „Frag besser nicht“, grummelte sie.
„Ist es wirklich so schlimm da? Ich dachte, Neuseeland soll so schön sein“, fragte er und machte sich innerlich schon bereit für die nächste Niederlage. Doch zu seiner großen Überraschung schien dies endlich etwas zu sein, worüber sie gerne sprach. Freudig sagte sie: „Neuseeland ist auch wunderschön! Ich habe mich regelrecht verliebt in dieses Land. Schade nur, dass ich so große Flugangst habe, sonst würde ich in Zukunft sicher öfter hierher kommen.“ Jemand rief etwas aus dem Hintergrund, was er jedoch nicht verstehen konnte. „Nur leider ist die Gesellschaft nicht sehr angenehm hier.“ Die letzten Worte betonte sie, als stände dieser jemand genau hinter ihr.
„Ist denn wirklich gar kein netter Mann für dich dabei?“
Sie schnaubte erneut. „Glaub mir, wenn mein Chef mich lassen würde, hätte ich ihm schon längst ein One-Way-Ticket zum Mond geschenkt. Auch wenn er in seinem Kostüm ganz passabel aussieht. Und er ist der Einzige, der hier halbwegs in meinem Alter ist. Die meisten sind alte Männer und der andere niedliche Kerl ist eindeutig zu jung für mich. Wobei der auch eher Interesse an seiner Kollegin zeigt, was natürlich keiner von beiden zugeben will.“
Mit einem leichten Klopfen auf das Sprechteil des Handys brachte er sie zum Schweigen. „Entschuldige“, sagte sie kleinlaut. „Ich war abgeschweift. Was wolltest du wissen?“
Er seufzte tief. Hatten eigentlich alle Italiener das Talent, viel zu reden und wenig zuzuhören, oder galt das nur für den weiblichen Teil unter ihnen? „Ob du einen Freund mit nach England bringst, verdammt!“
„Um Gottes Willen, nein!“, rief sie aus und schien sich damit erneut eine Rüge einzufangen, denn wieder drangen Stimmen aus dem Hintergrund durch den Hörer an sein Ohr. „Dieser Kerl ist ein Vollidiot. Ein Trottel, wie er im Buche steht. Und eingebildet noch dazu! Außerdem hat er mir einen Nagel abgerissen.“
Lelex biss sich auf die Unterlippe. Jetzt oder nie, dachte er. „Also kein neuer Freund für dich“, sagte er und sie verneinte. „Aber meine Schwester hat sich jemanden angelacht. Sie mag ihn sehr und er mag sie wohl auch. Doch da scheint es ein kleines Problem zu geben.“
Meg konnte Vittoria einen unterdrückten Jubelschrei ausstoßen hören und sie konnte es ihr nicht mal verdenken. Sie hatte keine Ahnung, wie lange es her war, dass sie ihren Freunden einen Mann vorgestellt hatte. „Wie ist er so? Du musst mir alles erzählen. Sieht er gut aus?“
Er sah seine Schwester hilfesuchend an, die heftig mit dem Kopf nickte. „Oh ja“, sagte er, vielleicht eine Spur zu übertrieben. „Er hat dunkle Haare, ein breites Kreuz, starke Arme und ein ansehnliches Gesicht.“
„Klingt vielversprechend. Was hat er für einen Job?“
„Er ist Anwalt.“ Dieses Mal biss Meg sich auf die Unterlippe. Hoffentlich würde ihre Freundin nicht allzu schnell darauf kommen.
„Und woher kennt sie ihn?“ Meg vermutete, dass Vittoria bei dieser Frage etwas ahnte, doch ihr Bruder rettete die Situation noch einmal. „Aus der Bibliothek“, sagte er. „Und danach hat er ihr einen Kaffee ausgegeben. Bei Starbucks.“
„Gut! Sehr gut“, sagte Vittoria. „Aber wo ist jetzt das Problem?“
Nun war es soweit. Megara krallte ihre Fingernägel in die Bettdecke und zog sie sich über den Kopf. Vielleicht hoffte sie, so das drohende Unheil abwenden zu können, doch nicht einmal zweihunderttausend Kilometer zwischen ihr und ihrer besten Freundin konnten sie noch davor bewahren, was als nächstes geschah. Mit nur fünf Worten brachte ihr Bruder das zarte Gerüst der Freundschaft, welches sich über Jahre zwischen den beiden jungen Frauen sorgsam aufgebaut hatte, erheblich zum Wanken. Sie wollte gar nicht daran denken, dass es wohlmöglich sogar vollkommen einstürzen könnte.
Schnell, um es hinter sich zu bringen, presste er die folgenden Worte heraus: „Sein Name ist Thomas McGillian.“ Dann wartete er ab.
Am anderen Ende, in Neuseeland, wo Vittoria seit ein paar Minuten bereits den Dreh störte und daher immer wieder böse Blicke von Andrew oder den Schauspielern zugeworfen bekam, wenn sie lauthals ihren Gefühlen Ausdruck verlieh, herrschte nun völlige Stille. Sie konnten hören, wie sie schwer in den Hörer atmetet, vermutlich um ihre Fassung wieder zu gewinnen.
Meg fürchtete schon, dass sie in Ohnmacht gefallen war, da seit über einer halben Minute kein Ton mehr über ihre Lippen gekommen war. Doch dann sagte sie endlich etwas. „Thom… Thomas McGillian. Der Thomas McGillian, den ich auch kenne? Thomas McGillian, der Spitzenanwalt? Der, der mich damals gebeten hat, seine Frau zu werden? Dieser Thomas McGillian?!“
Eigentlich traute er sich gar nicht zu antworten, doch da er schon so weit gegangen war, konnte er jetzt nicht einfach ohne ein weiteres Wort auflegen. „Ich fürchte ja“, sagte er stattdessen. Ängstlich kniff er die Augen zusammen, spürte wie sich seine Schwester unter der Bettdecke noch ein wenig weiter zusammenrollte.
Dann brach der Sturm los. „Ich bin dreihunderttausend Kilometer von London entfernt und meiner besten Freundin fällt nichts Besseres ein, als sich an meinen Exverlobten ranzuschmeißen? Glaubt sie denn, dass es mir egal ist, mit wem sie sich trifft? Glaubt sie vielleicht, dass es mir egal ist, dass er mein Exverlobter ist? Also, wenn man solche Freunde hat, braucht man ganz sicher keine Feinde mehr.“
Um zu schlichten, warf Lelex dazwischen: „Aber sie wusste es doch nicht! Sie hat es erst erfahren, nachdem sie miteinander geschlafen haben.“ Für diesen kläglichen Versuch das Gespräch zu entschärfen kassierte er einen heftigen Schlag von seiner Schwester. Und Vittoria brüllte ihm nun ins Ohr: „Und du glaubst, das macht es leichter für mich? Jetzt hat sie sogar schon mit ihm geschlafen! Ich fass es nicht.“
„Genau genommen wart ihr ja gar nicht verlobt“, sagte er kleinlaut. „Du hast seinen Ring ja damals abgelehnt.“ Meg gab ihm ein Zeichen unter der Decke, dass er das Gespräch jetzt besser beenden sollte. Und bevor sie noch etwas erwidern konnte, sagte er schnell: „Hör mal, Vic, mein Arzt kommt. Er will mich untersuchen. Ich muss Schluss machen. Wir hören uns bald wieder, ja? Bye!“
Erleichtert atmete er auf, als er auf den roten Knopf drückte und das erlösende Erlöschen des Displays sah. Es war zwar nicht einmal annähernd so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte, doch immerhin war sie vierhunderttausend Kilometer weit weg und konnte ihre Wut nun nicht an ihm oder Meg auslassen. Und wenn sie Glück hatten, war der Vulkan bereits nur noch am Rauchen, wenn sie wieder in London war.
Am anderen Ende der Welt starrte Vittoria fassungslos auf ihr Handy. Ihr wütendes Gezeter hatte den Dreh nun endgültig unterbrochen und das gesamte Team hatte sie während ihres Telefonats angestarrt. Sie hatten zwar auf die Entfernung kein Wort verstehen können, doch alleine die Tatsache, dass sie auf die Entfernung überhaupt etwas hatten hören können, gab ihnen schon zu denken.
Ben, der nur den Anfang des Gesprächs mitbekommen hatte und darauf schnell die Unterbrechung genutzt hatte, um auszutreten, kehrte gerade zurück. Er sah ihr wütendes, verletztes Gesicht, deutete es aber als ihren normalen Gemütszustand, wenn sie ihre Tage bekommen hatte und schlug ihr spielerisch auf die Schulter. „Wieso sprichst du am Telefon über mich?“, sagte er und versuchte es als Scherz klingen zu lassen.
Während er weiterging und gar nicht mit einer Reaktion von ihr gerechnet hatte, brüllte sie wütend auf und warf ihr Handy nach ihm. Mit einem dumpfen Geräusch klatschte es ihm an den Hinterkopf. Wütend drehte er sich um und wollte ihr schon eine neue Gemeinheit entgegen schleudern, doch dazu kam er schon gar nicht mehr. Er sah nur noch, wie Vittoria weinend davon lief.