LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 11
~ Prayers
Die Flying Dutchman brachte sie über das Meer, ohne dass sie etwas davon gespürt hätte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so sicher auf einem Schiff gefühlt, obwohl um sie herum noch immer die Sommerstürme in der Karibischen See tobten. Doch davon blieben sie unberührt. Ob es an der Güte der Göttin oder am Gebieter über den Wind lag, konnte Maria jedoch nicht sagen. Was sie allerdings wusste, war, dass sie, je weiter sie sich von dem Wrack der El Rubi Segundo entfernte, mit jeder Meile schwächer wurde. Sie hatte bereits vergeblich Captain Turner darum gebeten, auch die anderen Schiffe der Silberflotte zu suchen und in deren Nähe zu bleiben. „Wenn sie sinken, werden wir davon erfahren“, war seine einzige Antwort gewesen.
Nachdem sie ihm ihre Geschichte erzählt hatte, schien er abweisender zu ihr zu sein, als vorher, wo er noch nicht wusste, wer sie war. Und sie konnte es ihm noch nicht einmal verdenken. Wäre sie an seiner Stelle gewesen, hätte sie nicht anders gehandelt. Vermutlich hätte sie sich selbst von Bord geworfen, doch das verbot ihm seine Pflicht als Kapitän der Dutchman. Opferte er eine einzige Seele, konnte das Calypso so sehr erzürnen, dass sie ihn genauso verfluchte wie Davy Jones.
Obwohl das Ungeheuer der sieben Weltmeere bereits seit vielen Jahren den Tod gefunden hatte, schien sein Geist allgegenwärtig zu sein. Die Mannschaft war nicht unfreundlich zu ihr, und doch hatte sie stets das Gefühl, von ihnen beobachtet zu werden wie Beute. Besonders Maccus, der 2. Maat, schien sie als potenzielles Abendessen zu betrachten. Der 1. Maat jedoch, Captain Turners Vater Bootstrap war immer freundlich zu ihr.
„Kann ich Euch noch etwas Gutes tun, Mylady?“, fragte er sie, als sie wie üblich an der Reling stand und gen Westen blickte, in der Hoffnung, die ferne Küste zu entdecken. Sie wusste ganz genau, dass es Unsinn war und dass sie sich eigentlich freuen sollte, endlich in ihre wirkliche Heimat zurück zu fahren. Und doch hing ihr Herz an Louisiana und an ihrer Ziehmutter.
Traurig wandte sie sich zu ihm um, legte ihm eine Hand auf den Arm und sagte: „Nein, vielen Dank. Ich brauche nichts.“ Und gerade, als er wieder gehen wollte, hielt sie ihn auf. „Warum seid Ihr so nett zu mir, Mr. Turner?“
„Nun, mir scheint, dass Ihr ein bisschen Freundlichkeit gut gebrauchen könnt.“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln, was sie sehr an seinen Sohn erinnerte. „Außerdem erinnert Ihr mich an jemanden.“ Damit ließ er sie alleine an der Reling stehen. Eine Weile stand sie noch da und schaute auf das Meer, wie es ruhig vor ihr lag. Die Sturmgöttin war ihnen heute freundlich gesinnt.
„Ich danke dir, Mutter“, flüsterte sie in den Wind. Dabei faltete sie ihre Hände wie zum Gebet. „Danke, dass du mir den rechten Weg weist und mich führst. Halte deine schützende Hand über mich und bringe mich sicher ans andere Ufer, auf dass ich meine Bestimmung erfüllen kann.“
Sie war so sehr in ihre eigenen Worte vertieft, dass sie nicht mehr mitbekam, wie Will hinter sie trat. Er beobachtete sie eine Weile still und musste feststellen, dass sein Vater Recht hatte: sie erinnerte ihn tatsächlich ein bisschen an Elizabeth und dieser Gedanke schmerzte. Er saß wie ein Stachel tief in seinem Fleisch, den er nicht mehr entfernen konnte, der dazu verdammt war, für immer dort zu sitzen, bis ein anderer kam und ihn von seinem Leid erlöste. Doch das würde auch bedeuten, dass er sterben musste. Würde er das wollen?
Die Unsterblichkeit war verlockend, da musste er Jack leider Recht geben. Doch was nützte sie einem schon, wenn man sie alleine verbringen musste? Er hatte etwas gehabt, wofür es sich zu leben gelohnt hatte. Er hatte eine Frau gehabt, die ihn liebte und die er liebte. Jack war schon immer alleine gewesen und würde es vermutlich auch immer bleiben, denn er war nicht in der Lage, etwas wie Liebe für jemanden, außer für ein Schiff und das Meer, zu empfinden. Und doch hatte er ihn gerettet.
„Wofür betet ihr?“
Seine Stimme holte sie zurück in die Gegenwart. Sie öffnete langsam ihre Augen und drehte sich zu ihm um. „Für eine sichere Überfahrt nach Spanien. Und wofür betet Ihr?“
„Ich habe aufgehört zu beten. Gott bedeutet mir nichts. Er hat mich noch nie erhört und wird es in Zukunft auch nicht mehr tun, denn ich bin nicht mehr eines von Seinen Kindern. Jetzt bin ich ein Verdammter.“ Er wirkte unendlich traurig, als er das sagte, und sie musste der Versuchung widerstehen, seine Wange zu streicheln und ihm Trost zu spenden, denn sie wusste von seiner Frau.
Daher lehnte sie sich mit dem Rücken an die Reling und bedeutete ihm, sich zu ihr zu gesellen. „Ein Priester sagte mir mal, dass Gott jeden liebt. Sogar solche Geschöpfe wie Euch und mich.“
Will schnaubte verächtlich. Er war noch nie besonders gläubig gewesen und gedachte auch nicht, das zu ändern. „Der Gedanke mag Euch vielleicht tröstlich vorkommen, doch ich finde es nur töricht.“
Sie lehnte sich ein bisschen vor, um ihm besser ins Gesicht schauen zu können. Seine dunklen Augen verbargen die Trauer schlecht. Jedes Mal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, hatte er diesen Blick drauf, der ihr verriet, dass er alles andere als glücklich mit seinem Schicksal war. „Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, dass Gott mich tröstet. Ich habe nicht zu Ihm gebetet, sondern zur Göttin.“
„Calypso?“ Er zog fragend eine Augenbraue nach oben.
„Atlacamani“, erwiderte sie, und als sie seinen fragenden Blick sah, fuhr sie fort: „Die Göttin der Stürme auf See. Sie ist die Schwester von Calypso in weiterem Sinne, denn alle Götter sind ein Gott und alle Göttinnen sind eine Göttin. Es gibt nur verschiedene Aspekte von Ihnen.“
„Das verstehe ich nicht. Wie kann dann diese Göttin Calypsos Schwester sein?“
„Atlacamani ist die aztekische Form der Göttin des Meeres. Sie war dafür verantwortlich, dass ich die Fahrt hierher in die Neue Welt überlebt habe. Hätte Sie mich nicht beschützt, wäre ich in den tosenden Fluten umgekommen. Sie führte das Schiff, auf dem ich mich befand, sicher ans Festland und nahm mich bei sich auf.“
„Und warum hat sie das getan?“ Ihre Aussagen verwirrten ihn eher, als dass sie ihm hätten Klarheit bringen können. Sie hatte ihm zwar erzählt, wer ihre Eltern waren, doch dass sie von einer Göttin gerettet worden war, das hatte sie bisher verschwiegen.
Doch anstatt einer Antwort lächelte sie ihn nur vielsagend an. „Wir können nicht wissen, was die Götter in Ihrer Weisheit vorhaben. Wir sind nur Spielfiguren, die Sie nach Belieben hin und her schieben, wie es Ihnen gerade passt. Gerade Ihr solltet das wissen, Captain Turner.“
Dann ließ sie ihn mit seinen Gedanken alleine. Hatte sie wohlmöglich Recht? Waren sie nichts weiter als bloße Spielsteine im Spiel der Götter? Wenn das stimmte, hatten Sie dann vielleicht einen Plan, oder geschah alles ohne Grund? Der Gedanke, dass Sie einen Plan haben könnten, beruhigte ihn auf gewisse Weise. Er hatte die Entscheidung, Captain der Flying Dutchman zu werden, nicht selbstständig getroffen. Jack hatte sie ihm abgenommen. Und manchmal fragte er sich, ob er sich selbst vielleicht genauso entschieden hätte, oder ob er Jack den Vortritt gelassen hätte, um bei Elizabeth sein zu können.
Eigentlich wusste er die Antwort: wäre er nicht gestorben, wäre er bei Elizabeth geblieben, hätte mit ihr eine Familie gegründet und wäre vielleicht zurück nach Port Royal gegangen, nachdem alles vorbei war. Doch dazu war es nie gekommen. Sie hatte alleine gehen müssen. Weil sie nicht mitkommen durfte. Doch wieso eigentlich nicht?
„Captain!“ Greenbeard stand plötzlich vor ihm, sein 2. Steuermann. Er war noch jung, groß gewachsen, hatte hellgrüne Augen und um sein Gesicht wuchs ein dichtes Gestrüpp von Haaren, die allerdings entgegen seinem Namen nicht grün, sondern blond waren. Nur manchmal, wenn er sich lange nicht gewachsen hatte, konnte man einen grünlichen Schimmer darin erkennen, wenn Algen und das Meer sich darin verfangen hatten. „Die Silberflotte liegt Backbord von uns.“
Will nickte knapp, zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Dann ging er seinem Handwerk nach. Er befahl den restlichen Überlebenden der Flotte, unter Deck zu bleiben, bis er die Frage gestellt hatte. Doch sie konnten nur noch die Wracks der Schiffe bergen. Die Mannschaft hatte man bereits alle sicher wieder zurück an Land gebracht, nachdem der Hurrikan abgeflaut worden war. Als man sie ließ, kehrte Maria augenblicklich an Deck zurück. „Was ist passiert?“, verlangte sie sofort von Will zu wissen.
„Offenbar hat man die Crew bergen können“, antwortete er, „als ich damit beschäftigt war, Euch aus dem Wasser zu fischen. Es ist niemand sonst mehr umgekommen und somit gibt es keine Seelen, die ins Jenseits begleitet werden müssen. Was ein Glück für Euch ist. Denn entweder müsstet Ihr alle mit in Davy Jones’ Reich kommen oder die Verstorbenen müssten noch vier Jahre auf ihre Erlösung warten.“
Doch das wollte Maria gar nicht wissen. Ungeduldig suchte sie das Wasser unter sich ab, in der Hoffnung, etwas von dem Edelmetall aufblitzen zu sehen. Sie schickte ein Stoßgebet an die Göttin und umklammerte verzweifelt die Reling. Sie konnte spüren, dass der Schatz nahe war. Und doch war sie so schwach, wie schon lange nicht mehr. Vielleicht hätte Captain Turner ihr helfen können, doch sie konnte das Risiko nicht eingehen, ihm die Wahrheit über das Medaillon zu sagen. Dass sie es von einer alten Voodoohexe mit aztekischen Vorfahren erhalten hatte, war schon Wahrheit genug. Mehr konnte sie nicht riskieren zu erzählen. „Wo sind die Schiffe? Ich kann sie spüren, aber ich sehe sie nicht. Wie tief ist das Wasser hier?“
Will zog die Augenbrauen zusammen. Irgendetwas an dieser Frau verursachte bei ihm eine Gänsehaut. Bevor er das Flaggschiff der Flotte aufgespürt hatte, hatten sie schon den Großteil der restlichen Silberflottenmannschaft ins Jenseits geleitet. Der Orkan hatte fast jeden Mann an Bord das Leben gekostet. Nur die El Rubi Segundo, die El Infante und zwei von den Handelsschiffen waren offenbar glimpflich davon gekommen, wie sie jetzt wussten. Also hatte es über fünfzehn Schiffe erwischt und den Großteil der Mannschaft der kompletten Silberflotte. Und sie interessierte sich nur für die Schiffe, die dort unten lagen. Oder lag vielleicht mehr dahinter?
Nur widerwillig gab er ihr eine Antwort. „Das Meer ist nicht besonders tief hier. Vielleicht dreißig Meter. Doch es genügt, um den Schatz dort unten sicher zu verwahren, bis Calypso selbst auf die Idee kommt, ihn zu bergen.“ Er sah, wie sie erleichtert aufatmete. Es behagte ihm ganz und gar nicht, wie sie sich benahm.
„Könnt Ihr mich nicht vielleicht in der Nähe von Gibraltar absetzen, damit ich den Rest an Land schwimmen kann? Ich muss dringend nach Spanien zurück. Mit Schatz wäre mir natürlich lieber, aber es muss auch so gehen.“
„Trauert Ihr überhaupt nicht um die Männer, die untergegangen sind? Seid Ihr so kaltherzig, dass Euch das nicht im Geringsten berührt?“ Ich fixierte sie mit seinen dunklen Augen und sie hätte schwören können, dass sie beinahe schwarz wirkten, und nicht mehr in diesem warmen Braunton glänzten wie noch ein paar Augenblicke zuvor. Wieso war er so wütend auf sie? Sie hatte allen Grund wütend auf ihn zu sein! Immerhin hatte er Calypso die Wahrheit über Davy Jones erzählt und ihr damit das Herz gebrochen. Noch nie hatte es so viele Stürme auf See gegeben, wie in den letzten Jahren. Und noch nie waren sich die beiden Schwestern so ähnlich gewesen.
„Versteht mich bitte nicht falsch, Captain Turner“, sagte sie daher beschwichtigend, „aber ich kannte diese Männer nicht. Ich wurde an Bord gebracht, um nach Spanien übergesetzt zu werden. Und es ist ungemein wichtig, dass ich vor Ende des Jahres dort bin! General de Torres wurde persönlich damit beauftragt, für meine Sicherheit zu garantierten und er verliert den Kopf, sollte mir etwas zustoßen oder ich zu spät in Madrid ankommen. Und wenn er großes Unglück hat, verliert er mehr als nur seinen Kopf.“
Sie wollte ihn schon stehen lassen und wütend davon stürmen, doch er hielt sie an den Oberarmen fest und zwang sie so, ihn anzusehen. „Ihr hört jetzt sofort auf, in diesen Rätseln zu sprechen. Ich möchte klar und deutlich verstehen, worum es hier geht.“ Und als sie ihm nur trotzig ins Gesicht blickte und keine Anstalten machte, etwas dazu zu sagen, schüttelte er sie. „Sagt mir endlich, was hier gespielt wird, verdammt! Warum müsst Ihr nach Spanien zurück? Warum tragt Ihr dieses Medaillon? Und warum, zum Teufel, interessiert Ihr Euch so sehr für diesen verdammten Schatz?“