LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 10
~ Ich schenke Dir mein Herz
Die Zeit in Lothlorien verging wie im Fluge und schon bald merkte ich, dass der Herbst vorbei war. Langsam aber sicher schlich sich der Winter ein. An manchen Morgen konnte ich sogar schon eine dünne Eisschicht auf meinem Fensterbrett fühlen. Doch sobald ich meine Finger darauf niederlegte, schmolz sie weg und legte das nasse Holz frei. Ich beobachtete immer wieder fasziniert, welche Wärme in meiner Haut steckte, wo doch mein Herz so kalt zu sein schien.
Dieser Gedanke erschreckte mich, sollte ich mich doch eigentlich geliebt fühlen. Aber ich hatte nicht das Gefühl, geliebt zu werden. Vielleicht liebte Haldir mich, aber vielleicht fügte er sich auch nur dem Wunsch meiner Mutter und meines Vaters, indem er nur so tat, als würde er mich lieben. Woher sollte ich das schon wissen? Ich würde es nur herausfinden, wenn ich ihn fragte. Doch das zu fragen, wagte ich nicht.
Als die Wintersonnenwende bevorstand, rüsteten sich auch die Gefährten wieder zum Aufbruch. Doch dieses Mal würden sie nur acht sein. Ich wurde traurig, als ich daran dachte, dass ich sie nun alleine ihrem Schicksal überlassen musste. Ich hatte sie ziemlich in mein Herz geschlossen und hatte das Bedürfnis, auf sie aufpassen zu müssen. Wie konnte ich hier sitzen und darauf warten, dass sie es alleine schaffen würden?
Doch dieser Gedanke erschien mir anmaßend. Schließlich war ich nicht ihre Mutter, die ihnen sagen konnte, was sie zu tun oder zu lassen hatten. Ich musste mich damit abfinden, dass mein Weg hier zu Ende war. Vielleicht würde ich sie noch einmal wieder sehen, doch vielleicht war es auch das letzte Mal, dass sie lebend vor mich traten. Ich konnte es nicht sagen. Genauso wenig wie ich bewusst in die Zukunft sehen konnte. Denn ein Gefühl tief in meinem Inneren blockierte meine Voraussicht. Es war wie das Gefühl, das ich bei Legolas’ Blick verspürt hatte.
Der Tag der Abreise war nahe und eines Morgens, als der Nebel noch sachte über den Wassern hing und sich durch die Bäume schlängelte, versammelte sich die Gemeinschaft an unserem Hafen. Unser Volk stellte ihnen drei elbische Boote zur Verfügung, die, sollte die See noch so rau sein, nicht zum Kentern gebracht werden könnten. Außerdem versorgten unsere Bäcker sie mit Lembas. Es sollte ihren Hunger auf der langen Reise stillen.
Haldir war wieder auf seinen Posten an den Grenzen Lothloriens gegangen und hatte mich mit dem Abschied alleine zurückgelassen. Er vertraute darauf, dass ich nicht gehen würde. Und ich würde auch nicht gehen, denn Varda hatte mir in meinen Träumen berichtet, dass mein Platz hier war, bis jemand mich holen kam.
Meine Mutter ließ eine junge Elbe zu mir schicken und diese führten mich hinunter zum Fluss. Dort hatten sich bereits alle versammelt und ich fragte mich, was ich hier noch zu suchen hatte. Doch meine Mutter teilte mir mit, dass ich mich persönlich von den Gefährten verabschieden sollte, aus Höflichkeit.
Als die Boote beladen waren, stellten sich acht Elben in einer Reihe auf, ich war unter ihnen, vor ihnen die noch verbliebenen acht Gefährten. Wir legten ihnen elbischen Mäntel um, gehalten mit einer Brosche in der Form eines Blattes. Ich sollte Legolas den Mantel umlegen, denn als Prinzessin von Lothlorien war es meine Aufgabe, dem Prinzen von Düsterwald im Namen meiner Familie Ehrerbietung zu erweisen.
Als ich die Brosche an seinem Hals schloss, zitterten meine Finger. Mein Herz schlug mir bis zum Halse und ich konnte nicht verstehen, warum. Er bedeutete mir doch im Grunde genommen nichts. Mein Platz war hier bei meinem Verlobten und den würde ich bis in alle Ewigkeit einhalten, denn ich wurde so erzogen, mich dem Willen meiner Eltern zu beugen.
Und doch stieg wieder diese Wärme in mein Gesicht und verriet mir, dass sich meine Wangen rot färbten. Meine Ohren glühten, als ich ihn ansah und seine blauen Augen direkt in meine blickten. Ich muss mich schnell abwenden, denn ich hatte Angst, dass er mich auslachen würde. Doch er verneigte sich nur, zum Zeichen, dass er unsere Gastfreundschaft genossen hatte und sich freute, den Goldenen Wald noch einmal betreten zu dürfen. Und ich antwortete ihm mit einem Nicken meines Kopfes, dann zog ich mich zurück. Jetzt hatten meine Eltern zu sprechen.
„Niemals zuvor haben wir Fremde in die Gewänder unseres eigenen Volkes gekleidet“, sprach mein Vater, als die Gefährten ihre Mäntel in den Farben des Waldes trugen. „Diese Mäntel vermögen es, euch dem Anblick unfreundlicher Augen zu entziehen.“
Ich konnte nur hoffen, dass er dabei Recht behielt. Auch wenn sie im Schutze der Dämmerung aufbrechen und sie auf dem Fluss schnell vorankommen würden, konnten die Mäntel sie immer noch nicht vor Pfeilen und Klingen schützen und das machte mir Sorgen. Auf dem Anduin wären sie ein leichtes Ziel, wenn die Felsenschluchten nah am Wasser standen und sie mitten hindurch fahren mussten. Außerdem war der Platz, an dem die Argonath standen, ein viel versprechendes Versteck für einen Hinterhalt. Ich hatte allgemein etwas gegen den Plan meines Vaters gehabt, da ich immer noch vermutete, dass Gollum hinter ihnen her war, sich aber nicht trauen würde, zu nahe an unsere Elbensiedlung zu kommen und deswegen jetzt am Fluss auf sie warten würde. Aber er hatte meine Bedenken in den Wind geschlagen und dies für den sichersten Weg erklärt. Und ich hatte mich zu fügen.
Nun ging meine Mutter an jedem einzelnen vorbei und ich ging hinter ihr. Sie hatte für jeden ein Geschenk bereit, so dass sie sich immer an Lothlorien und uns erinnern würden. Und natürlich hatte jedes der Geschenke eine besondere Bedeutung für den, der es erhielt. Welche das jedoch sein würde, mussten sie von selbst herausfinden.
„Mein Geschenk an dich, Legolas“, sprach meine Mutter und ich reichte ihm das Geschenk, denn er war als Erster an der Reihe, „ist ein Bogen der Galadhrim. Er ist denen unserer Verwandten aus den Wäldern würdig.“ Legolas nahm den Bogen staunend entgegen und streichelte zart über das Holz. Er spannte die Sehne und schien nur darauf zu warten, Orks mit ihm erlegen zu können.
Für einen winzigen Augenblick wünschte ich, dass er meine Haut so streicheln würde wie das Holz des Bogens. Doch sogleich trat wieder diese Röte auf meine Wangen und ich schlug die Augen nieder. Ich schämte mich für diesen Gedanken sehr.
Meine Mutter ging weiter und trat vor die Hobbits. Ich nahm ihre Geschenke von einem Elb entgegen und reichte sie ihnen. Meine Mutter sprach: „Dies sind die Dolche der Noldo. Sie sind bereits in Schlachten getragen wurden.“ Den Rest hörte ich nicht mehr, denn ich war zu abgelenkt. Hatte ich eben noch versucht, meine Gedanken auf den Abschied zu lenken, waren sie jetzt weit weg. Ich überreichte den Gefährten nacheinander ihre Geschenke, die mir ein Elb übergab und lief meiner Mutter hinterher.
Ich fühlte mich mit einem Male sehr schlecht und wünschte, dass ich an einem anderen Ort wäre. Ich wünschte mich in Haldirs Arme und das erschien mir seltsam, denn diesen Wunsch hatte ich selten verspürt, und schon überhaupt nicht mit dieser Intensität. Auch wunderte mich, dass ich eben mir noch gewünscht hatte, in Legolas’ Armen zu liegen und jetzt wollte ich zurück zu meinem Verlobten. Ich konnte mich selbst nicht verstehen und warum ich so aufgewühlt war.
Erst als ich die Phiole, die für Frodo bestimmt war, in den Händen hielt, kehrte mein Geist aus der Verbannung zurück. Ich reichte meiner Mutter das Glas und hörte ihre Stimme. „Leb wohl, Frodo Beutlin. Ich schenke dir das Licht Eärendils, unseres geliebten Sterns. Möge es dir ein Licht an dunklen Orten sein, wenn alle anderen Lichter ausgehen.“ Sie neigte ihr Gesicht zu ihm hinunter und hauchte ihm einen Kuss auf den Scheitel. Dann war ich erlöst.
Nach der zeremoniellen Verabschiedung nahm mein Vater Aragorn noch einmal zur Seite, während die anderen in die Boote stiegen. Er berichtete ihm, was unsere Späher uns einen Abend zuvor mitgeteilt hatten; dass Orks das westliche Ufer des Anduin besetzten und sich diese Orks nicht nur in Dunkelheit, was normal für sie wäre, sondern auch bei hellem Sonnenschein fortbewegten. Sie würden sehr vorsichtig sein müssen und ich hatte schon erhofft, mein Vater würde seinen Plan noch einmal überdenken und sie den Fluss zu Fuß entlang schicken, doch er gab Aragorn nur einen Dolch aus unseren Schmieden, dann entsandte er ihn und die anderen mit ihm.
Mein Vater gesellte sich zu den Elben auf die Brücke und blickte den Acht von dort aus hinterher, bis sie in unseren Booten, mit unserer Nahrung und unserer Kleidung um die Biegung des Flusses verschwunden waren. Und meine Mutter stand am Ufer und hob die Hand, an der Nenya glitzerte zum Abschied.
Ich jedoch hatte mich zurückgezogen, als ich die Phiole übergeben hatte, und beobachtete die Fahrt der Gefährten von einem Ast aus. Mein Kleid war an ein paar Zweigen hängen geblieben, doch das störte mich nicht. Ich wollte sicher gehen, dass ihnen nichts passierte, solange sie noch in der Nähe unserer Grenzen waren. Wenn ihnen denn jetzt etwas geschehen würde und ich es nicht verhindern konnte, war meine Aufgabe gescheitert und meine Ausbildung und mein Leid umsonst gewesen.
Doch als die Boote aus meinem Blickfeld verschwunden waren, legte sich plötzlich eine tiefe Traurigkeit über mein Herz. Ich hatte in gewisser Weise erwartet, dass noch etwas geschehen würde, was sie noch ein paar Tage, oder sogar Monate, bei uns hielt. Ich konnte sie nicht einfach so ziehen lassen und in diesem Moment wurde mir auch klar, warum ich das nicht konnte. Wenn ich sie jetzt gehen ließe, hieße das für mich, mein Schicksal, mein Leben, mein Leid, in ihren Händen zu lassen. Ich hatte jetzt keine Gewalt mehr über das Geschehen, auch wenn ich vorher nicht viel hätte ausrichten können, blieb mir immer noch die Illusion, dass ich das Schlimmste hätte verhindern können.
Doch jetzt, wo sie weg waren, war mein Schicksal nicht mehr aufzuhalten. Es war wie eine riesen Lawine, die auf mich zukam und ich hatte keine Möglichkeit, sie aufzuhalten oder ihr aus dem Weg zu gehen. Jetzt konnte mich nur noch jemand retten, genau wie auf den eisigen Höhen des Caradhras. Würde mein Schicksal auch dieses Mal von Legolas abhängen?
~*~*~*~
Die Tage, die ich jetzt wieder zu Hause verbrachte, hatten keinen Inhalt, der mich hätte ablenken können. Alles schien trostlos, und das lag nicht allein an den Blättern, die ihre Bäume nicht mehr schmückten. Meine Mutter konnte mir keine Freude machen, indem sie mir einen Blick in ihren Spiegel schenkte, denn er zeigte mir nur Valinor, das was ich mir am meisten ersehnte. Ab und zu huschte auch Legolas’ oder Haldirs Gesicht über die Wasseroberfläche, aber die Bilder hatten keinen Zusammenhang für mich.
Mein Vater versuchte mich aufzuheitern, denn auch er wusste, dass ich mein Schicksal nicht mehr selbst bestimmten konnte, und ließ mich Kampfübungen auf den Ebenen machen. Doch auch hier war ich nur mit halben Herzen dabei.
Als ich eines Abends müde und doch nicht erschöpft genug, um schlafen zu können, nach Hause kam, wartete Haldir auf mich. Er hatte die Hände hinter seinem Rücken verborgen und lächelte mich warm an. Ich hatte keine besondere Lust auf Spielchen und war auch etwas ärgerlich, dass er sich Tage lang nicht hatte bei mir blicken lassen, doch ich schluckte die Wut hinunter und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Auf meine Frage hin, was er hier machte, zog er die Hand hinter seinem Rücken hervor und schenkte mir eine Frühlingsblume.
Ihre blassblauen Blüten, die im letzten Abendlicht einen violetten Schimmer verpasst bekamen, erinnerten mich wieder an Valinor. Doch ich wollte ihm seine Überraschung nicht verderben und ließ mich von ihm entführen. Ich schloss meine Augen, wie er es von mir verlangte, und folgte ihm, meine Hand in seiner. Wir liefen bis es schon dunkel sein musste und ich spürte plötzlich, dass mir dieser Platz vertraut war. Als wir noch ein Stück weiter liefen, hörte ich auch endlich das Platschen von Wasser über glatt geschliffene Steine: er führte mich zum Nimrodel.
Als wir dem Fluss ganz nahe waren, setzte er mich nieder ans Ufer. Er benetzte meine Füße, doch das Wasser war mir zu kalt. Ich öffnete die Augen und in diesem Moment konnte ich nicht anders als ihn zu küssen. Und bei diesem Kuss schien eine Verbindung zu entstehen, die man nur mit Liebe erklären kann. Mit einem Mal fühlte ich mich frei von der Last, die mich seit meiner Geburt drückte und die ich nicht alleine zu tragen in der Lage war. Ich fühlte mich nicht mehr alleine und hilflos, denn ich wusste jetzt, dass Haldir mich wirklich aus tiefstem Herzen liebte und ich konnte mich auf ihn verlassen, wenn das Schicksal es mal nicht sehr gut mit mir meinen sollte.
Doch das wichtigste Gefühl, das mir dieser Kuss gab, war die Gleichgültigkeit gegenüber Legolas, die mich mit einem Mal überkam. Ich begriff, dass ich ihn nicht liebte und es auch nicht durfte. Hätte ich die Verbindung mit Haldir gelöst, die ja nun immerhin seit meiner Geburt beschlossen war, hätte ich seine Familie zutiefst beleidigt und meine Familie entehrt. Ich hatte keine andere Wahl, als ihn bald zu heiraten. Aber in diesem Moment, mit diesem Kuss, gab es für mich sowieso keine andere Möglichkeit mehr, denn er liebte mich und ich würde es lernen, ihn zu lieben.
Wir waren noch lange in dieser Umarmung und diesen Kuss versunken, und das so sehr, dass wir nicht hörten, wie sich jemand an uns heranschlich. Erst als er genau vor uns stand, schraken wir hoch. Haldir zog sofort seinen Dolch, doch Verteidigung war hier nicht nötig.
„Bringt mich zu Celeborn und Galadriel“, sprach Gandalf, der Weiße und wir brachten ihn zu meinen Eltern.