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Kapitel 10

 

~ Love the Way you cry

 

Viel zu bald schon brach die letzte Drehwoche in Neuseeland an und in nur zehn Tagen würde Vittoria wieder in ein Flugzeug steigen und zurück fliegen müssen. Wenn sie jetzt daran dachte, wurde ihr bereits schlecht. Doch sie hatte nicht vor, ihre Schwäche so offen zur Schau zu stellen. Sie würde es hoffentlich mit Fassung tragen, wenn es soweit war.

 

Andrew war ein richtiger Schatz gewesen und hatte ihr zwei Tage Urlaub gegönnt. Diese hatte Vittoria genutzt und war mit dem Auto durch die Gegend gefahren. Sie hatte Fotos gemacht und jeden Ort besucht, den sie auch nur ansatzweise toll finden könnte. Am Nachmittag des zweiten Tages stand sie auf der Great Barrier Island an den Klippen und wünschte sich, dass sie fliegen könnte. Nicht in einem Flugzeug oder Hubschrauber, sondern eher wie ein Vogel, und sie würde alles von oben sehen können.

 

Doch dann dachte sie daran, dass ihr von ihrer eigenen Fliegerei sicher auch schlecht werden würde und sie begnügte sich mit ein paar Fotos, die sie von den Klippen machte. Abends, als sie wieder zu Hause war, nahm sie die Bilder aus dem Umschlag, die sie sich hatte ausdrucken lassen, und nahm ein leeres, in Leder gebundenes Buch zur Hand.

 

Bis spät in die Nacht saß sie daran, die Bilder einzukleben und kleine Geschichten unter jedes zu schreiben, bis es halb voll war. Und sie hatte nicht nur Landschaftsbilder eingeklebt, sondern auch ein paar Schnappschüsse, die sie beim Dreh gemacht hatte. Zu Hause in London würde dieses Buch einen Ehrenplatz in ihrem Büro bekommen und sie würde sich ganz sicher gerne damit vor den Kamin setzen und an die Zeit hier zurückdenken.

 

Am nächsten Tag musste sie wieder früh aufstehen, und dass, obwohl sie erst vor weniger als vier Stunden in Bett war, und zum Set fahren. Es würde erneut eine Szene mit allen zusammen gedreht werden und Andrew hatte sie als ziemlich knifflig betitelt. Vittoria sah das allerdings anders. Die große Schlachtszene würde hauptsächlich mit computeranimierten Figuren aufgefüllt werden. Daher hatte man erst ein paar Aufnahmen ohne Darsteller gemacht.

 

Gähnend nahm Vittoria in ihrem Stuhl platz und blätterte noch einmal die Seiten durch, die heute zur Ausführung anstanden. Es war nicht viel, doch es würde einen entscheidenden Punkt im Film darstellen, in welchem Peter und Kaspian ihre Kräfte austesten würden. Gelangweilt legte sie das Skript wieder weg. Sie kannte es auswendig. Wenn es irgendetwas für sie zu tun gab, würde man sie sicher wecken.

 

„… Blödsinn!“ Lautes Stimmengewirr schreckte sie aus ihrem unruhigen Dämmerschlaf hoch. Jemand hatte laut gerufen. Verwirrt blickte sie sich um und sah, wie Andrew auf Will einredete. Dieser hatte die Arme vor der Brust verschränkt und trommelte mit dem rechten Fuß auf dem Boden rum. Neugierig kletterte sie von ihrem Stuhl herunter, stellte fest, dass ihre Beine eingeschlafen waren, und kam humpelnd näher.

 

„Es wäre logischer“, sagte Will zu Andrew, „wenn Kaspian zuerst sein Schwert ziehen würde. Schließlich provoziert Peter ihn.“

 

Andrew rang die Hände. Suchend glitt sein Blick über die versammelten Leute und fand schließlich Vittoria. Schnell versuchte sie noch sich umzudrehen und zu fliehen, doch es war zu spät. Er rief ihren Namen, packte sie einen Augenblick später an der Schulter und zog sie genau in die Mitte des Tumultes. Schüchtern lächelte sie in die Runde. „Was gibt’s?“

 

„Ärger“, sagte Ben und verpasste Will einen Seitenhieb mit dem Ellbogen. „Unser kleiner König übt Kritik an deinem Drehbuch.“ Will drehte sich empört zu ihm um und streckte ihm die Zunge raus. Vittoria konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, doch es gefror sogleich auf ihrem Gesicht, als sie Andrews flehenden Blick sah, der eindeutig sagte: Bitte, rette mich!

 

Sie seufzte auf. „Okay, geht ihr bitte wieder auf Anfang zurück und spielt es noch einmal durch für mich? Dann sehen wir, wo das Problem liegt.“ Da Andrew sich aber schon wieder hinter die Kamera stellen wollte, hielt sie ihn auf. „Ich möchte es ohne Kamera probieren. Vielleicht fällt dann die Nervosität von den Schauspielern ab.“ Sie zwinkerte ihm zu und stellte sich neben ihn, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete, bis alle ihre Position eingenommen hatten. Dann gab sie das Zeichen.

 

Als man wieder an der scheinbar problematischen Stelle angelangt war, stoppte sie. Will und Ben waren sich so nahe gekommen, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten, und blickten sich beide finster an. Sie betrachtete die beiden mit ein wenig Eifersucht, denn sie war nie eine gute Schauspielerin gewesen. Sie hatte nicht mal ihren Eltern vorlügen können, dass sie gute Noten in der Schule geschrieben hatte. Doch jetzt erkannte sie, was Will meinte.

 

„Na gut“, sagte sie und schritt langsam auf die beiden zu, die sich bequem, aber immer noch auf ihrer Position, hingestellt hatten. „Peter und Kaspian schaukeln sich beide an den Worten des anderen hoch. Sie können sich beide nicht leiden und würden den anderen am liebsten in die Wüste jagen.“

 

Ben fuhr ihr genervt dazwischen, bevor sie noch mehr sagen konnte. „Wir kennen unsere Intention“, sagte er und verschränkte nun seinerseits die Arme vor der Brust, was seine Oberarme ziemlich muskulös aussehen lies. Vittoria staunte nicht schlecht, als sie das sah. Immerhin hatte sie ihn für eine Bohnenstange gehalten. „Jetzt möchten wir von dir wissen, wer zuerst das Schwert zieht.“ Er sagte diesen letzten Satz so, als würde er zu einem Kleinkind sprechen, was so langen Sätzen noch nicht folgen konnte, und wie durch ein Wunder vergas sie seine starken Arme und konnte sich wieder nur über ihn ärgern.

 

Was glaubte er eigentlich, für wen er sich hier hielt? Für Richard Löwenherz? Wenn diese Sticheleien nicht bald aufhörten, würde sie ihm doch noch eine Ohrfeige verpassen. Selbst wenn er Sean Connery wäre, auch er hatte den Regieanweisungen zu folgen. Sie atmete einmal tief durch, schloss die Augen, und versuchte sich vorzustellen, wie sie die Szene angedacht hatte, als sie das Drehbuch schrieb.

 

Gedanklich spielte sie alle Stellen noch einmal durch, in denen Kaspian und Peter feindselig aufeinander trafen, und überlegte, wie sie den gordischen Knoten gelöst hatte. Sie hatte gewollt, dass weder Peter noch Kaspian als zu positiv oder zu negativ dargestellt werden würde. Sie hatte alles im Gleichgewicht halten wollen, damit keine Sympathie für eine Person hergestellt werden konnte. Man sollte beide mögen und ihnen beiden wünschen, dass sie den Thron bestiegen.

 

Sie klatschte in die Hände und Ben schreckte auf. Er hatte schon gedacht, dass sie im Stehen eingeschlafen war, weil sie so lange nichts mehr gesagt hatte. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke nicht, dass sie ihm nun sagen würde, wie er seine Rolle zu spielen hatte. Sie hatte schließlich nur das Drehbuch geschrieben.

 

„Also“, sagte sie und umkreiste beide Darsteller wie ein Hai, der gleich zustoßen wollte. Ben lief ein Schauer über den Rücken, als er das Funkeln in ihren Augen sah. Sie war wirklich seltsam. „Können wir es vielleicht mal so probieren, dass Kaspian auf Peters letzten Ausruf mit einem wütenden Schrei antwortet und beide gleichzeitig die Schwerter ziehen? Was meint ihr?“

 

„Klingt nicht schlecht“, sagte Will und wollte schon wieder zu seiner Anfangsposition zurückkehren, doch Ben hielt ihn zurück. „Wie soll denn das bitte funktionieren?“, fragte er und man konnte einen leicht genervten Unterton in seiner Stimme hören. „Soll ich einen Urschrei ausstoßen und mir auf der Brust rumtrommeln?“

 

Vittoria biss sich auf die Lippe. Wieso musste er immer alles kaputt machen? In ihrer Ehre verletzt ging sie auf ihn zu. „Weißt du was, Tarzan“, fauchte sie und griff an seinen Gürtel. Ben sprang einen Schritt zurück, doch sie hatte nach seinem Schwert gegriffen und es auch schon aus der Scheide gezogen. „Wenn du dir zu fein dafür bist, dann werde ich dir einfach mal zeigen, wie ich mir das so vorstelle, Prinzesschen. Auf Anfang!“

 

Und weil keiner mit ihr in diesem Zustand verhandelt wollte, am allerwenigsten Andrew, rief er die Crew zur Ordnung und warf Will einen strafenden Blick zu, denn er hatte gesehen, dass der junge Darsteller etwas hatte sagen wollen.

 

Auch dieses Mal wurde die Szene ohne Kamera gedreht, denn Vittoria hatte keine große Lust, dass ihr Gesicht irgendwo auf Film gebannt wurde. Wer wusste schon, wo die Bänder nachher landeten. Sie nahm also Kaspians Position ein und sprach den Text auswendig mit. Anna bedachte sie mit einem beeindruckenden Blick und lächelte Georgie zu, die das Ganze ziemlich lustig fand. Nachdem sie ihre Zeile gesagt hatte, hielt sie sich im Hintergrund und beobachtete, wie Bens Gesicht immer düsterer wurde.

 

Als sie an die Stelle mit den Schwertern kam, sagte Will seinen letzten Satz und duckte sich ein wenig, denn er hatte keine Ahnung, was Vittoria nun vorhatte. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt, denn Kaspian war weitergelaufen, während Peter stehen geblieben war. Nun drehte sie sich mit einem unterdrückten Brüllen um, funkelte Will wütend an, und aus Instinkt zog er sein Schwert, um sich vor ihr zu verteidigen.

 

Bevor das Metall jedoch aufeinander prallen konnte, stoppte sie. Sie atmete ein paar Mal tief durch, dann ließ sie das Schwert sinken und drehte sich zu Andrew um. Dieser schenkte ihr einen anerkennenden Blick und nickte. „Nicht schlecht“, sagte er. „Vielleicht haben wir doch den falschen Kaspian gecastet.“ Die Crew um ihn herum lachte auf.

 

Ben hatte gesehen, wie sie sich bewegt hatte, und war mit jedem Schritt, den sie in seiner Rolle getan hatte, nur wütender geworden. Nach dem Abend bei Georgie hatte er gedacht, dass sie vielleicht doch nicht ganz so schlimm war, wie er zuerst gedacht hatte, nämlich eine zickige, aufgeblasene, schrullige Schriftstellerin, die keine Ahnung hatte. Doch nun glaubte er das nicht mehr. Jetzt hielt er sie für eine eingebildete, zickige, aufgeblasene Schriftstellerin, die keine Ahnung vom Schauspielern hatte.

 

Bei der Szene hatte er Wills Augen gesehen und gemerkt, dass er bei ihm nie solch eine Furcht gezeigt hatte, wenn sie miteinander spielten. Und es kam ihm so vor, als hätte man ihm seine Eier abgeschnitten als Andrew andeutete, dass nun eine Frau in einer Männerrolle besser sein sollte als er. Einfach lächerlich!

 

Wütend und enttäuscht, was bei ihm eine gefährliche Mischung war, ging er auf Vittoria zu, die sich mit Will nun intensiv über die Szene unterhielt, und riss ihr sein Schwert aus der Hand. Sie schrie kurz auf, doch er ignorierte es und schob sie zur Seite. „Mach Platz, Kleines“, sagte er und hoffte, dass er dabei möglichst fies und männlich rüber kam. „Lass mich das lieber machen, bevor du dich noch verletzt. Schwerter sind nichts für kleine Mädchen.“

 

Die Ohrfeige, die sie ihm nun verpasste, hatte er nicht kommen sehen. Sein Kopf ruckte ein Stück zur Seite und seine Wange begann plötzlich zu brennen, noch bevor er überhaupt begriff, dass sie sich bewegt hatte. Verdutzt drehte er sich zu ihr um und starrte sie ungläubig an, als könne er nicht begreifen, was sie soeben getan hatte.

 

„Du blutest ja!“, rief Will aus und wollte seine Wange befühlen. Doch Ben schlug seine Hand weg und tastete selber danach. Als er seinen Blick für einen kurzen Moment von ihren Funken sprühenden Augen abwandte, sah er Blut an seinen Fingern. Doch bevor er richtig wütend werden konnte, fuhr sie ihm über den Mund.

 

„Keine Sorge, Prinzessin“, zischte sie und hob ihre Hand, mit der sie das Schwert gehalten hatte. „Das ist mein Blut.“ Er sah noch, dass der Fingernagel ihres Zeigefingers bis zur Mitte eingerissen war und stark blutete, dann stürmte sie davon.

 

Sofort machten sich Schuldgefühle in ihm breit, denn die Wunde hatte er ihr zugefügt, indem er ihr das Schwert aus der Hand gerissen hatte. Und irgendwie dachte er auch, dass er die Ohrfeige verdient hätte, doch dann überwog wieder die Wut über ihre heftige Reaktion und er schnaubte, wandte sich ab und ging zur Maske. Die Visagistin wusch ihm das Blut ab und puderte ihn neu, dann kehrte er zum Set zurück, als wäre nichts gewesen. „Können wir dann weitermachen?“, fragte er und sah Andrew an.

 

Der Regisseur hatte das Schauspiel mit gemischten Gefühlen betrachtet. Er konnte sich nicht erklären, warum die beiden immer noch so unglaublich sauer aufeinander waren. Die Sache mit der Dusche war doch schon fast Monate her. Wie konnte man sich daran immer noch so hochziehen? Vermutlich wussten die beiden nicht mal mehr, warum sie so sauer aufeinander waren, sondern nutzten einfach so jede Gelegenheit, um dem anderen eins reinzuwürgen. Doch er würde sich da nicht einmischen. Er hatte keine Lust, nachher selber in die Schusslinie zu geraten. Also rief er die Crew zur Ordnung und gab das Zeichen für die nächste Klappe.

 

Während Ben nun diese Szene immer und immer wieder mit Will drehte, ging ihm Vittorias Gesichtsausdruck nicht aus dem Kopf. Sie hatte so verletzlich ausgesehen, wie ein Reh, was sich nicht bewegen konnte, weil es starr vor Angst in das helle Scheinwerferlicht blickte. Hatte er wirklich nur ihren Finger oder auch ihre Gefühle verletzt?

 

Er konnte sich das alles nicht erklären. War sie etwa immer noch sauer auf ihn, weil er sie damals nackt gesehen hatte? Irgendwie konnte er das nicht glauben. Dabei hatte es vor drei Tagen noch ganz anders ausgesehen. Es hatte beinahe so gewirkt, als würden sie sich sogar richtig gut verstehen. Der Abend war lustig gewesen und er war gerne dort bei ihnen allen gewesen. Wie konnte man das so schnell wieder kaputt machen?

 

Sie sollte einfach nur lernen, ihre Zunge mal im Zaum zu halten. Wenn sie nicht immer so vorlaut wäre, dann hätte er sicher nicht immer einen Grund ihr auch mal Paroli bieten zu müssen. Schließlich konnte er das auch nicht auf sich sitzen lassen, wenn sie ihn immer Prinzessin nannte und anscheinend alles besser wusste als er. Wieso war sie nur immer so altklug? Er konnte solche Leute nicht leiden.

 

„Ben! Bist du noch bei uns?“ Eine Hand wedelte vor seinem Gesicht hin und her und er begriff, dass er mitten in der Szene angehalten und nachgedacht hatte. Er musste sich wirklich zusammenreißen, denn wenn sie jetzt auch noch alles ruinierte, obwohl sie überhaupt nicht mehr da war, dann war es auch kein Wunder, dass er sie nicht leiden konnte.

 

Abends, als die Szene endlich im Kasten war, saß er mit Will und Skandar im Wohnwagen und legte Prinz Kaspian ab. Immer wieder leuchteten ihre wütenden Augen vor ihm auf und er musste sich jedes Mal beinahe selbst ohrfeigen, damit er aufhörte, an sie zu denken.

 

Als sie fast fertig waren, fragte Skandar, der gerade seine Turnschuhe anzog: „Was ist das eigentlich zwischen euch, Ben?“ Irgendwie hatte er gehofft, dem Thema aus dem Weg gehen zu können, aber da hatte er die Rechnung wohl ohne die beiden neugierigsten Könige des Planeten gemacht.

 

Er versuchte die Frage so gut es ging zu überhören, indem er so tat, als wäre es furchtbar kompliziert, seinen Gürtel zuzumachen, doch Skandar wiederholte seine Frage noch einmal und dann konnte er es nicht mehr ignorieren. Ergeben seufzte er. „Ich hab keine Ahnung, okay? Ich weiß nicht, warum sie so sauer auf mich ist. Ich hab ihr nichts getan. Sie war es, die eine…“ Doch er brach mitten im Satz ab. Wenn er ihnen erzählte, dass sie die Shampooflasche nach ihm geworfen hatte, dann müsste er auch erzählen, dass er sie unter der Dusche erwischt hatte. Und das würde sie ihm bestimmt nie mehr verzeihen.

 

Doch zu seinem großen Unglück hatte er mit diesem einen Halbsatz die Neugier der beiden nur noch mehr geweckt und sie fingen umso stärker an ihn mit Fragen zu löchern. Als sie alle endlich wieder sie selbst waren, verließen sie den Wohnwagen gemeinsam und Ben musste sich die Finger in die Ohren stecken, damit er das nervige Gefrage nicht mehr hören musste.

 

Als auch noch Georgie und Anna auf ihn zukamen und unmissverständlich ebenfalls auf ihn einredeten, hielt er es nicht mehr aus. „Ruhe!“, brüllte er und alle vier verstummten mit einem Mal. „Ich werde es euch nicht sagen, verstanden? Kein Wort kommt davon über diese Lippen. Und jetzt lasst mich bitte endlich damit in Ruhe.“

 

Er schob Anna und Skandar zur Seite, die ihm den Weg verstellten, doch bevor er weit genug von ihnen weg war, hatten die Mädchen ihn schon wieder eingeholt. „Na gut“, sagte Anna, „wir fragen dich nicht mehr.“

 

„Aber wir haben eine Idee“, sagte Georgie und hüpfte aufgeregt vor ihm auf und ab. „Eine Idee, wie du und Vic euch versöhnen könnt“, beendete Anna den Satz und er wurde das Gefühl nicht los, dass die beiden das Ganze einstudiert hatten. Er zog eine Augenbraue nach oben und gab ihnen damit ein Zeichen, dass er zuhörte, obwohl er eigentlich gar nicht wissen wollte, was sie zu sagen hatten. Er hoffte einfach nur, dass sie ihn in Ruhe lassen würden, wenn sie es losgeworden waren.

 

Die beiden Mädchen sahen sich lächelnd an. „Ein Essen“, sagten sie wie aus einem Mund und er konnte sich gar nicht entscheiden, welche von beiden zufriedener mit sich selbst aussah.

 

„Was denn für ein Essen?“, fragte er und wollte sich schon wieder an ihnen vorbeischieben, doch sie verstellten ihm erneut den Weg. „Na, du fragst sie, ob du sie zum Essen einladen darfst“, sagte Anna und Georgie fügte hinzu: „Als Entschuldigung, sozusagen.“

 

„Als Entschuldigung wofür denn bitte?“

 

„Na, für deinen kleinen Ausraster eben“, sagte Georgie. Sie sah ihn an, als wäre es das Natürlichste von der Welt, dass er ihren Gedankengängen folgen konnte. Doch alles, was er hörte, war Unfug.

 

Abwehrend hob er die Hände. „Moment mal“, sagte er und trat einen Schritt zurück. „Sie hat mir doch die Ohrfeige verpasst.“

 

Anna machte den Schritt, den er von ihnen weggemacht hatte, wieder auf ihn zu. „Ja, aber nur, weil du ihr den Fingernagel abgerissen hast.“

 

„Sie hätte sich eben nicht so aufplustern und meinen Part unbedingt vorspielen sollen.“

 

„Doch nur, weil du dich geweigert hast, es selber zu tun.“

 

„Sie muss ja immer alles besser wissen!“, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Nun würde sie nichts mehr sagen können, dachte er siegessicher.

 

Doch er hatte sich geirrt. „Vielleicht solltest du deinen Stolz mal für eine kleine Weile überwinden und daran denken, dass sie das Drehbuch geschrieben hat. Sie weiß tatsächlich alles besser und es sollte dir eine Ehre sein, dass sie dir helfen möchte, deine Figur etwas originalgetreuer darzustellen.“ Und als er nichts mehr darauf erwiderte, weil er so verblüfft war, fügte Anna noch hinzu: „Also, was ist jetzt mit dem Essen? Wirst du es tun?“

 

Wenn er die Situation so betrachtete, mochten die beiden Recht haben. Er hatte sich ein wenig sehr in seinem Stolz verletzt gefühlt, und das nur, weil Andrew einen Witz darüber gemacht hatte, dass er vielleicht nicht der Richtige für diesen Job war. Aber es war auch sein Stolz, der ihn jetzt davon abhielt, der Idee der Mädchen zuzustimmen. Dieses Mal hielten sie ihn nicht auf, als er an ihnen vorbei ging. „Sie würde sowieso nicht kommen“, sagte er leise und machte sich davon.

 

Auf dem Weg zu seinem Hotelzimmer dachte er über die Idee nach. Wie oft hatte Andrew den beiden gesagt, dass sie sich zusammenreißen sollten, weil er es ohnehin schon schwer genug hatte bei so einen Projekt. Doch er wusste ganz genau, wie wütend sie nun auf ihn war, weil er ebenso wütend auf sie war. Und er wusste deswegen auch mit großer Sicherheit, dass sie nie auf seine Einladung eingehen würde.

 

Das mit dem Fingernagel hatte er nicht gewollt und es tat ihm auch leid, dass er sie verletzt hatte. Doch sie hatte ihm nicht nur eine Ohrfeige verpasst, sondern ihn auch noch vor dem ganzen Team bloß gestellt. Sie hatte seine Rolle übernommen und es obendrein noch besser gemacht als er. Wie hätte er denn darauf reagieren sollen? Hätte er ihr freundschaftlich auf die Schulter klopfen und sie beglückwünschen sollen, dass sie ihm den Job wegnahm?

 

Gut, vielleicht war das ein wenig übertrieben. Doch er konnte mit so etwas einfach nicht umgehen. Schon in der Schule hatte er immer versucht der Beste zu sein und es war ihm in den seltensten Fällen gelungen. Deswegen war er auch immer so unbeliebt gewesen, weil er anderen den Erfolg nie gegönnt hatte. Wieso sollte das jetzt anders sein? Weil er älter geworden war?

 

Nein, er hatte sich nicht geändert und er würde es auch ganz sicher nicht tun, schon gar nicht für sie. Denn wenn der Dreh vorbei war, würde er sie nur noch auf der Premiere sehen. Und dann nie wieder. Wieso sollte er sich für die paar Monate noch verbiegen? Es nützte sowieso nichts. Die wenigen Freunde, die er hatte, mochten ihn so wie er war. Da sollte es ihn nicht stören, was eine eingebildete, noch halb in der Pubertät steckende, dämliche Schriftstellerin von ihm hielt. Zumindest dachte er das.

© by LilórienSilme 2015

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