LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 1
~ Vardas Worte
Den Weg von Lórien nach Bruchtal zu reiten war für mich eine reine Qual. Ständig stellten sich die Härchen in meinem Nacken auf und ich blickte hinter mich, doch wenn ich mich im Sattel schließlich umgedreht hatte, war der Pfad hinter uns so verlassen wie vor uns. Nur eine schreckliche Ahnung blieb von dem zurück, was meine Schwester hier vor Jahren hatte erleiden müssen.
Die Nachricht, dass sie auf ihrem Weg zu uns nach Hause von Orks aufgegriffen worden war, musste unsere Eltern damals ziemlich erschreckt haben. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Vermutlich hat unsere Mutter sofort ihren Spiegel befragt, doch es waren Celebríans Söhne, die sie schlussendlich aus den Fängen des Feindes befreien konnten und nach Hause gebracht haben, wo mein Schwager zwar ihre körperlichen Wunden heilen konnte, aber nie ihre seelischen.
Wir waren uns nur kurz begegnet, damals im Westen. Nicht viel Zeit war uns geblieben, uns als Schwestern zu fühlen, als sie in die Unsterblichen Lande kam, denn kaum war sie dort, fühlte ich, dass meine Zeit gekommen war, um nach Mittelerde zurückzukehren. Doch selbst wenn wir uns nur für ein paar Wochen wieder wie Elbenkinder benehmen konnten, so konnte ich doch erkennen, welch Schatten sich auf ihre Seele gelegt hatte, denn ihr Blick hatte sich verfinstert und sie war nicht mehr die Schwester, die sie in meiner Kindheit gewesen war.
Und doch fiel mir der Abschied so schwer, dass ich kaum Worte finden konnte. Ich bilde mir ein noch immer ihre dünnen Arme um meinen Schultern zu spüren, wenn ich die Augen schließe und mir ihr Bild ins Gedächtnis rufe. Aber natürlich ist das alles Unsinn.
Meine Gedanken wurden von meiner Mutter in die Gegenwart zurückgeholt, als sie mir eine ihrer zarten Hände auf meinen Unterarm legte. Ihre blauen Augen sahen mich verstehend an, als hätte sie in meine Gedanken geblickt. Ich wollte etwas sagen, doch sie nickte nur verstehend und sagte: „Ich weiß, mein Kind.“
Ihre warme Stimme jagte mir immer einen Schauder über den Rücken. Und ihre Haare wanden sich um ihren Kopf, als trüge sie eine Krone, wie es ihr eigentlich auch zugestanden hätte als Höchste der Noldor hier in diesen Gefilden. Doch unser Volk hatte keinen König mehr und es würde auch keinen mehr geben, solange die Elben noch in Mittelerde weilten. Eine Rückkehr der Königswürde würde es für uns nie geben.
Als Imladris vor uns auftauchte, spürte ich immense Erleichterung in mir aufsteigen. Wir hatten den Weg unbeschadet überstanden. Und obwohl ich wusste, wie unwahrscheinlich ein Angriff auf eine Gruppe von unserer Größe war, so konnte ich doch nicht die tiefe Angst ignorieren, die sich in meiner Seele festgesetzt hatte. Nun fiel sie endlich von mir ab und ich konnte mich auf die Begrüßung meiner restlichen Familie einstellen.
Schon von Weitem sah ich meinen Schwager die Treppen herunterkommen. Gütig und wissend wartete er geduldig, bis wir die Brücke über dem Bruinen passiert und in den Innenhof eingeritten waren. Förmlich legte er eine Hand auf sein Herz und verneigte sich vor meiner Mutter und mir. „Lilórien“, sagte er und sah mich an. Dann wandte er sich an meine Mutter. „Und die Herrin Galadriel. Es ist mir eine Freude, Euch willkommen zu heißen.“
Ich sah das kurze Aufflackern des Schmerzes, den meine Anwesenheit mit sich brachte, in seinen Augen. Immerhin musste ich ihn sehr an meine Schwester erinnern. Doch er überspielte es gekonnt. Er bat uns herein und schon bald saßen wir in seiner Großen Halle am Feuer, aßen und erzählten uns Geschichten.
Später, als es schon dunkel war, gesellten sich Elronds Söhne zu uns. Doch ihre Berichte, die sie uns darlegten, waren für uns kein Grund zur Freude.
„Orkspäher sind auf den Höhen unterwegs“, sagte Elrohir. Noch immer trug er Rüstung und Waffen, denn er war auf direktem Wege zu uns gekommen. „Es sind nicht viele, doch ein einziger Bote genügt, um einen Krieg auszulösen.“ Er sah seinen Vater bedeutungsvoll an.
Elrond erhob sich aus seinem Stuhl. Sein silberner Mantel bauschte sich hinter ihm auf, als er an das große Fenster trat, durch das der Mond hereinschien. Auf seinen dunklen Haaren lag der Schimmer der Sterne und verlieh ihm ein würdevolles Aussehen. „Etwas scheint dort draußen vor sich zu gehen, was wir noch nicht verstehen können“, sagte er düster.
Seine Worte lösten eine Gänsehaut bei mir aus, die mich frösteln ließ. Schon lange hatten wir befürchtet, dass eine dunkle Macht erneut an die Oberfläche drängen würde, doch in der letzten Zeit hatten sich die Zeichen verdichtet. „Was könnte das zu bedeuten haben?“, wagte ich zu fragen, obwohl ich mich vor der Antwort fürchtete. War ich aus diesem Grund aus Valinor zurückgekehrt? Um an einem Krieg teilzunehmen?
Noch wusste ich nicht, was Eru für ein Schicksal für mich vorgesehen hatte. Meine Unschuld war mir noch nicht genommen wurden, denn ich hatte noch nicht getötet. Kein Blut befleckte meine Klinge, kein ausgelöschtes Leben ging auf mein Konto.
Elladan antwortete an seines Vaters Statt: „Wir sichteten auch eine Gruppe von Zwergen, die wohl auf dem Weg hierher sind. In spätestens zwei Tagen könnten sie hier sein, wenn sie ihre Richtung beibehalten. Sie kommen die alte Ost-West-Straße entlang.“
„Eine Gruppe von Zwergen?“, fragte meine Mutter. Sie hatte bisher noch nicht viel gesagt, doch ich konnte in ihren Augen lesen, dass sie etwas wusste, von dem noch keiner von uns etwas ahnte, wie es so oft der Fall war. „Was könnten sie hier wohl wollen?“
„Sie werden angeführt“, antwortete Elladan, „von einem Zauberer im grauen Umhang.“
Stille breitete sich über der Halle aus und ein wissendes Lächeln überzog das Gesicht meiner Mutter. Ihre Stirn glättete sich wieder. „Dann ist Gandalf von seiner Reise in den Westen Mittelerdes unbeschadet zurückgekehrt. Er hat Thorin Eichenschild gefunden.“
Die Blicke meiner Neffen waren finster, waren sie doch wie ich ebenfalls mit den Geschichten der Zwerge aufgewachsen. Unser Volk war den Söhnen der Erde nicht sehr wohlgesonnen. Und doch würden sie hier Zuflucht finden, sollten sie denn eine suchen. Denn die Türen hier in Imladris standen müden Reisenden immer offen.
Doch was könnten sie hier wohl wollen? Was hatte eine Gemeinschaft von Zwergen aus den Eisenbergen hier so weit östlich zu suchen?
Ich überlegte, ob Gandalf bei seinem letzten Besuch in Lórien etwas angedeutet hatte, was uns nun von Nützen sein könnte, doch ich erinnerte mich nur daran, dass ihm ein Schlüssel aus seinen Taschen gefallen war, den ich aufgehoben hatte.
Über den Schlüssel selbst wusste ich nichts. Ich hatte keine Ahnung, von wem er gemacht wurde, noch zu welchem Zweck. Noch wusste ich, wie der Zauberer in dessen Besitz gelangte. Doch mir war nicht verborgen geblieben, dass es ein Werk der Zwerge sein musste.
Da uns an diesem Abend keine neuen Erkenntnisse zufallen würden, entschuldige ich mich, um die Runde verlassen zu dürfen. Meine Mutter bestand zwar immer darauf, dass ich sie zu solchen Beratungen begleitete, doch ich selbst hatte nicht die geringste Ahnung, wieso ich dort sein sollte. Viel hatte ich zumindest bisher nicht zu sagen gehabt. Und ich zweifelte daran, dass Saruman, der Oberste des Weißen Rates, dem auch ich angehörte dem Wunsch meiner Mutter nach, meine Worten würde hören wollen.
Ich lenkte daher meine Schritte hinaus auf einen der vielen Balkone, die einen wundervollen Blick auf das Tal gaben, und lehnte mich an die Brüstung. Ich spürte, dass ich in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde und so sah ich zu den Sternen hinauf. Dabei beobachtete ich den Mond, wie er über den Himmel wanderte. Und ganz plötzlich hörte ich wieder ihre Stimme.
Es war lange her gewesen, seitdem sie zum letzten Mal zu mir gesprochen hatte, doch natürlich erkannte ich ihre Stimme sofort, als Varda ihre Worte an mich richtete. „Sell-nîn“, flüsterte sie und eine Gänsehaut erfasste mich. „Was beschäftigt dich, sell-nîn?“
„Naneth“, antwortete ich. Dabei schloss ich kurz meine Augen und als ich sie wieder öffnete, war ich plötzlich wieder in Valmar, stand vor ihr selbst und konnte sie von Angesicht zu Angesicht schauen. Sofort ging ich auf ein Knie herunter, legte eine Hand auf mein Herz, um ihr die nötige Ehrerbietung entgegen zu bringen, und senkte mein Haupt herunter. Dabei raschelte der lange Saum meines Kleides über den hellen Marmorboden. „Welche Botschaft habt Ihr für mich, heryn-nîn?“
Sie stieg von ihrem Thron herunter und kam zu mir. Ihr Mantel, der so dunkel war wie der Nachthimmel, wehte hinter ihr her. „Dunkelheit legt sich über das Land. Etwas regt sich unter der Oberfläche von Mittelerde. Ihr müsst sehr vorsichtig sein.“
„Und welchen Rat wollt Ihr mir geben?“ Noch immer kniete ich vor ihr, denn ich wagte nicht sie anzusehen, aus Angst, sie könnte verschwinden, sobald ich es tat.
Doch meine Furcht war unbegründet. Denn nun spürte ich, wie ein zarter Lufthauch meine silbernen Haare streifte, und ich wusste, dass sie mir nahe war. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte mich und ließ meinen Magen hüpfen, als hätten sich kleine Schmetterlinge darin versammelt. So hatte ich mich bisher nur in ihrer direkten Gegenwart gefühlt und nichts anderes auf der Welt konnte das aufwiegen.
„Es ist wichtig“, fuhr sie fort und es kam mir nun so vor, als spräche sie nicht mehr nur zu mir alleine, „dass die Gemeinschaft um Thorin Eichenschild Imladris unbeschadet erreicht. Das Böse ist hinter ihnen her und wird sie vernichten, wenn Ihr ihnen nicht zur Hilfe eilt. Bei Sonnenaufgang müsst Ihr aufbrechen. Doch genauso wie sie Eure Waffenstärke brauchen, werden sie auch Eure Weisheit nutzen müssen, um ihr Ziel zu erreichen, selbst wenn sie es nicht freiwillig tun werden. Verlassen sie das Tal, könnt Ihr nichts mehr tun. Dann stehen sie unter der Obhut von Olórin und ihm können wir vertrauen.“ Sie hielt einen Moment inne und ich befürchtete schon, dass sie mich wieder verlassen hatte, doch dann sprach sie weiter. Dieses Mal war ihre Stimme jedoch schon so leise, dass sie bald nicht mehr zu hören war. „Auch du, meine Tochter, wirst dich seiner Stäke bedienen müssen, bevor das Ende kommt. Denke immer daran…“ Dann verblasste die Vision.
Ohne Vorwarnung fand ich mich in der Realität wieder. Es fühlte sich an, als käme ich nach Luft schnappend an die Oberfläche eines Sees und wüsste im ersten Moment nicht, wo ich mich befand. Doch als ich den Mond hinter den Bergen untergehen sah, wusste ich es wieder. Und mir wurde bewusst, dass die Nacht beinahe vorbei sein musste. Uns blieb also nicht mehr viel Zeit.