LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 28
~ Enchain my Heart
Bevor Ben auf die Klingel drücken konnte, ertönten aus dem Inneren des Hauses laute Stimmen. Die eine gehörte unzweifelhaft Vittoria, aber die andere konnte er nicht eindeutig zuordnen. Entschlossen läutete er.
Zunächst passiert gar nichts, als hätte sich der Muffliato-Zauber über das Haus gelegt. Dann wurde die Tür ohne Vorwarnung aufgerissen und ein junger Mann starrte ihm entgegen. Vermutlich hatten sie beide etwas anderes erwartet, denn eine Weile rührte sich keiner von ihnen. Sie sahen sich nur an, versuchten abzuschätzen, was sie vom anderen zu erwarten hatten.
Als weiterhin nichts passierte, hörte Ben Vittoria von oben rufen. Sein Gegenüber erwachte aus seiner Starre, drehte den Kopf ein wenig, ohne ihn jedoch aus den Augen zu lassen, und rief: „Es ist nicht Meg. Erwartest du Besuch?“
Auch Ben schien sich jetzt wieder der Funktion seiner Gliedmaßen zu entsinnen und streckte dem blonden Schönling die Hand entgegen. Er wirkte wie der typische Surfer: blonde Haare, blaue Augen, breites Kreuz, leicht gebräunte Haut, ein Sunnyboy, wie er im Buche stand. Was zum Teufel wollte sie denn mit so einem?
„Ich bin Ben“, sagte er, „ich wollte zu Vittoria. Ich weiß nicht, ob sie mich sehen will, aber es ist wirklich dringend. Kannst du ihr das vielleicht sagen? Ich warte auch gerne hier draußen.“ Er hatte entgegen seiner Aussage gehofft, dass man ihn herein bitten würde, doch Sunnyboy knallte ihm die Türe wieder vor der Nase zu. Jetzt erst merkte er, wie kalt ihm war. Der Wind fuhr unter seine Klamotten, seine Zehen- und Fingerspitzen begannen schon blau zu werden und in seinen vom Schweiß nassen Haaren bildeten sich die ersten Eiszapfen.
Fluchend schob er sich die Hände unter die Achseln und hüpfte von einem Bein aufs andere, in der Hoffnung, so ein bisschen warm zu bleiben. Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, halbnackt durch die Stadt zu laufen? Noch dazu bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt.
Endlich öffnete sich die Türe wieder. Er duckte sich unter einer Windböe durch und schlüpfte ins Haus an dem blonden Schönling vorbei. Innen war es angenehm warm und er atmete erleichtert auf. Sofort begann seine Haut zu kribbeln.
„Sie ist oben“, sagte Sunnyboy und nickte mit verschränkten Armen die Treppe rauf. Ben konnte die Spannung in der Luft beinahe mit Händen greifen. Was war hier nur los? Hatte sie ihm von ihm erzählt? War er deswegen so sauer? Sah er in ihm einen Konkurrenten?
Lelex betrachtete den Neuankömmling mit wachsendem Argwohn. Er hatte große Ähnlichkeit mit diesem Schauspieler, den er aus irgendwelchen Filmen kannte. Den Namen hatte er natürlich vergessen, aber dieses Gesicht hatte er erkannt: so glatt und weich, mit weiblichen Zügen. Doch was hatte er hier zu suchen? Mal ganz abgesehen davon, dass es ein völlig unpassender Moment war, konnte er es absolut nicht gebrauchen, sich jetzt auch noch mit ihm rumzuschlagen.
Neugierig betrachtete er ihn, wie er zögerlich die Stufen in den ersten Stock erklomm. Natürlich folgte er ihm auf dem Fuße, wich geschickt den kleinen Schneepfützen aus, die der andere überall hinterließ, und blieb mit ihm oben im Flur stehen. Sie hörten, wie jemand Sachen in eine Ecke warf, dabei sahen sie sich an. Lelex zuckte mit den Achseln. „Sie packt grade ihre Sachen“, sagte er abfällig, obwohl es ihn innerlich so ungeheuer aufwühlte, dass er am liebsten lauthals geschrien hätte.
Ben sah ihn mit großen Augen an. Die ganze Aktion klang, als würde sie nicht nur einen kleinen Trolley für einen Wochenendtripp packen, sondern ihren gesamten Kleiderschrank eintüten. Doch was sollte sie mit ihrem ganzen Kleiderschrank wenn sie nicht verreisen wollte? Und er selbst wusste nur allzu gut, dass sie eine riesige Flugangst hatte. Das ergab alles keinen Sinn.
Er ignorierte den bohrenden Blick von Sunnyboy und betrat das Schlafzimmer. Hier sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Sämtliche Schubladen waren aufgerissen und ausgeleert worden; auf allen Oberflächen lagen Klamotten rum; das Bett sah total zerwühlt aus; und die Türen zum begehbaren Kleiderschrank standen offen und zeigten eine ziemlich aufgekratzte Vittoria.
Sie trug eine knappe graue Hose, dazu ein weites T-Shirt mit Motivaufdruck und rosa Wollsocken. Das alles betonte ihre langen, braun gebrannten Beine ungemein und er fragte sich unweigerlich, wieso ihm nicht schon viel früher aufgefallen war, wie toll sie selbst in so einem Schlabberlook aussah. Keine Frage, in einem Abendkleid auf dem roten Teppich konnte sie mit all den Hollywood-Schönheiten mithalten. Doch in diesem natürlichen Outfit sah sie noch viel besser aus.
Er trat noch ein Stück vor und räusperte sich. Als sie nicht reagierte, schluckte er und sagte leise: „Hallo Vicky.“ Sie hielt mitten in der Bewegung inne, eine Hose in weitem Bogen in einen offenen Koffer zu werfen, und das Hosenbein schlang sich um ihren Arm. Mit einem Ruck drehte sie sich um, wobei sich ihr lockerer Haarknoten noch ein wenig mehr löste und ihr wild die Strähnen ins Gesicht hingen. Sie sah aus, als hätte sie sich die Haare gerauft. „Was willst du hier?“
Es hatte härter und unfreundlicher geklungen, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte, aber wie hätte sie auch damit rechnen können, dass er hier auf einmal auftauchte? Monate lang hatte sie darauf gewartet, dass er sie anrief oder sie besuchte, doch nichts dergleichen war geschehen, sodass sie sich schon zu fragen begann, ob ihm dieses Knistern überhaupt etwas bedeutet hatte. Und jetzt, wo sie dabei war, das alles hinter sich zu lassen, mit ihrer Familie und ihren Freunden brechen wollte, um auszuwandern, da tauchte er plötzlich auf, stand in Jogginghose, abgewetzten Turnschuhen und frierend vor ihr und sah sie wieder mit diesem Blick an, den sie an dem Abend auf der Tanzfläche gesehen hatte.
„Ich wollte etwas nachholen, was ich vor acht Monaten schon hätte tun sollen“, sagte er und machte noch einen Schritt auf sie zu. Doch sie wich vor ihm zurück, noch immer die Hose in der Hand haltend. Fragend sah er sie an.
Vittoria warf einen Blick über seine Schulter und sah Lelex an. Dieser verschränkte die Arme nur weiter vor der Brust und beobachtete das Spiel. Sie löste die Hose von sich, faltete sie sorgsam zusammen und legte sie ganz oben auf einen unordentlichen Haufen. „Und bitte was soll das sein?“, fragte sie und sah ihn an. Ihre Augen glühten nicht mehr, hatten ihr Feuer verloren. Sie wirkte unendlich traurig.
Ben schluckte. Sie wollte also, dass er es aussprach. Das hätte er sich eigentlich denken können. Trotzdem kam es ihm nicht so leicht über die Lippen, als er sagte: „Ich will dir sagen, was ich für dich empfinde.“
Doch bevor sie antworten konnte, fuhr Lelex dazwischen. „Moment mal!“ Er breitete die Arme aus und versuchte die beiden damit offensichtlich auf Distanz zu halten. „Was wird das denn hier?“
„Das siehst du doch“, blaffte Vittoria. „Ich packe!“ Sie drehte sich um und machte ungerührt weiter damit Unordnung zu fabrizieren.
Ben ignorierte Lelex und schob sich an ihm vorbei in den Schrank hinein. Hier drinnen sah es sogar noch schlimmer aus, als im Schlafzimmer selbst. „Warum packst du überhaupt? Willst du umziehen?“
Lelex gab ein abfälliges Schnauben von sich. „Sie will auswandern.“ Als hätte er über das Wetter gesprochen, warf er diese Worte hin. Doch Ben versetzten sie einen Stich ins Herz. Sie konnte doch nicht einfach das Land verlassen! Seine Gedanken überschlugen sich. Wollte sie etwa mit Sunnyboy im Ausland zusammen leben? Kam er aus Amerika und wollte dahin zurück? Hatte sie den Verstand verloren?
„Was soll das heißen? Auswandern? Wovon redet Paul Walker da?“ Er ignorierte den finsteren Blick, den er ihm zuwarf, und hielt weiter Blickkontakt zu Vittoria. Die dachte jedoch gar nicht daran, ihm in die Augen zu sehen. Stattdessen wühlte sie ziemlich ziellos in ihren Kleidern herum, bis sie schließlich entnervt seufzte. „Ich halte es hier einfach nicht mehr aus, okay?“
„Nichts ist okay! Du kannst doch nicht einfach das Land verlassen. Ohne mich zu fragen!“
„Ohne dich zu fragen? Du hast acht Monate auf dich warten lassen. Und jetzt tauchst du einfach so auf, aus heiterem Himmel, und willst mir erzählen, dass du mich liebst und ich soll alles stehen und liegen lassen und mich dir in die Arme werfen?“
„Moment, wer liebt hier wen?“, warf Lelex dazwischen, doch niemand beachtete ihn.
„Das hab ich erwartet, ja!“
Sie fuchtelte wild mit einem Rock vor seiner Nase herum und das alte Feuer in ihren Augen schien wieder erwacht zu sein. „Da hast du dich aber gewaltig getäuscht, Ben Barnes! Ich bin nicht so eine, die ihr Leben lang auf einen Mann wartet. Besonders nicht, wenn dieser Mann nicht mal Ansätze zeigt.“
„War der Kuss nicht Ansatz genug?“
„Ihr habt euch geküsst?“
„Das war doch kein Kuss! Das war so weit von einem Kuss entfernt, wie nur möglich. Unsere Lippen haben sich nicht mal berührt.“
Ben machte noch einen Schritt auf sie zu und nun standen sie so dicht voreinander, dass sie mit ihren Nasenspitzen beinahe aneinander stießen. „Doch, sie haben sich berührt. Und du kannst mir nicht erzählen, dass du es nicht gespürt hast.“
„Wer hat hier was gespürt?“
„Ich habe überhaupt nichts gespürt!“
Ein schriller Pfiff zerriss die wilde Diskussion mit einem Mal und alle drei Köpfe wandten sich zur Tür. Dort stand Meg, die Handflächen aufeinander gelegt, das internationale Zeichen für Timeout formend. Hinter ihr stand Thomas wie ein Racheengel aus einer Zauberflasche entstiegen. „Zum Donnerwetter noch mal, was ist denn hier los?“, fragte Meg und betrat das Schlachtfeld. Sie ignorierte die beiden Männer, konzentrierte sich nur auf ihre beste Freundin, die ihr in diesem Moment entgegen geflogen kam. Doch sie packte sie bei den ausgestreckten Armen und hielt sie auf Abstand. „Du hast sie wohl nicht mehr alle!“
Verwirrt starrte Vittoria ihre Freundin an. „Wieso?“, fragte sie und sah dabei aus, wie ein Kind, welchem man den Unterschied zwischen Gut und Böse erklärt hatte.
„Du kannst doch nicht einfach auswandern. Jetzt, wo du grade mit deiner Familie wieder im Reinen bist. Bei deiner Schwester warst du Brautjungfer. Mit deiner Mutter hast du dich nach Jahren der Demütigung ausgesprochen. Und das willst du jetzt alles wieder über den Haufen werfen? Das kann doch nicht dein Ernst sein! Wieso willst du das tun?“ Nun lag in Megs Blick Mitgefühl. Sie wusste, dass Vittoria zwar gerne mal impulsiv war. Doch unbedacht handeln tat sie normalerweise nicht. „Vor allem ausgerechnet jetzt, wo es mit meinem Bruder so gut läuft.“
Ein Schwert bohrte sich durch Bens Magen. Ihm stieg, trotz der Kälte, die er immer noch fühlte, der Schweiß auf die Stirn. Sein Herz begann wie wild zu klopfen und ihm wurde übel. Er hatte zwar geahnt, dass er ihr Neuer war, doch es jetzt zu hören, die Wahrheit unwiderruflich gesagt zu bekommen, machte es zu einer unumstößlichen Tatsache: er war umsonst hierher gekommen.
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich zur Tür. Er fragte sich bereits, wie er möglichst unauffällig an dem Schrank von einem Mann vorbei kommen konnte, ohne zu viel Lärm zu machen, als Vittoria ihn aufhielt. „Wo willst du hin, Ben?“, fragte sie sanft und ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren.
Zögerlich drehte er sich wieder zu ihr um, sah ihr in die grünen Augen, die in diesem Moment einen Ausdruck trugen, den er nicht einordnen konnte. Doch plötzlich war da ein Kribbeln in seinem Bauch, was den Schmerz augenblicklich verschwinden ließ. „Ich denke, ich werde hier nicht mehr gebraucht. Die ganze Sache geht mich nichts an.“
Sie löste sich von Meg, kam auf ihn zu, griff nach seinen kalten Händen, die sofort zu prickeln begannen, wo sich ihre Haut auf seine legte, und drückte sie. „Das alles geschieht doch nur wegen dir“, hauchte sie, doch da es in dem Zimmer so still war, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können, verstand jeder ihre Worte. Megs Gesicht hellte sich plötzlich auf, als sie zu begreifen begann. Thomas schaute sichtlich verwirrt, wagte aber nicht, etwas zu sagen. Lelex fiel die Kinnlade herunter. Und Ben wäre am liebsten ohnmächtig geworden.
Als er sich wieder gefangen hatte, sagte er: „Was meinst du damit? Du wanderst meinetwegen aus? Wieso?“ In seinem Gesicht wechselten sich Verwirrung, Unverständnis und Argwohn ab. Irgendwie hatte er das Gefühl, etwas verpasst zu haben.
„Weil ich acht Monate auf dich gewartet habe.“ Ihre Augen wurden feucht und sie biss sich auf die Zunge, um nicht zu weinen. Sie wollte nicht, dass er sie so sah. Eher würde sie sterben. Trotzdem fiel es ihr nicht leicht. Sie musste ihre ganze Konzentration aufbringen, denn sein Blick brachte sie völlig raus.
Mit einem Mal schien er zu begreifen. Die ganze Zeit über hatten sie dasselbe gefühlt, hatten sich nur davor geschämt, es dem anderen zu sagen. Es hatte sie beide innerlich aufgefressen, zu wissen, dass der andere nicht genauso empfand. Doch sie hatten sich beide völlig umsonst Sorgen gemacht.
Vittoria schluckte schwer. Noch immer kämpfte sie mit den Tränen. „Es hat mir das Herz gebrochen, dass du mich nicht wolltest. Alles hatte seine Farbe verloren. Die Arbeit hat mir keinen Spaß mehr gemacht, die Stadt konnte mich nicht mehr begeistern, obwohl ich so gerne in ihr lebe. Ich hab sogar den Streit mit meinen Eltern begraben! Ich war einfach nicht mehr Ich. Und das alles nur wegen einem lausigen Kuss, der noch nicht mal ein richtiger Kuss war.“
Meg trat jetzt vor. Sie legte ihrem Bruder kurz die Hand mitfühlend auf den Unterarm, dann sah sie ihre Freundin an. „Ich kann bestätigen, was sie sagt. Die alte Vittoria hätte mir den Arsch aufgerissen, wenn ich mit ihrem Exverlobten geschlafen hätte.“ Vittoria versetzte ihr einen Schlag, zum Zeichen dafür, dass sie die Klappe halten sollte, doch Meg streckte ihr nur die Zunge raus.
Eine Weile passierte nichts mehr, dann räusperte Thomas sich. Er betrat vollends das Zimmer, schien es damit beinahe bis zur Hälfte auszufüllen, und stellte sich neben seine Freundin. Er nahm sie beim Arm. „Vielleicht sollten wir jetzt gehen“, sagte er. „Es sieht nicht so aus, als würde sie heute noch irgendwohin gehen.“ Meg lächelte ihn dankbar an, nahm ihre Freundin noch einmal fest in den Arm und verließ dann, ihren Bruder hinter sich herziehend, das Zimmer. Als die Haustüre unten zufiel, begriff Vittoria, dass sie nun alleine waren.
Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Es tut mir leid, dass du dieses Chaos sehen musst“, sagte sie. Sie wollte schon anfangen, wieder alles aufzuräumen, doch Ben hielt ihre Hände fest, als sie nach einem Haufen Socken greifen wollte.
Er zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Wolltest du wirklich gehen?“
In ihr brach ein Damm und die Tränen begannen auf einmal zu fließen. Ein Schluchzer entrang sich ihrer Kehle, bevor sie etwas dagegen tun konnte. Selber entsetzt darüber schlug sie sich die Hand vor den Mund. Als sie sich wieder ein wenig gefasst hatte, sagte sie: „Ich konnte hier einfach nicht mehr bleiben. Es hat sich alles so falsch angefühlt. Auch wenn es zeitweise sehr schön war, kam es mir vor, als wäre es nicht mein Leben. Ich wollte nur noch raus hier, nach Neuseeland fahren und schreiben. Schreiben“, wiederholte sie melancholisch.
„Aber das kannst du doch hier auch!“, sagte er, froh darüber, ein Argument gefunden zu haben, was Sinn machte. „Dafür musst du nicht bis ans Ende der Welt fahren. Schreiben kannst du überall dort, wo du deinen Laptop mit hinnehmen kannst. Du musst nicht gehen.“
Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Mit einer Bluse wischte sie sich die Tränen ab und sah ihn wieder an. „Du kannst mich so nicht überzeugen, zu bleiben. Ich habe vor, dorthin zu fliegen, also hab ich mit meinem Leben mehr oder weniger abgeschlossen. Wenn du willst, dass ich bleibe, muss dir etwas Besseres einfallen.“
Draußen fielen jetzt wieder dicke Flocken vom Himmel, die alles langsam in ein puderiges weißes Bild verwandelten. In zwei Wochen würde Weihnachten sein und die ganze Stadt schien sich in ein glitzerndes Lichtermeer zu verwandeln. Auf den großen Plätzen hatte man Weihnachtsbäume aufgestellt und überall Lichterketten aufgehangen. Im Covent Garden zierten überdimensionale Christbaumkugeln die Decke und Sterne leuchteten überall. Menschen rannten hektisch durch die Gegend, um Geschenke zu besorgen und möglichst viel vor den Feiertagen noch zu erledigen. Doch er war jetzt ganz ruhig.
Seine braunen Augen leuchteten, als sie in ihre grünen blickten. Wie lange hatte er es vermisst, sie einfach nur anzusehen. So oft hatte er sich gewünscht, ihre Hand zu halten, ihre Haut zu berühren und ihre Lippen küssen zu können. Nun war sie nur wenige Zentimeter von ihm entfernt und er brachte es nicht über sich, diese winzige Distanz zu überwinden. Würde sie ihn wieder zurückstoßen?
Er beschloss, dass er schon so weit gekommen war. Aufgeben konnte er jetzt nicht mehr. Er hätte ihr nie wieder unter die Augen treten können. Dies war seine letzte Chance und die würde er nutzen.
Ohne ein weiteres Wort, eine Andeutung oder Berührung senkte er seine Lippen auf ihre. Wieder schien dieser Funke überzuspringen, doch dieses Mal hielt er nicht inne. Seine Hände legten sich auf ihre Wangen, zogen sie näher zu sich heran, und er küsste sie.
Zuerst war sie erschrocken über diesen plötzlichen Überfall. Doch als ihre Lippen wieder das vertraute Knistern spürten, fühlte sie, dass es richtig war. Sie krallte sich in seiner Jacke fest, versuchte so viel wie möglich von ihm zu bekommen und hätte ihn am liebsten nie wieder losgelassen. In diesem Moment wusste sie, dass sich alles, was im letzten Jahr geschehen war, gelohnt hatte. Vom ersten Moment an, da sie sich begegnet waren und sie ihm die Shampooflasche an den Kopf geworfen hatte, war alles so geschehen, wie es geschehen musste. Denn von jetzt an konnte sie ein neues Leben beginnen.
Sie würde in London bleiben, beschloss sie. Und sie würde ihre Familie viel öfter besuchen. Sie würde endlich die Zeit mit ihrer Mutter verbringen, die sie immer mit ihr verbringen wollte. Sie würde schreiben was sie wollte und sie würde den Kindern von ihrer Schwester beim Wachsen zusehen. Und vielleicht, eines Tages, würde sie selber Kinder haben.
Doch während sie und Ben sich immer noch küssten, wollte sie nicht weiter an die Zukunft denken. Nur dieser eine wunderschöne Moment des völligen Glücks zählte. Es zählte nur die Tatsache, dass sie weiterhin in London, ihrer Geburts- und Lieblingsstadt bleiben würde und gerade den Mann küsste, den sie mehr liebte, als sie sich jemals hätte vorstellen können, einen Menschen zu lieben. Was danach kam, war nicht wichtig. Denn sie wusste, dass sie mit ihrer Familie und ihren Freunden im Rücken alles überstehen würde.
Was jedoch die Zukunft anging, die würde vorerst ungeschrieben bleiben.