LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
It’s all coming back to me now
Ich betrat den großen Saal des alten viktorianischen Hauses mitten in den Hollywood Hills und eine andere Welt verschluckte mich. Ich wurde um Jahrhunderte zurückgeworfen, von 2006 fand ich mich unvermutet in der Blütezeit Venedigs wieder. Die Herrschaften unterhielten sich gespannt, hielten Fächer in der Hand, lachten und scherzten und scheuchten die Bedienten umher, um neuen Champagner zu holen. Und alles war absolut authentisch hergerichtet worden, inklusive der Gäste. Überall standen alte Möbel herum und Kerzen erleuchteten die Räume im Haus.
Ich ließ mich erst einmal in einer Ecke auf einem staubigen Sofa nieder und betrachtete alles gelassen durch die Schlitze in meiner Masken hindurch. Die merkwürdigen Hosen saßen etwas unbequem, aber als Will Turner ließ es sich aushalten.
Mein Blick glitt über jede Person und ich versuchte, bekannte Gesichter auszumachen, aber mit den Masken war das gar nicht so einfach. Mehrmals glaubte ich, jemanden zu sehen, den ich kannte, doch dann hörte ich seine Stimme und musste feststellen, dass auf dieser Party nicht viel zu finden war, was Rang und Namen hatte. Oder ich war einfach zu früh dran.
Ich hatte sowieso noch zu warten, bis meine bessere Hälfte erschien, mit der ich hier verabredet war. Sie war in Europa um ihren neuen Film „Superman Returns“ zu promoten und wir wollten uns hier endlich wieder treffen. Denn wir hatten uns lange nicht mehr gesehen und ich vermisste sie doch mehr, als ich dachte.
Als die Stunden vergingen, tauchte sie endlich auf und sie sah bezaubernder aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Trotz der Maske konnte ich ihr Gesicht sehen, denn ihre Augen strahlten und um ihren Mund spielte ein Lächeln. Doch als ich schon dachte, dass sie zu mir kommen würde, blieb sie stehen und blickte noch einmal um die Ecke zurück, hinter der sie hervorgekommen war. Ich dachte zuerst, dass sie jemand gerufen hatte oder sie vielleicht mit einer Freundin gekommen war. Doch dann schob sich ein Mann hinter der Ecke hervor und hielt ihr seinen Arm hin. Und zu meinem Erstaunen hackte sie sich ein. Dann endlich kam sie auf mich zu.
Sie und ihr Begleiter kamen immer näher und ich versuchte, seine Augen zu erkennen, doch sie waren mir nicht bekannt. Vielleicht war er auch nur ein Freund oder ihr Bruder, aber sie konnten unmöglich zusammen sein oder sich lieben. Man kam nicht einfach aus Europa zurück und hatte einen Fremden am Arm.
Ich stand auf, als sie nur noch ein paar Meter von mir entfernt waren, und machte mich bereit, sie so zu begrüßen, als hätte ich den blonden Mann an ihrer Seite nicht bemerkt. Doch dann schritt sie einfach an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen, ohne mich überhaupt erkannt, geschweige denn zur Kenntnis genommen zu haben. Einfach so ging sie an mir vorbei, die Hand auf seinem Arm, ihr Blick in seine Augen vertieft und mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das von einem Engel hätte sein können.
Den Rest des Abends verbrachte ich damit, den Champagner zu trinken, den man mir reichte und ich versuchte, nicht in ihre Richtung zu starren. Leider gelang mir das nicht und ihrem Begleiter fiel das bald auf. Er kam auf mich zu und stellte mich zur Rede. Wenn ich ein Autogramm von ihm wolle, solle ich es nur sagen.
Gegen den Brechreiz ankämpfend verschwand ich nach oben und entleerte meinen Mageninhalt, der nur als Alkohol zu bestehen schien, schließlich doch. Ich hatte nicht erwartet, so viel vertragen zu können. Aber anscheinend bewirkte Kummer, dass man mehr in sich hineinschüttete, als von Mutter Natur erlaubt war.
Ich spülte mir den Mund aus und betrachtete mein Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken. Erst dachte ich, ich hätte mich in ein Monster verwandelt, bis mir klar wurde, dass ich noch immer die Maske trug. Ich zog sie aus und wusch mir das Gesicht. Als ich mich dann ein zweites Mal im Spiegel betrachtete, gefiel ich mir schon besser. Ich war immer noch blass und hatte Ähnlichkeit mit einem der Ringgeister, aber in meine Augen kehrte das Leben zurück.
Ich wollte wieder nach unten gehen, doch ich irrte mich in der Tür. Ich stand plötzlich im Schlafzimmer des Gastgebers und das Bett sah verdammt verlockend aus. Ob ich mich einfach nur hinlegen und schlafen konnte? Und wenn ich wieder aufwachte, war ich zu Hause und dieser Abend würde mir noch bevorstehen.
Die Maske immer noch in der Hand ließ ich mich in die Kissen fallen und genoss das Gefühl, für einen kleinen Moment im Himmel zu sein. Vielleicht war es wirklich nur ihr Bruder oder ein Freund, den sie in Europa getroffen hatte. Vielleicht überreagierte ich einfach nur und morgen würden wir bei uns zu Hause sitzen, den Hund zwischen uns auf dem Sofa, und über diese Sache lachen.
Aber auch nur vielleicht. Denn in dem Moment, in dem ich alles schon als dummen Scherz abgetan hatte, öffnete sich die Tür und ein Pärchen stolperte herein. Sie lachte und ich erkannte Kate. Widerwillig öffnete ich die Augen, auf alles gefasst. Doch was ich dann sah, ließ mich wieder würgen. Sie stand da in der Tür mit diesem Kerl und ließ sich von ihm am Hals küssen und über den Rücken streicheln. Deutlicher ging es nicht mehr.
Ich räusperte mich. Der Kerl schaute auf und sagte: „Sorry, Mann, aber wir brauchen das Zimmer dringender als du. Also mach, dass du hier rauskommst.“ Kate fühlte sich durch seine Worte etwas peinlich berührt und drehte sich mit einem entschuldigenden Blick zu mir um. Doch als sie mich erkannte, erstarb plötzlich jede Regung in ihrem Gesicht, ihre Augen wurden glasig und starr und ich konnte erkennen, wie ihr die Kinnlade ein Stück nach unten rutschte. Kurz gesagt entglitten ihr so ziemlich alle Gesichtszüge, die ein Mensch haben konnte.
„Orlando…“, stammelte sie, völlig überrascht und verstört, doch ich hatte jetzt nicht die Nerven zum Reden. Ich stand auf und wollte mich schon mit einem „Schon gut“ an ihnen vorbeischieben, doch sie griff nach meinem Arm und hielt mich zurück.
„Warte! Ich kann das erklären!“ Ich wusste nicht, was für ein Gesicht ich machte, als ich mich zu ihr umdrehte, doch es musste schrecklich ausgesehen haben, denn sie erschrak leicht und ließ mich los.
Ich griff nach der Klinke, hielt aber noch einmal inne. Ich verspürte plötzlich große Lust, diesem Kerl eine zu verpassen, dass er mit seinem Gesicht nicht mal mehr dem Glöckner von Notre Dame gefallen würde. Ich verkrampfte meine Hand um den Messinggriff, ließ dann aber wieder locker. Ohne mich umzudrehen, sagte ich: „Es gibt nichts zu erklären. Du kannst dir morgen deine Sachen bei mir abholen. Dann will ich dich nicht mehr sehen.“
„Orlando!”, rief sie noch hinter mir her, doch die heftig ins Schloss fallende Tür erstickte ihren Protest.
Am nächsten Morgen kam sie zu mir, holte ihre Sachen ab, zusammen mit ihm, und danach sah ich sie wirklich nicht mehr wieder. Wenn sie Sidi zum Spaziergang abholte, schloss ich mich immer im Bad ein, wartete bis die Haustür zugefallen und das Bellen unseres Hundes verhallt war, dann öffnete ich die Türe erst wieder. Irgendwann blieben ihre Besuche aus und ich dachte nicht mehr an sie. Wenn ich sie zufällig traf, ging ich ihr aus dem Weg und sah ihr niemals ins Gesicht. Ich ging meinen Weg alleine –
bis zu jenem Abend, zwanzig Jahre später…
Ich hatte meine Zeit mit Kate damals so krampfhaft aus meinem Gedächtnis gestrichen, dass ich bald nicht mehr wusste, warum ich die „Venice-Night“ in Hollywood mied. Irgendwann beschloss ich jedoch, wieder hinzugehen, denn die Party hatte einen Kultstatus erreicht und würde mir vielleicht ein paar neue Bekanntschaften einbringen, mit denen ich wieder Filme machen konnte, wie in den guten alten Zeiten.
Ich lieh mir ein Kostüm und eine Maske und machte mich auf in die Hollywood Hills. Es war dasselbe Haus wie damals und es war wieder September. Auch nach zwanzig Jahren hatten sie den venezianischen Karneval nicht in den Februar gelegt, wie es Brauch war, sondern hatten ihn einfach im Herbst gelassen. Und eines musste man den Veranstaltern lassen: Die fallenden Blätter und die Fackeln im halbdunklen Garten verliehen dem Ganzen eine Stimmung, wie sie nicht besser hätte sein können. Die langen Kleider der Damen wirbelten die Blätter auf dem Weg zum Haus auf und hinterließen feine Spuren, die jedoch nur ein aufmerksamer Betrachter erkennen konnte. Wäre ich Maler und nicht Schauspieler, hätte ich mich vermutlich hinreißen lassen von einem so wunderbaren Motiv.
Ich betrat die Empfangshalle und fühlte mich plötzlich wieder ins Mittelalter zurückversetzt. Und ich wurde das Gefühl nicht los, diese ganze Situation schon einmal erlebt zu haben.
Ich redete mir jedoch ein, dass es nur so war, weil sich diese Party und der Ort nicht ein bisschen verändert hatte und das Ganze mir wie ein riesiges Déjà-vu vorkam, weil die Sofas noch am selben Platz standen und wie damals die Kellner mit Champagner durch die Reihen der höheren Gesellschaftsschicht eilten.
Anders als damals war jedoch der Andrang der Stars und Sternchen. Früher kannten nicht viele diese Party, doch jetzt verpasste man sie selten. Ich erkannte viele Leute und kam mit ihnen ins Gespräch. Eine Reporterin fragte mich, warum ich in all den Jahren nicht geheiratet hatte, doch anstatt ihr eine vernünftige Antwort zu geben, zuckte ich nur hilflos mit den Schultern und lächelte. „Die richtige Frau habe ich einfach noch nicht gefunden.“ Ich ignorierte ihre schnippische Bemerkung, von wegen Ü50 und machte mich auf die Suche nach einem Bad. Mir wurde von dem ganzen Kohlendioxyd ganz schwummerig und ich brauchte eine kleine Abkühlung. Mit vierzig hatte ich gelernt, meinem Körper zu gehorchen und mit fünfzig hatte ich gelernt, mich von ihm beherrschen zu lassen.
Unten allerdings war kein Bad zu finden, also führte mich mein Weg nach oben. Ich hatte nicht bemerkt, dass mich die ganze Zeit jemand beobachtete und mir nach oben folgte. Als ich mir das Gesicht gewaschen hatte, schaute ich in den Spiegel und glaubte für einen Moment, mein Gesicht mit Ende zwanzig zu sehen. Doch dann zogen sich wieder die Falten durch meine Haut und mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass man die Zeit nicht zurückdrehen konnte, auch wenn man es sich noch so sehr wünscht. Meine guten Jahre waren vorbei, auch wenn ich immer noch ganz gut aussah und viele Frauen sich mir immer noch zu Füßen warfen, ließ sich leider nicht leugnen, dass mein Haupthaar graue Strähnen bekommen und ich um die Mitte herum wieder etwas angesetzt hatte.
Ich tat das Ganze mit einem Lächeln ab und setzte mir wieder die Maske auf. Wie damals irrte ich mich jedoch in der Tür und fand mich erneut im Schlafzimmer wieder. Zunächst achtete ich nicht darauf und ließ mich nur auf der Bettkante nieder. Doch dann zogen Bilder vor meinem inneren Auge hin und her, als hätte ich eine Art Vision. Ich sah mich, wie ich einer blonden Frau gegenübertrat und ich wurde wütend.
Ich hasste es, wenn ich an vergangene Freundinnen denken musste. Ich hatte mir vor vielen Jahren geschworen, nur noch für den Moment zu leben und vielleicht auch für die Zukunft. Aber ich wollte nie wieder auch nur einen kleinen Gedanken an die Vergangenheit verschwenden. Es nützte nichts, sich über vergossene Milch zu ärgern, hatte meine Mutter immer gesagt.
Aber mit einem Mal holte mich die Vergangenheit schneller ein, als ich überhaupt Luft holen konnte. Denn unvermittelt drückte jemand von außen die Klinke nach unten und schob sich ins Zimmer.
Es war eine blonde Frau. Sie trug ein eng geschnürtes Kleid, das ihr trotz der wohl geringen Oberweite ein unglaubliches Dekolleté zauberte. Sie schloss die Tür mit einem leisen Klicken und ich konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass ich diese Tür vor Jahren einmal mit viel Wucht ins Schloss geschmissen hatte.
Ohne auf eine Reaktion von mir zu warten, denn sie hatte mich zweifellos gesehen, nahm sie die Maske ab und ich erstarrte. Die Augen waren blau und engelsgleich; der Mund war rosa und schmal, doch er zeigte ein ebenfalls engelsgleiches Lächeln, ein Lächeln, das ich schon zwanzig Jahre nicht mehr gesehen hatte.
Sie kam auf mich zu und setzte sich neben mich. Es herrschte eine unangenehme Stille zwischen und, doch dann endlich sagte sie etwas: „Es gab Tage, da war der Wind so kalt, dass ich dachte, ich müsste, nur durch seine Laute, im Bett festfrieren.“ Sie nahm meine Hand und drückte sie leicht, ohne mir in die Augen zu sehen. Ich konnte fühlen, dass sie zitterte und merkte, dass ihr diese Worte wohl nicht sehr leicht fielen.
Ich hatte das Gefühl, dass ich ihr Mut zusprechen sollte. Denn sie schien mir nach all den Jahren etwas Wichtiges zu sagen zu haben. Aber meine Kehle war wie zugeschnürt und ich konnte einfach keine passenden Worte finden.
Also sprach sie weiter, wieder in die Stille hinein. „Und es gab einen Tag, da brannte die Sonne so heiß, dass sie meine Tränen trocknete und ich wusste, dass ich nie wieder weinen würde.“ Jetzt sah sie mich an.
Endlich löste sich der Knoten in meinen Stimmbändern. „Auch ich habe aufgehört, über dein Verlassen zu weinen. Und ich habe es geschafft, wieder stark zu werden. Wie du wann, weiß ich nicht. Aber ich habe nie wieder einen Gedanken an dich verschwendet, seid diesem Tag.“
Sie senkte den Blick wieder und eine Träne traf meinen Handrücken. „Das stimmt mich traurig, auch wenn ich es nicht anders von dir erwartet habe. Du warst schon immer so berechnend. Deswegen haben ich mich damals von dir getrennt.“
Wut packte mich, als ich ihre Worte hörte. Sie hatte mich nur verlassen, weil ich es liebte, ein routiniertes Leben zu führen und Überraschungen verabscheue? Nur deswegen hatte sie sich von mir getrennt?
Genau genommen war das noch nicht einmal die Wahrheit, denn sie hatte sie gar nicht von mir getrennt, sondern ich von ihr, weil sie nicht den Mut dazu hatte und einfach einen anderen Kerl mit in ihr Bett genommen hatte. Nur weil sie jeden Tag etwas Unerwartetes erwartete?
„Ich bin berechnend?“, platzte es aus mir heraus und ich wurde lauter, als ich es beabsichtigt hatte. Ich wollte die Stimme nicht erheben. Genauer gesagt wollte ich nicht einen Atemzug für sie verschwenden. Ich hasste sie, ich habe sie die ganzen zwanzig Jahre über gehasst und aus meinem Gedächtnis gelöscht, weil ich ihren Anblick, auch nur in Gedanken, nicht mehr ertragen konnte. Jede Erinnerung, die wir zusammen erlebt hatten, hatte ich verbannt.
Sie versuchte mich zu beruhigen, indem sie meine Hand erneut nahm, die ich ihr entrissen hatte. Doch ihre Berührung ließ meine Haut brennen. Zuerst dachte ich, dass es der Hass war, der meine Haut an der Stelle kribbeln ließ. Doch dann merkte ich, dass es etwas anderes war.
Ich sah ihr tief in die Augen und glaubte für einen kurzen Moment das Feuer von damals in ihrem Gesicht zu erkennen. Dann wanderten meine Augen über ihre Wangen, ihre Nase, hinunter bis zu ihren Lippen. Und wenn es möglich war, war sie über die lange Zeit noch schöner geworden, als sie es mit Mitte zwanzig jemals hätte sein können.
Von einer Kraft getrieben, die ich weder erklären noch leugnen konnte, griff ich mit der rechten Hand in ihren Nacken und zog ihren Kopf hinunter zu meinem. Ich senkte einen leidenschaftlichen Kuss auf ihre Lippen und verweilte in diesem Augenblick voll Wonne. Ich wartete darauf, dass sie mich wegstoßen und mir sagen würde, wie klar es für sie gewesen ist, dass ich sie nun küsste.
Doch dann erwiderte sie den Kuss mit einer Liebe, die ich in den Jahren unserer Beziehung nicht gespürt hatte.
Und plötzlich waren wir wieder jung und schön. Wir waren auf der Party damals im September 2006 und wir waren glücklich miteinander. Es gab keinen blonden Europäer, den sie am Arm hatte und ihr Lächeln galt nur mir.
Als sie sich von mir löste, fürchtete ich schon, dass der Zauber verfliegen könnte, doch ihr Haar war noch so blond wie damals und keine Falte zeichnete sie. Und ein Blick in den Spiegel an der Wand sagte mir, dass auch ich wieder der Orlando war, den man als den Elb Legolas oder den Piraten Will Turner kannte.
Ich bemerkte, dass sie keuchte und ihre Augen feucht wurden. Ihre Lippen schlossen und öffneten sich, als würde sie stumme Worte sprechen, die nur ich verstehen konnte. Und tatsächlich hörte ich ihr Geflüster. „Wir haben goldene Momente und Blitze aus Licht erlebt. Wir haben Dinge getan, die erst unmöglich und dann unumgänglich waren. Wir haben Nächte endlosen Glücks erlebt, mehr, als alle Regeln es erlauben. Und ich habe so hart dafür gekämpft, das alles zu vergessen.“
Sie hielt für einen Moment inne und streichelte mir über die makellose Wange. „Aber jetzt, wo du mich so küsst und wie du mich berührst, wie du mich hältst, wie du mich brauchst und willst – jetzt kommt alles wieder zurück zu mir.“
Ich wusste genau, was sie mir mit diesen Worten sagen wollte: Auch ich hatte einen harten Kampf hinter mir, den ich nur gewonnen habe, weil ich einen Teil von mir selbst aufgegeben hatte, einen Teil, an dem mein Herz sehr gehangen hatte. Ich hätte es auch nie für möglich gehalten, dass dieser Teil wieder zu mir zurückkommt und mich schon mit dem fehlenden Stück meiner Seele abgefunden und damit gelebt.
Aber jetzt war dieses Stück plötzlich wieder da und es war, als wenn es nie anders gewesen ist und es nie hätte anders sein können.
Ich war vor langer Zeit gestorben, doch jetzt, wo ich nicht mehr zu hoffen gewagt hatte, kam alles, was ich damals verlor, wieder zu mir zurück – inklusive ihr.
Ich küsste sie ein zweites Mal und schloss sie fest in meine Arme ein. Ich wollte sie nie wieder loslassen, doch als ich für einen winzigen Moment die Augen öffnete, war der Zauber verschwunden und wir waren wieder alt.
Ich löste sie von mir und sah ihr mit ein wenig Abstand ins Gesicht. Trotz der Falten, die sie zweifellos hatte, war sie für mich noch schöner geworden und ich liebte sie wie am ersten Tag. Und doch hatte ich Zweifel.
„Kann unsere Liebe denn erneuert werden? Können die zwanzig Jahre, die wir ohne einander auskommen mussten, einfach so weggewischt werden?”, fragte ich sie und sie wusste, dass ich diese Frage beantwortet haben wollte. Vielleicht wusste sie es, weil ich für sie berechenbar war. Aber vielleicht wusste sie es auch, weil sie es in meinen Augen lesen konnte, denn sie seufzte und sagte einfach nur: „Nein.“
Ich lächelte sie an. „Was wäre, wenn wir diesen Moment einfach nur festhalten und bis in alle Ewigkeit verwahren? Jeder von uns wird seinen Weg gehen und ich weiß, dass wir auch ohne einander glücklich werden können. Du darfst nur nicht vergessen, für den Moment zu leben. Denn die Vergangenheit ist nur ein Bild in unseren Erinnerungen.“
Als sie mich wieder ansehen konnte, sah ich in ihrem Blick Verzweiflung und Trauer. Ihre Gedanken lagen für mich jetzt offen: Sie hatte mit einer einzigen kleinen Dummheit ihr ganzes Leben verändert und bereute es jetzt. Aber konnte ich ihr die Chance dazu geben?
„Und wenn wir…?“ Doch ich legte einen Finger über ihre Lippen. Jetzt gab es nichts mehr zu reden und ich verschloss ihren Mund mit einem Kuss.