top of page

Honey, is that you?

Es war Sommer geworden in der Stadt der gefallenen Engel. Die Sonne brannte, die Palmen wiegten sich im spärlichen Wind und die Röcke der Frauen wurden immer kürzer.

 

Zu dieser Zeit ergab es sich, dass Orlando Bloom, der gefeierte Schauspieler, wieder einmal in seiner Wahlheimat war. Er liebte den Sommer hier. Im Gegensatz zu England konnte man hier sicher sein, dass die Sonne sogar in der Nacht schien, denn die ganzen Werbetafeln und die Scheinwerfer der Discos, die um die Kunden warben, machten die Nacht zum Tage.

 

Er liebte es, an besonders heißen Tagen mit dem Bus zum Strand zu fahren und sich dort die warmen Strahlen auf seinen wohlgeformten Bauch brennen zu lassen. Hier konnte er einmal richtig abschalten, wenn er nach einem harten Dreh Ruhe brauchte. Und außerdem waren die meisten Frauen hier wirklich heiß! Da war es nichts Ungewöhnliches, wenn abends mit einer neuen Bekannten nach Hause kam. Seine Freunde, Elijah und Dom, waren es schon gewöhnt und sagten dazu nichts mehr.

 

Er hatte seine Badehose angezogen, ein Handtuch, eine halbe Wassermelone und eine Flasche stilles Wasser in eine Tasche gepackt und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Er hasste es, mit dem Auto durch die Stadt zu fahren. Zu dieser Zeit kam er sowieso nicht durch.

 

Als der Bus endlich kam, sah er schon von weitem, dass er wohl stehen musste. Denn offensichtlich hatten auch viele andere Leute ihr Auto in der Garage stehen lassen und waren auf dieselbe Idee wie er gekommen. Aber er wollte sich den Tag damit nicht vermiesen lassen. Also bezahlte er sein Ticket und stellte sich in die Mitte des Busses. Er stellte seine Tasche zwischen seine Beine, hielt sich an einer Stange fest und schaute auf die Gegend, die an ihm vorbei zog. Der Fahrer hatte die Türen offen gelassen und so durchzog ein kühler Wind den gesamten Bus.

 

Sein Blick wanderte über die gepflegten Vorgärten und die Kinder, die in den Einfahrten spielten oder sich mit Wasser bespritzten. Er hätte wirklich nichts dagegen gehabt, wenn man ihn nass gemacht hätte.

 

Als sie am Hollywood Boulevard vorbei fuhren, fiel sein Blick plötzlich auf eine niedliche Brünette, die in einem Minirock mit Blumenmuster und einem Bikinioberteil die Straße entlang lief. In seinem Kopf lief ein Film ab. Er kannte dieses Mädchen, dessen war er sicher. Aber wie war doch gleich ihr Name?

 

Schnell lief er nach vorne zum Fahrer.

 

„Hey, Schaffner!“, rief er ihm zu und kam im selben Moment schon neben ihm zum Stehen. „Sie müssen anhalten!“ Der Schaffner sah ihn verwirrt an, aber Orlando meinte das sehr ernst.

 

„Warum? Ich kann jetzt nicht anhalten“, sagte der Schaffner und deutete auf die Straße vor ihm. „Hier ist keine Haltestelle. Sie müssen schon warten, bis eine kommt.“

 

„Nein!“, rief Orlando und rannte zur Tür, die ja bekanntlich offen stand. „Ich habe gerade meine zukünftige Braut gesehen!“ Der Schaffner begann zu grinsen. Diese jungen Leute waren doch wirklich verrückt. „Dann fahre Sie nur etwas langsamer, bitte.“

 

Den Gefallen konnte er ihm wohl tun, dachte der Schaffner und schaltete einen Gang runter. Orlando hatte sich bereits aus der Tür gehängt und wartete darauf, dass sich eine günstige Gelegenheit zum Abspringen bot. Doch da seitlich neben der Straße Hecken standen, war das nicht so einfach. Und zu allem Übel sah er auch noch, wie das Mädchen gerade um eine Ecke bog und aus seinem Blickfeld verschwand. Er musste etwas tun!

 

„Hey…!“ Er rief ihr hinterher. Wie blöd konnte Mann eigentlich sein? Doch das erschien ihm in diesem Moment als das Beste. Die Leute im Bus begannen schon zu lachen, doch das störte ihn nicht. Und als er sich noch etwas weiter aus der Tür lehnte, fiel ihm auch wieder ihr Name ein. Also rief er noch mal. „Hey, Nadine!“

 

Kaum hatte er ihren Namen ausgesprochen, rutschte er mit der Hand, mit der er sich am Rahmen der Tür festgeklammert hatte, ab und fiel aus dem Bus. Der Schaffner hielt den Bus sofort an. Doch die Fahrgäste lachten nur, als sie sahen, dass ihm nichts passiert war.

 

„Sir!“, rief der Schaffner dem am Boden liegenden Orlando zu. „Sir, ist alles in Ordnung bei Ihnen?“ Doch auch der Schaffner konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

 

„Jaja“, stammelte Orlando und rappelte sich aus. „Ja, mir geht es gut. Danke, dass sie langsamer gefahren sind.“ Mit einem ironischen Unterton in der Stimme stand er auf, sammelte seine Sachen zusammen und hetzte dem Mädchen hinterher.

 

Sie hatte sich nicht umgedreht, als er ihren Namen gerufen hatte. Aber er war sich hundertprozentig sicher, dass sie so hieß. Und er wusste auch endlich wieder, woher er sie kannte. Er hatte sie vor einem Monat in seinem Lieblingsclub getroffen und mit ihr getanzt. Aber sie war nicht an ihm interessiert gewesen und hatte sich geweigert, ihm ihre Nummer zu geben. Er hatte die Hoffnung, die wieder zu sehen, schon aufgegeben, als er jeden Abend wieder in den Club gekommen war und sie nie wieder angetroffen hatte. Doch da war sie!

 

Er erinnerte sich wieder an ihre blauen Augen, die ihn an die Farbe des Meeres in der Karibik erinnerten, und an ihren tollen Körper. Er hatte mehr von ihr gewollt, an diesem Abend, aber sie war ein anständiges Mädchen und hatte ihn abblitzen lassen.

 

Er hatte seine Sachen wieder aufgesammelt, die sich Dank seinem Sturz auf dem gesamten Gehweg verstreut hatten und eilte ihr hinterher. Sie war auf dem Weg zum Strand und das war auch genau da, wo er hin wollte. Vielleicht würde sie sich ja mit ihm an die Bar setzen und einen Cocktail mit ihm trinken.

 

Doch als er ebenfalls um die Ecke bog, musste er wieder beinahe aufgeben. Denn hier auf dieser Straße herrschte reges Treiben und die Leute liefen wie Ameisen umher. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, doch er konnte sie nicht mehr entdecken.

 

Also erklomm er kurzerhand einen Laternenpfahl. Er kletterte immer höher, bis er die gesamte Straße überblicken konnte. Und da, etwa hundert Meter weiter vorne, ging sie. Er rief:

 

„Hey, Nadine!“ Die Leute drehten sich zu ihm um und bedachten ihn mit einem Lächeln. Wer war auch schon so verrückt und rief mitten auf der Straße einem wildfremden Mädchen hinterher? Das konnte nur Orlando Bloom fertig bringen, dachte er. Doch sie war wohl die Einzige, die sich nicht nach ihm umdrehte.

 

Er kletterte den Pfahl wieder hinunter. Er musste sich wohl etwas Anderes überlegen, um ihre volle Aufmerksamkeit zu erhalten. Also, hinterher und nur nicht locker gelassen!

 

Er drängte sich durch die Menge. Doch es waren wohl mehr Leute unterwegs, als er auf den ersten Blick gedacht hatte. Es war nicht leicht, vorwärts zu kommen. Aber er wollte sie auf keinen Fall noch einmal entwischen lassen. Er musste sie einfach noch einmal nach ihrer Nummer fragen.

 

„Hey, Nadine!“, rief er erneut. Wieder drehten sich Leute zu ihm um. Doch keine sah so aus wie sie. „Nadine, Honey! Bist du das? Ich würde dich gerne nach deiner Nummer fragen! Bitte, gib mir doch eine Chance. Ich bin nicht so schlecht, wie du denkst!“

 

Jetzt ließ er sich schon dazu herab, wie ein Diplomat auf sie einzureden! Es war wirklich zum im Boden versinken peinlich!

 

Doch es schien zu wirken! Sie drehte sich einmal kurz um, bedachte ihn aber nur mit einem abwertenden Blick und pfiff ein Taxi heran. Der gelbe Wagen hielt neben ihr und sie setzte sich auf den Rücksitz. Das durfte doch einfach nicht wahr sein!

 

Er wusste nicht, was er noch tun sollte. Also sprang er vor einem anderen Taxi auf die Straße und brachte es so zum Stehen. Hinten im Wagen saßen allerdings schon mehrere Leute, die sich angeregt über ihn aufregten. Der Fahrer zeigte ihm einen Vogel und wollte schon weiter fahren. Doch er öffnete die Beifahrertür und stieg einfach in das Taxi ein.

 

„Was zum Teufel soll das?“, empörte sich der Fahrer und die Gäste hinten auf der Bank begannen ihn wüst zu beschimpfen, sie hätten es eilig und könnten das jetzt nicht gebrauchen. Doch Orlando zückte seine Geldbörse, drückte dem Fahrer einen Hunderter in die Hand und rief: „Folgen Sie dem gelben Taxi!“

 

Durch das Geld ermuntert drückte der Fahrer auf das Gaspedal und brachte den Wagen in Fahrt. Die Fahrgäste allerdings ließen sich nicht so einfach zur Ruhe bringen. Als er ihnen seine Geschichte erzählt hatte und ihnen versichert hatte, dass er ihre Rechnungen übernehmen würde, wurden sie allerdings endlich ruhiger.

 

„Ich will Ihnen ja nicht reinreden, Sir“, meldete sich eine alte Dame zu Wort. „Aber finden Sie das nicht ein bisschen übertrieben, einer fremden Frau durch die halbe Stadt hinterher zu laufen? Ich würde meinem Enkel was erzählen, wenn er das machen würde! So eine Blamage ist doch vor den Freunden nicht zu erklären! Oder haben Sie keine Freunde?“

 

„Ich kann Ihnen versichern, Madam“, sagte Orlando, ohne den Blick von dem gelben Taxi vor sich zu nehmen. „Dass meine Freunde mir das nicht vorwerfen werden, wenn ich es ihnen erzähle. Liebe ist nun einmal so.“ Doch die Frau schüttelte nur den Kopf und murmelte etwas, das verdächtig nach Volltrottel klang. Aber er störte sich nicht daran.

 

Als sie etwa fünf Minuten hinter dem gelben Taxi hergefahren waren und sie immer noch nicht aufgeholt hatten, wurde es ihm zu bunt. Er kurbelte das Fenster runter und lehnte sich hinaus. Das war nun schon das zweite Mal heute, dass er sich wegen diesem Mädchen fast den Hals brach. Und das war nicht nur symbolisch gemeint!

 

„Hey, Nadine!“, rief er wieder. Morgen würde er sicher keine Stimme mehr haben. Aber das war ihm egal. „Nadine, bitte! Halt den Wagen an und lass und reden!“

 

Machen Sie, dass Sie sich wieder hinsetzten, Sie Idiot!“, brüllte der Fahrer und zog Orlando an seinem Hemd wieder ins Taxi rein. Doch als der Fahrer losgelassen hatte, lehnte er sich erneut aus dem Fenster.

 

„Ich will doch nur mit dir reden!“ Die Leute, die an der Straße standen, betrachteten das Schauspiel mit einer gewissen Gelassenheit. Immerhin war das hier Los Angeles und da war man solche idiotischen Aktionen gewöhnt. Wahrscheinlich dachten sie, dass das zu einem schlechten Film gehörte.

 

Endlich, nach einer endlosen Fahrt, hielt das Taxi am Strand. Als er ausstieg, fiel ihm auf, dass sie mit ihm eine Rundfahrt quer durch die Stadt und ihre Randbezirke gemacht hatte. Und er hatte auch noch bezahlt! Er war wirklich ein Volltrottel. Dieses Mädchen spielte doch nur mit ihm. Warum lief er ihr denn trotzdem noch hinterher wie ein Hund, der zu oft geschlagen wurde?

 

Sie schlug die Tür des Taxis zu und bezahlte den Fahrer durchs Fenster. Danach hängte sie sich ihre Strandtasche über die Schulter und marschierte mit hoch erhobener Nase in Richtung Strand. Ihre blauen Flipflops schlappten über den Steinboden und ihre braunen Haare wippten im Takt mit.

 

Als sie am Rande des Sandes angekommen war, hatte er sie endlich eingeholt. Er hatte noch sehr oft ihren Namen gerufen, doch sie hatte sich nicht ein einziges Mal zu ihm umgedreht. Entweder war das wirklich nicht ihr Name oder sie war definitiv nicht an ihm interessiert.

 

Als er endlich neben ihr war, packte er sie sanft am Arm und drehte sie zu sich um. Er blickte sofort in ihre Augen und das Bild von einer einsamen Karibikinsel tauchte sofort in seinem Gedächtnis auf. Sie war wirklich wunderschön. Sie sah aus wie eine Inselblüte, und doch hatte sie dieses Flair der Großstadt. Ihre goldene Haut schimmerte in der Sonne und ihre weißen Zähne bildeten einen tollen Kontrast dazu.

 

„Nadine“, sagte er atemlos. „Ich wollte dich…“ Doch sie unterbrach ihn indem sie seine Hand wegschlug und ihn herablassend anblickte.

 

„Nur nach meiner Nummer fragen?“, sagte sie hochnäsig und er nickte, immer noch nach Luft ringend. „Vergiss es, Schauspieler. Mit Typen wie dir fange ich aus Prinzip nichts an. Sie rennen einem kurzen Rock hinterher, wie eine Fliege dem Licht. Such dir eine Andere.“

 

Sie wirbelte auf dem Absatz herum, schlug ihm dabei ihre Haare ins Gesicht und wollte schon gehen. Er war nicht in der Lage, ihr noch einmal in solch einem Tempo hinterher zu rennen. Außerdem hatte sie ihm ja wohl unmissverständlich klar gemacht, was sie von ihm hielt. Doch dann drehte sie sich noch einmal um.

 

„Ach, übrigens“, sagte sie und kam noch ein letztes Mal auf ihn zu. „Ich bekomme zweiundachtzig Doller von dir für die kleine Rundreise.“ Wortlos griff er zu seiner Geldbörse und wollte ihr schon das verlangte Geld in die Hand drücken, die sie auffordernd ausgestreckt hatte. Doch dann besann er sich.

 

„Weißt du was, Nadine, Honey?“ Er steckte die Börse dahin zurück, wo sie hingehörte und stemmte die Hände in die Hüften. „Wenn du schon so einen Rundreise mit mir machst, musst du auch damit rechnen, dass das alles auf deine Kappe geht. Zahl selber und such dir einen anderen Dummen, den du ausnehmen kannst.“

 

Und mit diesen Worten machte er sich auf den Weg nach Hause. Er hatte gerade in diesem Moment beschlossen, dass er nie wieder das Gespött der Stadt werden wollte. Und er hatte außerdem beschlossen, dass er sich nie wieder von einer Frau so nass machen ließ.

© by LilórienSilme 2015

  • facebook-square
  • Instagram schwarzes Quadrat
  • Twitter schwarzes Quadrat
bottom of page