LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Englischer Kaffee
London bei Nacht.
Ein wunderschöner Anblick, dachte er als er auf der Tower Bridge stand und über die Themse blickte.
Wohin sollte er gehen? Er hatte die ganze Woche frei und Lust auf Party. Er würde in seinen Lieblingsclub gehen und dort endlich einmal wieder richtig sich die Nacht um die Ohren schlagen. Und das würde er alleine machen. Er hasste es, wenn er von seinen Freunden aufgehalten wurde, weil sie zu viel getrunken hatten. Er konnte Betrunkene nicht leiden, auch wenn er manchmal selber etwas über die Stränge schlug.
Als er den Club betrat, war er schon brechend voll. Es war heißer Sommer und halb nackte Körper wanden sich auf der Tanzfläche und zuckten rhythmisch zum Takt der Musik. Schon jetzt dröhnten seine Ohren von der lauten Musik. Aber in ein paar Minuten würde sich das wieder legen.
Er ging an die Bar und bestellt sich ein Bier. Suchend ließ er seinen Blick über die Personen, die in seiner Nähe waren, gleiten. Wenn er das Bier getrunken hatte, wollte er tanzen. Und dazu suche er jetzt den richten Partner. Sie musste gut gebaut sein und sie musste Taktgefühl haben. Doch hier an der Bar sah er nur Leute, die kein Interesse am Tanzen hatten. Oder sie hatten generell kein Interesse daran, sie viel zu bewegen.
Als er gerade den letzten Schluck in seine Kehle kippte, lehnte sich eine hübsche Rothaarige neben ihn an die Theke. Sie rief dem Wirt etwas zu, was er selber nicht verstand und bekam dafür das gleiche Bier, was er gerade dabei war zu leeren. Diese Frau hatte Geschmack. Und sie sah auch wirklich gut aus. Sie hatte ihre Locken ein bisschen zurückgesteckt und trug auffällige Ohrringe in einem Bronzeton. Um ihren hübschen Hals baumelte eine passende Kette.
Als er an ihr herunter blickte, erkannte er geschmackvolle Kleider: Sie trug ein braunes Top, das am Ausschnitt mit verschiedenen Perlen, meist in Türkis, besetzt war. An ihren langen Beinen trug sie eine dunkle Jeans und darunter schwarze Stiefel. Wie konnte sie darin nur tanzen?
Das war das Stichwort! Als hätte sie seine Gedanken gelesen, drehte sie sich plötzlich zu ihm, stellte das Bier ab und zog ihn ohne ein Wort, was bei dem Lärm ohnehin nicht zu hören gewesen wäre, hinaus auf die Tanzfläche. Sie schmiegte sich eng an ihn, denn sie hatten kaum Platz auf dem flimmernden Parkett. Aber das war ihm ganz recht, denn sie sah wirklich toll aus. Und sie konnte wirklich in den Schuhen tanzen, die ihm wahrscheinlich mit nur einem einzigen Schritt beide Füße gebrochen hätten. Frauen waren manchmal unglaublich.
Drei Stunden später waren sie völlig außer Atem und schlenderten zurück an die Bar. Die Musik war inzwischen schon etwas leiser geworden und sie konnten sich ein bisschen unterhalten. Sie bestellten sich jeder noch ein Bier und setzten sich an die nunmehr fast leere Bar. Sie legte ein Bein über das andere und machte es sich bequem. Sie schien es überhaupt nicht zu stören, dass er sie ständig musterte. Im Gegenteil, es schien er sogar noch zu gefallen, dass er sie beinahe mit seinen Blicken auszog. Sie gefiel ihm immer mehr und er wollte sie am liebsten sofort mit nach Hause nehmen.
Als sie das Bier ausgetrunken hatten, bestellten sie sich noch eins – und noch eins. Schließlich waren sie die letzten in der Bar. Der Wirt stand hinter der Theke und nickte immer wieder im Stehen ein. Endlich scheuchte er sie raus. Aber beide hatten noch keine Lust, ins Bett zu gehen. Außerdem würde die Sonne erst in zwei Stunden aufgehen. Also liefen sie noch durch den Park.
Sie unterhielten sich über Gott und die Welt, lachten zusammen und hielten sich aneinander fest, da beide schon nicht mehr ganz nüchtern waren. Aber keiner verriet dem anderen seinen Namen.
Als die Sonne sich schließlich am Horizont durch ein paar rötliche Streifen bemerkbar machte, waren sie in seinem Stadtteil angekommen. Er führte sie zu seinem Haus und bat sie noch auf einen Kaffee mit hinein. Beide wussten, was das zu bedeuten hatte. Und keiner sagte Nein.
Sie trat in seine Küche ein und stellte fest, dass ihre Mutter doch Recht gehabt hatte. Die Küche von Junggesellen schien wohl nie aufgeräumt zu sein. Aber er wusste genau, wo er nach der Kaffeemaschine, dem Pulver und den Filtern zu suchen hatte. Sich immer noch faszinierend umblickend räumte sie einen Stuhl von Zeitungen frei und ließ sie darauf nieder.
„Ich mag deine Wohnung“, sagte sie und sah ihn wieder mit diesem ihr eigenen Blick an. Sie hatte braune Augen und er hatte schon festgestellt, dass ihre Haare nicht wirklich rot waren, sondern eigentlich beinahe schwarz waren, was schon am Ansatz zu sehen war.
„Mach dich nicht lächerlich“, sagte er und drehte sich zu ihr um. Hinter ihm zischte die Kaffeemaschine jetzt und brühte das Wasser auf.
„Sie ist schrecklich. Ich hab seid Wochen nicht mehr aufgeräumt. Das schmutzige Geschirr türmt sich auf und der Boden könnte auch mal wieder gewischt werden.“ Peinlich berührt verdeckte er das Geschirr in der Spüle mit einem Handtuch.
„Du hast Charakter. Und das mag ich. Bei mir sieht es auch immer so aus. Ich kann Ordnung nicht leiden.“ Sie lächelte ihn an und er musste zurück lächeln. Wenn sie ihre Zähne zeigte, konnte er nicht anders und musste auch lächeln. Er liebte sie dafür, dass sie jetzt gerade bei ihm war, jetzt wo er so dringend jemanden brauchte. Seinen Freunden konnte er sich nicht anvertrauen, aber ihr konnte er alles erzählen, denn sie kannten sich kaum. Vor ihr musste er sich nicht schämen.
„Charakter? Nur, weil er ich meine Küche nicht aufräume?“ Er grinste sie an, doch sie wurde plötzlich ernst. Er stand immer noch mit dem Rücken an die Küchentheke gelehnt und sah sie an. Sie jedoch stand jetzt auf und ging auf ihn zu. Sie lehnte ihre Hände gegen seine Brust und blickte ihm tief in die Augen. Er konnte ihren Blick fast nicht ertragen und musste die Augen schließen. Er wollte den Kopf von ihr abwenden um dann wieder seine Augen öffnen zu können. Aber da hatte sie ihn schon geküsst.
Als sie wieder von ihm ließ, blickte er sie mit großen Augen an. Er sah aus, als hätte er zum ersten Mal in seinem Leben einen Kuss von einer anderen Frau als von seiner Mutter oder seiner Schwester bekommen. Dann verzog sich sein Mund zu einem Siegesgrinsen. Er hatte sie jetzt vollkommen in seiner Gewalt, das wusste er.
Doch als er sie nun küssen wollte, entzog sie sich ihm. Da wurde ihm klar, dass nicht er sie in seiner Gewalt hatte, sondern sie hatte ihn festgenagelt. Und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Denn sonst hatte er immer die Rolle des Bestimmers inne. Und er sah es nicht ein, warum er diese Rolle abgeben sollte. Doch er hatte wohl keine andere Wahl, denn als er zu einem zweiten Versuch ansetzte, griff sie nach dem fertigen Kaffee.
Sie hatte sich mit einer Tasse schwarzen Kaffees wieder auf den Stuhl gesetzt und starrte ihn jetzt unverwandt aus ihren haselnussbraunen Augen an. Ihm wurde plötzlich ganz anders. Plötzlich wollte er sie.
Er stellte seine Tasse unsanft zurück auf die Anrichte, kam auf sie zu, riss ihr die Tasse aus der Hand und warf sie achtlos zu Boden. Noch ein weiterer Fleck auf dem unsauberen Boden, dachte er nur und nahm sie auf seine Arme. Sie wehrte sich nicht dagegen und da begriff er, dass sie nur mit ihm spielte. Aber das war ihm jetzt egal. Jetzt war ihm alles egal.
Mit dem Fuß stieß er die Tür zum Schlafzimmer auf und warf sie aufs Bett. Sie stützte sich auf den Armen ab und sah ihn neckisch an. Er stand noch zögerlich in der Tür, dann ging er langsam aufs Bett zu.
„Wie heißt zu eigentlich?“, fragte sie, als er über ihr war.
„Orlando“, flüsterte er ihr sanft ins Ohr. „Und du?“ Aber anstatt einer Antwort schlang sie ihre Arme um seinen Hals, drehte ihn auf den Rücken und küsste ihn leidenschaftlich. Er ließ es sich gefallen.
Als die Sonne aufging, schien sie in ein kleines Zimmer, das einem kleinen Haus gehörte, in dem Stadtteil Notthing Hill, am Rande Londons.
Orlando lag im Bett, hatte ein weißes Laken über den Beinen und der Hüfte, und schlief. Er sah so friedlich aus. Aber trotzdem konnte sie nicht bei ihm bleiben. Leise zog sie sich an und schlich aus dem Zimmer. Als sie in der Küche ankam, musste sie gegen den Drang kämpfen, sofort alles aufzuräumen und zu putzen. Doch dann würde er wahrscheinlich zwischendurch aufwachen. Und das wollte sie nicht.
Sie hinterließ keinen Zettel und auch keine Kleidungsstücke. Sie sammelte alles ein, was ihr gehörte und verließ auf leisen Sohlen das Haus. Als sie auf der anderen Straßenseite angekommen war, blickte sie noch einmal zurück. Alle Fenster des Hauses waren noch dunkel.
Ihre Füße taten weh, als sie endlich wieder in London Mitte war. Sie hatte weder ein Taxi noch eine U-Bahn ergattern können. Also hatte sie sich kurzerhand entschloss, zu laufen. Das würden ihre Schuhe und ihre Füße ihr sicher nicht danken, aber so konnte sie wenigstens wieder einen etwas klareren Kopf bekommen. Jetzt fehlte nur noch ein Kaffee.
Genervt hob er die Scherben seiner ehemaligen Kaffeetasse vom Boden auf. Vielleicht war er doch etwas zu stürmisch gewesen. Na ja, jetzt war es zu spät. Leider war alles zu spät, denn er hatte sie außerdem auch noch verpasst. Sie hatte sich einfach davon gemacht und nichts von sich hier gelassen, nur eine Erinnerung und den Duft ihres Parfums, der noch schwach in der Luft lag.
Und sie hatte noch etwas zurück gelassen. Sie hatte eine große Leere zurück gelassen, die ihm ständig die gleiche Frage stellte: Sehe ich sie jemals wieder?
Als sie durch das morgendliche London schritt, ging ihr der Mann namens Orlando nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatte mit ihm gespielt, wie sie es immer mit Männern tat. Aber dieser hier hatte es bemerkt und er hatte es sich gefallen lassen. Gewissermaßen hatte er mit ihr gespielt. Und das war ihr noch nie passiert. Er hatte sie durchschaut – einfach so. Wie hatte er das nur gemacht? Würde sie ihn wieder sehen?
Tief in Gedanken ging sie über eine Straße. Sie war so nah in Gedanken bei ihm, dass sie nicht sah und nicht hörte, wie en Lastwagen immer näher kam. Der Fahrer am Steuer des Vierzigtonners gähnte herzhaft und kratzte sich am Kopf. Er hatte eine 10-Stunden-Schicht hinter sich und würde bald an seinem Ziel sein. Dann konnte er sich ein gemütliches Hotel suchen und ausschlafen. Ja, darauf freute er sich. Auf ein weiches Bett, eine Dusche und nachher eine Tasse starken englischen Kaffees.
Wieder musste er gähnen. Aber als er die Augen wieder öffnete, war es schon zu spät. Er sah nur noch, wie ein Schopf rötlicher Haare aus seinem Blickfeld nach untern verschwunden. Dann gab es einen Knall. Er trat auf die Bremse.
Orlando hatte gerade angefangen, seine Küche aufzuräumen. Er nahm seine Tasse, die er eben unsanft abgestellt hatte, in die Hand. Aber sie rutschte ihm durch die Finger und zerschellte am Boden.
Er wusste nicht, woher er das wusste, aber in diesem Augenblick begriff er, dass er seine rothaarige Schönheit nie wieder sehen würde. Sie war nun für ihn verloren – für immer.