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A real Thriller

Es war nun schon ein Jahr vergangen, seid das erste Mal die Kameras angelaufen waren. Peter Jackson war bisher sehr zufrieden mit seinen Schauspielern und sie waren wohl auch zufrieden mit ihrem Regisseure, denn bisher hatte niemand ein böses Wort verloren. Natürlich waren die Nerven angespannt. Nach einem Jahr war das auch kein Wunder.

 

Um die Nerven wieder ein wenig zu lockern, oder zumindest sie wieder für die Drehs zu schärfen, hatte Peter also zu einer kleinen Halloween-Party geladen. Er hatte Einladungen an alle Darsteller und an die Leute verschickt, die am meisten für den Film taten. Es waren unter anderem die Kameraleute eingeladen, ein paar Stuntmänner und –frauen, Maskenbildner, Requisiteure und natürlich die Produzenten. Alle sollten verkleidet kommen, das war Pflicht. Als was sie sich jedoch verkleiden wollten, blieb ihnen natürlich selbst überlassen.

 

Gegen 22.00 Uhr etwa parkte das Auto von Orlando vor Livs Apartment und hupte laut. Sie warf noch einen letzte prüfenden Blick in den Spiegel, dann schnappte sie sich ihre Schlüssel und ihre Handtasche und lief nach draußen. Sie waren spät dran, wie immer.

 

Als sie in den Wagen des jungen Briten stieg, schlug ihr eine Duftwolke entgegen, die aus dem hinteren Teil des Wagens kam. Hinten saßen Billy, Sean Astin und Elijah. Billy hatte sich als Pirat verkleidet, was ihm allerdings nicht sehr gut gelungen war. Seine Augenklappe saß schief und seine schwarz bemalten Zähne hatten seine ganze Zunge gefärbt.

 

Sean und Elijah hatten es wesentlich besser getroffen. Sean hatte sich als Dracula verkleidet und sah auch wirklich gut aus. Seine Haut war richtig weiß und aus seinen Mundwinkeln ragten künstliche Zähne heraus. Auf das Blut hatte er allerdings verzichtet.

 

Elijah allerdings hatte sich einen Spaß daraus gemacht, Orlando auf die Schippe zu nehmen und hatte sich als Peter Pan mit blonder Perücke verkleidet. Er selbst nannte es „Barbie-Peter Pan“ und es war unschwer zu übersehen, dass es Legolas sein sollte. Dummerweise hatte er keinen Bogen dabei. Aber er hatte sich ein bisschen Rouge auf die Wangen getupft, die Wimpern getuscht und sich mit Parfum zugeschüttet.

 

Orlando fand das Ganze gar nicht so lustig und saß missmutig am Steuer. Liv konnte nur hoffen, dass die Party nicht in einem Desaster enden würde. Aber mit der Miene, die Mr. Bloom, der übrigens als James Bond verkleidet war, gerade zog, versprach sie sich nicht allzu viel.

 

Sie selbst hatte sich als Engel verkleidet. Ihre Haare trug sie offen. Ein langes weißes Kleid mit goldener Borde unten hatte sie noch in ihrem Schrank gefunden und aus goldenem Draht hatte sie sich noch schnell einen Heilligenschein gebastelt. Aber es war ihr gut gelungen.

 

Orlando fuhr an und bat Liv, die Wegbeschreibung vorzulesen, denn Peter hatte für die Party eine alte Villa außerhalb von Wellington gemietet, die schon seid Jahren leer stand. Das war garantiert der perfekte Ort für eine Halloween-Party. Aber sie würden mal wieder zu spät kommen.

 

Als sie Wellington verlassen hatten, wurde es kompliziert. Die Straßen waren nicht beleuchtet und vor allem waren sie schlecht beschildert. Wenn sie hier im völligen Dunkeln den Weg fanden, grenzte das schon an ein Wunder. Aber Liv gab sich Mühe, die Beschreibung sorgsam zu lesen und Orlando versuchte sie so gut wie möglich zu befolgen.

 

„Da vorne müsste jetzt bald eine Abzweigung kommen“, sagte Liv. Sie hatte die Innenbeleuchtung eingeschaltet und versuchte, die Karte zu entziffern. „Da müssten wir dann rechts abbiegen.“

 

„Ich kann aber nur links abbiegen“, gab Orlando zurück. Er stoppte den Wagen und sah sich um. Durch das Licht im Wagen konnte er draußen nicht viel sehen, also schaltete er es wieder aus. Er suchte die Gegen nach einem Hinweis auf das alte Herrenhaus ab. Aber hier war wirklich keine Menschenseele zu finden. Keine Schilder zeigten den Weg und kein Licht, außer den Scheinwerfern des Autos, gab es hier. Das war doch alles zum ausflippen, dachte Orlando und fuhr sich mit der Hand durch seine künstlichen Haare. Seid er sich jeden Morgen nicht nur den Bart sondern auch den Kopf rasieren musste, trug er in seiner Freizeit immer Perücken. Und er hasst es. Doch heute war sie besonders lästig.

 

„Weißt du was?“, meldete sich Elijah jetzt von hinten. „Dann fahr doch einfach weiter. Wir kommen schon noch an, da bin ich sicher.“

 

Sofort drehte Orlando sich nach hinten und zeigte wütend mit dem Finger auf seinen Freund. „Du hältst mal besser ganz die Klappe“, fauchte er. „Oder willst du lieber fahren?“ Elijah ließ sich resigniert wieder in den Sitz sinken. Und Orlando stellte zufrieden fest, dass er jetzt seine Klappe halten würde.

 

Elijah verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte sich mit der Verkleidung doch nur einen Spaß erlauben wollen. Warum musste er gleich immer so ausflippen, wenn man ihn auf die Schippe nahm. Das war doch nicht böse gemeint. Aber vielleicht hatte sein Freund auch einfach nur genug davon, ständig in Strumpfhosen und blonder Perücke rumzulaufen.

 

Orlando legte wieder den ersten Gang ein und fuhr los. Er hatte beschlossen, dass er bei der nächsten Gelegenheit rechts fahren würde. Das würde schon irgendwie hinhauen.

 

Nach ein paar Minuten sah er dann endlich auch die Abzweigung, die sie gesucht hatten. Doch leider führte diese nicht, wie beschrieben, in eine Allee, sondern auf einen total unwegsamen Waldweg. Sofort hielt er wieder an. Genervt nahm er Liv den Plan ab und besah ihn sich genauer. Und wenn ihn sein Orientierungssinn nicht im Stich ließ, waren sie viel zu weit gefahren.

 

Er legte den Rückwärtsgang ein und drehte sich nach hinten. Aber Seans Kopf versperrte ihm die Sicht. „Schieb mal deinen Dracula-Kopf zur Seite. Ich kann nichts sehen.“ Sean tat, wie ihm geheißen und duckte sich. Orlando fuhr an, doch dann stoppte er gleich wieder mit einer Vollbremsung.

 

„Was soll denn das?“, empörte sich Sean, der mit dem Kopf gegen den Sitz geschlagen war. „Bist du verrückt geworden? Willst du mich umbringen?“

 

Orlando hörte aber nicht auf ihn. Er hatte etwas vor das Auto laufen sehen, da war er ganz sicher. Er stieg aus und ging hinter den Wagen. Auch Elijah stieg aus. „Was ist denn los?“, fragte „Peter Pan“. Doch sein Freund antwortete nicht. Verwirrt blickten sich beide um. „Hast du etwas gesehen?“

 

„Ich bin nicht sicher“, sagte Orlando nach einer Weile. Er schirmte die Augen gegen die Rücklichter ab und blickte in den düsteren Wald. Aber da war nichts mehr zu sehen. Dabei hatte er doch ganz klar eine Gestalt gesehen, die über den Weg gelaufen war.

 

Nach einer Weile stieg er wieder ein. „Ich hasse Halloween“, sagte er. „Der ganze Blödsinn von wegen Geister und Zombies hat mich noch nie interessiert.“

 

„Warum bist du dann mitgefahren?“, fragte Liv. Als Amerikanerin kannte sie den Brauch und sie mochte es, wenn die Kinder an ihre Tür klopften und nach Süßigkeiten fragten, oder ihr damit drohten, ihr einen Streich zu spielen.

 

„Ich weiß auch nicht!“ Orlando knallte die Tür zu, wartete bis Elijah wieder eingestiegen war, und fuhr los. Er drehte sich und fuhr in die Richtung, aus der sie eben gekommen waren. Zu mindest glaubte er das. Denn nach zehn Minuten waren sie immer noch nicht wieder auf der Straße nach Wellington. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Sie hätten längst wieder die ersten Laternen sehen müssen. Sie waren nirgendwo abgebogen und immer nur geradeaus gefahren.

 

Der Mond war inzwischen aufgegangen und leuchtete hell vom Himmel. Da es hier schon fast Sommer war um diese Zeit wirkte der Wald aber nicht sonderlich gruselig. Die Bäume standen in ihrem vollen Blätterkleid und vermutlich war ihm eben nur ein Reh über den Weg gelaufen. Aber hatte er nicht deutlich gesehen, dass es ein Mensch war? Er war sich fast sicher, dass er ein bleiches Gesicht, einem Totenkopf ähnlich, gesehen hatte.

 

Doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Eigentlich glaubte er nicht an Geister. Und das würde sich heute ganz sicher auch nicht so schnell ändern.

 

In Gedanken versunken fuhr er weiter die Waldstraße entlang. Er fragte sich, ob er nicht einfach wieder nach Hause fahren sollte.

 

Ein plötzlicher Schrei riss ihn aus seinen Gedanken, in denen er schon zu Hause vor dem Fernsehen saß und sich ärgerte, dass heute Nacht nur Horrorfilme liefen. Er trat mit voller Wucht auf die Bremse und wäre beinahe mit dem Kopf auf dem Lenkrad aufgeschlagen. Dann blickte er zu Liv, die geschrieen hatte.

 

„Was ist denn los?“, fragte er sie. Doch die Antwort blieb aus. Stattdessen starrte sie wie gebannt auf die Straße vor ihnen. Er folgte ihrem Blick und er konnte nicht glauben, was er dort sah.

 

Sollte das vielleicht ein schlechter Scherz sein, dachte er. Doch dann sah er genauer hin. Es war wirklich jenes Wesen, was auch er eben gesehen hatte. Ein großer Mann stand im Scheinwerferlicht. In seiner rechten Hand hielt er ein Messer, die andere hing schlaff an ihm herunter. Sein Gesicht sah aus wie ein Totenschädel, so bleich war seine Haut. Und sie sah aus, als würde sie sich über die Knochen spannen. Da, wo die Augen hätten sein sollen, klafften zwei schwarze Löcher, aus denen es gefährlich blitze. Und unter seiner schwarzen Kutte schauten unten zwei Füße heraus, die wie die einer Moorleiche aussahen.

 

Entweder war das eine wirklich phantastische Verkleidung, oder dieser Kerl war wirklich ein Geist.

 

„Glaubst du“, stammelte Billy von hinten, „dass der echt ist?“

 

„So ein Unsinn“, sagte Orlando. „Ihr glaubt doch nicht wirklich an Geister, oder? Seht doch mal genau hin. Das ist eine Maske!“ Um zu beweisen, dass er Recht hatte, stieg er aus. Elijah wollte ihn noch festhalten, doch es war zu spät. Orlando schlug die Autotür zu und ging auf den Fremden zu.

 

Im Inneren des Wagens konnten die Vier nicht verstehen, was Orlando sagte. Doch Elijah vermutete, dass er ihn nach dem Weg fragen würde. So verrückt war der Elb zu mindest. Er würde sogar noch den Teufel fragen, wie er in den Himmel kam.

 

Nach zwei Minuten etwa hatte Elijah allerdings die Nase voll. Er wollte auch aussteigen um zu wissen, was da eigentlich vor sich ging. Doch als er an dem Griff der Tür zog, tat sich nichts. Die Tür blieb verschlossen. Geschickt kletterte er auf den Fahrersitz und zog hier am Türgriff. Doch auch hier tat sich nichts. Mit einem seltsamen Gefühl im Magen lehnte er sich zur Beifahrertür rüber, doch auch sie ließ sich nicht öffnen. Er forderte Billy auf, seine Tür zu öffnen. Aber Billy zog etwas zu stark und brach den Türgriff ab.

 

„Wir sitzen hier fest“, stellte Sean fest. Und damit hatte er Recht. Das Auto ließ sich von innen nicht öffnen. Aber Orlando machte keine Anstalten, wieder zu ihnen zurückzukommen. Er stand immer noch mit dem merkwürdigen Kerl dort vorne und fragte ihn aus. Doch wie es aussah, wollte der Kerl einfach nicht antworten. Er blickte nur die ganze Zeit wie gebannt auf das Auto. Oder zu mindest kam es Liv so vor. Denn man konnte nicht wirklich erkennen, wohin seine nicht vorhandenen Augen sahen.

 

Endlich gab Orlando auf und kam zurück zum Wagen. Er zuckte mit den Schultern und trat aus dem Scheinwerferlicht. Die Augen seiner Freunde richteten sich alle auf ihn. Er kam zur Fahrertür und zog am Griff. Doch die Tür ging nicht auf!

 

Langsam kroch Panik in Liv hoch. Was sollte das alles? Sie hatten doch nur zu einer Halloween-Party gewollt. Und jetzt standen sie hier mitten im Wald, saßen im Auto fest und vor ihnen stand dieser gruselige Kerl und wollte sie nicht vorbeilassen.

 

Als ihr Blick wieder zu dem Fremden glitt, setzte ihr Herz für einen Moment aus. Der Kerl war spurlos verschwunden, von einem Augenblick zum anderen. Einfach so. Und Orlando zerrte immer noch an seinem Türgriff. Doch die Tür gab nicht einen Millimeter nach.

 

Liv blickte sich suchend in der Umgebung um. Doch sie konnte den Kerl einfach nicht ausmachen. Sie hatte erst das Gefühl, dass er neben ihr stand. Doch da war nichts. Sie blickte in den Wald, doch auch da war er nicht zu finden. Aus dem Augenwinkel nahm sie dann rechts auf der Fahrerseite eine schnelle Bewegung wahr. Sie drehte sich um und sah, wie der Fremde von hinten auf Orlando zurannte. Sie hatte kaum die Möglichkeit zu reagieren, da hatte der Zombie auch schon sein Messer in Orlandos Rücken gebohrt.

 

Sie schrie laut auf, als Orlando gegen die Scheibe fiel und sie mit Todesangst in den Augen anstarrte. Wie gebannt schaute sie ihn an und schrie sich die Seele aus dem Leib. Als der Fremde noch einmal zustechen wollte, schloss sie die Augen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie spürte, wie das Auto wackelte. Dann herrschte Stille.

 

Ihre Ohren rauschten von dem Blut, das ihr in den Kopf geschossen war und das Auto bewegte sich noch immer. Doch dann hörte sie noch etwas anderes: Sie hörte, wie sich Elijah mit jemandem stritt, der genau neben ihr saß. Erschrocken fuhr sie hoch und blickte den Fahrer entsetzt an.

 

„Orlando!“, rief sie aus. Was zum Teufel war hier gerade passiert?

 

Doch der Brite ging gar nicht auf sie ein. Er hörte nicht auf, sich mit Elijah zu streiten und achtete dabei kaum auf die Straße. Als Liv jedoch verwirrt vor das Auto blickte, sah sie in etwa hundert Metern Entfernung das alte Herrenhaus aufragen. Der Mond stand genau darüber und sie bekam mehr Angst denn je. Hatte sie das gerade etwa nur geträumt?

 

Als Orlando den Motor abstellte, stiegen die Jungs aus. Doch Liv blieb sitzen. Sie starrte auf das Haus vor ihr. Es war über und über mit Girlanden behangen und riesige Kürbisse standen vor dem Eingang. Das Gras war hoch gewachsen und der alte Handrasenmäher, der an der Hauswand lehnte, war so verrostet, dass er wohl auseinander fallen würde, wenn man ihn berührte. So wie das ganze Haus.

 

Jemand machte ihr die Tür auf und sie zuckte erschrocken zusammen. Orlando hielt ihr seine Hand hin, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Zögernd ergriff sie seine Hand und stieg aus dem Wagen aus.

 

„Ist dir nicht gut, Liv“, fragte er und besah sie sich kritisch. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“ Er lächelte sie aufmunternd an, weil er dachte, dass er sie mit diesem kleinen Scherz beruhigen konnte, und ging mit ihr zum Haus.

 

Die Haustür stand offen und von innen dröhnte laute Musik zu ihnen heraus. Papierfledermäuse hingen über der Tür und Spinnweben überall. Als sie das Haus betraten, begrüßte sie ein schon etwas angetrunkener Peter Jackson, der als Zombie verkleidet war. Liv starrte ihn wie gebannt an. Doch er lächelte nur und bot ihnen gleich einen Becher Punsch an. Orlando nahm dankend an, doch sie lehnte ab.

 

Die Party war schon in vollem Gange, doch leider waren noch nicht alle da. Sie warf prüfend einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass sie erst vor fünfzehn Minuten das Haus verlassen hatte. Wie war das möglich? Sie konnte sich erinnern, dass sie mindestens zwanzig Minuten durch den Wald geirrt waren. Langsam begann sie, an ihrem Verstand zu zweifeln. Sie setzte sich auf einen Sessel. Eine Wolke aus Staub stieg dabei auf.

 

Orlando gesellte sich zu seinen Kumpels und musterte Sean Bean. Er hatte sich als Teufel verkleidet, aber seine Hörner saßen ein bisschen schief. Er blickte sich ein bisschen um und sah allerhand lustige Verkleidungen um sich herum. Der Gollum-Darsteller Andy Serkis trug ein ziemlich lächerliches Eskimokostüm. Doch für seine schräge Art war er ja schon bekannt.

 

Als er sein erstes Glas geleert hatte, schlenderte Viggo zu ihnen herüber. Er sah ziemlich normal gekleidet aus. Doch auf die Frage hin, was er wohl darstellte, antwortete er: „Ich bin ein gescheiterter Fotograph. Leider fiel mir nichts Besseres ein, auf die Schnelle.“ Die Jungs lachten darüber und Orlando ging hinüber zum Buffet, um sich noch etwas zu trinken zu holen.

 

Er betrachtete die Auslagen. Alles sah irgendwie ekelhaft aus und er würde den Teufel tun, etwas davon zu essen. Auch wenn das Hirn mit Blut nur Spaghetti mit Tomatensauce waren. Das Einzige, was er davon essen würde, waren die kleinen grünen Laubfrösche von Haribo, die überall herumlagen.

 

Als er seinen Blick schweifen ließ, fiel ihm auf, dass einer der Stuntmänner, der noch dazu ziemlich muskulös war, ein lächerliches Bananenröckchen trug. Auf seiner Brust trug er halbe Kokosnüsse. Das Ganze wirkte mehr als nur lächerlich. Aber das war typisch für Paul. Er nahm sich und seine Arbeit gerne selbst auf den Arm. Trotzdem hätte er sich besser etwas Männlicheres angezogen.

 

Als er sich umdrehte, sah er Liv, die immer noch auf dem Sessel saß und den Kopf auf die Hände gestützt hatte. Irgendetwas stimmte mit ihr ganz und gar nicht. Er wollte zu ihr hinüber gehen, doch er stieß mit Cate zusammen, die sich als Hexe verkleidet hatte. Sie hatte ihre Haare zerzaust und sich eine Warze auf die Nase geklebt. Und irgendwie erinnerte ihn das an den Geschichtsunterricht von früher. Seine Lehrerin hatte beinahe fast genauso ausgesehen.

 

Er entschuldigte sich bei Cate und ging zu Liv hinüber. Sie wirkte abwesend und sie hatte immer noch diesen Gesichtsausdruck, als hätte sie einen Geist gesehen. Er kniete sich vor ihr hin und nahm ihre Hand in seine. „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er vorsichtig.

 

Liv schaute ihn an. „Ich weiß es nicht“, sagte sie und ihre Augen wurden feucht. „Kann ich mal mit dir reden, Orlando?“

 

„Aber sicher. Komm, wir gehen nach oben.“ Er zog sie von dem Sessel hoch und ging mit ihr die Treppe rauf. Dort öffnete er die erste Türe und setzte sich mit ihr auf das Bett, das dort stand. „Also, was ist los mit dir?“

 

Liv erzählte ihm, was sie zu sehen geglaubt hatte und sie hatte immer das Gefühl, dass er sie gleich auslachen würde. Doch Orlando dachte gar nicht daran. Für ihn sah sie viel zu eingeschüchtert aus, als dass sie sich einen dummen Scherz mit ihm erlauben würde. Sie meinte das ganz sicher todernst.

 

„Ich bin mir sicher“, sagte sie abschließend, „dass es so passiert ist. Aber als ich die Augen wieder aufgemacht habe, waren wir schon vor dem Haus hier.“

 

Dann fiel ihm plötzlich etwas ein. „Weißt du, was ich glaube?“, sagte er und lächelte sie an. „Ich glaube, dass dein Tag heute sehr lang war und du einfach im Auto eingeschlafen bist. Du sahst nicht sehr fit aus, als du ins Auto gestiegen bist eben.“

 

„Meinst du wirklich, das könnte es gewesen sein?“, fragte sie jedoch ungläubig.

 

„Da bin ich mir ganz sicher! Heute ist immerhin Halloween. Und an diesem Tag hat man immer besonders Angst, dass die Geister eine Verfolgung auf uns Menschen angesetzt haben.“

 

„Und ich dachte immer, du glaubst nicht an Geister.“ Jetzt lächelte Liv sogar wieder.

 

„Tue ich auch eigentlich nicht.“ Er zwinkerte ihr zu und gemeinsam gingen sie wieder die Treppe hinunter und feierten mit den Anderen die Party.

 

~*~*~*~

 

Als sich gegen fünf Uhr in der Frühe die Party langsam aufzulösen begann und die Sonne schon ihre ersten roten Strahlen über den Horizont schickte, lud Orlando seine betrunkenen Freunde, Billy, den Pirat, Sean, den Dracula und Elijah, den Barbie-Peter Pan, in sein Auto und setzte den Engel Liv vorsichtig auf den Beifahrersitz. Sie war mittlerweile auf einem alten Sofa eingeschlafen und schnarchte leise. Er selbst hatte nichts getrunken. Schließlich war er verantwortungsbewusst. Denn auch der Punsch, den er zu Anfang getrunken hatte, war natürlich alkoholfrei gewesen.

 

Mit Elijah hatte er sich wieder versöhnt. Sie hatten später noch zusammen getanzt und die Kostüme getauscht. Und spätestens dann hatte jeder gesehen, was Elijah eigentlich darstellen wollte.

 

Orlando kurbelte sein Fenster herunter und zündete sich eine Zigarette an. Irgendwann würde er das Rauchen aufgeben, das schwor er sich. Aber heute Nacht wollte er sicher nicht damit anfangen. So fuhr er gemächlich den Waldweg entlang und bog auf die Waldstraße ein, die direkt nach Wellington führte.

 

~*~*~*~

 

Als Liv wach wurde, merkte sie, dass das Auto stand. Das Radio lief noch und die drei Jungs auf dem Rücksitz waren auch schon längst in tiefen Schlaf gefallen. Sie rieb sich die Augen und versuchte auszumachen, warum sie angehalten hatten. Denn Orlandos Platz war leer.

 

Sie schaute durch die Windschutzscheibe und musste erst ein paar Mal blinzeln, bis sie draußen etwas erkennen konnte. Die Sonne hatte sich noch nicht über die Bäume geschoben und drang längst nicht durch das dichte Unterholz, das den Wald schwer zugänglich machte. Alles, was ihr an Licht geboten wurde, waren die Scheinwerfer des Wagens. Doch die waren so hell gewesen, als sie die Augen geöffnet hatte, dass sie erst einen Moment gebraucht hatte, bis sie überhaupt in der Lage war, etwas auszumachen, was sich jenseits der Windschutzscheibe befand.

 

Doch was sie dann sah, ließ ihr ihre Haare zu Berge stehen und den Schweiß ausbrechen. Dort vorne, im Licht des Wagens, stand Orlando und redete mit jemandem, der ihnen den Weg verstellte. Er hatte das Fenster nicht wieder geschlossen und so konnte sie hören, was der Brite sagte.

 

„Sir, würden Sie bitte von der Straße runter gehen? Es ist spät und ich muss meine Freunde noch nach Hause bringen. Also, würden Sie bitte den Weg freimachen?“

 

Als der Kerl sich immer noch nicht bewegte, zuckte Orlando mit den Schultern und trat zur Seite. Bisher hatte sein Rücken den Blick auf den Fremden verwehrt. Doch jetzt konnte Liv sehen, wer ihnen dort den Weg versperrte.

 

Es war jener Fremde, der Orlando in ihrem Traum erstochen hatte.

© by LilórienSilme 2015

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